HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 28. Juli 1787

Schiller an Gottfried Körner, 28. Juli 1787

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Weimar d. 28. Jul. [Sonnabend ] 87.

Unsern Briefwechsel, mein lieber, lege ich mir fürjezt noch als einen künftigen Genuß zurück. Mein Geist ist nicht gesammelt, und meine Zeit nicht in meiner Gewalt. Er sollte Dich mit meinen Empfindungen bekannt machen und ich habe biß jezt noch nicht an mich gedacht. Erst in einigen Tagen beziehe ich meine Wohnung, bis dahin nimm vorlieb mit einem Zeitungston.

Gestern habe ich einen vergnügten Tag gehabt. Ich bekam eine Einladung von der Herzogin und Wieland sollte mit mir nach Tiefurth fahren. Dieses geschah. Unterwegs hatt’ ich Gelegenheit, verschiedenes von ihm herauszubringen, das mir am Herzen lag. Es wird Dich freuen wenn ich Dir sage, daß sich ein Verständniß unter uns bildet, wie ich es mir lange gewünscht habe. Der Ton, auf den er sich schnell mit mir gestimmt hat verräth mir Zutrauen, Liebe und Achtung. Soviel seh ich offenbar, daß er mich vor den meisten schriftstellerischen Menschen unsers Deutschlands auszeichnet und hohe Erwartungen von mir hegt. Mit meinen bisherigen Producten (den Charlos soll er erst lesen) ist er übel zufrieden, wie er mir aufrichtig gesteht; aber er versichert mir dass er nie daran gezweifelt habe, ich könnte und würde ein großer Schriftsteller werden. Sein Urtheil über mich ist so ziemlich das unsrige. Ich habe sagte er, eine starke Zeichnung, große und weitläufige Compositionen, ein lebhaftes Colorit, aber nicht Correction, Reinheit, Geschmack. Delikatesse und Feinheit vermißt er auch in meinen Produkten. Es kommt nun darauf an, ob der Carlos ihm beweisen wird, daß ich diesen mangelnden Attributen näher gekommen bin. Ich mußte ihm gleich den Abend, als wir nach Hause kamen, ein Exemplar davon schicken, weil Reinhold das seinige nach Jena genommen hatte. Er will den Carlos mit mir lesen und mir im Detail davon seine Meinung sagen. Alle diese Freiheiten, hat er mir oft wiederhohlt, würde er sich nicht gegen mich erlauben, wenn ich ihn nicht sehr interessierte.

Unterwegs bereitete er mich auf die Herzogin vor. Er suchte mich zur Toleranz für sie zu stimmen, weil er wisse, daß sie verlegen seyn würde. Es gieng alles nach Wunsch. Ich traf sie mit dem Kamerherrn v. Einsiedel und einer Hofdame im Gartensaal.

In einer kleinen halben Viertelstunde war die ganze Bekanntschaft in Ordnung. Wir waren zwei Stunden dort, es wurde Thee gegeben und von allem möglichen viel schaales Zeug geschwatzt. Ich gieng dann mit der Herzogin im Garten spazieren, wo ich sie schönstens, aber beinahe mit sovieler Arbeit, wie Mlle Charpentier unterhielt. Sie zeigte mir alles merkwürdige, Wielands Büste, die dort aufgestellt ist, ihres Bruders, des Herzogs Leopold v. Braunschweig Monument und andres. Nachher giengen wir in ihr Wohnhaus, das überaus einfach und in gutem ländlichen Geschmack moeubliert ist. Hier wurden mir einige schöne Landschaften von Kobell gezeigt. Gegen Abend empfahlen wir uns und wurden mit HerrschaftsPferden nach Hause gefahren. Wieland, der keine Gelegenheit vorbeiläßt mir etwas angenehmes anzukündigen, sagte mir dass ich sie erobert hätte. Und wirklich fand ich dieses in der Art, wie sie mich behandelt hatte, ihre Hofdame, ein verwachsenes und mocquantes Geschöpf der ich einige Aufmerksamkeit bewies war so galant, mich mit einer Rose zu regalieren, die sie im Garten für mich suchte. – Diesen morgen empfange ich wieder eine Einladung zum Thee, Concert und Soupee bei der Herzogin.

