HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 1. November 1790

Schiller an Gottfried Körner, 1. November 1790

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Jena, 1. November [Montag] 1790.

Von Rudolstadt aus habe ich Dir durch den jungen Wurmb, der zu den Cadetten in Dresden gekommen ist, geschrieben, welchen Brief Du hoffentlich erhalten haben wirst. Die Ferien sind jetzt vorbei, und ich lese schon wieder seit acht Tagen. Zwölf Tage brachte ich in Rudolstadt mit Essen, Trinken und Schachspielen oder Blindekuhspielen zu. Ich wollte ganz feiern, und diese Erholung hat mir wohlgethan, obgleich sie mir gegen das Ende unerträglich wurde. Lange kann ich den Müßiggang nicht ertragen, solchen besonders, wo der Geist nicht einmal durch geistigen Umgang gepflegt wird. Sogar die Vorlesungen machen mir jetzt mehr Vergnügen. Ich erwerbe mir neue Begriffe, mache neue Combinationen und lege immer irgend etwas an Materialien für künftige Geistesgebäude auf die Seite. Sieh, so wird einem der Dienst lieb; und so wird es auch Dir, nur auf andere Weise, mit Deiner Jurisprudenz ergehen.

Goethe hat uns viel von Dir erzählt, und rühmt gar sehr Deine persönliche Bekanntschaft. Er fing von selbst davon an, und spricht mit Wärme von seinem angenehmen Aufenthalt bei Euch und überhaupt auch in Dresden. Mir erging es mit ihm, wie Dir. Er war gestern bei uns, und das Gespräch kam bald auf Kant. Interessant ists, wie er Alles in seine eigenen Art und Manier kleidet und überraschend zurückgiebt, was er las; aber ich möchte doch nicht über Dinge, die mich sehr nahe interessiren, mit ihm streiten. Es fehlt ihm ganz an der herzlichen Art, sich zu irgend etwas zu bekennen. Ihm ist die ganze Philosophie subjectivisch, und da hört denn Ueberzeugung und Streit zugleich auf. Seine Philosophie mag ich auch nicht ganz: sie holt zu viel aus der Sinnenwelt, wo ich aus der Seele hole. Ueberhaupt ist seine Vorstellungsart zu sinnlich und betastet mir zu viel. Aber sein Geist wirkt und forscht nach allen Directionen, und strebt, sich ein Ganzes zu erbauen – und das macht mir ihn zum großen Mann.

Übrigens ergehts ihm närrisch genug. Er fängt an alt zu werden, und die so oft von ihm gelästerte Weiberliebe scheint sich an ihm rächen zu wollen. Er wird, wie ich fürchte, eine Thorheit begehen und das gewöhnliche Schicksal eines alten Hagestolzen haben. Sein Mädchen ist eine Mamsell Vulpius, die ein Kind von ihm hat und sich nun in seinem Hause fast so gut als etablirt hat. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er sie in wenigen Jahren heirathet. Sein Kind soll er sehr lieb haben, und er wird sich bereden, daß wenn er das Mädchen heirathet, es dem Kinde zu Liebe geschehe, und daß dieses wenigstens das Lächerliche dabei vermindern könnte.

Es könnte mich doch verdrießen, wenn er mit einem solchen Geniestreich aufhörte; denn man würde nicht ermangeln, es dafür anzusehen.

Über meinen Kalender hat mir der Herzog von Weimar, dem ich ihn schickte, einen sehr verbindlichen Brief geschrieben, und ich hörte schon viel Schönes darüber. Kaum weiß ich, wie ich so wohlfeil zu dieser Ehre komme. Der Kalender, denke ich, soll Göschen doch nicht liegen bleiben. Man sagt mir von allen Orten her, daß die anderen historischen Kalender im Aeußerlichen gar sehr zurück seien, und im Innerlichen, hoffe ich, ist keine Concurrenz. Goethe gefielen die Kupfer dazu sehr. Meine Künstler sollen in einem Stück des Bürgerschen Journals: „Akademie der schönen Redekünste“, recensirt seyn1. Noch habe ich es nicht gelesen, vielleicht bekommst Du es vor mir zu Gesicht. So würde mir doch der Wunsch erfüllt, daß nicht ganz davon geschwiegen wird!

Hier schicke ich Dir ein Fläschchen Capwein, um Dich an jenen zu erinnern, den wir in Dresden miteinander ausgestochen haben. Er kommt von einem guten Freunde, unmittelbar vom Cap selbst, an meinen Vater, der mir einige Flaschen geschickt hat. Der gute Freund hat eine reiche Holländerin auf dem Cap geheirathet, ist gegenwärtig wieder in Schwaben, und wird sich in Dessau etabliren.

Lebe einstweilen wohl; grüße Minna und Dorchen recht herzlich von uns beiden. Wir sind gar wohl auf, und denken Eurer mit Liebe. Meine Frau zeichnet viel und befleißigt sich sehr aufs Singen. Diesen Winter wird hier viel getanzt, und das ist gewissen Leuten eine liebliche Aussicht. Nur ich weiß nicht, wo ich mich hinthun werde, wenn die Jugend tanzt. Schulz2, wirst Du wohl schon wissen, ist durch die Herzogin von Curland als Professor der Geschichte in Mitau angestellt. Sie soll viel auf ihn halten; nimm mirs nicht übel, das ist nicht der beste Geschmack von Deiner Herzogin.

S.