HomeBriefeAn Charlotte v. LengefeldSchiller an Lotte von Lengefeld, 8. Januar 1790

Schiller an Lotte von Lengefeld, 8. Januar 1790

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Freitag Abends 1.

Die Zweifel, die Du Dir aufwirfst meine liebe, ob Du mir auch wirklich das seyst, was Du wünschest, enthalten einen stillen Vorwurf gegen mich, ob ich gleich weiß, daß Du mir keinen machen wolltest. Diese Zweifel hättest Du nicht, wenn meine Liebe für Dich einen lebhaftern Ausdruck gehabt hätte, wenn ich mehr Worte dafür gehabt hätte, was Du meinem Herzen bist. Aber diese Zweifel werden bey Dir aufhören, wenn Du mich ganz kennst, wenn Du mit meinem Wesen vertraut genug geworden bist, um zu wißen, in welche Sprache sich meine Empfindungen kleiden. Auch meine liebe ist still, wie mein ganzes übriges Wesen – nicht aus einzelnen raschen Aufwallungen, aus dem ganzen Zusammenlang meines Lebens wirst Du sie kennen lernen. Es wird noch ein schönes Studium für uns beide geben, biß wir einander abgelernt haben, welche Saite am willigsten und am wohlklingendsten tönt, biß jedes von uns die zarten Stellen im Herzen oder in der Laune des andern kennt, durch die man sich am gefälligsten berührt und am wenigsten fehl geht. Ich sehe voraus, meine Liebe, daß wir noch allerley Erfahrungen über einander machen werden, die eine schöne Beschäftigung für uns versprechen. Schon allein dieses, daß jedes von uns da seine Wünsche anknüpft, wo das andre reich ist, dieses zu lernen ist keine so leichte Kunst, aber sie belohnt augenblicklich und unaussprechlich. Ich könnte Dich auf allerley Eigenheiten in mir vorbereiten, aber lieber will ich sie von Dir selbst finden lassen. Deine Blicke in meine Seele müssen Dein eigen seyn, was Du selbst entdeckst, wirst Du desto glücklicher und desto feiner anwenden. Irre Dich nicht an den seltsamen Gestalten meiner Seele, die oft in schnellen Übergängen wechseln. Sie haben mit unserer liebe nichts zu thun. Diese schnelle Beweglichkeit meiner Seele ist eine Eigenheit in mir, daran Du Dich nach und nach gewöhnen mußt. Wie freue ich mich der Zukunft, die uns alles dieses mit einem sanften Lichte unvermerkt aufhellen wird.

Heute ist Dein Brief an meine Mutter fortgegangen. Es wird ein glücklicher Augenblick für sie seyn, wenn sie ihn erhält. Ich schreibe morgen an die ch. M. und will sie preßiren. Ihr müßt es aber auch, oder vielmehr Caroline.

Carolinen kann ich heute nicht mehr schreiben. Den Augenblick muß dieser Brief fort, sonst wird die Post geschlossen u. Ihr erhaltet morgen gar nichts.

Ich schließe euch an meine Seele. Ach ihr seyd mir immer zur Seite – Leb wohl meine Liebe. Morgen erhalte ich Briefe von euch. Ich erwarte sie mit Sehnsucht. Tausendmal umarme ich Dich. Adieu.

S.

  1. Januar 1790