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Schiller an Caroline von Beulwitz, 15. Mai 1790

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Sonnabend, 15. Mai [1790].

Heute früh, meine Liebe, wirst Du ganz unverhofft mit einem Billet von Paulussens überrascht worden seyn, die gestern auf einer Reise nach Schwaben Rudolstadt passirt sind. Sein Vater ist todtkrank und will ihn noch einmal sehen. Uns ists gar nicht lieb, Paulussens zu missen. Wir haben doch außer ihnen gar keine nur leidliche Gesellschaft.

Du siehst also, liebste Line, Du mußt bald kommen. Ohnehin ist mit Ende der nächsten Woche Dein Termin vorbei, 3 Wochen wolltest Du in Rudolstadt bleiben. Komm also, wenn Du es irgend nur machen kannst, auf Pfingsten – mit dem heiligen Geist. Es ist jetzt gar hold und freundlich bei uns, in Jena meine ich, in unserm Hause versteht es sich ja ohnehin. Wir gehen jetzt alle Tage ins Freie, und lernen immer neue schöne Plätze kennen, die Dir sehr gefallen werden, weil sie nahe sind.

Lolo hat gestern 2 Stunden im Cabinet neben meinem Auditorium zugebracht und mich lesen hören und mir Thee gemacht. Sie hat sich vor den Studenten sehr gefürchtet, jetzt aber hat sie Herz. Ich fing gestern die Vorlesungen über die Tragödie an und finde gar viel Vergnügen in dieser Arbeit. Ich entdecke viele Erfahrungen, die die Ausübung der tragischen Kunst mir verschafft hat und von denen ich selbst nicht wußte, daß ich sie hätte. Zu diesen suche ich den philosophischen Grund und so ordnen sie sich unvermerkt in ein lichtvolles zusammenfügendes Ganze, das mir viel Freude verspricht. Ich habe so doch jede Woche eine aufgeheiterte Stunde an einem Orte, wo sie sonst nicht sehr zu erwarten ist.

Dominikus von Erfurt hat mir dieser Tage auch geschrieben. Er hat die univ. historische Übersicht gelesen und sagt mir darüber gar viel schönes, fast in zu jugendlichem Ton für einen Mann wie er.

Ein neuer schwäbischer Magister ist jetzt auch hier angekommen und wohnt bei Paulussens. Er scheint ein Mensch von vielem Kopf und vielen Kenntnissen. Ich mag die Schwaben doch gar gerne leiden.

Lolo wird nächste Woche Clavier- und Singstunden anfangen, und nächstens auch das Italienische. Du siehst, es geht alles lebendig und geschäftig bei uns zu. Es würde auch schwer werden, uns Langeweile Schuld zu geben.

Lebe wohl, liebste Line. Wie sehne ich mich Deine liebe Gestalt wieder zu sehen, in Deinem Wesen mich zu verlieren. Ich drücke Dich an meine Seele. Leb wohl.