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Schiller an C. v. Schimmelmann, 23. November 1800

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Weimar, 23. November [Sonntag] 1800.

Ihre gütigen Worte, meine gnädige Gräfin, befreien mich von meiner Verlegenheit und ich darf mich Ihnen mit Vertrauen wieder nähern. Wie könnte ich auch nur einen Augenblick an Ihrer großmüthigen Gesinnung zweifeln, die sich so unverkennbar in jeder Zeile Ihrer Briefe malt. Aber ich sah nur die Größe meines Unrechts, und nicht zugleich auch die Schönheit Ihres Herzens, die über alle beschränkten Rücksichten erhaben ist.

Ja gewiß, ich würde mein Schicksal preisen, wenn es mir vergönnt hätte, in Ihrer Nähe zu leben. Sie und der vortreffliche S. würden eine idealische Welt um mich gebildet haben. Was ich Gutes haben mag, ist durch einige wenige vortreffliche Menschen in mich gepflanzt worden, ein günstiges Schicksal führte mir dieselben in den entscheidenden Perioden meines Lebens entgegen, meine Bekanntschaften sind auch die Geschichte meines Lebens. Dieses und einige Aeußerungen in Ihrem Briefe führen mich natürlich auf meine Bekanntschaft mit Göthe, die ich auch jetzt, nach einem Zeitraum von sechs Jahren, für das wohlthätigste Ereigniß meines ganzen Lebens halte. Ich brauche Ihnen über den Geist dieses Mannes nichts zu sagen. Sie erkennen seine Verdienste als Dichter, wenn auch nicht in dem Grade an, als ich sie fühle. Nach meiner innigsten Ueberzeugung kommt kein anderer Dichter ihm an Tiefe der Empfindung und an Zartheit derselben, an Natur und Wahrheit und zugleich an hohem Kunstverdienste auch nur von Weitem bei. Die Natur hat ihn reicher ausgestattet als irgend einen, der nach Shakespeare aufgestanden ist. Und außer diesem, was er von der Natur er halten, hat er sich durch rastloses Nachforschen und Studium mehr gegeben als irgend ein Anderer. Er hat es sich 20 Jahre mit der redlichsten Anstrengung sauer werden lassen, die Natur in allen ihren drei Reichen zu studieren, und ist in die Tiefen dieser Wissenschaften gedrungen. Ueber die Physik des Menschen hat er die wichtigsten Resultate gesammelt und ist auf seinem ruhigen einsamen Wege den Entdeckungen voraus geeilt, womit jetzt in diesen Wissenschaften so viel Parade gemacht wird. In der Optik werden seine Entdeckungen erst in künftiger Zeit ganz gewürdigt werden, denn das Falsche der Newtonischen Farbenlehre hat er bis zur Evidenz demonstrirt, und wenn er alt genug wird, um sein Werk darüber zu vollenden, so wird diese Streitfrage unwiderleglich entschieden seyn. Auch über den Magnet und die Electricität hat er sehr neue und schöne Ansichten. So ist er auch in Rücksicht auf den Geschmack in bildenden Künsten dem Zeitgeiste sehr weit voraus und bildende Künstler könnten Vieles bei ihm lernen. Welcher von allen Dichtern kommt ihm in solchen gründlichen Kenntnissen auch nur von Ferne bei, und doch hat er einen großen Theil seines Lebens in Ministerialgeschäften aufgewendet, die darum, weil das Herzogthum klein ist, nicht klein und unbedeutend sind. Aber diese hohen Vorzüge seines Geistes sind es nicht, die mich an ihn binden. Wenn er nicht als Mensch für mich den größten Werth von allen hätte, die ich persönlich je habe kennen lernen, so würde ich sein Genie nur in der Ferne bewundern. Ich darf wohl sagen, daß ich in den 6 Jahren, die ich mit ihm zusammen lebte, auch nicht einen Augenblick an seinem Charakter irre geworden bin. Er hat eine hohe Wahrheit und Biederkeit in seiner Natur, und den höchsten Ernst für das Rechte und Gute; darum haben sich Schwätzer und Heuchler und Sophisten in seiner Nähe immer übel befunden. Diese hassen ihn, weil sie ihn fürchten, und weil er das Falsche und Seichte im Leben und in der Wissenschaft herzlich verachtet und den falschen Schein verabscheut, so muß er in der jetzigen bürgerlichen und literarischen Welt nothwendig es mit Vielen verderben.

