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Schiller an Friedrich Schelling, 1. Mai 1800

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Weimar, d. 1. Mai [Donnerstag] 1800.

Ich hätte Ihnen schon früher geantwortet, lieber Freund, wenn ich Gelegenheit gehabt hätte, in der Sache quaestionis hier etwas zu erfahren. Aber Goethe ist seit mehreren Tagen abwesend und sonst habe ich niemand hier zu Gesicht bekommen, dessen Meinung wir zu wissen begierig wären. So viel habe ich indeß gleich nach der ersten Erscheinung Ihrer Schrift vernommen, daß die Urtheile darüber sehr getheilt sind und daß, wie Sie wohl denken können, die Sache von ihrer scandalösen Seiten genommen wird. Doch habe ich nicht gehört, daß man das neulich gegebene Gesetz in Anregung gebracht hätte. Meine Privatmeinung ist, daß eine allgemeine Recensiranstalt, welche sich als Richterin über alle Schriftsteller constituirt, jenes Gesetz, wodurch Streit und Krieg zwischen akademischen Collegen untersagt wird, nicht für sich anrufen kann; denn sie ist keine akademische Corporation, sondern ein schriftstellerischer Körper, und muß mithin die Publicität, deren sie sich anmaßt, auch erleiden und zur freisten Rechenschaft gezogen werden können.

Ich danke Ihnen aufs verbindlichste für Ihr Werk, das ich mit großem Interesse zu lesen und zu studiren angefangen.

Alles Gute begleite Sie auf Ihren Wegen und alle Musen seien Ihren Vorsätzen hold. Da Sie selbst in Ihrem System ein so enges Band zwischen Poeten und Philosophen flechten, so lassen Sie dies auch unsere Freundschaft unzertrennlich knüpfen.

Schiller.