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Schiller an den Oberst von Seeger, 26. Juni 1780

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Über die Krankheitsumstände des Eleven Grammont so, wie solche den 26ten Junij. [Montag] beobachtet wurden.

Auf den gnädigsten Befehl, ein wachsames Auge auf die Leiden und Äußerungen meines Freundes zu haben, wage ich es, ein kurzes Bild seiner Krankheit zu entwerffen, soweit mir die mir gnädigst gemachte Gelegenheit, und der bisherige genaue Umgang den ich mit ihm genossen, Aufschluß darinn gegeben hat.

Die ganze Krankheit ist meine Begriffen nach nichts andres als eine wahre Hypochondrie derjenige unglükliche Zustand eines Menschen, in welchem er das bedauernswürdige Opfer der genauen Sympathie zwischen dem Unterleib und der Seele ist, die Krankheit tiefdenkender, tiefempfindender Geister, und der meisten großen Gelehrten. Das genaue Band zwischen Körper und Seele macht es unendlich schwer die erste Quelle des Übels ausfindig zu machen, ob es zuerst im Körper oder in der Seele zu suchen sey.

Pietistische Schwärmerey schien den Grund zum ganzen nachfolgenden Übel gelegt zu haben. Sie schärfte sein Gewissen und machte ihn gegen alle Gegenstände von Tugend und Religion äuserst empfindlich, und verwirrte seine Begriffe. Das Studium der Metaphysik machte ihm zulezt alles Wahrheit verdächtig, und riß ihm zum andern Extremo über, so daß er, der die Religion vorhero übertrieben hatte, durch sceptische Grübeleyen nicht selten dahin gebracht wurde an ihren Grundpfeilern zu zweifeln.

Diese schwankende Ungewißheit der wichtigsten Wahrheiten ertrug sein vortreffliches Herz nicht. Er strebte nach Überzeugung, aber verirrte auf einen falschen Weeg, da er sie suchen wollte, versank in die finstersten Zweifel, verzweifelte an der Glükseligkeit, an der Gottheit, und glaubte sich den unglüklichsten Menschen auf Erden. Alles diß hab ich in häuffigen Wortwechseln aus ihm herausgebracht, da er mir von seinem Zustand niemal nichts verschwiegen hat.

Mit dieser Unordnung seiner Begriffe verband sich nach und nach eine körperlicher Zerrüttung, (ich getraue mir nicht zu bestimmen, ob ein organischer Fehler im Unterleib zu Grunde liegt). Es folgten Fehler im Verdauungsgeschäfte, Mattigkeit, und Kopfschmerzen, welche, so wie sie Wirkungen eines zerrütteten Seelenzustandes waren, hinwiederum diesen Zustand rükwärts verschlimmerten.

Auf diese Art war der Weeg zu der fürchterlichen Melancholie gebahnt, in die er einige Wochen versank. Es ist Verzweiflung an seiner eigenen Kraft – Er sagte oftmals zu mir, er sey kein Mensch, den er könne nicht denken – Er sähe nicht ein warum er leben sollte, da er ohne alle Absicht lebe – und dergl. mehr. Diese Äußerungen schienen wirklich gefährlich, da sie tiefere Wurzeln hatten, und Geburten eines denkenden speculativen gar nicht aber leichtsinnigen Kopfes waren, welchen Fehler er gewiß nicht hat. Er sahe die Zerstoerung ein, in die er gerathen war, und schrieb sie äußern Verhältnissen und Einschränkungen zu, weßwegen er auch ein großes Verlangen hatte außerhalb der Academie, in der Ruhe des Landlebens, seinen Geist zu besänftigen und neue Kräfte zur Erforschung der Wahrheit zu sammeln. Mit einer tiefen Heftigkeit, die seinem Karakter eigen ist, warf er sich auf diesen Gedanken, und er füllte seine ganze Seele. Er zweifelte nicht an der Erfüllung, und sprach, wie mit Zuverlässigkeit von dem neuen Plan seines Lebens. Darum würkten die Hindernisse auf welche er traf doppelt heftig auf ihn, daß er in die tiefste Melancholie stürzte, und den Entschluß faßte sein Leben abzukürzen und vernichtet zu werden. Alle Versuche ihn zu zerstreuen, mißlangen.

So dauerte es bis heute gegen Abend fort. Den ganzen Morgen war er in sich selbst versunken, gleichgültig gegen alles, mistrauisch und überaus zerstört, er wollte nicht, wie gewöhnlich frühstüken, weigerte sich auch Mittags etwas zu genießen, und wie ich stärker in ihn drang, sagte er kurz heraus, er hätte gar nicht Ursache sein Leben zu verlängern, da es ihm doch nur zur Last wäre; und alles was er that verrieth einen schröklichen Entschluß.

Wegen heftigen Kopfweh warf er sich öfters auf das Bett, schlief aber nicht und hatte auch die vorige Nacht nicht geschlafen. Er floh die Gesellschaft und hieng der Einsamkeit überhaupt außerordentlich nach. Endlich gegen Abend gewann ich so viel über ihn, daß er sich bei mir über seinen Zustand heraus ließ. Indem er so seine Klagen entwikelte, und sich durch Reden erleichterte fieng er an etwas nachgiebiger zu werden, und ermunterte sich. Nach und nach wurde er lebhaft, gesprächich, und verlangte endlich etwas zu essen. Er war schon über 24 Stunden nüchtern geblieben. Was ihn vollends zur Ruhe brachte war das Collegium archiatrale, deren Vorstellungen und Gründe ihm Zutrauen einflößten. Besonders sprach er mit vieler Achtung und vertrauen vom Leibmedicus Hopffengärtner der ihm ausnehmend gefallen hatte. Er entschloß sich, seiner Führung sich ganz zu überlassen, sich selbst Gewalt anzuthun, und schöpfte Hoffnung zur Wiedergenesung, an der er bisher verzweifelt hatte. Er gelobte, alles aufs pünktlichste zu erfüllen, was ihm auferlegt würde, und gestand mir auch wie er izt selbst einsähe, daß er sein eigner Peiniger gewesen, und sein Übel vergrößert habe.

Mit einem Wort, es ist die beste Hoffnung zur Wiederherstellung des Patienten da, er schien wie aus einem Träume erwacht zu seyn, und arbeitet izt emsig für seine Gesundheit, und zwingt sich, sich der traurigen Ideen zu entschlagen, und dafür in historischen Schriften, Bewegungen Zeitvertreiben und dergl. Zerstreuung zu suchen.

Er hat mich gebeten in seinem Nahmen Seiner Herzoglichen Durchlaucht auf das feurigste zu danken, daß Höchstdieselben seinen irrigen Wunsch aus der Academie zu kommen vereitelt haben, von dem er izt einsieht, daß er ihn unglüklich gemacht haben würde.

Schiller.