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Schiller an Wilhelm v. Wolzogen, 10. Juni 1783

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Bauerbach, Mitte Juni [zwischen dem 10. u. 14.] 1783.

P. P.

Es ist in diesem Brief noch so viel Raum übrig, daß ein Freund etwas sagen kann. Wir haben Ihre liebe Schwester beinahe 14 Tage bei uns gehabt, und mit dem größten Vergnügen beobachtet, daß eine ansehnliche Provinz ihres Herzens dem bewußten Gözen noch nicht erb- und eigenthümlich gehört. Im Ernst liebster Freund, Ihre gute Lotte ist so melankolisch, nicht, als die Eigenliebe gewise Personen zu bereden scheint. Dieses schreibe ich Ihnen, damit es Ihre eigene Besorgniße, die ich nicht anders als billigen mus, zerstreue, und damit es Sie zugleich in den Stand seze, dem gewissenhaften W…, der Ihre Schwester nicht verlassen mag, eine beruhigende tüchtige Antwort zu geben. Sie werden wol wißen, worauf ich ziele, und werden mir auch den Grad des Unwillens, den mir die Impertinenz jenes Herrn (der das Herz Ihrer Schwester noch erst verdienen lernen müßte) eingeflößt hat. Mehreres hat Ihnen vermuthlich die Mama geschrieben, denn ich schließe aus Ihrer Aufwallung über Ihren lezten Brief, daß Sie Ihnen ihr Herz ganz mag ausgeschüttet haben.

Ich erwarte mit Ungeduld eine Antwort von Ihnen, und wünsche aus Gründen, die ich Ihnen ein andermal schreiben will, daß ich Ihren nächsten Brief an mich die Lotte schon sehen laßen dörfte. Nun sind Sie (und vielleicht auch ich) der Parteilichkeit gegen W.. verdächtig, welcher Vorwurf uns um so schmerzlicher fallen muß, je unwürdiger die Person ist, die uns denselben zugezogen hat.

Ewig Ihr

Ritter.