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Schiller an Gottfried Körner, 20. August 1788

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Rudolstadt, 20. August [Mittwoch] 1788.

Ich habe Dir lange nicht geschrieben; aber jetzt habe ich ordentlich rechte Lust dazu, es wieder hereinzubringen. Vielerlei, ziemlich nichtsbedeutende Dinge zusammengenommen haben mich zerstreut. Es ist diese Woche hier Vogelschießen, die einzige gesellschaftliche Anstalt im ganzen Jahr für den Hof und die Stadtleute. Sie hat mir Zeit genommen, ohne mir Vergnügen zu geben – übrigens das ganze gewöhnliche Schicksal.

Zuerst auf Deinen Brief zu kommen. Deiner Beschreibung nach sieht es wirklich so aus, als wenn die Hämorrhoiden bey Dir im Anzuge wären, und da müßtest Du ihnen freilich nachhelfen, um die Crisis zu beschleunigen. Die Hämorrhoiden sind freilich eine Hilfe der Natur, und man thut oft recht, sie zu unterhalten. Aber bey Dir könnte doch lieber noch die Quelle davon verstopft werden; ihr Ausbruch kommt mir zu früh. Die Hämorrhoiden sind zwar heilsame Ausleerungen, aber zugleich unterhalten sie den Zufluß des Blutes nach den untern Gedärmen, weil jede Ausleerung zugleich als ein Reiz wirkt. Die Quelle der Hämorrhoiden aber, wie ich sie mir bey Dir denke, ist ein erschwerter Umlauf des Blutes durch die Gefäße des Unterleibes, durch Verdickung des Blutes, zuviel Ruhe, locale Erhitzungen in diesen Theilen, und vielleicht durch eine langwierige und stille Gemüthsbewegung hervorgebracht.

Auf alle diese Dinge zusammen mußt Du losarbeiten und Du kannst es auf eine gar nicht drückende Art mit Deiner Lebensordnung verbinden. Ich dächte, Du solltest Dich leicht davon überzeugen können und alsdann nach dieser Ueberzeugung handeln. Eine leichtere Diät muß deswegen die schlechtere nicht seyn; Bewegung ist an sich ja auch ein Vergnügen, und – Kalender zu machen dächte ich hättest Du auch nicht Ursache. Ich bin gewiß nicht für ängstliche Lebensordnung – aber hier mußt Du in Anschlag bringen, daß es früher oder später um den besten Theil Deines Wesens, um Deinen Geist zu thun ist, den ein hypochondrischer Zustand des Unterleibes gar bald unterjochen würde. Zum Medicinieren rathe ich Dir gar nicht. Nimmst Du etwas, so sey es ein gelindes Salz, oder noch besser Venetianische Seife, zu kleinen Dosen, aber anhaltend gebraucht, und zuweilen ein Abführendes Mittel Vor allen Dingen aber rathe ich Dir, bringe eine gleichförmige lebhafte Beschäftigung in Dein Leben, die Dich immer in Athem erhält, die Dir öftere kleinere Genüsse verschafft und die Du nie ganz zu Ende bringst. An dieser hat es Dir bis jetzt, scheint es, am meisten und beynahe nur allein gefehlt, und sie ist ein ebenso gewisser Weg, Dir zu einer dauerhaften Gesundheit zu verhelfen, als sie Dir diese Gesundheit erst recht werth machen wird. Du wirst sagen, daß ich altklug spreche; aber nimm das beste aus dem, was ich sage, und mache mit dem anderen, was Du willst.

