HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 25. Dezember 1788

Schiller an Gottfried Körner, 25. Dezember 1788

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Weimar d. 25. Dec. [Donnerstag] 88.

Du wirst vorigen Posttag auf einen Brief von mir gerechnet haben, aber ein Paquet, das ich an Göschen fortzuschicken hatte, nahm mir auch die lezte Minute weg ob ich gleich gar nicht zu Bett gekommen war. Ich hätte Dir so gern gleich meinen vollen Beifall über Deinen Aufsatz geschrieben, der mich in der That, außer seiner sehr lichtvollen und durchdachten Auseinandersetzung durch das Verdienst eines sehr edeln und angenehmen Stils überrascht hat. Alles was mir zu wünschen übrig blieb, war, daß Du mit etwas mehr Ausführlichkeit ins Detail gegangen seyn möchtest, weil es nach Deiner Entscheidung immer noch strittig bliebt, wo die edle Kunstfreiheit aufhört und die Uebertreibung anfängt; denn natürlich wird jeder dem es um Einschränkung dieser poetischen Freiheit zu thun ist, Deinem Raisonnement eine willkührliche Auslegung geben. Mir schiens, daß Dir wirklich die Stolbergsche Sottise und mein Gedicht einige Details an die Hand gegeben haben würden, Deine allgemeine Richtschnur auf einen besondern Fall anzuwenden. Ueberhaupt, glaube ich, ist hier die allgemeine Regel festzusetzen. der Künstler und dann vorzüglich der Dichter behandelt niemals das wirkliche, sondern immer nur das idealische, oder das kunstmäßig ausgewählte aus einem wirklichen Gegenstande. Z. B. er behandelt nie die Moral, nie die Religion sondern nur diejenigen Eigenschaften von einer jeden, die er sich zusammen denken will – er vergeht sich also auch gegen keine von beyden, er kann sich nur gegen die aesthetische Anordnung oder gegen den Geschmack vergehen. Wenn ich aus den Gebrechen der Religion oder der Moral ein schönes übereinstimmendes Ganze zusammenstelle, so ist mein Kunstwerk gut, und es ist auch nicht unmoralisch oder gottlos, eben weil ich beyde Gegenstände nicht nahm, wie sie sind, sondern erst wie sie nach einer gewaltsamen Operation, d. i. nach Absonderung und neuer Zusammenfügung wurden. Der Gott, den ich in den Göttern Griechenlands in Schatten stelle, ist nicht der Gott der Philosophen oder auch nur das wohlthätige Traumbild des großen Haufens, sondern er ist eine aus vielen gebrechlichen schiefen Vorstellungsarten zusammengeflossene Mißgeburt. – Die Götter der Griechen, die ich ins Licht stelle, sind nur die lieblichen Eigenschaften der Griechischen Mythologie in eine Vorstellungsart zusammengefaßt. Kurz, ich bin überzeugt, daß jedes Kunstwerk nur sich selbst, d. h. seiner eigenen Schönheitsregel Rechenschaft geben darf und keiner andern Foderung unterworfen ist. Hingegen glaube ich auch festiglich, daß es gerade auf diesem Wege auch alle übrigen Foderungen mittelbar befriedigen muß, weil sich jede Schönheit doch endlich in allgemeine Wahrheit auflösen läßt. Der Dichter, der sich nur Schönheit zum Zwecke setzt, aber dieser heilig folgt, wird am Ende alle anderen Rücksichten, die er zu vernachlässigen schien, ohne daß ers will oder weiß, gleichsam zur Zugabe mit erreicht haben, da im Gegentheil der, der zwischen Schönheit und Moralität, oder was es sonst sey, unstet flattert oder um beide buhlt, leicht es mit jeder verdirbt. Hier entsinne ich mich einer Stelle aus einem ungedruckten Gedichte, die hierher paßt:

„Der Freyheit freye Söhne (die Künstler)
erhebt euch zur höchsten Schöne,
Um andere Kronen buhlet nicht!
Die Schwester, die euch hier verschwunden,
hohlt ihr im Schoos der Mutter ein.
Was schöne Seelen schön empfunden,
muß treflich und vollkommen seyn.“

Außerdem würde Dein Aufsatz, der wirklich für den Troß der Leser zu gründlich ist, durch einzelne Anwendungen auch auf andre Kunstwerke, wie der Nathan und dgl. ist, eine Anlockung mehr gehabt, und Du würdest die Freude gehabt haben, einen armen Sünder wie Stolberg, der eine gewisse Schätzung beim Publikum usurpiert, in sein wahres Licht gestellt zu haben. Indessen versichere ich Dir, (und ich glaube daß hier keine Parteylichkeit aus mir spricht) daß Dein Aufsatz eine feste Hand und eine schöne Diction verbindet, und daß Du allen Schwierigkeiten kecklich Troz bieten kannst.

