HomeBriefeAn Henriette v. WolzogenSchiller an Henriette v. Wolzogen, 25. Juli 1783

Schiller an Henriette v. Wolzogen, 25. Juli 1783

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Wernerts am Morgen des 1 Jul. [Freitag] 1783.

Eben meine Theuerste treff ich einen Mann, der in Ihre Gegend nach Jüchsen geht und mir diesen Brief an Sie zu bringen verspricht. Ich bin glüklich gereißt und schon fünfzehn Stunden näher an Frankfurt. Wir hatten gestern etliche Regengüße auszustehen, die aber nicht viel für uns zu bedeuten hatten, und nun ists das schönste Wetter. O meine Beste! wie herzlich froh bin ich, daß der Abschied überstanden ist, und wie herzlich vergnügt wäre mir die Nachricht, daß Sie ihn verschmerzt hätten. Liebste zärtlichste Freundin, der Verdacht daß ich Sie verlaßen könnte, wäre bei meiner jezigen Gemüthslage Gotteslästerung. Glauben Sie mirs, meine Theuerste, je tiefer ich die Welt kennen lerne, und je mehr ich unter Menschen gehe, desto tiefer graben Sie Sich in mein Herz, und desto theurer werden Sie mir.

Sie werden gestern einen traurigen Tag, und ohne unsere Lotte noch einen traurigeren Abend auszustehen gehabt haben, – aber der Tag und Abend meiner Wiederkunft sollen Sie gewis vollkommen dafür belonen.

Jezt leben Sie wol. Kepp wird Ihnen von Frankfurt einen langen Brief bringen. Tausendmal leben Sie wol, ewig theuer dem Herzen Ihres

Freundes R.

Dem Mann werden Sie etwas für seine Mühe geben. Er macht einen expressen Umweeg zu Ihnen und ich habe ihm mit Fleiß keinen Lohn gegeben, damit der Brief desto gewiser überliefert wird. Noch einmal adieu.