HomeBriefeAn Caroline von BeulwitzSchiller an Caroline von Beulwitz, 27. November 1788

Schiller an Caroline von Beulwitz, 27. November 1788

Bewertung:
(Stimmen: 0 Durchschnitt: 0)

Donnerstag d. 27. Nov. 88.

Dank Ihnen liebste Freundinn daß Sie mir meinen unglücklichen Zweifelmuth verziehen haben. Je größer meine Sünde ist, desto froher will ich seyn; und Sie können mein Gewißen durch nichts beßer erschüttern als wenn Sie mir durch recht viele und recht große Briefe die Abscheulichkeit meines Vergehens erweisen. Aufrichtig aber, ich habe in meinem Herzen doch keinen ganzen Zweifel zusammen gebracht, so bedenklich auch die Umstände waren.

Endlich also einen Laut von Wolzogen, und einstweilen genug, um wegen seiner ruhiger zu seyn. Er ist doch endlich glücklich an Ort und Stelle, und wir sehen, daß es nur bei ihm stehen wird, seinen Lebensplan auszuführen. Wenn er aber jezt bey so wenig Gesellschaft seine Nachrichten so klein zuschneidet, wie arm werden Sie alsdann erst ausfallen, wenn seine Bekanntschaften sich häufen. Ich fürchte, der große Brief wird eine Riesengröße erreichen. Hoffentlich antworten Sie vor dem nächsten Freitag noch nicht, dass ich auch noch einen kleinen Einschluß einlegen kann, den ich Ihnen mit nächstem Botentage schicken will.

Wolzogens Urtheil über Paris konnte unter diesen Umständen wohl nicht anders ausfallen. Das Objekt ist ihm wirklich noch zu groß; sein innerer Sinn muß erst dazu hinaufgestimmt werden. Er hat eine Elle mit gebracht um einen Coloß zu messen. Ich glaube wohl, dass er am Ziel einer langen Bekanntschaft mit Paris so ziemlich zu demselben Urtheil zurückkommen mag, aber er wird es aus andern Motiven und aus einem andern Standpunkte thun. Wer Sinn und Lust für die große Menschenwelt hat, muß sich in diesem weiten großen Element gefallen; wie klein und armselig sind unsre bürgerliche und politische Verhältnisse dagegen! Aber freilich muß man Augen haben, die an großen Uebeln, die unvermeidlich mit einfließen, nicht geärgert werden. Der Mensch, wenn er vereinigt wirkt, ist immer ein großes Wesen, so klein auch die Individuen und Detaile ins Auge fallen. Aber eben darauf, dünkt mir kömmt es an, jedes Detail und jedes einzelne Phänomen mit diesem Rückblick auf das große Ganze, dessen Theil es ist zu denken, oder was eben so viel ist, mit philosophischem Geiste zu sehen. Wie holperigt und höckerigt mag unsre Erde von dem Gipfel des Gotthards aussehen, aber die Einwohner des Mondes sehen Sie gewiß als eine glatte und schöne Kugel. Wer dieses Auge nun entweder nicht hat, oder es nicht geübt hat, wird sich an kleinen Gebrechen stoßen und das schöne große Ganze wird für ihn verloren seyn.

Paris freilich dürfte auch dem philosophischen Beobachter vielleicht einen widrigen Eindruck geben; aber einen kleinen gewiß nie, denn auch die Verirrungen eines so feingebildeten Staats sind groß. Was für eine prächtige Erscheinung ist das römische Reich in der Geschichte auch bei seinem Untergang!

Mir für meine kleine stille Person erscheint die große politische Gesellschaft aus der Haselnußschaale, woraus ich sie betrachte, ohngefähr so, wie einer Raupe der Mensch vorkommen mag, an dem sie hinaufkriecht. Ich habe einen unendlichen Respekt für diesen großen drängenden Menschenocean, aber es ist mir auch wohl in meiner Haselnußschaale. Mein Sinn, wenn ich einen dafür hätte, ist nicht geübt, nicht entwickelt, und solange mir das Bächlein Freude in meinem engen Zirkel nicht versiegt, so werde ich von diesem großen Ocean ein neidloser und ruhiger Bewunderer bleiben.

