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Schiller an den Oberst von Seeger, 21. Juli 1780

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Stutgardt d. 21sten Julij. [Freitag] 1780.

Unterthänigster Bericht von den Krankheits-Umständen des Eleven Grammont am 21sten Julij 80.

Die moralischen und physicalischen Umstände des Patienten scheinen sich nun zu einer vollkommenen Beßerung zu neigen, wenigstens kann ich von dem heutigen Tag nichts anders, als Gutes melden. Er war voll Munterkeit und Leben, zu klagen fand er gar nichts, wenn ich einige geringe Beschwerden über Übligkeiten aus dem Magen, welche aber nichts als vorübergehende Folgen seiner Arzneyen waren, ausnehmen will. Wie ich ihn in dieser günstigen Stimmung fand, auf die ich lange mit Sehnsucht gewartet hatte, so ergriff ich den Zeitpunkt, und leitete den Discours auf seine vormali[gen] Foderungen, und fragte ihn: was er izo gesonnen sey, ob er noch aus der Academie begehre? – Ich that zugleich einen Seitenblik auf die vielen und großen Vortheile seines Hierbleibens, und auf die vielen abschrökenden Folgen seines unzeitigen Hinauskommens, auf die Vorstellungen und gütigsten Ermahnungen Seiner Herzoglichen Durchlaucht3 vom vorigen Sontag – – Da ich ihn dagegen gar nicht unempfindlich fand, so führte ich ihn weiter, stellte ihm das Vergnügen lebhaft vor Augen, das ihn im großen und schönen Feld der medicinischen Wissenschaften erwartete. Auf diese Art erwekte ich in ihm die lang schon erstorbene Neigung zum Studieren wieder, welches ohnsttreitig das einzige und auch dauerhafteste Mittel ist, sein Gemüth von sich selbst auf andre Gegenstände zu lenken; welches ihm zugleich äuserst nötig ist, da er bisher wegen seiner Krankheit nicht wenig zurückblieb. Er eröffnete mir nun sein ganzes Herz, räumte mir vieles ein, und schloß mit der Versicherung, daß er sehr gern in der Academie bleiben wolle, wenn ihm nur diejenigen Freyheiten gelassen würden, die sein körperlicher Zustand, und die Richtung seiner Seele nothwendig machten; Nach und nach sprach er von seinem Hierbleiben, als von einer bekannten Sache, darwider er doch vorhin immer mit der größten Heftigkeit gekämpft hatte, und versprach mir, gleich nach seiner Zurückkunft aus Teinach mit vollem Eyfer an sein Studieren zu gehen.

Mit gröster Freude hört ich dieses an, mit gröster Freude schreib ich es hier nieder, denn ich sehe izo das erreicht, was die einzige gnädigste Absicht Seiner Herzoglichen Durchlaucht war, – und finde zugleich auch meine bisherige Handlungs-Art gerechtfertigt, die ob sie schon ganz allein auf jenen lezten Wunsch meines gnädigsten Vaters gerichtet war, dennoch, wie ich mit Schmerzen bemerken mußte, nicht ganz frey von einigem Verdacht einer heimlichen Begünstigung seiner Meynungen geblieben ist.

Daß vielleicht Augenblike kommen, in welchen die alten Klagen unseres Hypochondristen wiederum aufwachen, dafür steh ich nicht, dafür kann auch kein Mensch stehen, denn es ist fast eine physische Nothwendigkeit seines leidenden Körpers. Daß dieselben aber nur schwach, nur vorübergehend, daß sie durch eine schonende Behandlung bald unterdrükt seyn werden, das getraute ich mir mit vieler Gewißheit zu behaupten. Indeßen kommt das meiste nur darauf an, daß demselben immer noch gewiße Freiheiten bleiben, die er gewiß niemals misbrauchen wird; sonst dürfte der Sprung von seinem jezigen Zustand auf einen entgegengesezten, die Vergleichung seiner jezigen Lage mit einem Zwang, der für die gesunden vortrefflich seyn kann, ihm allzu auffallend seyn, und einen Rückfall seiner alten Melancholie nach sich ziehen, der das lezte Übel ärger machte als das erste.

Eleve Schiller.