HomeBriefeAn Caroline von BeulwitzSchiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 19. November 1788

Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 19. November 1788

Bewertung:
(Stimmen: 1 Durchschnitt: 5)

Weimar den 19. Nov. [Mittwoch] 88.

Ich bitte Sie reissen Sie mich, sobald Sie können aus einer Ungewißheit, in die mich Ihr Paket gesetzt hat. Mit Ungeduld habe ich schon 3 Tage auf die Botenfrau gewartet, die mir Nachricht von Ihnen bringen soll. Sie kommt endlich und bringt mir ein Paquet mit altem Manuskript nebst einem Zettelchen von Ihrer beiderseitigen Hand, jede Schwester zu drei und einer ViertelsZeile, worinn noch obendrein die Rede vom Päcken ist. Ich habe mich fast zu Tod in dem Buche und in dem Mscrpt geblättert, ob der Brief nicht heraus fallen würde; die Botenfrau habe ich auch examiniren lassen, die versichert aber, daß das blaue Paket alles sey, und meinen Brief, den ich Ihnen gleich nach meiner hiesigen Ankunft schrieb, versichert sie auch, richtig übergeben zu haben. Wenn ich einen zu großen Glauben an den Reichtum Ihrer Freundschaft habe, und eine zu gute Meinung von mir selbst, um zu glauben, daß Sie mir so gar wenig würden zu sagen gehabt haben, so verzeyhen Sie mirs; Sie haben mich selbst durch das Vergangene verwöhnt; aber ich kann nicht anders glauben, als daß hier ein Versehen vorgegangen ist, und daß dieses Billet nicht alles ist, was ich hätte erhalten sollen. Ob Sie mir durch die Post etwa geschrieben, oder ob Sie vielleicht vergessen haben, den Brief in das Paquet beizulegen, weiss der Himmel, ich nicht. Aber wenn wirklich (gegen alles mein Vermuthen) kein Fehler vorgegangen ist, und wenn Sie mir nicht mehr bestimmt haben, als dieses Billet, so legen Sie mir meine Verwunderung wenigstens nicht übel aus. Ich läugne nicht, daß ich mit einiger Verlegenheit davon schrieb; denn wenn es ein Versehen ist, so schäme ich mich, einen Augenblick daran gezweifelt zu haben; und ist es keines, so muss ich freilich wünschen, daß ich das Gesagte bei mir behalten hätte. Wie ihm aber auch sey, so habe ich wenig Trost, denn ich habe mich in einer so schönen Erwartung getäuscht und muss biss auf den nächsten Post- oder Botentag zwischen Furcht und Hofnung schweben, welche von Zwei Thorheiten es eigentlich seyn werde, die ich mir habe zu Schulden kommen lassen.

Frau von Stein hat mir gesagt, daß Sie schon den Donnerstag von Erfurt weggereist seyen und ihr den Rendezvous hätten absagen lassen. Das wundert mich – ist vielleicht der Kutscher so bald zurückgekommen? Auch von Ihrer Freundin in Erfurt hätte ich gern etwas von Ihnen zu hören gewünscht – aber das wird nun auch in dem unglücklichen Briefe stehen, der entweder nicht eingepackt oder nicht geschrieben ist.

Ich bin jezt 8 Tage hier und – die Trennung von Ihnen abgerechnet – kommt es mir gar nicht anders vor, als ob ich meine Lebensart in Rudolfstadt fortsezte; denn ich lebe die ganze Zeit über immer mit mir selbst und mit der schönen Erinnerung an diesen Sommer. Wie nahe waren Sie mir immer in dieser Zeit, und wieviel haben Sie auch abwesend mir gegeben! Die Freuden des Vergangenen in der Erinnerung, und die Freuden der Zukunft in der Hofnung! und den, mir so wohlthätigen, Glauben an die Fortdauer Ihrer Freundschaft! Gewiß! die edle und reine Freundschaft kann sich auch abwesend recht viel seyn, und zu fühlen, daß auch entfernt an einen gedacht wird, erweitert und verdoppelt das eigne Daseyn.