Sie werden nun aber fragen, wie es komme, daß er bei dieser Sinnesart mit solchen Leuten wie die Schlegelschen Gebrüder sind, in Verhältniß stehen könne. Dieses Verhältniß ist durchaus nur ein literarisches und kein freundschaftliches, wie man es in der Ferne beurtheilt. Göthe schätzt alles Gute, wo er es findet, und so läßt er auch dem Sprach- und Verstalent des älteren Schlegel und seiner Belesenheit in alter und in ausländischer Literatur, und dem philosophischen Talent des jüngern Schlegel Gerechtigkeit widerfahren. Und darum, weil diese beiden Brüder und ihre Anhänger die Grundsätze der neuen Philosophie und Kunst übertreiben, auf die Spitze stellen und durch schlechte Anwendung lächerlich oder verhaßt machen, darum sind diese Grundsätze an sich selbst, was sie sind, und dürfen durch ihre schlimmen Partisans nicht verlieren. An der lächerlichen Verehrung, welche die beiden Schlegels Göthe erweisen, ist er selbst unschuldig, er hat sie nicht dazu aufgemuntert, er leidet vielmehr dadurch und sieht selbst recht wohl ein, daß die Quelle dieser Verehrung nicht die reinste ist; denn diese eiteln Menschen bedienen sich seines Namens nur als eines Paniers gegen ihre Feinde, und es ist ihnen im Grunde nur um sich selbst zu thun. Dieses Urtheil, das ich Ihnen hier niederschreibe, ist aus Göthes eigenem Munde, in diesem Tone wird zwischen ihm und mir von den Herren Schlegel gesprochen.

Insofern aber diese Menschen und ihr Anhang sich dem einreißenden Philosophie-Haß und einer gewissen kraftlosen seichten Kunstkritik tapfer entgegensetzen, ob sie gleich selbst in ein anderes Extrem verfallen, insofern kann man sie gegen die andere Parthei, die noch schädlicher ist, nicht ganz sinken lassen, und die Klugheit befiehlt zum Nutzen der Wissenschaft ein gewisses Gleichgewicht zwischen den idealistischen Philosophen und den Unphilosophen zu beobachten.

Es wäre zu wünschen, daß ich Göthe eben so gut in Rücksicht auf seine häuslichen Verhältnisse rechtfertigen könnte, als ich es in Absicht auf seine literarischen und bürgerlichen mit Zuversicht kann. Aber leider ist er durch einige falsche Begriffe über das häusliche Glück und durch eine unglückliche Ehescheu in ein Verhältniß gerathen, welches ihn in seinem eigenen häuslichen Kreise drückt und unglücklich macht, und welches abzuschütteln er leider zu schwach und zu weichherzig ist. Dies ist seine einzige Blöße, die aber niemand verletzt als ihn selbst, und auch diese hängt mit einem sehr edlen Theil seines Charakters zusammen.

Ich bitte Sie, meine gnädige Gräfin, dieser langen Aeußerung wegen um Verzeihung, sie betrifft einen verehrten Freund, den ich liebe und hochschätze und den ich ungern von Ihnen beiden verkannt sehe. Kennten Sie ihn so wie ich ihn zu kennen und zu studieren Gelegenheit gehabt, Sie würden wenige Menschen Ihrer Achtung und Liebe würdiger finden.

Schiller.