Du glaubst, es würde gut seyn, wenn wir wieder beisammen wären. Wenn ich mich nur im geringsten überzeugen könnte, daß ich Dir jetzt etwas seyn könnte, so sollte mich gewiß weder Weimar nach Rudolstadt halten, so wenig ich läugnen will, daß mir der Aufenthalt in Rudolstadt ungemein wohlgethan hat. Aber es ist ein Gemüthszustand in mir nach und nach aufgekommen, der gar nicht wohltätig auf Dich wirken würde, besonders da Leichtigkeit der Gefühle und Ruhe des Gemüths das sind, dessen Du jetzt am meisten um Dich herum zu bedürfen scheinst. Herz und Kopf jagen sich bey mir immer und ewig; ich kann keinen Moment sagen, daß ich glücklich bin, daß ich mich meines Lebens freue. Einsamkeit, Abgeschiedenheit von Menschen, äußere Ruhe um mich her und innere Beschäftigung sind der einzige Zustand, in dem ich noch gedeyhe. Diese Erfahrung habe ich diesen Sommer gar häufig gemacht. Ich bin lebhaft überzeugt, daß ich durchaus nicht für die Gesellschaft tauge, und ich werfe mir vor, daß ich immer nicht Stärke genug besessen habe, nach dieser Ueberzeugung zu handeln. Alle Bestrebungen sind umsonst, sich etwas zu geben, was nicht in uns ligt – und darüber verscherzt man den Genuß dessen, was man wirklich besitzt. Alle meine Leiden sind bisher Folgen von Wünschen und Neigungen gewesen, die mir die Gesellschaft gegeben hat; die wenigsten meiner wenigen Freuden hab’ ich von ihr empfangen. Mein Geist wirkt mehr im stillen, im Umgange mit sich selbst; selbst für andere wirkt er so mehr. Seit 6 und 8 Jahren bin ich ein so äuserst abhängiger Mensch von tausend Armseligkeiten geworden, die ich mir nicht vergeben kann. Und bin ich nicht Herr meines Schicksals? Warum verharre ich in einem Zustande, der gar nicht für mich ist? Das sind Betrachtungen, die ich jetzt so oft und so anhaltend anstelle, daß sie es endlich doch bey mir zu einem Entschlusse bringen werden. Du wirst fragen, was ich denn eigentlich will? Das weiß ich selbst nicht. Aber ich fühle, daß ich noch nicht in dem Element schwimme, für das ich eigentlich gehöre.

Hier habe ich viele gesellige Freuden schon genossen; aber da ich mich wieder losreissen muss, so verderbt mir ein Gedanke an die Zukunft den augenblicklichen Genuß. Ein bischen mehr ruhiges Blut machte mich zu einem glücklichen Menschen; ich fühle, daß ich in mir selbst die Ressourcen zum Leben reichlich hätte, aber es muß irgendwo bey mir versehen worden seyn. Es will nicht gehen. Laß Dich übrigens dieses Klagelied nicht anfechten. Ich bin nicht immer so, und am Ende werd ich mir doch davon helfen.

Meine Geschäfte gehen nicht zum lebhaftesten. Mein unruhiger Geist ist der Darstellung nicht empfänglich, ich bin mir selbst zu gegenwärtig. Meine Geschichte hat viel Dichterkraft in mir verdorben, und diese Journalarbeiten ziehen mich zu sehr auseinander. Die Zeiten sind nicht mehr, wo ich auf ein einziges Object alle meine Kräfte zusammenhäuffte. Ich fühle diese Veränderung lebhaft bey meinem Menschenfeind – um ihn vorzunehmen, darf ich kein Nebengeschäft haben. Auch lasse ich ihn jezt wieder liegen. Ich habe einige kleine Schritte darinn vorwärts gethan, und wenn ich noch dreimal daran gehe und ihn dreimal wieder weglege, so qualifizirt sich endlich das Stück zu einer gewissen Vollkommenheit. Eher, versichere ich Dir, schreibe ich keine Zeile an der Ausführung, bis ich mit dem Plane ganz und aufs genaueste in Ordnung bin, und bis dieser Plan alle meine Forderungen erfüllt.

Ein anderes Sujet habe ich schon seit einem halben Jahre im Kopfe, das weit einfacher ist und durch eine feine Behandlung äuserst viel gewinnen kann. An dieses mache ich mich jetzt; versteht sich, daß ich es einige Monate erst bey mir kochen lasse. Es ist einer griechischen Manier fähig und ich werde es auch in keiner anderen ausarbeiten.

