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Schiller an Ferdinand Huber, 28. August 1787

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[Weimar] d. 28. August [Dienstag] 1787.

Wie wenig ich noch auf den ruhigen reflecktierenden Ton gestimmt bin, der unsern Briefwechsel regieren soll, kannst Du aus meinen Briefen an Körnern abnehmen. Ich kann nur historisch schreiben. Wollust aus meiner Einsamkeit und meinen stillen Unterredungen mit euch zu schöpfen, dazu behage ich mir noch zu wenig.

Das Resultat aller meiner hiesigen Erfahrungen ist, daß ich meine Armuth erkenne aber meinen Geist höher anschlage, als bisher geschehen war. Dem Mangel, den ich in Vergleichung mit andern in mir fühle kann ich durch Fleiß und Application begegnen und dann werde ich das glückliche Selbstgefühl meines Wesens rein und vollständig haben. Mich selbst zu würdigen habe ich den Eindruck müssen kennen lernen, den mein Genius auf den Geist mehrerer entschieden großer Menschen macht. Da ich diesen nun kenne und den Vereinigungspunkt ihrer verschiedenen Meinungen von mir ausfindig gemacht habe, so fehlt meinem Urtheile von mir selbst nichts mehr. Um nun zu werden was ich soll und kann werd ich besser von mir denken lernen und aufhören mich in meiner eigenen Vorstellungsart zu erniedrigen.

Ich habe viel Arbeit vor mir, um zu meinem Ziele zu gelangen, aber ich scheue sie nicht mehr. Mich dahin zu führen soll kein Weg zu außerordentlich zu seltsam für mich seyn. Ueberlege einmal mein Lieber ob es nicht unbegreiflich lächerlich wäre, aus einer feigen Furcht vor dem Unmöglichen und einer verzagten Unentschlossenheit sich um den höchsten Genuß eines denkenden Geists, Größe, Hervorragung, Einfluß auf die Welt und Unsterblichkeit des Namens zu bringen. In welcher armseligen Proportion stehen die Befriedigungen irgend einer kleinen Begierde oder Leidenschaft gegen dieses richtig eingesehene und erreichbare Ziel? Das gestehe ich Dir, daß ich in dieser Idee so bevestigt, so vollständig durch meinen Verstand überzeugt bin, daß ich mit Gelassenheit mein Leben an ihre Ausführung zu setzen bereit wäre und alles was mir nur so lieb oder weniger theuer als mein Leben ist. Diß ist nicht erst seit heute oder gestern in mir entstanden. Jahre schon hab ich mich mit diesem Gedanken getragen, nur die richtigere Schätzung meiner Selbst, wozu ich jetzt erst gelangt bin, hatte noch gefehlt ihm Sanction zu geben.

Du wirst noch einige Jahre verlieren, fürchte ich, ehe Du dahin gelangst! Kann ich Dir, durch mein Beispiel und meine Vernunftgründe den Weg verkürzen, so werde ich um so freudiger Dein Freund seyn. Ich schäme mich meines Daseyns biß hieher, und auch in Deinem Namen erröthe ich darüber. Glaube mir es steht unendlich viel in unserer Gewalt, wir haben unser Vermögen nicht gekannt – dieses Vermögen ist die Zeit. Eine gewissenhafte sorgfältige Anwendung dieser kann erstaunlich viel aus uns machen. Und wie schön wie beruhigend ist der Gedanke, durch den bloßen richtigen Gebrauch der Zeit, die unser Eigenthum ist, sich selbst, und ohne fremde Hilfe ohne Abhängigkeit von Außendingen, sich selbst alle Güter des Lebens erwerben zu können. Mit welchem Rechte können wir das Schicksal oder den Himmel darüber belangen, daß er uns weniger als andre begünstigte. – Er gab uns Zeit und wir haben alles sobald wir Verstand und ernstlichen Willen haben mit diesem Kapital zu wuchern.

Vielleicht fehlt meiner Vorstellung, die ich Dir hier gebe und so gerne eigen machte, das Leben, das zu Deiner Ueberzeugung verlangt wird. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, sie Deinem Verstande endlich noch anschaulich zu machen.

Ich weiß nicht, wie viel Du indessen gethan hast aber ich wünschte, daß jeder unter uns vor dem andern verlegen würde, zu bekennen, daß er nichts gethan hat.

Laß mich bald von Deiner Thätigkeit hören. Ich werde Dich desto lieber haben, je mehr ich Dich hochschätzen kann.

Lebe wohl für heute. Es ist halb 12 Uhr und vor dem Essen soll ich Charlotte noch besuchen. Dorchen grüße von mir recht herzlich und die Minna. Ich bin unter euch mit meinen besten Empfindungen.

Dein Schiller.

NB. Charlotte läßt Euch alle recht schön grüßen.