Sie selbst hat mich nicht erobert. Ihre Physiognomie will mir nicht gefallen. Ihr Geist ist äuserst borniert, nichts interessiert sie, als was mit Sinnlichkeit zusammenhängt, diese gibt ihr den Geschmack den sie für Musik und Mahlerei und dgl. hat oder haben will. Sie ist selbst Componistin, Göthens Erwin u. Elmire ist von ihr gesetzt. Sie spricht wenig, doch hat sie das Gute, keine Steifigkeit des Ceremoniells zu verlangen, welches ich mir auch treflich zu nutze machte. Ich weiss nicht, wie ich zu der Sicherheit meines Wesens, zu dem Anstand kam, den ich hier behauptete. Charlotte versichert mir auch, daß ich es hier überal mit meinen Manieren wagen dürfe. Biß jezt habe ich, wo ich mich zeigte, nirgends verloren. Charlottens Idee von mir hat mir Zuversicht gegeben, und die nähere Bekanntschaft mit diesen Weimarischen Riesen – ich gestehe Dirs – hat meine Meinung von mir selbst – verbeßert.

Nunmehr freue ich mich auf die junge Herzogin, von der mir allerwärts viel Vortrefliches gesagt wird. Bei der Alten hatte ich zu überwinden, weil sie meine Schriften nicht liebt und ich ihr fremd war. Die junge ist meine eifrige Patronin und meinen Arbeiten ganz vorzüglich gut. Charlotte hat mehrmals mit ihr von mir gesprochen und sagt mir daß ich bei ihr sein dürfte was ich bin, dass ich sie für alles schöne und edle empfänglich finden würde. In 14 Tagen wird sie hier seyn. Der Herzog aber kommt erst im September. Eine unangenehme Neuigkeit für mich.

Mein Verhältniß mit Charlotten fängt an hier ziemlich laut zu werden, und wird mit sehr viel Achtung für uns beide behandelt. Selbst die Herzogin hat die Galanterie, uns heute zusammen zu bitten, und dass es darum geschah, habe ich von Wieland erfahren. Man ist in diesen Kleinigkeiten hier sehr fein, und die Herzoginnen selbst lassen es an solchen kleinen Attentionen nicht fehlen.

Nunmehr habe ich das Logis in Beschlag genommen, das Charlotte vorher gehabt hat. Es kostet mir das Vierteljahr mit den Moeubles 17 und ½ Thaler: viel Geld für 2 Zimmer und eine Kammer. Einen Bedienten, der zur Noth schreiben kann, habe ich für 6 Thaler angenommen.

[den 29. Jul. Sonntag].

Gestern Abend also war ich mit Charlotten in Tiefurth. Unsre dortige Gesellschaft war Wieland, Graf Solmes, der hier durch seine ausgezeichnete Verstandes Gaben und Kenntnisse sehr viel Aufsehen macht, und ein preußischer Offizier Schlick und seine Frau, die Du vermuthlich dem Rufe nach kennst, spielten meisterhaft, er das Violonzello und Sie die Violine. Charlotte fuhr nach dem Concert nach Hause, weil sie sich nicht wohl fühlte; ich mußte aber auf ihr Verlangen zurückbleiben. Das Soupee war, im Geschmack des ganzen, einfach und ländlich, aber auch ganz ohne Zwang. Charlotte will behaupten, daß ich mich diesen Abend zu frey betragen habe; sie zog mich auch auf die Seite und gab mir einen Wink. Ich habe, sagte sie, auf einige Fragen, die die Herzogin an mich gethan, nicht dieser sondern ihr geantwortet und die Herzogin stehen lassen. Es kann mir begegnet seyn, denn ich besann mich niemals, daß ich Rücksichten zu beobachten hätte. Vielleicht habe ich der H. dadurch mißfallen.

Als wir nach Weimar zurückkamen, fanden wir Gotter mit Ettingern und seiner Frau eben aus Gotha angelangt. Es formierte sich noch eine Punschpartie zwischen Solmes, Einsiedel, Gotter und mir.

Gotter ist ein zerrissener Karakter, dem ich mich nie hingeben könnte. Er hat viele, aber französische Bildung, viel Geist und Witz, aber dabei eine Nüchternheit, die mich abschröckt. Hier ist er sehr anerkannt. Seine Gedichte mußt Du kaufen. Sie verdienens. Das lezte, das er gemacht hat, ist ganz vortreflich, es heißt Die Flucht der Jugend.

Gotter und die Ettingern sind auch von Charlottens Bekanntschaft.

