HomeBriefeAn Charlotte v. LengefeldSchiller an Lotte von Lengefeld, 3. Januar 1789

Schiller an Lotte von Lengefeld, 3. Januar 1789

Bewertung:
(Stimmen: 0 Durchschnitt: 0)

Weimar d. 3 Jänner [Sonnabend] 89.

Zuerst dank ich Ihnen für das Oßianische Lied, das Sie sehr glücklich gewählt haben. Es überraschte mich, da ich mich nicht erinnre es schon gelesen zu haben, und Oßians ganzer Geist athmet darinn. Alles ist so rein, so edel in seiner Schilderung „Fingal kam von der Jagd und fand die lieblichen Fremden. Sie waren wie zwei Lichtstralen in der Mitte seiner Halle.“ Welcher Dichter hätte dieses schöner sagen können! Auch die feinste Bescheidenheit ist Oßian eigen. Wie leicht schwebt er am Schluß des Gedichts über seine eigne Thaten hin, die er uns nur in den Folgen merken läßt, nicht schildert! Es freut mich, daß Sie diesem schönen Dichter getreu bleiben und sich auf die beste Art die möglich ist, durch Uebersetzungen mit seinem Geiste familiarisiren. Endlich werden Sie noch ein ganz oßianisches Mädchen! Die Uebersetzung ist ungezwungen und thut dem Original durchaus keine Gewalt an. Etwas weniger Wort-Versetzungen und einige Bindewörter mehr, die die kurzen und abgebrochenen Sätze angenehm in einander fügen und zerschmelzen – so wird die Uebersetzung ganz harmonisch fliessen. Alsdann muss ich Ihnen wegen der merklichen Beßerung, die ich in den n und m wahrnehme meinen Glückwunsch abstatten. Jezt würde ich sie Ihnen ohnehin nicht mehr passieren lassen können; denn was ein Dichter schlechtweg verzeyht, darf ein Profeßor nicht mehr so hingehen lassen.

Die Hofnung, die Sie mir für den Sommer und kommenden Winter machen, Sie öfters zu sehen, ist eine wahre Wohlthat für mich gewesen, und mein Herz brauchte sie, um sich in dem genußlosen Daseyn, das mir bevorsteht, daran festzuhalten. Sie sehen meine künftige Situation von der guten Seite, die, wenn sie auch wirklich da wäre, von der schlimmen gar sehr überwogen wird. Um mich des neuen Faches, in das ich mich jezt einlasse, zu bemächtigen, daß ich meine eigne Zufriedenheit verdiene und gründlich darinn wirken kann, muss ich 2, 3 Jahre jeder andern Thätigkeit absterben und in einem Schwall von mehr als 1000 geist- und herzlosen alten Schriften herumwühlen – das ist doch in der That traurig für mich! Dazu kommt, daß mir in Jena keine Vortheile angeboten werden können, mich schadlos zu halten, und mir eine angenehme Unabhängigkeit zu verschaffen. Dieser Umstand kommt auch dabey sehr in Betrachtung und konnte mich in der Folge zwingen, Jena mit einem andern Platze zu vertauschen – doch ich mag dieses jezt gar nicht denken. Ich überredete mich so gerne, daß Ihre Vorstellung von der Sache die gegründete wäre. Körner wünscht auch, ich möchte frey geblieben seyn und eigentlich kann ich seine Gründe nicht misbilligen, da ich in der That für den Verlust meiner Unabhängigkeit und eines so großen Theiles meiner Zeit keinen oder nur einen sehr zukünftigen Ersatz habe. Aber auch Er sieht meinen Schritt nicht in dem rechten Lichte. In der That ist es von meiner Seite nichts andres, als eine heroische Resignation auf alle Freude in den nächsten 3 Jahren, um für meinen Geist allenfalls in der Folge eine lichte Zukunft dadurch zu gewinnen. Um glücklich zu seyn, muß ich in einem gewißen sorgenfreyen Wohlstand leben, und dieser muß nicht von den Produkten meines Geistes abhängig seyn. Dazu konnte mich aber nur dieser Schritt führen und darum hab ich ihn gethan. Hufland, fürchte ich, nicht lange zu geniessen. Ich glaube er hat jezt schon Anträge von fremden Academien. Da Jena keine Besoldungen zu geben hat, so ist es immer ausgesetzt, seine besten Leute zu verlieren, die von andern Universitaeten mit Geld aufgewogen werden.

Ihre Vorstellung, daß wir dann wenigstens die Saale mit einander gemein haben, hat mir Vergnügen gemacht. Mich besonders wird sie immer erinnern, daß sie von Rudolfstadt her kömmt. Mit den schönen Pfirschen und Weinbeeren wollen wir einen großen Handel untereinander treiben.

Sie wollten wissen, ob Moritz sich überhaupt für seinen Anton Reiser gehalten lassen will? Aus der Art, wie er davon spricht, sollte ichs fast glauben, und überhaupt ist er der Mensch nicht, der in solchen Dingen an sich hält. Er ist Philosoph und Weltbürger, dem es gar nicht einfällt, sein eignes Ich zu schonen, wo es darauf ankömmt, der Wahrheit und Schönheit zu huldigen.

Frau von Stein werde ich bald wieder sehen; käm es auf meinen Wunsch an, ich besuchte sie alle Tage, es ist mir wohl in ihrer Gesellschaft. Frau von Imhof ist vor 8 Tagen in dieser fürchterlichen Kälte nach Baireuth mit ihrem Sohn im Schlitten abgefahren und wird dieser Tage wieder zurückkommen. Göthe war einige Tage nicht wohl; er bekam einen Anfall mit bösem Hals, hat sich aber wieder gebeßert. Boden sehe ich nicht. Ich habe ihm einen Besuch gemacht, die Reyhe ist nun an ihm – Mit Leuten seiner Art halte ich mich zuweilen an die Gesetze der höflichen Lebensart, weil sie nicht bescheiden genug sind. Frau von Kalb habe ich einige Wochen nicht gesehen. Der Zirkel, in dem sie jezt lebt, ist nicht der meinige, und die Spuren ihres Umgangs bleiben dann auch zuweilen in ihrer Art zu denken und zu empfinden zurück. Knebeln wollte ich neulich besuchen, fand ihn aber nicht, und dieser Gefahr setzt man sich oft bey ihm aus, weil sich alle Herrn und Damen um ihn reissen. Seine Diminutiven müssen Sie ihm verzeyhen, alles niedliche ist klein, und alles niedliche ist schön, daraus schließt er daß alles kleine schön ist. Das ist überhaupt der fatale süße Ton, den viele glauben mit ihrem Geschlechte annehmen zu müssen, um Grazie zu zeigen. Knebel hat ihn sich sehr zu eigen gemacht.

Leben Sie nun recht wohl und verwahren Sie sich ja vor der bösen Kälte, daß Sie nicht gar krank werden. Das wird wahrhaftig ein fürchterlicher Winter und Sie beyde besonders sind übel daran. Wären alle Winter so streng, so müßten wir der Sonne um 10 Grade näher rücken.

Ich weiss nicht, wie lange dieser Brief unterwegs seyn wird, neulich wars zu spät ihn noch auf die Post fertig zu bringen. Was macht Ihre Mutter? Hoffentlich ist sie doch jezt vom Zahnweh frey? Schreiben Sie mir davon. adieu adieu. Ihr

Schiller.