HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 25. Februar 1789

Schiller an Gottfried Körner, 25. Februar 1789

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Weimar 25. Februar [Mittwoch] 1789.

Diesmal hast Du Dich ja außerordentlich angegriffen: drei Briefe in zweien und Manuscript. Ich weiß gar nicht, was ich Dir schönes genug sagen soll. Das letzte werde ich erst noch lesen; also zu den Briefen.

Ueber die Materie der Kunst, die wir zufällig aufgejagt haben, könnten wir eine herrliche Correspondenz unterhalten, noch besser aber sprechen; denn, ich weiß nicht, diese Ideen entwickeln sich ganz anders im Gespräche. Es ärgert mich, daß ich nicht gleich auf frischer That hingeworfen habe, was zwischen mir und Wieland darüber verhandelt worden ist; jetzt erinnere ich mich des Zusammenhangs nicht mehr. Wie er weg war, hatte ich etwas anderes zu thun, als Briefe zu schreiben; er ließ mir die Künstler da, um einige Veränderungen, worüber wir übereingekommen waren, darin anzubringen; dieses und das vorhergegangene Gespräch hieß mich das Gedicht noch einmal ansehen – und hier wurde ich glücklicherWeise einiger Schiefheiten und Halbwahrheiten gewahr, die dem besseren Gesichtspunkte, woraus das Ganze betrachtet seyn will, erstaunlichen Abbruch thaten. Ich warf es fast ganz durcheinander, und wirst Du Dich über das jüngste Gericht wundern, das darüber gehalten worden ist. Eine ganze Kette neuer Strophen, die zum Inhalt haben, das zu beweisen, was in der vorigen Edition ganz beweislos hingeworfen war, ist nunmehr eingeschaltet. Ich habe über den Ursprung und Fortgang der Kunst selbst einige Ideen hasardirt, und habe alsdann die Art, wie sich aus der Kunst die übrige wissenschaftliche und sittliche Bildung entwickelt hat, mit einigen Pinselstrichen angegeben. Das Ganze hält nun auch mehr zusammen, und dadurch, daß das, womit angefangen wird, im Laufe des Gedichts erwiesen und am Schlusse darauf, als auf das Resultat, zurückgewiesen wird, ist das Gedicht nun ein geschlossener Kreis. Es ist freilich voluminöser geworden, denn es beträgt dreimal so viel, als Du gelesen hast, und Verschiedenes, was Du gelesen hast, ist weg, so daß Du über zweihundert neue Verse finden wirst. Ich bin äußerst begierig, wie Du es nunmehr findest. Der Anfang ist ganz vortrefflich ausgefallen. Ich muß mich selbst loben. Gleich über der Schwelle strauchelte Wieland. Er wollte es nicht für ein Gedicht erkennen, sondern für philosophische Poesie, in der Art, wie Youngs Nächte und dergl. Eine Allegorie, die nicht gehalten sei, sich alle Augenblicke entweder in eine neue Allegorie verliere, oder gar in philosophische Wahrheit übergehe, das Durcheinanderwerfen poetisch-wahrer und wörtlich-wahrer Stellen incommodire ihn. Er vermißte die Einheit der Form, die das Ganze macht. Die malerische Sprache und das luxuriöse Uebergehen von Bilde zu Bilde blende ihn, so daß er vor Licht nicht sehe und dergl. Er nennt dieses Poesie in englischem Geschmack und gesteht, daß er sie nicht liebe, ohne sie geradezu kritisch verwerfen zu können. Ich glaube, daß diese Manier sich selbst schaden muß, wenn sie fehlerhaft ist, wenn man nicht weiß und faßt, was der Dichter will, wenn man von der Idee des Ganzen durch das Überladen in die Details zurückgezogen wird, so ist die Poesie natürlicherweise falsch; ist es aber immer derselbe Gedanke, den man in diesen neuen Formen wiederfindet, und schließen sie durch eine natürliche Fortschreitung aneinander, so muß, denke ich, diese Ueppigkeit in der Ausführung ein Vorzug mehr seyn. Die Hauptsache kommt nun bei einem Künstler darauf hinaus, ob der Hauptgedanke, um den ich mich bewege, den höchsten Grad der Anschaulichkeit erhalten hat. – Wieland wirft mir vor, daß ich nicht Leichtigkeit habe; er spricht mir auch ab, sie mir in dem Grade, wie er hat, zu erwerben. Goethe habe sie auch gefehlt, aber er habe sie sich erworben. Ich fühle während meiner Arbeiten nur zu sehr, daß er recht hat, aber ich fühle auch, woran der Fehler liegt; und dies läßt mich hoffen, daß ich mich sehr darin verbessern kann. Die Ideen strömen mir nicht reich genug zu, so üppig meine Arbeiten auch ausfallen, und meine Ideen sind nicht klar, ehe ich schreibe. Fülle des Geistes und des Herzens von seinem Gegenstande, eine lichte Dämmerung der Ideen, ehe man sich hinsetzt sie aufs Papier zu werfen, und leichter Humor sind nothwendige Requisiten zu dieser Eigenschaft; und wenn ich es einmal mit mir selbst dahin bringe, daß ich jene drei Erfordernisse zusammenbringe, so soll es mit der Leichtigkeit auch werden.

