HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 27. Dezember 1796

Schiller an Gottfried Körner, 27. Dezember 1796

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Jena 27. Xbr. [Dienstag] 96.

Meine Nachlässigkeit im Schreiben wird Dich vermuthen lassen, daß ich jetzt sehr in meine Arbeit vergraben sei, und so ist es auch. Ueber dem Anstaltmachen und Meditiren kam ich in die Ausführung selbst hinein, und finde, daß selbst der Plan, bis auf einen gewissen Punkt, nur durch die Ausführung selbst reif werden kann. Ohne diese ist man wirklich in Gefahr, kalt, trocken und steif zu werden, da doch der Plan selbst aus dem Leben entspringen muß. Ich bin nun ganz in der Ausführung, und werde in etlichen Wochen den ersten Act vollendet haben, welches bei weitem der größte, und wegen Anlage der Charaktere wohl auch der schwierigste ist. Mit Ende des 2ten Acts ist die ganze Exposition gegeben, und alle Charaktere, die bedeutenderen ohnehin, eingeführt; so daß nach Beendigung dieser zwei ersten Acte die 3 übrigen nur als die organische Entwickelung aus diesem stamen anzusehen sind. Ich bin mit dem Bishergeleisteten wohl zufrieden, und habe guten Muth wegen des Folgenden.

Burgsdorf, der Dir diesen Brief bringt, hat uns nun auch verlassen. Sein Umgang war uns recht angenehm; ich liebe so ruhig empfangende Naturen sehr. –

Hast Du der Madame de Stael Schrift: Sur l’influence des passions gelesen? Sie wird Dich durch die Energie und durch das Geistreiche ihres Inhalts gewiß anziehen. Sie hat zwar gar keinen gefälligen, eher einen schneidenden Verstand, und ist für einen ästhetisch-schönen Eindruck zu passionirt und zu heftig; aber es interessirt in hohem Grade, wie sie die Weltmasse aufgenommen hat, die sich in den letzten 6 Jahren um sie herumbewegte, was für Resultate sie daraus gezogen, wie sie sich mit ihrem Geiste dagegen gerüstet hat.

Noch mehr und aus ganz andern Gründen wird Dich Diderots Schrift Sur la peinture, die jetzt auch deutsch herausgekommen ist1, anziehen. Ich habe lange nichts Besonderes aus dem Fache der Kunst-Kritik und Kunst-Philosophie gelesen, was mir so viel zu denken gegeben hat. In seinem heitern jovialen Humor sagt er die vollwichtigsten Dinge, und streut auf jeder Seite die reichhaltigsten Wahrheiten aus. Obgleich der Titel bloß auf die Malerei hindeutet, so findet man darin, wie auch zu erwarten war, viel allgemeinere Principien, und kann in Rücksicht auf Poesie mehr, als in Rücksicht auf bildende Kunst sich daraus nehmen. Du wirst Dich nicht daran verkaufen, wenn Du dies Buch bekommen kannst.

Lebe wohl. Die Kinder befinden sich recht gesund. Wir grüßen Dich und Minna herzlich.

Dein Sch.