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Schiller an Christoph Wieland, 23. Juli 1787

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[Weimar d. 23 Juli Montag 1787.]

Mein schönster Wunsch ist endlich erfüllt, ich bin dem Augenblike nahe, Sie, vortrefflichster Mann, von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Vorgestern traf ich hier ein, aber die Betäubung meines Kopfes von einigen schlaflosen Nächten untersagte mir diesen Genuß biß heute. Nicht gern wollt ich eine Freude nur halb empfinden, die ich mir schon so lange aufgespart hatte. Lassen Sie mich durch den Überbringer erfahren, zu welcher Stunde dieses Nachmittags ich Ihnen nicht ungelegen komme. Wenn ich mir noch eine Bitte an Sie erlauben dürfte, so wär es diese, daß Sie mir diese Stunde allein schenken möchten, weil ich nicht weiß, ob ich in Ihrer nähern Gegenwart für einen Dritten Sinn haben würde. Alsdann werde ich Sie auch bitten, mich in den Kreis Ihrer liebenswürdigen Familie einzuführen.

Nicht wenig verlegen würde ich seyn, mich jetzt Demjenigen zu nähern, von dessen guter Meinung und Liebe die besten Freuden meines zukünftigen Lebens, wie ich mir oft träume, abhängen sollen, vielleicht würde mich diese Furcht für mich selbst um den reinen Genuß Ihrer Gegenwart bringen, wenn ich nicht hoffte, daß Ihre Güte mich jeder Aufmerksamkeit auf mich selbst überheben werde.

F. Schiller.