HomeBriefeAn Charlotte v. LengefeldSchiller an Lotte von Lengefeld, 11. April 1788

Schiller an Lotte von Lengefeld, 11. April 1788

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Weimar d. 11. April [Freitag] 1788.

Sie werden in Rudolfstadt nun wieder eingewohnt seyn, mein bestes Fräulein, und bey diesem schönen Wetter sich Ihrer ländlichen Einsamkeit freuen. Die Vergnügungen der Geselligkeit, wie man sie in Weimar und solchen Orten findet, werden gar oft durch Langeweile und Zwang gebüßt, den notwendigen Uebeln in den leidigen Assembleen. Diesen sind Sie jetzt glücklich entrunnen und Ihr Familienkreis, fürchte ich, wird Sie für alles schadlos halten, worauf Sie in Weimar vielleicht einigen Werth gelegt haben. Wie beneide ich Ihre Familie und alles, was um Sie seyn darf! Aber auch Sie beneide ich um Ihre Familie; ein einziger Tag war mir genug, mich zu überzeugen, dass ich unter sehr edeln Menschen wäre. Warum kann man solche glückliche Augenblicke nicht fest halten! Man sollte lieber nie zusammen gerathen – oder nie mehr getrennt werden.

Seitdem Sie Weimar verlassen haben, ist die Erinnerung an Sie meine beste Gesellschaft gewesen. Die Einsamkeit macht jetzt meine Glückseligkeit aus, weil Sie mich mit Ihnen zusammenbringt und mich ungestört bei dem Andenken der vergangenen Freuden und der Hoffnung auf die noch kommenden verweilen läßt. Was für schöne Träume bilde ich mir für diesen Sommer, die Sie alle wahr machen können. Aber ob Sie es auch wollen werden? Es beunruhigt mich oft, mein theuerstes Fräulein, wenn ich daran denke, daß das, was jezt meine höchste Glückseligkeit ausmacht, Ihnen vielleicht nur ein vorüber gehendes Vergnügen gab; und doch ist es so wesentlich für mich, zu wissen, ob Sie Ihr eignes Werk nicht bereuen, ob Sie das, was Sie mir in so kurzer Zeit geworden sind, nicht lieber zurücknehmen möchten, ob es Ihnen angenehm oder gleichgültig ist. Könnte ich hoffen, daß von der Glückseligkeit Ihres Lebens ein kleiner Antheil auf meine Rechnung käme, wie gern entsagte ich manchen Entwürfen für die Zukunft, um des Vergnügens willen, Ihnen näher zu seyn! Wie wenig sollte es mir kosten, den Bezirk, den Sie bewohnen, für meine Welt anzunehmen!

Sie haben mir selbst einmal gesagt, daß eine ländliche Einsamkeit im Genuß der Freundschaft und schöner Natur Ihre Wünsche ausfüllen könnte. Hier wäre schon eine sehr wesentliche Uebereinstimmung zwischen uns. Ich kenne kein höheres Glück. Mein Ideal von Lebensgenuß kann sich mit keinem andern vertragen. Aber was bey mir ein unabänderlicher Karackterzug ist, war bei Ihnen vielleicht nur eine jugendliche Phantasie, eine vorübergehende Epoche. Vielleicht denken Sie einmal anders, oder, wenn dieß auch nicht wäre, vielleicht dürfen Sie einmal nicht mehr so denken. Beides fürchte ich und ich sehe ein, wie sehr ich Ursache hätte, mich noch bei Zeiten eines Vergnügens zu entwöhnen, von dem ich mich vielleicht wieder trennen muß. Ich mag dieser traurigen Idee nicht Raum geben.

Wie leben Sie jetzt in R.? Wie haben Sie es da wieder nach der kleinen Abwesenheit gefunden? Ich kann mir recht wohl denken, wie ungeduldig man sich nach Ihnen gesehnt hat. In einem so engen Kreise ist eine solche Lücke sehr fühlbar und wahrhaftig, das Opfer war groß, das Ihre Familie Ihnen gebracht hat, Sie solange zu entbehren. Sie hatten den Vortheil der Zerstreuung, des Neuen und der Menge; den Ihrigen fehlte diß alles. Jedes unter ihnen hat wahrscheinlich für das eine eine eigentümliche besondre Vertraulichkeit, die es nicht für das andre hat. Manche Empfindungen, die Sie einer Schwester mittheilen, behalten Sie vor einer Mutter zurück, und auch umgekehrt. Alles dieses hat also während Ihrer Abwesenheit unter dem Schlüssel bleiben müssen. Habe ich nicht recht? Und mit je weniger Menschen man lebt, desto mehr bedarf man dieser wenigen.

Seitdem Sie weg sind, habe ich niemand von Ihrer hiesigen Bekanntschaft gesehen; ich kann Ihnen also auch nichts davon hinterbringen. Einer meiner intimesten Freunde, der mich dieser Tage hier besuchte, veranlaßte mich, ihn nach Gotha zu begleiten. Frau von Kalb war gerade da, wie ich dort ankam; aber ich habe sie nicht gesehen. Sie war nicht ihr eigener Herr; ich hätte biss den andern Tag warten müssen, und dieses konnte ich nicht. Morgen, höre ich, soll sie zurückkommen.

Schade daß Sie jezt nicht mehr hier sind. Sie würden öfters spazieren gehen und sehen könnte ich Sie wenigstens mehr. Es ist jetzt gar freundlich und schön im Stern und im Garten, und die Nachtigallen schlagen. Ihren Favorit, die Schnecke, habe ich heute bewundern gehört; der Herzog selbst nahm sie in Schutz und hat ihr Gnade widerfahren lassen. Haben Sie indessen meiner auch wegen einer Wohnung gedacht? Ich hätte mich nicht unterstanden, Ihnen diesen Auftrag zu geben; aber Sie waren ja so gütig – und können Sie mir verdenken, wenn ich diese Gelegenheit hurtig ergriff, die Sie an mich erinnern wird. Aber die nothwendigsten Meubles müßte ich auch dabey haben wenn es nur irgend möglich ist. Alsdann auch, wenn es angeht, die Kost; doch diese soll den Handel nicht rückgängig machen, wenn es damit Schwierigkeiten hätte, weil ich sie mir aus der Stadt würde hohlen lassen können. Noch einmal, bestes Fräulein, verzeyhen Sie mir diesen Misbrauch Ihrer Güte. Es soll der lezte Auftrag dieser Art seyn. Den Ihrigen sagen Sie recht viel schönes von mir. Leben Sie recht wohl und erinnern sich zuweilen meiner.

Schiller.