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Schiller an Christophine Reinwald, 16. Mai 1790

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Jena den 16. May [Sonntag] 90.

Deinen Brief und Gruß hat mir d. Herr Graf von Dürkheim überbracht, liebe Schwester, und ich muß freilich gestehen, daß mein langes Stillschweigen gegen Dich unartig genug war. Aber einem Bräutigam und angehenden Ehemann mußt Du diese Nachläßigkeit zu gute halten und ich verspreche Dir, sie künftig zu verbeßern.

Anstatt alles Erzählens u: Versicherns schreibe ich Dir also kurz, daß ich glücklich bin mit meiner Lotte, daß alle meine Wünsche von häußlicher Freude in ihre schönste Erfüllung gegangen sind. Wir führen miteinander das seligste Leben, und ich kenne mich in meiner vorigen Lage nicht mehr. Jezt erst kann ich sagen, daß ich lebe, weil ich mich erst jetzt meines Lebens freue.

In fremder Gesellschaft lebe ich jetzt gar selten, denn ich habe in meinem eigenen Hause alles, was mich glücklich machen kann – Genuß für mein Herz und Geschäfte.

Die ersten 6 Wochen nach unsrer Trauung hat meine Schwägerinn und eine kurze Zeit auch meine Schwiegermutter bey uns gelebt. Dann giengen wir auf 4 Wochen nach Rudolst. in die Ferien, und sind jetzt seit 14 Tagen wieder zurück.

Auch in Rudolstadt unter d. Verwandten meiner Frau war mein Aufenthalt angenehm und am Hofe leidlicher als es an solchen Orten gewöhnlich zu seyn pflegt. Meine Schwiegermutter ist eine vortrefliche Frau und hat während der kurzen Zeit, daß sie sich der Erziehung der Prinzeßinnen gewidmet hat, schon ungemein viel Gutes da gestiftet.

In Jena schränken wir uns fast auf ein einziges Haus meines Landsmanns, des Profeßor Paulus ein, der auch seine Frau aus Schwaben mitgebracht hat. Wir leben in einem engen Zirkel zusammen und halten soviel möglich die Schwelle von den übrigen Menschen rein, die nicht viel tröstliches in ihrem Umgang haben weder für das Herz noch im Grunde auch für den Geist, denn das Profeßorleben macht die meisten zu Pedanten und der Handwerksneid ist gar groß bey den mehresten. Ein Glück für mich und meine Frau, daß wir nicht nöthig haben unsere Glückseligkeit irgend anderswo zu suchen als in unserem eigenen Hause.

Sonst gefällt mir der hiesige Aufenthalt der ruhigen Existenz, der schönen Gegend, der Nachbarschaft wegen. Zum academischen Leben ist Jena der beste Ort. Auch ist es hier sehr wohlfeil, und dieß besonders kommt mir beym Anfang eigener Haushaltung sehr zu gut. Durch die Fürsorge u. Güte meiner Schwiegermutter sind wir gar anständig eingerichtet, und ich fühle mich oft wie neugebohren, wenn auch dieses äußre meiner Lage, welches doch so sehr das Leben mit verschönern hilft, mit meinem vorhergehenden Daseyn vergleiche. Doch ich hoffe es soll nicht so sehr lange anstehen, daß Du und Dein Mann mich in meinem neuen Stande heimsuchen werden.

Von der Solitude habe ich gott sey Dank kürzlich die tröstlichsten Nachrichten erhalten, nachdem ich, aus den vorletzten Briefen zu urtheilen, alle Hofnung aufgegeben hatte. Mama ist auf dem völligen Wege der Beßerung, und nun glaube ich wieder an die schöne Zukunft, sie mit meiner Frau von Angesicht zu Angesicht wieder zu sehen. Lebe wohl liebe Schwester und sage Deinem Mann die freundlichsten Grüße von Deinem Dich ewig liebenden Bruder

S.