Wegen meiner Sache danke ich Dir für Deinen Rath. Ich werde ihn befolgen, und fürchte mich überhaupt auch weniger, mich gut aus dieser Sache zu ziehen. Es müßte doch lächerlich seyn, wenn ich in jeder Woche nicht soviel zusammenlesen und zusammendenken könnte, um es einige Stunden lang auf eine gefällige Art auskramen zu können. Als Privatum räth mir Voigt über die Niederländische Rebellion zu lesen, wobey ich gewinne, daß ich sie für Crusius vollends bei der Gelegenheit ausarbeiten kann.

Aber Du setzest voraus, daß mir ein Fixum ausgeworfen werden würde, darinn irrest Du Dich sehr. Woher nehmen? Dieß war bei Reinhold ein ausserordentlicher Fall, weil man Himmel und Erde bewegte und sie heraus bettelte. Und eben dieser Fall macht einen zweyten desto schwerer. Ausserdem würde eine solche Betteley mich mehr erniedrigen, als 200 Thaler (soviel hat Reinhold) mir im Grunde helfen können.

Mein ganzes Absehen bey dieser Sache ist, in eine gewisse Rechtlichkeit und Bürgerliche Verbindung einzutreten, wo mich eine bessere Versorgung finden kann. Jena ist unter allen die mir bekannt sind dazu der einzig schickliche Platz. Mit 400 Thalern kann ich gemächlich leben; es hetzt mich während eines Jahres in academische Berufsgeschäfte ein, und gibt mir gewissermaßen einen gelehrten Nahmen, der mir nöthig ist, um gesucht zu werden. Zugleich bringt mich die Nothwendigkeit, in die es mich versetzt, mich mit Ernst auf das Geschichtsfach zu legen, schneller zu einem gewissen Vorrath von Begriffen, und erleichtert mich nachher das schriftstellerische Arbeiten im historischen Fach. Bey dem bischen Nahmen, den ich bereits habe, wird mir das Prädicat als Jenaischer Professor, nebst einer oder der andern historischen Schrift, die ich über Jahr und Tag herausgebe, doch wahrscheinlich irgendwo eine Vocation zuziehen, die mit einem honorablen Fixum verbunden ist, oder die die Jenaische Academie veranlaßt, mir eins auszuwerfen. Es ist kaum möglich, daß mir dieser Plan fehlschlagen kann – und wie hätt ich auf meinem bisherigen Wege dazu gelangen können? Denke diesen Gründen nach, so wirst Du finden, daß die Sache eine unabstreitbare gute Seite hat, und daß es sogar zu meinem Zwecke dient, mir für ein mittelmäßiges Gnadengeld keine Pflicht oder Verbindlichkeit aufgelegt zu haben.

Wir erwarten nun jede Woche die endliche Resolution von den sächsischen Höfen. Was ich noch gewünscht hätte, wäre gewesen, einen Vorschuß von 3 biß 400 Thalern zu erhalten, die ich erst in zwey Jahren zu zahlen hätte; aber ich würde auch dadurch mir drückende Verbindlichkeiten auflegen, wenn ich Jena einmal mit Vortheil verlassen wollte. Sonst hätte ich dieses durch Göthen zu betreiben gesucht. Schreibe mir aber doch Deine Meinung darüber.

In Jena sind meine Bedürfnisse gar gering, weil das nothwendige wohlfeil ist und auf keinen Luxus gesehen wird. Ohne daß es ein Mensch gewahr wird kann ich leben wie ein Student; alle gelehrte Bedürfnisse sind in reichem Maaße vorhanden, und auch an leidlichem Umgang und guten Freunden wird mirs nicht fehlen. Von dieser Seite hat es viele Vorzüge für mich.

Ist erst ein Jahr überstanden, so gewinnt alles eine bessere Seite; und auch in diesem Jahre soll mir niemand anmerken, daß ich noch nachzuhohlen habe. Ueberhaupt muß jedermann alles wissen!

Lebewohl. Wenn Dir etwas beyfällt, das ich nutzen kann, so schreibe mirs ja recht bald. Grüße mir die Weiber. Übrigens ist die Sache noch geheim zu halten.

Schiller.