HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 21. Dezember 1795

Schiller an Gottfried Körner, 21. Dezember 1795

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Jena den 21. Dec. [Montag] 95.

Es macht mir Spaß Deiner Sagacität zuweilen in den Horen etwas aufzugeben; und Dein Takt leitet Dich selten falsch. Die Grazien, die Horen, der heilige Wahnsinn sind von Herdern; alles übrige, Schlegels Briefe abgerechnet, von mir; auch die zwey Schnurren. Der Aufsatz über aesthetische Sitten ist schon ein alter, und ganz wie er da ist, vor mehr als 2 Jahren in Schwaben gemacht. Der andre über das Naive leitet eine sehr wichtige Materie über naive und sentimentalische Poesie ein, welche in den zwei folgenden Stücken weitläuftig abgehandelt wird. Was ich darinn über den poetischen Geist und seine zwey einzig möglichen Aeußerungen sage, wirst Du Deiner Aufmerksamkeit werth finden; es öfnet, wie ich hoffe, einen neuen und vielversprechenden Weg in die Theorie der Dichtkunst, und kann in Rücksicht auf die poetische Critik nicht ohne Folgen bleiben. Doch Du magst selbst urtheilen. Vielleicht kann ich Dir die erste Hälfte noch ehe sie abgedruckt ist, in Mscrpt noch schicken. Ich werde durch diese Abhandlungen wenige Freunde bekommen; denn entweder habe ich unrecht oder man muß seine Urtheile über manche Dinge total reformiren. Das letztere will den Leuten schwer ein, besonders denen, die selbst eine Parthey sind, aber es möchte auf der andern Seite wieder nicht so leicht seyn, meine Gründe zu widerlegen. Ueber die deutschen Poeten habe ich meine Meinung zwar mit der Achtung die ihnen gebührt, aber ohne Indulgenz herausgesagt; ist man ja auch sehr aufrichtig gegen mich gewesen.

Kants kleine Schrift habe ich noch nicht gelesen (Deine Bemerkungen darüber sende mir ja). Mein Buchbinder hat sie noch. Ich lese jezt überhaupt sehr wenig, und leider! muß ich hinzusetzen hatte ich es bei meinem Mangel an Umgang und Zufluß aus dem lebendigen Gespräch jetzt am nöthigsten. Aber Du kannst Dir nicht einbilden, in welcher rastlosen Anspannung des Geistes ich leben muß: theils um den Plänen, die ich einmal umfaßt habe, gewachsen zu bleiben, theils um das Monatliche Bedürfniß der Horen zu befriedigen, worinn die Mitarbeiter mich auf das Erbärmlichste plantiert haben. Es ist ein unerwartetes Glück vom Himmel, daß ich dieser Spannung physischer Weise gewachsen bin, und überhaupt, bey aller Fortdauer und öftern Erschwerung meiner alten Uebel von der Heiterkeit meines Gemüths und der Kraft meines Entschlusses nichts verloren habe; obgleich alle äusern Ermunterungen fehlen, die mir die Lust erhalten könnten. Hätte ich meine gesunden Tage nur zur Hälfte so genutzt, als ich meine kranken benutze, so möchte ich etwas weiter gekommen seyn.

Wenn Funk noch in Dresden ist, so empfiehl ihm ja, mich bald zu besuchen. Ich habe schon sehr auf seine Mitwirkung bey den Horen gerechnet, und freue mich nicht wenig darüber, daß er von dem nächsten Feldzuge dispensiert bleibt. Bücher soviel er etwa nöthig haben möchte, hoffe ich ihm schon verschaffen zu können. Wenn er bey historischen Arbeiten bleibt, die immer mehr Masse geben als andre und mir für die Horen die willkommensten sind, so kann er ohne Mühe des Jahres 15 biß 20 Bogen liefern, und so ein hundert Ldors und darüber verdienen.

Dich will ich nicht dringen, denn hoffentlich mahnst Du Dich selbst und für die 2 ersten Monate ist wenigstens kein dringendes Bedürfniß. Aber Deiner eigenen Befriedigung und Ermunterung wegen wünschte ich doch, Du bildetest Dir ein, daß etwas schlechterdings fertig seyn müßte.

Der Almanach ist mir schon seit vielen Wochen immer auf den nächsten Posttag versprochen, und nun erwarte ich ihn im Ernst in diesem Jahre nicht mehr; denn ich bin dem elendsten Tropf von Buchhändler in die Hände gefallen. Indessen schicke ich Dir hier die Aushängebogen; sende sie mir sobald Du kannst wieder. Tausend herzliche Grüße von uns an Euch alle.

S.