Hier wird über mich geklagt, dass ich meiner Gesundheit durch vieles Arbeiten und zu Hause sitzen schaden würde. Aber so sind die Leute! Sie können es einem nicht vergeben, dass man sie entbehren kann. Und wie theuer verkaufen sie einem die kleinen Freuden, die sie zu geben wissen! Wenn die völligste Indifferenz gegen Clubbs und Zirkels und Caffégesellschaften den Menschenfeind ausmacht, so bin ichs wirklich in Rudolfstadt geworden.

Der chere Mere und Beulwitz empfehlen sich mich recht schön. Jener sagen Sie dass ich mit Boden über die Sache gesprochen habe; und ihr mit Gewißheit sagen könne, dass es mit dem Buschischen Anschlag nichts sey. Bode selbst mißräths – ich erwarte nun, was ich weiter thun und mit dem Verzeichniß machen soll. Leben Sie recht wohl und denken Sie meiner!

Schiller.

d. 20. Nov. [Donnerstag.]

Lottchen wünsche ich recht viel Glück zum Geburtstag. Dass ich ihn nicht selbst mit feyern helfen kann! aber ich will ihn hier im stillen für mich feyern. Abends, wenn ich weiß, daß Sie im stillen Zirkel nun beisammen sitzen, will ich ihn beim Thee recht feierlich begehen, und mich recht lebhaft unter Sie versetzen.

Ich überlese Ihr Billet noch einmal. Sie wollen darinn Nachricht von mir haben – sollten Sie denn wirklich meinen Brief nicht erhalten und die Botenfrau ihn verloren haben? Das verhüte doch der Himmel!

Die Briefe Lavaters an die Recke und die ihrigen an ihn habe ich gelesen. Er nennt ihre jetzige Rolle in der gelehrten Welt einen Amazonenauftritt, und macht ihr besonders darinn zum Vorwurf, daß sie die Einfalt des Herzens verloren hätte. Nach vielen unverständlichen mystisch prophetischen Ermahnungen – und ziemlich harten wenigstens gegen eine Dame!! unschicklichen Tiraden ist sie wieder plözlich eine angebetete Elisa! Kurz der Brief hat mir nicht gefallen, aber die Antwort auch nicht viel beßer. Sie würde mich zwar empfindlich ärgern, wenn sie an mich wäre, aber nicht wegen des Vortheils, den sie wirklich hat, als den sie zu haben glaubt, nicht wegen des Geists, sondern wegen des Tons. Es ist unangenehm und widrig, eine Person wie die Recke, die ohne es zu wissen, tausendmal näher an Lavatern und seiner Ideenreyhe hängt, als sie jemals an Nicolais und Consorten hieng und hängen wird, eine Person, die immer noch Enthousiastinn nur in einem andern Rocke ist, es ist widrig sage ich, eine solche Person mit nüchterner Philosophie um sich werfen, auf einen Kopf, wie doch Lavater immer ist, herab sehen, ihm Lehren geben, wie sie sehr darinn zu thun affektirt und besonders ihre Freundschaft als einen Preiß auf seine Sinnesänderung und Beßerung setzen zu sehen. Meine Freundschaft, sagt sie ihm z. B., werde ich keinem entziehen, der sich ihrer nicht unwürdig gemacht hat. Bode sieht mit allen Gliedmassen aus dem Briefe heraus, ich glaube sogar, daß der ihn ganz gemacht hat. Die ganze Sache ist diese, dass Lavater dabey verliert und die Recke nichts gewinnt! Die Briefe fodert er freilich auf eine empfindliche Art, aber doch noch beleidigender ist die Art, wie sie sie ihm verweigert.

Den 20. November.

