HomeBriefeAn Caroline von BeulwitzSchiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 27. November 1789

Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 27. November 1789

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Freitag Abends 1

Wie froh bin ich immer, meine Lieben, wenn es Freitag Abends ist. Meine Vorlesungen für die Woche sind dann geendigt, ich kann euerm Andenken ungestörter leben, und der nächste Morgen bringt mir eure Briefe. Wie oft hat mich in diesen Tagen die Resignation schon gereut, euch nicht hier zu sehen. Ueberzeugt haben mich eure Gründe und die meinigen, aber wieviel fehlt, dass sie mein wünschendes Herz befriedigt hätten. Daß ich euch nur Momente sehen, und die schnelle Trennung mir desto schmerzlicher seyn würde – dieß war der wichtigste Grund, warum ich mich darein ergab. Der Tag, an dem ich euch nach W. unterwegs weiß, wird ein unruhiger Tag für mich werden. Meine Gedanken werden euch begleiten. Als ich jenen Weg machte, den ihr machen werdet, waret ihr doch für mich schon in der Welt. Wir hatten einander gesehen, um uns nicht wieder zu vergessen. Eure Gestalten folgten mir nach W., aber sie sagten meiner Hofnung noch nichts, und ohne euch lag der Weg des Lebens vor mir! Wieviel kann in zwey Jahren mit einem werden! Fünf Wochen sind jetzt seit unsrer Trennung vorüber – ich fühle wohl, wie die Zeit flieht, aber immer scheint es mir als wollte sich an der großen Zeitstrecke nichts verringern, die wir noch zurücklegen müssen, ehe wir am Ziel unsrer Wünsche sind. Es geht mir damit, wie mit Hallers Ewigkeit – ich ziehe einen Tag, eine Woche nach der andern von dieser traurigen Zeitsumme ab, und sie bleibt immer ganz vor mir liegen. Aber diese Tage und Wochen gehen desto gewisser von dem Frühling unsers Lebens ab. Jeder Augenblick bricht, indem er flieht, einen grünenden Zweig von dem Baume, biß der entblätterte Stamm dahin stirbt. O ich legte nie soviel gewicht auf mein Leben, das seitdem Ihr der Innhalt davon seid, seitdem ich weiß, warum ich es habe, und womit ich es ausfüllen soll.

Lange, meine theuersten, habe ich mich zwischen streitenden Entschlüssen herumgeworfen, wie ich es mit meinem Schicksal halten soll – ob ich den Plan nach M-z verfolge oder jetzt noch ruhig dem Gang der Umstände zusehe! Nun bin ich bestimmt – vorausgesetzt, daß die einzige Bedingung erfüllt wird, unter welcher ich meinem Entschluß getreu bleiben kann. Ich will noch einige Jahre hier aushalten, aber diess kann nur dann geschehen, wenn Lotte mit mir lebt; und nur die Gewißheit, daß dieß geschieht, kann mir mein jetziges Daseyn erleichtern. Ich wüßte bei Gott nicht, wie ich es sonst ertrüge! Keinen hellen Blick in die Zukunft, und diese rastlose Verlagen in meinem Herzen! Wenn ich bloß die Klugheit fragen wollte, so sollte ich freilich vorher abwarten, biss die Umstände sich zu meinem Vortheil verändert hätten, und biss ich, wie man sagt, in Ordnung wäre. Aber ich könnte über dieser Klugheit zu Grunde gehen. Mein Herz und mein Kopf halten einen so anhaltenden heftigen Zustand nicht aus, und zu meiner Thätigkeit selbst ist es nöthig, dass ich mich von Anstrengungen des Kopfs in Genüssen des Herzens erhohle. Meine Aussichten selbst, so weit ich sie befördern kann, werden durch die Unruhe meines Gemüths verzögert, weil mich diese für alle Wirksamkeit verschließt, und weil mir der erfreuende Genius nicht zur Seite schwebt, ohne den alles unser Streben umsonst ist.

