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Schiller an Ferdinand Huber, 20. Januar 1788

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Weimar d. 20. Jenn. [Sonntag] 88.

Die Zuversichtlichkeit mit der Du Dich brüstet das Geheimniß meiner Empfindungen und sogar meiner Retizenzen durchschaut zu haben, verdiente wohl daß ich sie ein bischen confondierte und durch einen deutlichen historischen Bericht ihr die Lücken zeigte, die sie übersehen hat. Du wirst immer mit mir Recht haben, wo entweder Mein Fall der Deinige ist, oder wo Dir unserer Umgang ähnliche darbietet. Denjenigen Erscheinungen meiner Seele, wobey ich euch seit diesem halben Jahre zu Zeugen gemacht habe, liegen doch einige Dinge zum Grunde, die euch beiden nicht so geläufig sind.

So zum Beispiel mit meinem Heurathsprojecte. Was Du darüber sagst, ist ganz wahr, aber es fehlt noch viel daß es alles wäre: Meine Individualität hat hier mehr dabei zu sagen als Du ihr einräumst. Du glaubst ō, wie sehr ich seit 4 oder 5 Jahren aus dem natürlichen Geleise menschlicher Empfindungen gewichen bin; diese Verrenkung meines Wesens macht mein Unglück, weil Unnatur nie glücklich machen kann; aber ich kann sie auf keinem Wege verbeßern; auf keinem der mir bekannt ist, durchaus auf keinem vielleicht; aber Einen habe ich noch nicht versucht und ehe ich die Hoffnung ganz sinken lasse, muß ich noch diese Erfahrung machen. Diß ist eine Heurath. Glaube mir, daß ich Dir keinen Roman auftische. Wenn andre meinesgleichen durch häußliche Feßeln für weiter Plane der Wirksamkeit verloren gehen, so ist Häußlichkeit just das einzige, was mich heilen kann, weil es mich zur Natur, zur sehr prosaischen Alltagsnatur zurückführt, von der ich erstaunlich weit abseits gerathen bin. Weder Du noch Körner – und wer also sonst? könnt die Zerstörung ahnden, welche Hypochondrie, Überspannung, Eigensinn der Vorstellung, Schicksal meinetwegen in dem innern meines Geists und Herzens angerichtet haben. Wollt ihr nach gewöhnlichem Maaßstab über mich entscheiden, oder meinen Zustand unter die natürlichen Verhältnisse bringen, so, nehmt mirs nicht übel, so seid ihr in Gefahr, über mich zu stümpen. Alle die Triebfedern die mir seit vorigen Jahren Thätigkeit gegeben, sind ganz durchaus unwirksam geworden. Urtheile ob die einzige die mir noch übrig ist, Noth und Pflicht (Schulden zu bezahlen) Quellen der Freude für mich, oder Ressorts zur Größe und Vortreflichkeit sind? Ich zähle auf einen Karakterzug, den ich aus der großen Verwüstung meines Wesens noch gerettet habe, auf meine Bonhommie, auf die Weichheit meines Herzens die mir zu statten kommen wird, Lasten wegzutragen, und Arbeiten anzugreiffen, die ich jezt träg und verdroßen übernehme. Kann ich das Wohl und Wehe eines Geschöpfs, das mir ganz ergeben ist, in meine Wirksamkeit verflechten, so habe ich eine große Aufforderung mehr, meine Kräfte zu brauchen. Was ist jezt mein Zustand oder was war er, seitdem Du mich kennst? Eine fatale fortgesetzte Kette von Spannung und Ermattung, Opiumsschlummer und Champagnerrausch. Habe ich, so lange wir uns näher waren, dieses wohlthätige Gleichgewicht genoßen, das Körner selten verliert und Du oft schon genoßen hast? Und auf welchem andern Weg kann ich diese gleichförmige Zufriedenheit erhalten, als durch häußliche Existenz? Eine ununterbrochene sanfte Übung in geselligen Freuden die einen so schönen Boden und gleichsam die Grundfarbe des Lebens machen und einem Menschen, bei dem Kopf und Herz stets beschäftigt seyn müßen, heilsam und unentbehrlich sind. Unsre Freundschaft ersetzt mir diesen Mangel nicht. Ich habe seitdem ich lebe keine Verbindung gehabt, die in meinem Wesen so festen Bestand hätte, als die unsrige, und ich werde keiner andern mehr fähig seyn und keiner andern mehr bedürfen. Ihr beiden seid die einzigen Menschen, die bei dem düstern Sceptizismus, der in mir wohnt, nicht verloren haben (denn so gut ihr beide mich zu kennen glaubt, so ist euch doch diese Eigenschaft in mir nie ganz deutlich geworden) bei der Leichtigkeit (die Du Leichtsinn nennen könntest) mit der ich mich attachiere, habe ich doch die unglücklichste Abstractionsgabe und die Zeit ist eine gefährliche Schiedsrichterin meiner Verbindungen. Aber ich wollte von unserm Verhältniß reden. Es kann nicht alle meine Wünsche befriedigen und umschließen. So gewiß ich weiß, daß keine Frauenzimmerseele jemals eine Stelle in meinem Herzen mit euch theilen wird, so gewiß dürft ihr glauben, daß die Genüsse meiner Freundschaft für euch erst dann anfangen werden, wenn vorher häußliche Empfindungen in meine Seele gewebt sind, wenn diese Epoche mein Wesen vorher zubereitet hat. Aber Du wirst mir dieses, fürchte ich, so wenig als manches andere, einräumen und ich muß mirs gefallen lassen, daß ich Dich nicht überzeugt habe.