Als ich Gottern und den Carlos hörte, erfuhr ich zu meinem Erstaunen etwas ganz neues – daß die Scene des Königs mit Carlos nach dem Tode des Marquis die beste wäre, und nach dieser Carlos Gefangennehmung bei der Eboli. Die Scene Philipps mit dem Marquis würde er vielleicht gar nicht berührt haben, wenn er sie nicht getadelt hätte, sie wäre in Ph. Karakter unmöglich. Die Scene des Marquis mit der Königin erwähnt er auch nur in so fern, als er sagte, es verdrieße ihn, daß die Königin den Marquis um seines Opfers willen tadle. Als ich ihn auf die wahre Ursache aufmerksam machen wollte, zeigte sichs, daß er nichts davon geahndet hatte. Er verwarf es aber ganz, was ich damit wollte.

Die Wirkung, die der Carlos auf Charlotte gemacht hatte, war mir angenehm, doch fehlte es ihr (weil sie krank und schwach war) oft an Sammlung des Geists, selbst an Sinn. Des Königs sogenannter Monolog hat auf sie erstaunlich viel Wirkung gethan. Die Stellen im Stück, die ich auf sie gleichsam berechnet habe, wovon ich Dir gesagt, erreichten ihre Wirkung ganz. Des Marquis Scene mit dem König that viel auf sie, aber alles faßte sie nicht beim ersten Lesen. Auf sie wirkte die Schönburgsche Scene recht sehr, aber auch sie verstand nicht gleich, was ich mit dem Ausgang derselben wollte.

[d. 31. July Dienstag.]

Gestern Abend war ich von 4 biß ½ Zehn Uhr in Wielands Gesellschaft. Es war verabredet dass er mich um 6 Uhr in den Clubb führen sollte. Der Tag war schwühl und ich fand ihn von der Hitze fast gelähmt. Wieland ist hypochondrisch-besorgt für seine Gesundheit dass er mitten im heißen Sommer nach Zehn Uhr Abends nicht ohne Mantel geht. Heute aber litt er durch die Hitze und eine körperliche Apathie sprach aus allem, was er sagte.

Wir sprachen von Thätigkeit, und das Gefühl seiner Ermattung, glaube ich war es, was ihm seine heutige Philosophie eingab; denn er declamierte gegen alle Wirksamkeit als etwas äuserst undankbares. Von der politischen erklärte er, daß kein ganz rechtschaffener Mann einen großen Posten darin bekleiden oder erhalten könne, das bewies er mit Turgots Beispiel, den er äuserst verehrt. Ich nahm mich mit Wärme der schriftstellerischen an, und zwang ihm doch endlich ab, daß er diese als etwas positives betrachtete. Doch auch hier verrieth sich der Unmuth seines Hertzens. Er führte mir an, daß er jetzt mehrmalen Briefe von jungen Leuten erhielte, die ihm deutlich zeigten, daß man ihn nur für einen Professor halte, der ein Journal herausgebe. Bei lebendigem Leibe fange er an vergessen zu werden, und nach seinem Tode werde es ganz vorbei seyn. Ich sagte ihm, daß diese jungen Leute, wenn sie zehen Jahre älter geworden, anders an ihn schreiben würden. Er konnte sich aber nicht zufrieden geben. Man sieht, daß er ungern ins Dunkle tritt. Er brach das Gespräch ab und erinnerte mich daß ich ihm meine Geschichte versprochen hätte. Diese erzählte ich ihm also biß dahin, wo sich die Idee zu den Räubern bei mir entwickelte. Hier wurden wir abgebrochen, er ließ sich zum Clubb frisieren und schloss mir so lange seine Bibliothec auf. Meine Geschichte hatte ihn sehr aufmerksam erhalten, er fand Ähnlichkeiten darinn mit seiner eigenen.