Auf Ostern verlange ich von dem H. zu Weimar eine Erleichterung. Besoldung werde ich es wohl nicht nennen können. Ich zweifle sehr ob es nur 200 Thlr. seyn werden, denn der Hzg muß sie aus seiner Schatulle geben. 150 Thlr. sind alles, worauf ich rechne. Eben soviel kann ich für Vorlesungen im ersten Jahr rechnen, weil ich nur Ein Collegium lese. Dazu schlage ich für schriftstellerische Arbeiten, meine Memoires, die Thalia und d. Merkur 400 Thlr., worauf ich nach dem geringsten Anschlag ganz gewiß zählen kann. Dieß wären 700 Thlr. in allem. Kann dann die ch. M. noch etwas dazu geben, so ist es gut, aber mit 700 Thlr. können wir in den ersten Jahren, wo wir uns noch gar nicht einrichten, leidlich leben. Einrichten können wir uns darum nicht, weil ich ganz positiv nicht in Jena bleibe. In 2 Jahren vom nächsten Sommer an gerechnet, ist entweder in Mz oder in B-n etwas für mich entschieden. Auf einen Platz bey der Academie in B rechne ich noch sehr, nur müssen erst einige zweckmässige Schritte dazu geschehen. Aber alles wird mir schwerer, solang sich das Leben nicht ausser mir erheitert, solange sich meine Seele in unbefriedigter Sehnsucht verzehrt.

So ist mein Gemüth gestellt. Ueberlegt nun mehr, wie wir es einzurichten haben, um dieses Ganges gewiß zu seyn. Aus diesem Grunde habe ich gewünscht, daß es mit eurer Mutter berichtigt wäre, weil wir sie sonst auf den Frühling zu sehr pressiren. Und durch Briefe allein kann es nicht geschehen, weil deine Gegenwart in R. dazu nöthig ist Caroline. Ich möchte auch nicht gern, dass meine und deine Angelegenheit zu gleicher Zeit auf sie einstürmten. Ihr müsst indessen am besten wissen, wie es mit ihr einzurichten ist.

Für dich meine theure Lotte ist es immer ein heroischer Entschlus, hier allein mit mir zu leben; allein wirst du dich fühlen. Ich weiß, daß wir uns zu unsrer Glückseligkeit in allen äusern Lagen genug seyn werden, aber so wenig ich, ohne allen Umgang mit Männern, die nur einiger maassen zu mir stimmen, mir gefallen könnte, so fürchte ich auch, daß der weibliche Umgang, den du hier findest, eine traurige Leerheit bey dir zurücklassen wird. Auch unabhängig von mir, das fühle ich recht gut, sollte eine gewisse leidliche äußere Existenz dich umgeben, und ich fürchte sehr, ob du diese finden wirst. Unglücklich wird diese Entbehrung dich nicht machen, aber fühlen wirst du sie doch, und mir wird es nicht entgehen. Du wirst mit einem grossen Opfer für mich anfangen müssen – aber ich baue auf die Liebe.

Adieu meine Geliebtesten! Ich erwarte mit Sehnsucht, was ihr mir auf diesen Brief antworten werdet. In Weimar werdet ihr die Fr. von Kalb sehr krank finden, wie die Wiedeburg (die eben hier ist) mir sagt. Sie spricht von einem Frieselfieber, doch, hoffe ich, wird es größer und schlimmer gemacht werden als es ist. Ich habe lange nichts von der K. gehört, und durch andre kann ich nicht gut Nachricht von ihr erhalten. Wenn ihr in W. angekommen seyd, so erkundigt euch doch nach ihrem Befinden, und hätte es Gefahr, so laßt es mich bald wissen.

Wie freut es mich theure Lotte, dass du wieder beßer bist und dass ich dich gesund weiß meine Caroline. Ich bin es auch, und werde es immer mehr werden, wenn das Wetter mir mehr Bewegung zu machen erlauben wird. Schicke mir doch dein Tagbuch von der Schweitzerreise liebe Lotte. ich möchte dich gern in jenem Zeitpunkt kennen lernen.

Es machte mir Vergnügen zu lesen, daß meine Niederländische Geschichte in Gentlemans Magazin recensirt ist und daß sehr viel schönes davon gesagt wurde. In England wünschte ich längst bekannt zu sein und vielleicht folgt jezt eine Uebersetzung m. Geschichte auf diese Ankündigung.

Meine theuersten lebt wohl. Ich fühle euch an meinem Herzen.

S.

  1. November 1789.