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Schiller an Wilhelm v. Wolzogen,10. August 1788

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Rudolstadt den 10 Aug [Sonntag] 88.

Noch ganz betäubt, liebster Freund, von der traurigen Nachricht die Sie mir gaben setze ich mich, Ihnen zu schreiben. Ja gewiß, eine theure Freundin, eine vortrefliche Mutter haben Sie und ich in ihr verloren; es war ein edles und gutes und äuserst wohltätiges Geschöpf, auch ohne die vielen besondern Ursachen, die Sie als Sohn und ich als ihr Freund haben, dankbar gegen Sie zu sein, auch ohne alles dieses unsrer ganzen Liebe, unsrer aufrichtigen Thränen werth. Ich darf die vielen Augenblicke der Vergangenheit, wo ich ihre schöne liebevolle Seele habe kennen lernen, nicht lebendig in mir werden lassen, wenn ich die Ruhige Fassung nicht verlieren will, in der ich Ihnen gerne schreiben möchte. Aber ihr Andenken wird ewig und unvergesslich in meiner Seele leben, und alle Liebe, die ich ihr schuldig war, und alle herzliche Achtung, die ich für sie hegte, soll ihr ewig gewidmet bleiben.

Mein und unser aller Trost ist dieser, daß sie durch diesen sanften und geschwinden Tod vielem Leiden entgangen ist, das ihr unausbleiblich bevorstand. Ihrer Kinder und Ihrer Freunde Herz würde weit mehr dabey gelitten haben, wenn sie ein hoffnungsloses und martervolles Leben hätte fortleben müssen, ohne Aussicht von Besserung; und ein langes körperliches Leiden, liebster Freund, würde gewiß endlich ihren Geist darniedergedrückt und den Muth gebeugt haben, mit dem sie allem Unglücke trozte. Lassen Sie uns das ein Trost sein, den wir beyde fühlen, daß ein schmerzvolles halbes Daseyn ein traurigers Loos ist als der Tod. Ihr Muth und Ihre Gelassenheit bey diesem Verluste hat mich innigst beruhigt; wir können was uns lieb und theuer ist, beweinen; aber eine edle und männliche Seele erligt dem Kummer nicht. Alle Liebe, die mein Herz ihr gewidmet hatte, will ich ihr in ihrem Sohne aufbewahren, und es als eine Schuld ansehen, die ich ihr noch im Grabe abzutragen habe. Wir sind schon längst durch die zärtlichste Freundschaft gebunden; lassen Sie uns dieses Band mit brüderlicher Herzlichkeit fortsetzen und wo möglich noch fester knüpfen. Wir wollen einander wie Brüder angehören. – Ach! sie war mir alles, was nur eine Mutter mir hätte seyn können!

Beruhigen Sie Charlotten; dieser Schlag wird sie sehr hart getroffen haben. Vor allen Dingen aber, liebster Freund, kommen Sie hieher in unsre Arme. Sie brauchen Mittheilung, Beruhigung, Zerstreuung. Finden sie sie bey uns! Wenn ich auch nach Meinungen käme, würden wir uns recht genießen? Würden wir nicht beyde von außen gedrückt und niedergeschlagen werden. Ich sende Ihnen diesen expressen, weil ich fürchtete, daß die Post zu langsam seyn würde. Lassen Sie mich durch ihn erfahren, daß Sie auf einige Tage kommen wollen, so gehe ich Ihnen biß Ilmenau entgegen, um Sie zu empfangen. Ihre hiesige Freunde sehnen sich herzlich darnach, Ihnen etwas zu seyn; sie sehnen sich nach Ihrer Gesellschaft. Kommen Sie ja. Wir wollen suchen, Ihnen Ruhe und Heiterkeit zu geben. Wir verlassen uns darauf, Sie spätestens den Donnerstag bey uns zu sehen. Suchen Sie aber alle Geschäfte, die Sie in Meinungen noch vorfinden könnten, zu berichtigen, daß Sie unmittelbar von hier nach Stuttgart zurückgehen und also desto länger bey uns bleiben können. Sobald mir der Bote Antwort bringt, werde ich mich aufs Pferd setzen, um Ihnen nach Ilmenau entgegen zu gehen. Ich sehne mich nach Ihnen. Wenn wir uns sprechen, so werde ich Sie auch überzeugen können, daß ich Ihnen hier mehr sein kann als in Meinungen.

Mit dem Gedichte würde es jetzt ohnehin zu spät seyn, da die Beerdigung vorbey ist. Ihr Brief war 4 Tage unterwegs; aber ich habe eine andere Idee, das Andenken der guten Mutter zu ehren, die ich Ihnen mündlich mittheilen will. Kommen Sie ja, liebster Freund. Wir sehen Ihnen mit Sehnsucht entgegen.

Schiller.