In seiner Bibliothec (die ich aber kaum anfangen konnte zu durchlaufen) wimmelte es von französischen Feenmährchen, Romanen und dergleichen Schriften, von englischen Romanen und italienischen Dichtern, an welchen seine Bildung und Schriftstellerei hängen mag. Ich fand Gotters Gedichte, die mir neu waren, und untersuchte die übrigen Fächer für heute nicht weiter. Wir giengen in den Clubb, wo wir nur einige wenige fanden. Da das Wetter ganz vortreflich war, schlug er einen Spaziergang im Stern vor. Hier bezahlte er mir meine Geschichte mit der seinigen, die ich Dir aber ein andermal erzählen will. Sie war auch nicht zum dritten Theil beendigt, als wir zum Abendessen im Clubb anlangten. Er hat mir einen großen Beweis seins Vertrauens an diesem Tage gegeben, weil ich auch sehr aufrichtig gegen ihn gewesen war. Er entdeckte mir die Entstehung einiger Gedichte, der Comischen Erzählungen und der Musarion. Er würde mir vielleicht einmal ein Buch schicken, sagte er, woraus er die erste Idee zu dem lezten genommen habe. Ich bat ihn angelegentlich darum. Eigentlich wäre es nicht in der Ordnung, sagte er mir bei dieser Gelegenheit, dass er mir meine Offenherzigkeit mit der seinigen bezahle, denn ich wäre ein junger Mann und er ein alter – doch wolle er mich an Geist zehen Jahre älter und sich um eben soviel jünger annehmen und es auf diese Art gleichmachen. Das Buch sollte ich einmal haben. Da ich ihn soweit kenne, und durch andre Menschen über ihn unterrichtet war, so erstaunte ich wirklich über diese Redlichkeit gegen mich, mir eine Blöße zu verrathen. Bei Tische mußte ich sein Gast seyn. Das Abendmal war der Conversation nach heute sehr prosaisch; in allem waren heute neun Menschen, einige seichte Cavaliers und Rath Kraus, dessen Bekanntschaft ich schon gestern gemacht, der ein übrigens guter Mensch ist und sehr zuvorkommend und höflich gegen mich gewesen war. Er hat auf einen Besuch, den ich ihm machen wollte, wo ich ihn nicht traf, drei eben so fruchtlose Gegenbesuche gemacht, biß ich ihn endlich in seinem Hause traf. Er hat sich zu allen Diensten bei mir erboten.

Durch mein Engagement zum Clubb hatte ich mir eine Parthie verschlagen, wozu ich mit Gottern gebeten war. Sie war im Belvedere; die Schröder war dabei, Einsiedel und Schlicks. Auf dem Spaziergange mit Wieland im Stern hatte ich durch Wieland einige Weimarische Menschen kennen lernen, die an uns vorbei passierten. Ein Spaß begegnete mir. Wir stießen auf drei Frauenzimmer, worunter die mittlere und größte sehr hübsch war. Eine andere junge und eine alte waren dabei, die sich sehr vertraut mit Wieland unterhielten. Ich blieb in einiger Entfernung gleichgültig zurück, unterließ aber nicht meine Augen an der Schönen zu weiden. Als sie weg waren, fragte ich Wieland ziemlich hastig, wer diese Schöne gewesen. „Ein Fräulein von –“ (ich weiß den Namen nicht mehr) war die Antwort. – Und die anderen? – „Meine Frau und Tochter.“ Ich wurde roth bis über die Ohren, weil ich erstaunlich gleichgültig nach den lezteren gefragt hatte, denn Wieland hatte mich seiner Familie noch nicht vorgestellt gehabt und also kannte ich sie nicht. Er half mir aber aus dieser Verlegenheit, indem er sich selbst über die Schönheit der andern verbreitete. Frau Hofrat Wieland und ihre Tochter aber möchten mich für einen Grobian halten. Stellt euch mein Herzeleid vor, – Charlotte kündigt mir an, daß ich als Weimarischer Rath, sobald ich in der Stadt selbst mich dem Hof präsentieren wolle, beim hiesigen Adel und den ersten bürgerlichen Cermonien-Besuche machen müsse. Ob das gleich nun durch bloße Carten ausgerichtet zu werden pflegt und ich meinen Bedienten habe, so stehe ich doch in Gefahr, bei einigen angenommen zu werden, und wenn auch nicht, so ist eine halbe Woche schändlich verloren. Ich kann mich, ohne einen großer Fehler gegen die Lebensart zu begehen, nicht davon ausschließen.

Nun lebet wohl, tausend, tausend Grüße. Deinen Brief, lieber Körner, habe ich erhalten, und danke Dir, daß Du den meinigen nicht erst hast abwarten wollen. Ich freue mich Deiner Hoffnungen. Möchtest Du Dich auch bald der meinigen freuen können! – In meinem ersten Brief vergaß ich Dir zu schrieben, dass mir Göschen 30 Thaler gleich bezahlt hat. Mit dem gebundenen Carlos habt Ihr recht gethan, aber den im Englischen Band, der durch die Mine bei demselben Buchbinder bestellt ist und nun fertig seyn wird, laß abhohlen und bezahl ihn indessen. Diesen schicke mir auch sobald als möglich zu. Ich schließe diesen Brief in meinem neuen Logis, wo ich nun eingerichtet bin.

Noch einmal adieu. Euch allen einzeln zu schreiben ist mir bis heute nicht wohl möglich gewesen, aber es geschieht bald. Behaltet mich lieb. Ich bin ewig

der eurige

Schiller.

Grüßt Kunzens.