Ich lese jetzt fast nichts als Homer. Ich habe mir Voßens Uebersetzung der Odyssee kommen lassen, die in der That ganz vortrefflich ist; die Hexameter weggerechnet, die ich gar nicht mehr leiden mag; aber es weht ein so herzlicher Geist in dieser Sprache, dieser ganzen Beareitung, daß ich den Ausdruck des Uebersetzers für kein Original, wär es noch so schön, missen möchte. Die Iliade lese ich in einer prosaischen Uebersetzung. In den nächsten 2 Jahren, habe ich mir vorgenommen, lese ich keine moderne Schriftsteller mehr. Vieles, was Du mir ehemals geschrieben, hat mich ziemlich überzeugt. Keiner thut mir wohl; jeder führt mich von mir selbst ab, und die Alten geben mir jetzt wahre Genüsse. Zugleich bedarf ich ihrer im höchsten Grade, um meinen eigenen Geschmack zu reinigen, der sich durch Spitzfündigkeit, Künstlichkeit und Witzeley sehr von der wahren Simplizität zu entfernen anfieng. Du wirst finden, daß mir ein vertrauter Umgang mit den Alten äußerst wohlthun, – vielleicht Classicität geben wird. Ich werde sie in guten Uebersetzungen studieren – und dann – wenn ich sie fast auswendig weiß, die griechischen Originale lesen. Auf diese Art getraue ich mir spielend Griechische Sprache zu studieren. Schreibe mir über diese Materie Deine Gedanken.

Daß Dir meine Critischen Briefe im D. Mercur gefallen, freut mich. Ich finde auch, daß sie gut geschrieben sind; Wieland hat sie sehr bewundert; ich bin begierig, was Du von der Fortsetzung halten wirst; hier hatte ich eine schlimme Sache zu verfechten aber ich glaube mich mit Feinheit daraus gezogen zu haben. Zugleich gebrauchte ich diese Briefe zu einem Vehikel, allerlei zu sagen, was sich mir da und dort aufgedrungen hat, und zu wenig ist, um in eigener Form behandelt zu werden. Nächste Woche gehts an die Fortsetzung des Geistersehers. Meine Geschichte soll denk ich in 4 Wochen gedruckt sein, wenn die Titelvignette, die sich Crusius nicht nehmen lassen will, keinen Auffenthalt macht. Oeser sollte die Zeichnung machen, nachdem er ihn aber vier Monate herumgezogen, nahm er sie ihm. Jetzt weiß ich nicht, in welches Stümpers Hände sie gefallen ist. Ich verlangte das Sinnbild der Freiheit.

Göthen habe ich noch nicht gesehen; aber Grüße sind unter uns gewechselt worden. Er hätte mich besucht, wenn er gewußt hätte, daß ich ihn so nahe am Wege wohnte, wie er nach Weimar reiste. Wir waren einander auf eine Stunde nahe. Er soll, höre ich, gar keine Geschäfte treiben. Die Herzogin ist fort nach Italien, und der Herzog wird nächstens bei euch in Dresden seyn. Göthe bleibt aber in Weimar. Ich bin ungeduldig, ihn zu sehen.

Die Herder soll ganz untröstlich seyn über die Abwesenheit ihres Mannes. Auf Pfingsten 1789 will er in Weimar wieder predigen.

Ich habe dieser Tage einen Trauerfall gehabt, der mich sehr rührte: die Frau, auf deren Gut ich war, ist gestorben. Es war ein recht gutes Wesen, und vorzüglich eine sehr gute Mutter für ihre vielen Kinder.

Zu einem Briefe an Raphael hat sich Stoff gesammelt, aber digerirt ist er noch nicht.

Lebe wohl und grüße mir alles recht herzlich. Wie schön wärs, wenn Du auf einem Dörfchen hier herum wohntest, und wir begegneten uns an dem Ufer der Saale! adieu.

S.