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Schiller an Henriette v. Wolzogen, 13. November 1783

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Mannheim, den 13. Novemb. 83.

Meine vorigen Nachläßigkeiten zu verbeßern, und mich vorzüglich durch die wiederholte warme Versicherung meiner noch unverlezten Zärtlichkeit zu versündigen, will ich Sie heute auf die Tortur eines 3 Blatt langen Briefs schrauben – eine Exekuzion, die Ihnen gewis heilsam seyn wird. Alle Ihre Correspondenten werden mirs danken, daß ich Sie durch meine zu grose Dosis von Brief so überfüllte, daß Sie gewis nicht mehr wegen zu kurzem und zu nachläßigem Briefschreiben mit ihnen zanken. – Doch im Ernst, meine Beste, ich habe eben ein verdrüßliches Geschäft geendigt, und will mir jezt in Ihrer Gesellschaft einen desto süßeren Augenblik machen.

Mein böses kaltes Fieber scheint nunmehr nachlaßen zu wollen, denn ich habe bereits 3 Tage keinen Anfall gehabt. Ich lebe aber auch erbärmlich genug um es vom Hals zu schütteln. Schon 14 Tage habe ich weder Fleisch noch Fleischbrüh gesehen. Waßersuppen heute, Waßersuppen morgen, und dieses geht so Mittags und Abends. Allenfalls gelbe Rüben, oder saure Kartoffeln, oder so etwas dazu. Fieberrinde ess ich wie Brod, und ich habe mir sie express von Frankfurt verschrieben. Ein guter Freund hat mir zu meinem Geburtstag 4 Bouteillen Burgunder geschikt – davon wird zuweilen ein Gläschen mit herrlichem Erfolg getrunken, doch mus ich Ihnen gestehen, dass ich mir äuserst wenig aus dem Wein mache, so wolfeil und gut er hier zu haben ist. Mit mehr Vergnügen trinke ich Bier. Freuen Sie Sich also, ich werde mich auf diese Art bald wieder ins Bauerbacher Leben gewöhnen.