Und dann (um doch recht ins Gelag hinein zu philosophieren!), dann glaube ich, daß jede einzelne ihre Kraft entwickelnde Menschenseele mehr ist als die größte Menschengesellschaft, wenn ich diese als ein ganzes betrachte. Der größte Staat ist ein Menschenwerk, der Mensch ist ein Werk der unerreichbaren großen Natur. Der Staat ist ein Geschöpf des Zufalls, aber der Mensch ist ein nothwendiges Wesen, und durch was sonst ist ein Staat groß und ehrwürdig, als durch die Kräfte seiner Individuen? Der Staat ist nur eine Wirkung der Menschenkraft, nur ein Gedankenwerk, aber der Mensch ist die Quelle der Kraft selbst, und der Schöpfer des Gedankens.

Aber wo gerath ich hin? Ich lasse meine Feder machen, und vergesse dass ich einen Brief und keinen Discours philosophique schreibe. Lassen Sie mirs dißmal hingehen. –

Meine Gesundheit lassen Sie Sich nicht anfechten. Ich komme mir durch frische Luft und durch Bewegungen zu Hilfe, wozu die schlechten Berge um Weimar herum schon noch gut genug sind. Frisch und gestärkt komm ich dann wieder nach Hause und setze meine Arbeit mit mehr Leichtigkeit fort. Bertuch will sich das Ansehen einer theilnehmenden Sorgfalt um mich geben, oder der Himmel weiß, was es ist. Ich glaube gar, er will mich verheurathen. Vergebs ihm der Himmel, dass ihn seine Freundschaft so weit führte. Er plazte neulich etwas plump damit heraus; im Ernst er hat etwas mit mir vorgehabt, und weil ich mich in einem gewißen Clubb noch nicht habe sehen lassen, so mag ich ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Es gieng mir mit ihm, wie Hamlet mit Güldenstern, als dieser ihn sondiren wollte; zum Unglück fehlte mir der witzige Einfall und eine Flöte, um ihm eine ähnliche Abfertigung zu geben. Meynt er es wirklich gut mit mir, so mag mir der Himmel verzeyhen, daß ich es ihm nicht zutraue.

Ich bin wirklich seit meinem Hierseyn recht gesund, und, welches viel sagen will, sogar von Schnupfen frei gewesen.

Gelesen habe ich seit unsrer Trennung noch nichts, mit deßen Mittheilung ich Ihnen Vergnügen machen könnte. Ich hatte auch wirklich keine Zeit dazu. Den Shaftesbury freue ich mich einmal zu genießen, vielleicht ist das ein Geschäft für den Sommer.

Jezt überseze ich die Phönizierinnen des Euripides; die schöne Scene worinn Jokaste sich die Uebel der Verbannung von Polynices erzählen läßt, ist es, was mich vorzüglich dazu bestochen hat. Ich bedaure nur, dass ich bey diesen Arbeiten zu sehr pressirt bin, und mich nicht genug mit dem Geist meines Originals familiarisieren konnte, ehe ich die Feder ansezte. Aber die Arbeit gibt mir Vergnügen, und kann am Ende doch keine andre als vortheilhafte Wirkungen auf meinen eigenen Geist haben.

Auch bin ich jezt stark über den Geisterseher her; biß jezt habe ich ihm aber noch kein großes Interesse abgewonnen. Auch meine Arbeiten locken meine Wünsche nach dem Sommer, weil ich dann hoffentlich nur mit angenehmen beschäftigt seyn werde.

Göthen sprach ich noch nicht. Es geschieht aber dieser Tage. Frau von Kalb habe ich heute besucht, und eine recht geistvolle Unterhaltung bei ihr gefunden. Wie sehr wünschte ich ihrem Geist die Welt, für die er eigentlich geschaffen ist. es liegt unendlich viel eigenes in ihrer Vorstellungskraft und ihre Blicke sind eben so scharf als tief.

Leben Sie nun recht wohl, frey von Schnupfen und von allen Leiden des Liebes und der Seele. Dass ich es nicht vergesse! Den neusten Brief von Körner schicken Sie mir doch zurück. Ich hab ihm noch etwas daraus zu beantworten. adieu, beste Freundinn! Behalten Sie mich lieb. – Viele Empfehlungen an Ihren Mann und an den Prinzen. ewig der Ihrige.

Schiller.