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Schiller an Wilhelm v. Wolzogen, 25. Mai 1783

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B. d. 25. Mai [Sonntag] 83.

Über den vielen Zerstreuungen, welche die Ankunft Ihrer besten Mutter bei mir nothwendig machte, konnt ich Ihren Brief nicht früher beantworten. Ich kann es auch jezt so vollkommen nicht, als ich wünschte, und behalte mir Vieles auf beßre Muße vor.

Sie haben recht, theurer W., daß Sie mich um die Glükseligkeit im Krais Ihrer guten Mutter und Schwester leben zu dörfen, beneiden. Zwar thut es mir wehe, daß ich da gewinnen mußte, wo Sie verloren, aber in kurzer Zeit werden auch Sie unsern vergnügten Zirkel vermehren, und ich zäle darauf, daß wir Sie festhalten werden. Hier zum erstenmale hab ich es in seinem ganzen Umfang gefült, wie gar wenig Zurüstung es fodert, ganz glüklich zu seyn. Ein groses, ein warmes Herz ist die ganze Anlage zur Seligkeit, und ein Freund ist ihre Vollendung. Seien Sie zufrieden, mein Lieber, daß Sie beides haben.

Sonderbar finde ich die Weege des Himmels auch hier. Acht Jahre mußten wir bei einander seyn, uns gleichgültig seyn. Jezt sind wir getrennt und werden uns wichtig. Wer von uns beiden hätte auch nur von ferne die verborgenen Fäden geahndet, die uns einmal so fest aneinander zwingen sollten und ewig. Aber vielleicht war dieses beiderseitige Ausweichen das Werk einer weiseren Vorsicht. Wir sollten uns erst kennen, wenn wir beide verdienten, gekannt zu seyn. Beide noch unvollkommen, hätten wir zu früh und zu viele Schwächen an uns beobachtet, und wären nie für einander erwärmt worden. Achtung nur ist der Freundschaft unfelbares Band, und diese mußten wir noch erst beide erwerben. Durch zweierlei Weege sind wir nunmehr zu eben dem Ziel gelangt, und finden uns hier mit Entzüken. Sie, mein Bester, haben den ersten Schritt gethan, und ich erröthe vor Ihnen. Immer verstand ich mich weniger darauf, Freunde zu erwerben, als die erworbenen festzuhalten.

Sie haben mir Ihre Lotte anvertraut, die ich ganz kenne. Ich danke Ihnen für diese grose Probe Ihrer Liebe zu mir. Ich sehe daraus, daß Sie gros von mir denken müssen, denn jeder andre als ein edler empfindender Mann würde die schöne Seele Ihrer Schwester nicht zu lenken verdienen. Glauben Sie meiner Versicherung, Bester Freund, ich beneide Sie um diese liebenswürdige Schwester. Noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste weichste empfindsamste Seele, und noch kein Hauch des allgemeinen Verderbnißes am lautern Spiegel ihres Gemüts – so kenn ich Ihre Lotte, und wehe demjenigen, der eine Wolke über diese unschuldige Seele zieht! – Rechnen Sie auf meine Sorgfalt für ihre Bildung, die ich nur darum beinahe fürchte zu unternehmen, weil der Schritt von Achtung und feurigen Antheil zu andern Empfindungen so schnell gethan ist.

Ihre Mutter hat mich zu einem Vertrauten in einer Sache gemacht, die das ganze Schiksal Ihrer Lotte entscheidet. Sie hat mir auch Ihre Denkungsart über diesen Punkt entdekt. Einem so zärtlichen Bruder kann es nicht gleichgültig seyn, auch eines Freundes Rath in einer so wichtigen Sache zu hören.

Ich kenne den Herrn v. W…n. Einige Kleinigkeiten, die jezt zu weitläuftig, und für Sie zu unwichtig wären, haben uns untereinander misgestimmt, dennoch glauben Sie es meinem aufrichtigen unbestochenen Herzen, er ist Ihrer Schwester nicht unwerth. Ein sehr guter und edler Mensch, der zwar gewise Schwachheiten auffallende Schwachheiten ans ich hat, die ich ihm aber mehr zur Ehre als zur Schande rechnen möchte. Ich schäze ihn wahrhaftig, ob ich schon zur Zeit kein Freund von ihm heissen kann. Er liebt ihre Lotte, und ich weis er liebt sie, wie ein edler Mann, und Ihre Lotte liebt ihn, wie ein Mädchen das zum erstenmal liebt. Mehr brauch ich Ihnen nicht zu sagen. Außerdem hat er andere Ressourcen als sein Port d’Epee, und ich bürge dafür, daß er sein Glük in der Welt machen kann. – Mehr davon, wenn ich Ihnen das nächstemal schreibe. Indeß glauben Sie Ihrem und Ihrer Lotte zärtlichsten Freund.

Sonst kann ich Ihnen von Ihrer besten Mutter und Lotten die angenehmsten Nachrichten geben. Der Einzug derselben in B. war mit einigen Feierlichkeiten gehalten, die Ihnen die erstere vielleicht schon geschrieben hat. Auf ihren Geburtstag wünschte ich selbst etwas auszudenken, aber alles, wozu die Leute des Dorfs gebraucht werden müßten, dürfte zu schwer und zu weitläuftig seyn. Überhaupt liebt Ihre Mutter dergleichen laute Äußerungen der Freude und der Attaschements weniger als den stillen einfachen Ausdruk, und ich lobe sie darum. Man denkt sich dabei so gern gewise Festivitäten, die Sie so gut kennen als ich, und welche alle ihnen ähnliche für die Zukunft durch eine garstige Assoziazion angestekt haben. Wollen Sie indeß etwas, das meine Muse ausführen kann. Mit Freuden steht Ihnen die Dame zu Diensten.

Nunmehr leben Sie wol, und erlauben mir zum Schluße die Bitte, das Herz Ihrer Lotte zu schonen und mit daran zu arbeiten, daß ihre Geschichte – oder soll ich sagen Roman? – sich glüklich entwikle – erlauben Sie mir auch, Sie, als Ihr wahrer und warmer Freund, mit Ihrer eignen gegenwärtigen Lage auszusönen, und Sie inständig zu bitten, ruhig in die Zukunft zu sehn. Diesen Rath gibt Ihnen kein kalter pedantischer Moralist, der das verdammt, was er selbst nicht hat – ein Jüngling spricht mit Ihnen. – Ein Jüngling der eben so oder noch ungestümer glüht wie Sie, der alle Fehler der übereilenden Hize gemacht hat, und seinen starren Kopf oft genug zersplittert hat, um einem Freunde die Lehre zu geben, kaltes Blut erst zu fragen.

Ewig der Ihrige

F. Ritter.