Sobald ich gesund bin, wird überhaubt meine Kost sehr einfach eingerichtet. In einem Wek wird mein Frühstük bestehen, um 12 kr. Habe ich aus einem hiesigen Wirtshauß ein Mittagseßen zu 4 Schüßeln, wovon ich noch auf den Abend aufheben kann. Notabene ich habe mir einen zinnernen Einsaz gekauft. Abends eße ich allenfalls Kartoffel in Salz oder ein Ey oder so etwas zu einer Bouteille Bier. Dem ohnerachtet sind meine Ausgaben sehr groß. Wenn ich auch Monats nicht über 11 Gulden fürs Maul aufgehen laße, so kostet mich mein neues logis 5 Gulden, das Holz 2 fl. 30 kr. Und darüber, Lichter 1 Gulden, Friseur einen Thaler, Bedienung von einem Tambour einen Thaler, Wäsch eienen Thaler, Bader 30 kr., Postgeld 1-2 Gulden, Tabak, Papier und tausend Kleinigkeiten ungerechnet. Dann haben Kaufmann, Schneider und Schuster einen grosen Riß in mein Beutelchen gemacht. Die vier Monate die ich jezt von Ihnen entfernt bin haben mich mit der Reise hieher bei 250 fl. gekostet, und doch bezahl ich den Kaufmann nur nach Terminen, und habe ihm nicht mehr als ein Drittheil bezahlt, den Schneider aber ganz, und ein Carolin ist mir aus dem Zimmer gestohlen worden, warum ich unter andern auch ausziehe. Dalberg hat mir in allem ohngefehr 42 Dukaten vorgeschoßen, und gegenwärtig da ich das schreibe habe ich noch ½ Carolin im Vermögen. Jezt aber kommt beßere Zeit. Von heut bis Januars Ende nehme ich wenigstens 400 fl. ein, wovon Sie meine liebe, wenigstens 150 wo nicht 200 erhalten. Sie hätten dieses Geld ganz zuverläßig auf den Termin bekommen, den ich Ihnen einmal geschrieben habe, aber bedenken Sie daß ich von 4 Monaten meines hiesigen Auffenthalts 8 biß 9 Wochen krank war, welches mich entsezlich zurükgesezt hat. Es schadet mir wenigstens über 30 Dukaten. Wenn mir aber Gott nur jezt meine Gesundheit wieder schenkt, so will ich sie gewis auf das edelste anwenden, und mit Weißheit erhalten. Ich habe Dalberg schon bei Errichtung unsers Contrakts preveniert, dass ich den Sommer nicht in Mannheim zubringen würde, meiner Gesundheit wegen. Er war auch damit zufrieden; – und da ich zu Ende Aprils, höchstens Mays, meinen Vertrag mit ihm beinah doppelt erfüllt haben werde, so kann ich ohngehindert gehen. Verlängert sich mein Contract auf noch ein Jahr so komm ich zu Ende September nach Mannheim zurük. In der Zwischenzeit werden Sie so gnädig seyn, mich – nicht Flüchtling mehr, sondern Freund – in Bauerbach aufzunehmen. Beste W. nehmen Sie das nicht als kahle Vertröstung oder Grille auf. Gott ist mein Zeuge, dass ich mich schon jezt darauf freue, dass ich nur darum gern hier bin, um in beßeren Umständen zu Ihnen zurükzukehren. Das wißen meine hiesigen Freunde auch sehr wol, und werden oft böse auf mich, dass ich so sehr das Heimweh nach Sachsen haben. Sollten Sie, meine Liebe, mich so wenig kennen, daß Sie mich einen Augenblik im Verdacht haben, als ob ich so sehr an der grosen Welt hange, wie Sie es nennen. Sie kennen meinen Karakter – wißen ganz meinen Hang zum einfachen stillen vergnügen, und geräuschlosen Freuden. Sie werden mir auch hoffentlich einräumen, dass ich in den Vergnügungen und Verfürungen dieser grosen Welt kein Neuling mehr bin, daß ich ein wol vorbereitetes Herz hineingebracht habe. Ich will Ihnen aufrichtig zugestehen, dass zuweilen auch mich eine Trunkenheit umnebeln kann, aber sie wird gewis bald verfliegen. Ueberdiß halten Sie meine hiesigen Verbindungen für zu weitläuftig, zu wichtig. Meine Bekanntschaften sind bis jezt noch ziemlich eingeschränkt. Das Dalbergische Haus und das Schwanische Haus sind die vorzüglichsten. Außer diesen vermenge ich mich mit niemand genau, und mit den Schauspielern lebe ich höflich und aufgemuntert, sonst äuserst zurükgezogen. Bek, der beste an Kopf und Herz, und ein wirklich solider Mann, ist derjenige mit dem ich am Vertrautesten umgehe. Sonsten besuchen mich viele Gelehrte und Künstler von hier, aber sie kommen und gehen; ich attaschiere mich sehr delikat. Von Frauenzimmern kann ich das nemliche Sagen – sie bedeuten hier sehr wenig, und die Schwanin ist beinahe die einzige, eine Schauspielerin ausgenommen, die eine vortrefliche Person ist. Diese und einige andre machen mir zuweilen eine angenehme Stunde, denn ich bekenne gern, dass mir das schöne Geschlecht von Seiten des Umgangs gar nicht zuwider ist. Die Wittwe meines Freunds Meyer, deßen Tod ich hier erleben mußte, und ihre Schwester, ein hübsches Mädchen, beide Stuttgardterinnen, sind mir besonders in meiner Krankheit sehr lieb geworden. Die erstere kocht mir mein Krankeneßen, den ganzen Tag um 3 Bazen. Sie hat von einer Besoldung von 1500 fl., da ihr Mann noch lebte auf 300 fl. herabgehen müßen. Ein schwerer und harter Fall! – Die vielen Verbindlichkeiten, die ich dem Verstorbenen schuldig bin, haben mir es zur Pflicht gemacht, seiner Wittwe wenigstens mit meiner Theilnehmung und Freundschaft zu dienen. Trunk, ein katholischer Geistlicher, dessen Verfolgung und Schiksal Sie im teutschen Musäum lesen, ist ein guter Freund von mir, und hat mich wärend meiner Krankheit öfters besucht. Er ist ein lebendig herumgehender Beweis, wie viel Böses die Pfaffen zu stiften im Stand sind.

