HomeBriefeAn Charlotte v. LengefeldSchiller an Lotte von Lengefeld, 5. Dezember 1789

Schiller an Lotte von Lengefeld, 5. Dezember 1789

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Sonnabend 1

Was machst du jezt meine liebe? Ihr seid allein, sage ich mir, und deine Gedanken sind mir nahe. Unsre Correspondenz nach W. fängt nicht gut an. Ich muß euch vier Tage auf meinen ersten Brief warten lassen; aber daran ist der Anacharsis Schuld und meine Zerstreuung an dem gestrigen Abend, wo der Brief hätte fortgehen sollen. Nun erhaltet ihr mehrere Paquete zugleich.

Wie mir die Paulussin sagt, so soll die Grießbach euer spätes Kommen doch etwas empfindlich aufgenommen haben; doch geäusert hat sie sich nicht darüber. Ich habe sie unterdessen nicht gesehen. Die Paulus wird nach W. kommen u. euch besuchen; wie ich davon sprach, daß ich zwischen ihr und euch eine genauere Bekanntschaft wünschte, so zeigten mir beide sehr viel Verlangen darnach, und sie verfielen selbst darauf, dass es schön wäre, wenn ihr euch künftig an sie halten wolltet, und einen genauern Umgang einleitetet, der die Grießbach ihres bisherigen Monopols entsetzte. Es könnte der G. selbst nicht auffallen, sobald ihr musikalische Berührungspunkte zum Vorwand nähmet. Nur müßte alsdann die Bekanntschaft vor den Augen der G. gemacht werden. Ich suche Alles hervor, euch hieher zu bringen, und wenn wir innerhalb 4-6 Wochen mit der ch. M. einig geworden sind, so sollte es doch soviel Schwierigkeit nicht haben.

Ich wäre gar froh, meine Liebe, wenn es zwischen dir und der Paulus zu einer mehr als alltäglichen Bekanntschaft käme; dann hättest du doch Hofnung zu einigem Umgang hier, der nicht ganz leer wäre, und an dem ich selbst Interesse fände, weil Paulus und ich gut zusammen stehen. Beide schicken sich schon darum sehr für uns, weil sie sich von allem übrigen hiesigen Umgang ausschließen und sich allein leben. Es gäbe dann ein stilles geschlossenes Daseyn zwischen uns und diesen beiden, das auch schon von dieser Seite nicht ohne Reiz wäre; und wir könnten dann um so leichter andre Verbindungen abwehren und missen, wenn wir nicht ganz isolirt sind.

Ich fürchte mich jetzt fast weniger vor dem Winter, als vor dem Frühling und vor dem Anfang des Sommers, wo ich noch gar nicht weiß, wie wir es einrichten werden, um beyeinander zu seyn. Aber ich muß diese Gedanken entfernen. Vielleicht bringt der Frühling neue Aussichten, neue Hilfsmittel herbey; und bringt er sie nicht, so ist keine andere Wahl, als wir müssen mit dem Frühjahr zusammen leben. Darum muß diesen Winter alles berichtigt werden.

Ach meine theure liebe, wenn ich mir denke, dass vielleicht nur fünf Monate zwischen unsrer gänzlichen Vereinigung sind – wie schön und hell wird mir diese Aussicht! Könnte ich diese Hofnung zur Gewißheit erheben – leichter würde mir dann diese traurige Zwischenzeit verstreichen. Ein neuer Reiz wird sich über mein Leben verbreiten, und mein Geist wird neu aufleben, wenn sich deine mir gegenwärtige Theilnahme, das Bewusstseyn, daß du glücklich bist, in jeden Augenblick meines Lebens verschlingt, deine Liebe mich durch alle meine Handlungen begleitet, und mein ganzes Daseyn mir an deinem Herzen dahinfließen wird. Ach diese Freude kann uns durch nichts entrissen werden. Sie ist von allen unsern Verhältnissen unabhängig, sie ist das einzige, was nichts, als unsre Herzen, voraussetzt.

Glaubst du, dass ich deine Mutter, wenn wir erst ihre Einwilligung haben, davon werde überzeugen können, daß unsre Vereinigung nichts durch Verzögerung gewinnt, dass du mir nothwendig bist zu meinem hiesigen Leben, und daß alles beßer gehen wird, wenn wir nur erst vereinigt leben? In der That ist es so. Mein Schicksal kann sich in wenigen Monaten nicht so merklich verbessern, daß es des Opfers verlohnte, diese Monate noch auszuwarten. Deine Mutter muß sich darein ergeben, dich von jetzt an nicht anders mehr zu sehen, als auf einem vorübergehenden Besuch in Rudolstadt.

2

Sontag abends. Hat dir die Stein unterdessen nichts mehr über unser Verhältniß gesprochen? Ich beobachtete Knebeln, ob er nicht etwa Winke davon bekommen hätte, aber es scheint doch nicht zu seyn. Wenn die St. auch gegen Frauen schweigt, so würde es mich immer wundern, wenn sie gegen einen Mann den sie hochschätzt und liebt, diese Zurückhaltung hätte. Die Frauens vertrauen uns sehr viel, sobald sie gut von uns denken, mir selbst wurden manche Geheimniße von der Art anvertraut, die mir hätten verschwiegen bleiben sollen. Du konntest gegen die St. nicht anders handeln, und im ganzen hat es auch nicht soviel zu sagen, wenn einige discrete Menschen auch davon wissen sollten. In Ansehung meiner ist die Vermuthung wohl allgemein und möchten wir nur bald soweit seyn, daß das Geheimniß nicht mehr nöthig ist.

Dein Tagebuch habe ich mit Vergnügen gelesen, aber daß du auf der Solitude so gar nichts von der Zukunft geahndet hast, das ist doch arg! besonders da du und Caroline soviel auf geheime Sympathien haltet. Mit Vergnügen habe ich einige mir bekannte Plätze in deiner Beschreibung wieder gefunden.

Adieu meine liebe. Ich umarme dich, du bist meinem Herzen so nahe. adieu theure liebe. adieu.

Willst du so gut seyn und dieß Paquet an Knebeln schicken? Es ist eine schlechte französische Comödie, die er mir hier einmal gegeben hat. Er wird mirs doch nicht übel nehmen, daß ich ihm nicht zugleich dabey geschrieben habe.

Leb wohl meine Lotte.

  1. December 1789.
  2. December.