Das lyrische Fach, das Du mir anweist, sehe ich eher für ein Exilium, als für eine eroberte Provinz an. Es ist das kleinlichste und undankbarste unter allen. Zuweilen ein Gedicht lasse ich mir gefallen; wiewohl mich die Zeit und Mühe, die mir die Künstler gekostet haben, auf viele Jahre davon abschrecken. Mit dem Dramatischen will ich es noch auf mehrere Versuche ankommen lassen. Aber mit Goethe messe ich mich nicht, wenn er seine ganze Kraft anwenden will. Er hat weit mehr Genie als ich, und dabei weit mehr Reichthum an Kenntnissen, eine sichrere Sinnlichkeit, und zu allem diesem einen durch Kunstkenntniß aller Art geläuterten und verfeinerten Kunstsinn; was mir in einem Grade, der ganz und gar bis zur Unwissenheit geht, mangelt. Hätte ich nicht einige andere Talente, und hätte ich nicht soviel Feinheit gehabt, diese Talente und Fertigkeiten in das Gebiet des Dramas herüberzuziehen, so würde ich in diesem Fache gar nicht neben ihm sichtbar geworden seyn. Aber ich habe mir eigentlich ein eigenes Drama nach meinem Talente gebildet, welches mir eine gewisse Excellence darin giebt, eben weil es mein eigen ist. Will ich in das natürliche Drama einlenken, so fühl ich die Superiorität, die er und viele andere Dichter aus der vorigen Zeit über mich haben, sehr lebhaft. Deswegen lasse ich mich aber nicht abschrecken; denn eben, je mehr ich empfinde, wie viele und welche Talente oder Erfordernisse mir fehlen, so überzeuge ich mich desto lebhafter von der Realität und Stärke desjenigen Talents, welches, jenes Mangels ungeachtet, mich soweit gebracht hat, als ich schon bin. Denn ohne ein großes Talent von der einen Seite hätte ich einen so großen Mangel von der anderen nicht so weit bedecken können als geschehen ist, und es überhaupt nicht so weit bringen können, um auf Köpfe zu wirken. Wieland selbst hat mir mehr als einmal eingestanden, daß ich ihm in verschiedenen Stücken überlegen sei. Mit dieser Kraft muß ich doch etwas machen können, das mich so weit führt, ein Kunstwerk von mir neben eins von den seinigen zu stellen.

Was Du mir von künftigen Revisionen meiner jetzigen Stücke sagst, mag wohl wahr seyn. Sie jetzt vorzunehmen, würde mir ebensowenig angenehm seyn, als es mir wenig gelingen würde. Mein nächstes Stück, das schwerlich in den folgenden zwei Jahren erscheinen dürfte, muß meinen dramatischen Beruf entscheiden. Ich traue mir im Drama dennoch am allermeisten zu, und ich weiß, worauf sich diese Zuversicht gründet. Bis jetzt haben mich die Plane, die mich ein blinder Zufall wählen ließ, aufs Aeußerste embarrassirt, weil die Composition zu weitläufig und zu kühn war. Laß mich einmal einen simplen Plan behandeln und darüber brüten. Einen solchen habe ich in petto, und damit werde ich auch debutiren. Der Menschenfeind ist mir zu verwickelt und zu schwer, als daß ich die neue Manier daran zuerst versuchen könnte; aber vielleicht gründet der Menschenfeind einmal meinen ganzen Credit.

Die Vorstellung des Carlos mag Euch doch interessirt haben. Nur bin ich von uns fünf der einzige, der ihn nicht spielen gesehen hat, und auch sobald nicht spielen sehen wird. Desto besser! Wenn ich ihn in drei oder vier Jahren zum erstenmale sehe, so wird diese Vorstellung gewiß von wichtigen Folgen für ihn seyn.

Deine Uebersetzung kommt für den März des Mercur zu spät. Ich kann sie also, wenn Du bei Wieland mit einem Originalaufsatze debutiren willst, so lange bei mir liegen lassen, weil sie bei ihm auch zwei bis drei Wochen müßig liegen würde.

Mein Contract mit Mauke in Jena wegen der Memoires ist schriftlich aufgesetzt, und durch Bertuchs Verhandlung sehr vortheilhaft für mich. Macht er eine zweite Auflage von dem Werke, so bekomme ich von dem Bogen zwei Thaler; und wenn ich das Werk aufs Neue durchsehe, daß er verbesserte Auflage auf den Titel setzen kann, so erhalte ich das ganze Honorar von einem Carolin dafür. Bei Ablieferung des ganzen Manuscripts zu einem Bande ist stipulirt, daß er mir sogleich sechzehn Carolin baar und den Rest nach Vollendung des Drucks bezahlt.

Meine niederländische Geschichte ist in der allgemeinen Literaturzeitung sehr vortheilhaft recensirt. Ich will Dirs beilegen, weil ich just eine Dublette habe. Diese Recension ist wirklich unter den jetzigen Umständen nicht unbedeutend für mich.

Lebe wohl, und schreibe mir bald wieder so freigebig. Du hast mir eine große Freude gemacht. Grüße an Minna und Dora; das Bonmot der Minna über den Himmelstrich ist gar gut. Charlotte empfiehlt sich Euch. Ich sehe sie zwar selten, aber doch am meisten von allen hiesigen Menschen. Sie wird Dir nächstens einmal wieder schreiben. Die andere Minna grüße freundlich von mir. Ich danke ihr für ihr gutes Andenken.

Adieu.

S.