Die Staatsräthin von La Roche kenne ich sehr gut, und diese Bekanntschaft war eine der angenehmsten meines ganzen hiesigen Lebens. Sie sezte Schwan so lange zu, mich nach Speier zu bringen, dass ich wirklich für meine Gesundheit zu früh, vor ohngefehr 6 Wochen ausging und mit ihm, seiner Tochter und Hofrath Lamais Tochter die Reise machte. Wir haben in groser Gesellschaft mit ihr zu Mittag gespeist, wo ich wenig Gelegenheit fand, sie recht zu genießen, doch fand ich gleich, was der Ruf von ihr ausbreitet, die sanfte gute geistvolle Frau, die zwischen funfzig und sechzig alt ist und das Herz eines neunzehnjährigen Mädchens hat. Acht Tage darauf zieht mich ein Landsmann M. Christmann v. Ludwigsburg wieder nach Speier, wo ich sie eine Abendstunde lang ganz genos, und mit Bezauberung von ihr ging. Ich weiß und bin stolz darauf, dass sie mit mir zufrieden war. Bei ihr habe ich eine mir eben so schäzbare Bekanntschaft gemacht. Herr Baron v. Hohenfeld, Domherr zu Speier, der mit Herrn von La Roche in Diensten des Curfürsten von Trier war, und welcher, da der erstere wegen gewiser Umstände die ihm Ehre machen mit Ungnade seine Dimission bekam, seinem Freunde das Opfer brachte, seine Entlassung zugleich begehrte, und die ihm angebotene lebenslängliche Pension unter der Bedingung ausschlug, dass sie Herrn v. La Roche gegeben würde. – Dieser Herr v. Hohenfeld, der jezt die ganze la Rochische Familie in seinem Hauß bei sich hat, worinn er nur ein Zimmer und eine Kammer für sich behielt, ist der edelste Mann den ich kennen lernte, und mein Freund. Ein solcher Mann kann mich mit dem ganzen menschlichen Geschlecht wieder aussöhnen, wenn ich auch um ihn herum 1000 Schurken wieder begegnen mus. – Es freut mich, daß Sie der la Roche geschrieben haben. In Zukunft laßen Sie mich die Mittelsperson seyn, denn ich möchte gar gern zwei solch liebe gute Menschen, wie sie beide sind, miteinander –

Am 14. November [Freitag].

