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Schiller an Christophine Schiller, 6. November 1782

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E. d. 6. Novemb. [Mittwoch]1782.

Theuerste Schwester.

Gestern Abend erhalte ich Deinen lieben Brief und eile, Dich aus Deinen und unserer besten Eltern Besorgnissen über mein Schiksal zu reissen.

Daß meine Völlige Trennung von Vaterland und Familie nunmehr entschieden ist, würde mir sehr schmerzhaft seyn, wenn ich sie nicht erwartet, und selbst befördert hätte, wenn ich sie nicht als die nothwendigste Führung des Himmels betrachten müßte, welche mich in meinem Vaterland nicht glüklich machen wollte. Auch der Himmel ist es, dem wir die Zukunft übergeben, von dem ihr und ich, gottlob nur allein, abhängig sind. Ihm übergebe ich euch, meine Theuren, er erhalte euch vest und stark, meine Schiksale zu erleben, und mein Glük mit der Zeit mit mir theilen zu können. Losgerissen aus euren Armen weis ich keine beßere keine sicherere Niederlage meines theuersten Schazes als Gott. Von seinen Händen will ich euch wiederempfangen, und – das sei die lezte Träne die hier fällt!

Dein Verlangen mich zu Mannheim etabliert zu wissen, kann nicht mehr erfült werden. So wenig es auch im Kreis meines Glüks läge, dort zu seyn, so gern wollt ich die nähere Nachbarschaft mit den meinigen vorziehen, und dort Dienste zu erlangen suchen, wenn mich nicht eine tiefere Bekanntschaft mit meinen Mannheimischen Freunden für ihre Unterstüzung zu stolz gemacht hätte. Ich schreibe Dir gegenwärtig auf meiner Reise nach Berlin, wo es mir in mehr als einem Fache nicht fehlschlagen kann, wo, nach dem einstimmigen Urteil Aller Menschen, denen ich meine Umstände vorlegte, mein Glük aufgehoben seyn mus. Auch ist es möglich, daß, wenn mich bedeutende Connoissancen zu Berlin unterstüzen, ich nach Petersburg gehe. Erschrik nicht beste Schwester daß soviel Meilen zwischen euch und mich werden zu liegen kommen. Ihr solt jedes meiner Verhängniße mit mir teilen: ich suche mein Glük eben so sehr für euch als für mich. Innerhalb einiger Jahre, soll, wenn Gott will, kein Schuh breit zwischen uns liegen. Biß dahin wache der Ewige über euch und mich.

Deine zweitnächste Sorgfalt wird ohne Zweifel mein Auskommen seyn. Zu Deinem und unserer zärtlichsten Eltern Trost kann ich dir sagen, daß ich bis izt auch keine Kleinigkeit entbehren müssen, welche ich zu Stuttgardt gewohnt war. Auch in die Zukunft kann ich zuversichtlich sehen, weil mir meine Arbeiten gut bezahlt werden, und ich fleißig bin. Sobald ich in Berlin bin, kann ich in der ersten Woche auf festes einkommen rechnen, weil ich vollgültig Empfehlungen an Nicolai habe, der dort gleichsam der Souverain der Litteratur ist, aber Leute von Kopf sorgfältig anzieht, mich schon im Voraus schäzt, und einen ungeheuren Einfluß hat, beinah im ganzen teutschen Reich der Gelehrsamkeit. Ich habe keinen andern Gedanken, als mein Glük nur allein durch die Medicin zu machen, und werde suchen innerhalb eines halben Jahrs Doctor zu seyn. Da ich durch Sachsen gehe, so habe ich gute addressen an große Gelehrte, auch an Fürsten, wenn ich die leztern benuzen will.

Für meine Schulden können meine Eltern stehen, denn ich hätte bereits schon die Hälfte davon abgetragen, wenn es nicht meine erste Pflicht wäre, zuerst mein Glück zu etablieren. Meinen Schuldnern verschlägt es nichts, ob sie 3 Monat früher oder später bezahlt werden, da die Zinse fortlaufen, mich aber kann das Geld, das ich ihnen izt schiken würde, an den Ort meines Glüks bringen. Das ist eine Billigkeit, die jedermann erkennen mus, und wofür wäre ich denn solang ein rechtschaffener Mann gewesen, wenn mir dieses Prädikat nicht einmal auf ein Viertel- oder Halbjahr Credit machte. Sage dieses den Leuten, so wird alles sich zufrieden geben.

Noch einmal meine inniggeliebte Schwester vertraue auf Gott, der auch der Gott Deines fernen Bruders ist, dem 300 Meilen eine Spanne breit sind, wenn er uns wieder zusamen gebracht haben will. Grüße unsern besten allertheuersten Vater, und unsere herzlich geliebte gute Mutter, meine liebe redliche Louise, und unsre kleine gute Nanette. Wenn mein Seegen Kraft hat, so wird Gott mit euch seyn. Ein inneres starkes Gefühl spricht laut in meinem Herzen ich sehe euch wieder – Vertraut Gott. Es wird kein Haar von uns allen auf die Erde fallen.

Ich werde zu weich, Schwester und schließe. Wenn Du die Wolzogen sprichst, so mache ihr tausend Empfehlung. Auch der Vischrin empfiehl mich. Ich kann nicht weiter schreiben. Du schreibst mir wie bisher über Mannheim. ewig Dein treuer zärtlicher Bruder.

Frid. Schiller.