Ich hatte den beiliegenden Brief schon gesiegelt als ich die Ihrigen erhielt. Freude und Beschämung wechselten in meiner Seele. Ich hatte zwar mit ziemlicher Vestigkeit darauf gebaut, daß hier ein Misverstand oder Versehen seyn könnte, aber die hintergangene Erwartung machte mich mismuthig und Sie wissen, dass man da gerne das Ueble glaubt. Nun haben Sie mich durch Ihre lieben Briefe wieder ins Leben erweckt.

Die Botenfrau will in einer halben Stunde schon hier seyn und sich auf den Weg machen. Ich habe also nur noch für ein paar Worte Zeit und Ihre Briefe werde ich erst in der Stille für mich genießen.

Einesteils freut es mich, daß Sie die Lage der Dachröden so mit angesehen haben; sie wird Ihnen Ihre eigne um so lieber machen. Ueberhaupt habe ich Sie im Stillen schon oft um eben das beneidet, warum ein anderer Sie vielleicht beklagt. Der Mangel an äusserlichen geselligen Ressourcen zwingt sie, in Ihrem Geist und Herzen Beschäftigung zu suchen, und nie hätten Sie vielleicht die Schätze in Ihrem eigenen Wesen entdeckt, wenn nicht ein geistiges Bedürfniß Sie darauf aufmerksam gemacht hätte. So viele trefliche Menschen reisst der Storm der Gesellschaften und Zerstreuungen mit sich dahin, dass sie erst dann zu sich selbst kommen, wenn sich die Seele aus dem Schwall von Nichtigkeiten nicht mehr empor arbeiten kann. Es sieht vielleicht misanthropisch aus; aber ich kann mir nicht helfen, ich bin Kleists Meinung: Ein wahrer Mensch muss fern von Menschen seyn.

Daß Ihnen Körners Briefe sein Wesen vergegenwärtigt haben, freut mich sehr. Es ist kein imposanter Karakter, aber desto haltbarer und zuverlässiger auf der Probe. Ich habe sein Herz noch nie auf einem falschen Klang überrascht; sein Verstand ist richtig, uneingenommen und kühn; in seinem ganzen Wesen ist eine schöne Mischung von Feuer und Kälte. Ich werde Ihnen nach und nach mehrers von ihm zu lesen geben.

Es ist brav daß Sie dem Plutarch getreu bleiben. Das erhebt über diese platte Generation und macht uns zu Zeitgenossen einer beßern kraftvollern Menschenart. Lesen Sie doch diesen Sommer auch die Geschichte des Königs v. Preußen, und geben Sie mir Ihre Gedanken darüber. Ich werde sie auch lesen.

Mich beschäftigen jetzt Dinge, die mein Herz nur flach rühren, der Geisterseher und dgl. Ich sehe mit Sehnsucht der Epoche entgegen, wo ich meine Beschäftigungen für mein Gefühl besser wählen kann.

Frau von Stein habe ich besucht, und die schöne Zeichnung von der Angelika, auch die von Lips bei ihr gesehen. Wir haben uns mit einander nach Rom versezt; in ihrem Saal hängt eine große topographische Karte davon. Frau v. Stein ist mir sehr werth und lieb geworden, und das danke ich Ihnen. Vorher kannt ich sie nur wenig. Die Imhof habe ich noch nicht gesehen, ich fürchte mich vor der langweiligen Reizenstein. Frau von Kalb ist recht wohl und sehr aufgeheitert. Ich sehe sie aber auch wenig, weil ich überhaupt, seit ich hier bin, nur 2mal ausgekommen bin.

Nächstens mehr. Die Botenfrau ist da. Noch einmal bitte ich Sie wegen meines Mistrauens um Verzeyhung. Ich hätte es Ihnen verschweigen können; aber ich halte es hier mit der Aufrichtigkeit, und will lieber von Ihnen ausgelacht seyn, als mir vorzuwerfen haben, dass ich Ihnen etwas zurückhielt.

Leben Sie recht wohl, und noch viele gute Wünsche zum Geburtstag; ich werde den November nun um so lieber haben. Adieu, meine liebsten Freundinnen. Denken Sie meiner wie bisher mit Liebe. adieu. adieu.

S.