Indeßen kann ich Dir soviel versichern daß ich euch mit Gewißensfragen dieser Art nicht mehr in Verlegenheit setzen werde. Ich habe, als ich es neulich that, vorausgesetzt, daß ihr beide mit meinem ganzen Seyn so vertraut wäret, als ihr es eigentlich doch nicht seyn konntet. Wenn ich von dieser Materie wieder schreibe, so geschieht es nur euch bekannt zu machen, wozu ich entschieden bin.

Dein Brief hat mich an etwas erinnert, was mir schon oft in die Feder gerathen ist, ich aber immer zurückbehalten habe. Nicht wahr, euch allen ist es aufgefallen, daß in allen meinen Briefen, die von Weimar aus datiert sind, so wenig von Charlotten vorgekommen ist. Eine Reticenz von dieser Art, ich gestehe es, konnte euch zu allerlei Betrachtungen berechtigen. Ohne Zweifel hast Du Deinem Spiritus familiaris schon große Complimente deßwegen gemacht. Laß hören, wenn wir uns nun sehen werden, ob Du so richtig geschloßen hast.

Mein Stillschweigen über das heimliche Gericht ist nichts weniger als ein Urtheil. Ich bin mit dem Dialog nicht ganz zufrieden, ich habe hie und da Einwendungen gegen die Maschinen, wodurch Du zum Zwecke kommen willst, vorzüglich aber wünschte ich dem ganzen mehr Kürze, Sparsamkeit und raschen Gang, wodurch das vorhandene sehr gewinnen würde. Ueber den Ged: Gehalt, die Anlage der Charaktere und die Einleitung des Intereße bin ich beim ersten Lesen gleich entschieden gewesen. Mein bisheriges Schweigen kam daher, weil das Mscrpt in Wieland Gouffre begraben ligt, der in Dingen die er lesen soll beinahe eben so schlimm ist als ich in Briefen die ich beantworten soll. Uebrigens setze ich es in die nächste Thalia, und Du kannst es mir schon ganz als eine bezahlte Summe anrechnen.

Adieu mein Lieber. Du hast mir gerne geschrieben und ich Dir eben so gerne geantwortet, das schließe ich unter anderm daraus, weil es mich ärgert, daß ich abbrechen muß. Aber Du sollst diesen Brief mit der heutigen Post erhalten. Körnern und unsere lieben Weimar grüße tausendmal. Ihm hat Charlotte heut geschrieben, der Himmel weiß ob sie den Brief fortgeschickt hat.

Bertuch läßt sich Euch empfehlen, er hat mich schon oft erinnert. Adieu.