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Schiller an Ferdinand Huber, 5. Oktober 1785

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Dresden den 5. Octobr. [Mittwoch] 85.

Deinen Brief, lieber, erhalte ich eben nach einem kleinen Spaziergang im Japanschen Garten, wo ich sehr lebhaft mit Dir beschäftigt war. Möchte Deine Seele mir jederzeit so nahe seyn, als mir meine Phantasie dazu Hoffnung macht! Anfangs habe ich geglaubt, es würde mir in den ersten Dresdener-Wochen so schwer nicht fallen, von Dir getrennt zu seyn, aber ich fand es anders. Warum? kann ich Dir nicht wohl sagen. Wahrscheinlich ligt die Schuld an uns beiden. Wahrscheinlich und hoffentlich. Ich habe Dir viel zu sagen, doch bin ich ungewiß ob ich Dirs sagen werde – Meine Seele ist beklemmt, gib Dir keine Mühe, Sinn aus meinen Worten zu ziehen, und wenn Du nach Deiner Ankunft mich fragen soltest, und ich Dir ausweichen will, so forsche nicht weiter.

Es waren viele Freuden auf Dich, wenn Du einmal hier existieren wirst, unter andern auch diese, einem Freunde wiedergegeben zu seyn, dem Du unentbehrlich bist.

(Drei und eine halbe Zeile des Originals sind hier unleserlich gemacht, vermuthlich von Therese Huber. Entziffert werden konnten:
Aber komm auch mit Deinem ganzen Herzen zu mir, mit Deinem ganzen Herzen – – – – – – – – – – – Maaß – – – – ein eigenes für seinen Freund, und ein eigenes für seine B.)

Das Knabenjahr unseres Geistes wird jezo aus seyn, wie ich mir einbilde, so auch die Flitterwoche unsrer Freundschaft. Laß unsre Herzen sich jezo männlich anschließen aneinander, wenig schwärmen, und viel empfinden, wenig projectieren und desto fruchtbarer handeln.

Enthousiasmus und Ideale, mein theuerster, sind unglaublich tief in meinen Augen gesunken. Gewöhnlich machen wir den Fehler, die Zukunft nach einem augenblicklichen höhern Kraftgefühl zu berechnen, und den Dingen um uns her die Farbe unsrer Schäferstunde zu geben. Ich lobe die Begeisterung und liebe die schöne ätherische Kraft, sich in eine große Entschließung entzünden zu können. Sie gehört zu dem bessern Mann, aber sie vollendet ihn nicht. Enthousiasmus ist der kühne kräftige Stoß, der die Kugel in die Luft wirft, aber derjenige hieße ja ein Thor, der von dieser Kugel erwarten wollte, daß sie ewig in dieser Richtung und ewig mit dieser Geschwindigkeit auslaufen sollte. Die Kugel macht einen Bogen, denn ihre Gewalt bricht sich in der Luft. Aber im süßen Moment der idealistischen Entbindung pflegen wir nur die treibende Macht, nicht die Fallkraft und nicht die widerstehende Materie in Rechnung zu bringen. Überblättre diese Allegorie nicht, mein bester, sie ist gewiß mehr als eine poëtische Beleuchtung, und wenn Du aufmerksam darüber nachgedacht hast, so wirst du das Schiksal aller menschlichen Plane gleichsam in einem Symbol darin angedeutet finden. Alle steigen und zielen nach dem Zenith empor, wie die Rakete, aber alle beschreiben diesen Bogen und fallen rükwärts zu der mütterlichen Erde. Doch auch dieser Bogen ist ja so schön!!!

Siehst Du, geliebter theurer Freund, so tröste ich mich über das menschliche Schiksal meiner übermenschlichen Erwartungen. Hier fällt mir ein Periode aus dem Werther bei, den meine Phantasie (durch welche leise Ahndung? weiß ich nicht) aus meinen Kinderjahren aufbehalten hat. Es ist ein Orakel, das über mein ganzes Leben scheint ausgesprochen zu seyn: „Es ist mit der Ferne wie mit der Zukunft. Ein großes dämmerndes Ganze ligt vor unsrer Seele, unsre Empfindung verschwimmt sich darinn, und wenn das Dort nun Hier wird ist alles nach wie vor, und unser Herz lechzt nach entschlüpftem Labsal“ – Wenn Du also in DresdenNeustatt hereinfährst, so wirf alle Ideale über Bord, vergiß den perpendikularflug Deiner Plane, und mache Dich auf den Bogen gefaßt.