Stellen Sie Sich vor, meine Beste, wie angenehm ich gestern in dem Fortschreiben unterbrochen wurde! – Man klopft an mein Zimmer. Herein! – und herein treten – Stellen Sie Sich meinen frölichen Schreken vor – Profeßor Abel und Baz, ein anderer Freund von mir. Beide haben, um der Stuttgardter Seuche zu entgehen, eine Reise nach Frankfurt gethan, kommen hiedurch, und bleiben von gestern biß heute vor einer Viertelstunde bei mir. Wie herrlich mir in den Armen meiner Landsleute und innigen Freunde die Zeit floß! Wir konnten vor lauter Erzälen und Fragen kaum zu Athem kommen. Sie haben bei mir zu Mittag und zu Abend gegeßen (Sehen Sie! ich bin schon ein Kerl, der Tafel hält) und bei dieser Gelegenheit waren meine Burgunder-Bouteillen wie vom Himmel gefallen. Um sie ein wenig herumzuführen bin ich heute und gestern wieder ausgegangen. Schadet nichts, wenn ich jezt auch später gesund werde, hab ich ja doch ein unbeschreiblich Vergnügen gehabt. Abel der meinen Auffenthalt bei Ihnen weiß, sagt mir, dass einige Personen von Stuttg. darum wißen, dass aber das Gerücht nicht weiter gekommen, und sich ganz verloren habe. Der würtemberg. Neuigkeiten sind gar keine oder sehr wenige. Die Academie ist eben noch das alte ewige Einerlei. Lieut. Miller von den Husaren hat die Scharlotte des General Steins in der Geschwindigkeit heurathen müssen. – Der ehrgeizige, grose Projekte schmiedende Miller, der im Geist schon in Wien durch sein Maul und seine Figur paradierte, und sich schon als Minister oder Feldmarschall sah – bleibt zulezt an einem H-kind, oder was noch schlimmer ist an einer H**e selbst hangen. Gottlob! So giebt es doch noch außer mir Narren, und grösere. Ich wolte nur Pfarrer werden – und bleibe hangen am Theater! – Meine lieben Landsleute haben nur auf 3 Tage Urlaub gehabt, sind schon 10 Tage aus, und reisen in aller Eil beim erbärmlichsten Wetter fort. Denken Sie einmal, beide sind zu Pferd – Prof. Abel mit Sporn in den Mannheimer Gassen, beide mit Hirschfänger und runden Hüten, wie Studenten von Jena! Endlich wird doch Stuttgardt gewiß, wo ich bin, und wie mirs geht. – Herzlich lieb ist mirs, dass das lezte zu meinem Vortheil beantwortet werden kann.

Einen andern Spaß hab ich auch erlebt. Den 19ten des Monats ist der Namenstag der Curfürstin, und hier werden die Namenstäge und nicht die Geburtstäge gefeiert. Man bittet mich, zur Feier desselben eine öffentliche poetische Rede zu machen, welche in Gegenwart der Curfürstin und des Mannheimer Publikums auf dem Theater solte abgelegt werden. Ich mache sie, und nach meiner verfluchten Gewohnheit satyrisch und scharf. Heut schik ich sie Dalberg – er ist ganz davon bezaubert und entzükt, aber kein Mensch kann sie brauchen, denn sie ist mehr ein Pasquell als Lobrede auf die beide Curfürstlichen Personen. Weil es jezt zu spät ist, und man das Herz nicht hat, mir eine andere zuzumuten, wird das ganze Lumpenfête eingestellt. Dalberg aber thut es nicht anders; er will meine Rede druken laßen.

Warum ich noch niemand von meiner Familie hier gehabt, fragen Sie? Der wahre Grund sind die Unkosten auf beiden Seiten, die mir und meinen Eltern jezt zu dieser Zeit schwer fallen würden. Erstlich brauchen meine Mutter und Schwestern zu einer ein wenig anständigen Equippirung, weil hier in Mannheim entsezlich viel Staat gemacht wird, und zu der Reise eine so grose Summe Geld. Ich, auf den die Unkosten ihres hiesigen Auffenthalts (wenigstens 40-50 Gulden) fielen habe gerade bisher die meisten Ausgaben gehabt, und könnte das Geld ohne Schaden nicht auftreiben. Die Reise mus deswegen auf das Frühjahr verschoben werden. So seh ich alsdann 2 herrlichen Besuchen entgegen. Einer der mir gemacht wird, und ein anderer, ebenso angenehmer, den ich mache.

Jezt mus ich mich kurz faßen, das 4te Blatt wird voll. Die liebe gute Lotte hat immer noch keinen Brief von mir – aber plözlich werd ich mich einmal einstellen. Empfehlen Sie mich ihr auf das wärmste. Das nemliche gilt von der schriftstellerischen Tante. Rheinwald erinnern Sie an die Manuscripte, und wenn Sie mir meine noch brauchbare Kleider schiken, so laßen Sie michs doch wißen. Sie selbst leben glüklich, wie Engel im Himmel, wenn meine Wünsche was gelten. – Behalten mich lieb – und glauben mit Zuversicht, ohne meine Versicherung, dass ich ewig bin Ihr

Schiller.