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Schiller an Christoph Wieland, 24. Mai 1786

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Dresden, den 24. Mai [Mittwoch] 1786.

Da mein Freund Schwan gesonnen ist, über Weimar zu reisen, und Ew. Wohlgeboren da zu besuchen, so benutze ich diese Gelegenheit mit Vergnügen, mein Andenken bei Ihnen zu erneuern und Ihnen wenigstens noch ein kleines Zeichen meines Daseins zu geben. Mein gutes Glück hat es bis jetzt noch nicht gewollt, daß ich den angenehmen Wunsch, Sie persönlich zu kennen, hätte realisiren können. Diese Freude liegt noch in der Zukunft für mich aufbehalten. Lassen Sie mich unterdessen hoffen, daß die gütigen Gesinnungen, die Sie sonst gegen mich geäußert, noch so lange fortdauern werden.

Ich habe meinen Aufenthalt verändert und bin nunmehr in Dresden. Ein Zirkel von Freunden, deren Anhänglichkeit und Liebe mein Dasein verschönern, hat meiner Wahl den Ausschlag gegeben. Da es bisher noch nicht in meiner Gewalt gestanden, über mein Schicksal unumschränkt zu gebieten, so bin ich auch jetzt noch nicht ganz für die Zukunft bestimmt. Ich mache an mir selbst die ziemlich gewöhnliche Erfahrung, daß es, wenn der Zufall es nicht gethan hat, der Ueberlegung schwer wird, einen Entschluß für das Leben zu fassen.

Diese schwankende Lage meines Schicksals hat mich gezwungen, manche Idee abzuweisen, die meine Phantasie sich gebildet hatte. Unabhängigkeit, die ich sonst für das höchste Gut gehalten, wird mir nunmehr eben dadurch lästig, weil sie mir aufgedrungen wird. Vielleicht erfahren Sie von meinem Freunde mehrere Kleinigkeiten, die mich betreffen, und Ihnen als Forscher der Menschen nicht ganz uninteressant sind.

Ich habe unterdessen einige neue Stücke meiner Thalia herausgegeben, worin Fortsetzungen meines Don Carlos stehn. Wenn mehr davon fertig ist und Sie eine verlorene Stunde haben sollten, so würde ich Sie bitten, mir einige Worte darüber zu sagen.

Ich empfehle mich Ihrem gütigen Andenken und bin mit unbegränzter Verehrung Ew. Wohlgeboren ergebenster

F. Schiller.