O ich drüke Dich im Geiste an mein Herz – (mein Rodrigo! möcht ich Dir zurufen). Wenigstens wollen wir Arm in Arm bis vor die Fallthüre der Sterblichkeit dringen, wo die Linien zwischen Menschen und Geistern gezogen sind. Enthousiasmus bleibe stets unsre erste treibende Gewalt, unsere Kugel soll wenigstens so kräftig von der Hand empor fliegen, daß der Bogen in die Wolken verschwinden und ihr Rükfall kaum mehr geglaubt werden soll. Möchtest Du Dich so innig auf unsre Wiedervereinigung freuen als ich!

Der Vorgang mit Schlossers Fragmenten ist Körnern und mir ganz lieb. Deine Uebersetzung gewinnt dadurch an Neuheit und innerm Werth. Da es Dein erster Ausflug über die jenseitigen Ufer des Rheins ist, den Du noch oft wirst zu wiederholen finden, so freut mich Dein Muth und Dein Wohlgefallen an dieser Beschäftigung. Ob Du mit dem versprochnen Beitrag zur Thalia Wort halten wirst, das ist die Frage. Versuch es einmal lieber und überrasche mich. Ich will Dir versprechen, daß ich Dirs nicht zutrauen will.

„Die Vernunft der Weisen
spricht seiner Allmacht dieses Wunder ab;
beschäme sie und mache wahr und wirklich
was – – – nie gewesen war!

Eine schwere – vielleicht die schwerste – Scene im Carlos, die mit der Fürstin, ist biss auf das lezte Viertel zu Ende, und ich habe Hoffnung, daß ich damit zufrieden seyn werde. Ich lese jetzt stark im Watson und mein Philipp und Alba drohen wichtige Reformen. Noch sehe ich die chaotische Masse des übrigen Karlos mit Kleinmut und Schrecken an. Liebster Freund, warum wird mir immer noch so schwindelnd, wenn ich am Enceladus Shakespear hinaufsehe!

(Zehn Zeilen des Originals, Dora Stock betreffend, sind unleserlich gemacht. Entziffert werden konnten:
Dorchen ist auf Deinen Brief ganz munter. Aengstige sie mit der Harmonika nicht, ihr macht euch unnötige Sorgen, vielmehr freue Dich, sie durch ein so unschuldiges Steckenpferd befestigt und erheitert zu sehen. Dorchen ist ein liebes Geschöpf, der ich beinahe angefangen hätte zu gut zu werden. Sei aber ruhig, von der Seite ist Graben und Bastion in gutem Stand, außerdem gehört sie ja Dir und ich kann nie in den Fall kommen, daß ich das über etwas anderm vergeße. Schließlich beruhige Dich damit: Mich kann sie nie lieben.)

In der Bibliothec bin ich nunmehro bekannt. Unser Logis wird innerhalb acht Tagen leer werden, denn die bisherigen Bewohner dürfen den Dresdner Einrichtungen nach, vor 14 Tagen nach dem Termin (der war Michael) nicht aus ihren Quartieren vertrieben werden.

Ich habe diesen Brief traurig angefangen, aber der Spaziergang mit Dir hat mein Herz erleichtert. Körners grüßen Dich herzlich. Ich size Körnern ein bischen auf dem Naken daß er etwas arbeiten soll. Heute habe ich einige Mscripte von ihm über die Cultur gelesen, worinn Gedankengehalt ist.

Lebe tausendmal wol. Schreibe mir wenn Du kannst diese Tage wieder. Bei Kunzens und Consorten wirst Du mich natürlicher Weise freundschaftlichst empfehlen. Lebe wohl und sei vergnügt.

Fridrich Schiller.