HomeBriefesonstige BriefeSchiller an Luise Frankh, 8. Mai 1802

Schiller an Luise Frankh, 8. Mai 1802

Bewertung:
(Stimmen: 0 Durchschnitt: 0)

Weimar den 8. May [Sonnabend] 1802.

Dein letzter Brief liebste Schwester läßt mich für unsre theure Mutter keine Hofnung mehr fassen. Seit 14 Tagen schon habe ich der schmerzlichen Nachricht von ihrer Auflösung mit Furcht entgegen gesehen, und daß Du seitdem nicht geschrieben hast, ist mir eher ein Grund der Furcht als der Beruhigung. Ach unter den Umständen, worin sie sich befunden war das Leben für sie kein Gewinn mehr; ein schneller und sanfter Hingang war das einzige, was man für sie wünschen und erflehen konnte. Aber schreibe mir, theure Schwester, wenn Du selbst Dich erst von diesen traurigen Tagen ein wenig erhohlt hast, schreibe mir ausführlich ihren Zustand und ihre Aeußerungen in den letzten Stunden ihres Lebens. Es tröstet und beruhigt mich, mich mit ihr zu beschäftigen und mir das Bild der theuren Mutter lebendig zu erhalten. Und so sind sie denn beide hingegangen, unsere theuren Aeltern, und wir drei sind nun allein übrig. Laßt uns einander desto näher seyn, gute Schwester und glaube, daß Dein Bruder, auch von Dir und Deiner Schwester noch so weit getrennt, euch beide innig an seinem Herzen trägt, und euch in allen Vorfällen des Lebens mit seiner brüderlichen Liebe herzlich entgegen kommen wird.

Aber ich kann heute nicht weiter schreiben; Schreibe mir bald einige Worte. Ich umarme Dich und den lieben Schwager aufs herzlichste und danke diesem nochmals für die Liebe, die er unserer verewigten Mutter bewiesen hat.

Euer treuer Bruder

Schiller.