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Schiller an Gottfried Körner, 29. August 1787

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Weimar, d. 29. August [Mittwoch] 87.

Ich habe Dir also von Jena zu erzählen. Mit der Rheinhold und Charlotte reißte ich dahin. Es ist 3 Meilen von Weimar, und der Weeg dahin ist Chaussée aber eine leere traurige Landschaft. Nahe bei Jena belebt sich die Gegend und verspricht eine schöne Natur, die man dort im reichen Maase auch findet. Jena ist, oder scheint, ansehnlicher als Weimar; längere Gassen und höhere Häuser erinnern einen, dass man doch wenigstens in einer Stadt ist. Nicht weit vom Thore wohnen Reinholds in einem geräumigen artig moeublierten Haus. Er empfieng uns beim Aussteigen; alle Façons blieben unter uns weg, wir waren Bekannte, ehe wir die Treppe ganz hinaufgestiegen waren. Reinhold hat ein verständiges Gesicht, aber sein Ansehen ist blaß und kränklich, seine Augen, möchte ich sagen, suchen Sympathie. Er ist noch wenig in der Welt orientiert, daher bemerkt man an ihm Verlegenheit, Ängstlichkeit und gegen Höhere Submission. Er scheint mir sehr von Rücksichten abzuhängen, welche bekanntermaasen auf diejenigen Menschen am meisten Gewalt haben, denen gewisse Verhältnisse fremd und ungewohnt sind und deren Selbstgefühl noch nicht bevestigt genug ist. Daher mißfiel er mir in verschiedenen Gesellschaften. Das Hauswesen der beiden Leute hatte für mich etwas komisches, weil es ihnen noch nicht recht angewohnt ist und sie das Coulissenspiel noch nicht zu verdecken wissen. Beide leben mäßig und führen eine sehr eingeschränkte Wirthschaft. Reinhold steht sich jetzt ohngefähr auf 600 biß 700 Thaler, seine Revenuen vom Merkur, den er mit Wieland theilt, und von der Litteraturzeitung, woran er arbeiten hilft, dazu gerechnet. Erst mit dem October fangen seine Vorlesungen an, welche Kants Philosophie und schöne Wissenschaften zum Inhalt haben. Gegen Reinhold bist Du ein Verächter Kants, denn er behauptet, daß dieser nach 100 Jahren die Reputation von Jesus Christus haben müsse. Aber ich muß gestehen, daß er mit Verstand davon sprach, und mich schon dahin gebracht hat mit Kants kleinen Aufsätzen in der Berliner Monatsschrift anzufangen, unter denen mich die Idee über eine allgemeine Geschichte außerordentlich befriedigt hat. Daß ich Kanten noch lesen und vielleicht studieren werde, scheint mir ziemlich ausgemacht. In kurzem sagt mir Reinhold wird Kant eine Kritik der praktischen Vernunft oder über d. Willen – und dann auch eine Kritik des Geschmaks herausgeben. Freue Dich darauf.

Rheinhold, wenn Du es noch weißt, ist katholisch und Noviz des Jesuiterordens gewesen, dessen Aufhebung sein ganzes jeziges Schicksal gemacht hat. Ein Mädchen, das er heurathen wollte raubte ihn dem geistlichen Stande (welchen Theil seiner Geschichte er mir aber noch schuldig ist) und nachher schwur er seinen Glauben ab. Jezt haßt er den Katholizismus so herzlich als nur ein Philosoph. Blumauer brachte ihn in Wielands Bekanntschaft, dem er bald gefiel, dem er in kurzem zum Bedürfniß wurde, vornehmlich auch durch den Beitrag seiner Feder. Sophie, (Wielands älteste Tochter, Reinholds jetzige Frau) damals ein äuserst rasches reizbares Wesen, verliebte sich in ihn und diese Leidenschaft machte aus diesem sprudelnden Geschöpfe ein recht liebes und sanftmüthiges Weib. Sophie hat die ganze Gesichtsbildung und die größte Portion von dem Karakter und Temperament ihres Vaters zum Erbtheil bekommen. Aber zur Ehre gereicht es diesem – oder vielleicht der mütterlichen Aufsicht der Natur – daß sich in diesem Geschöpfe die ganze lebendige Kraft der Natur, die volle Blüthe des Gefühls bei der reinsten Grazie der Unschuld erhalten hat. In der That ist es das unverdorbenste Geschöpf, und wenn man einige Kleinigkeiten abrechnet, die ihr die Celebrität ihres Vaters gleichsam aufgedrungen hat, so ist sie auch ganz schmucklose Natur. Kurz – ich gestehe Dir daß ich ihr herzlich gut geworden bin, und daß ich es anfangs gar nicht willens war. Sonst ist sie äuserst populär und nichts weniger als mit Idealen aufgefüttert. Unsern Weibern müßte sie behagen, und hab’ ichs schon mit ihr verabredet eure Bekanntschaft zu machen. Aus meiner Schilderung schließest Du wahrscheinlich schon, daß sie mir auch nicht abhold ist – aber ich versichere Dir daß dieses dem Zeugnis, das ich von ihr ablege, keinen Abbruch thut. Sie wird mir bald schreiben, und dann sollst Du sie aus ihrem Briefe näher kennen lernen.

Charlotte fuhr denselben Abend wieder nach Weimar. Ich blieb aber 6 Tage in Jena, dann hohlte mich Charlotte wieder ab. Diese 6 Tage brachte ich im Reinholdischen Hause sehr angenehm zu, und ich muß hinzusetzen: noch nie ist mirs in einem fremden Orte so behaglich gewesen. Ganz glücklich kann ich nirgends und nie seyn, das weißt Du, weil ich nirgends die Zukunft über der Gegenwart vergessen kann. Ich war sechs Tage müßig in Jena. Schon allein das mußte mir die reine Freude vergiften.

Übrigens folgre aus dieser Schilderung nicht, daß Reinhold und ich Freunde seyn müssen oder schon sind. Reinhold kann nie mein Freund werden, ich nie der seinige, ob er es gleich zu ahnden glaubt. Wir sind sehr entgegengesetzte Wesen. Er hat einen kalten klar sehenden tiefen Verstand, den ich nicht habe und nicht würdigen kann; aber seine Phantasie ist arm und enge, und sein Geist begränzter als der meinige. Die lebhafte Empfindung, die er im Umgange über alle Gegenstände des Schönen und Sittlichen ergiebig und verschwenderisch verbreitet, ist aus einem fast vertrokneten ausgesognen Kopfe und Herzen unnatürlich hervorgepreßt. Er ermüdet mit Gefühlen, die er suchen und zusammenscharren muß. Das Reich der Phantasie ist ihm eine fremde Zone, worinn er sich nicht wohl zu orientieren weiß. Seine Moral ist ängstlicher als die meinige, und seine Weichheit sieht nicht selten der Schlappheit, der Feigheit ähnlich. Er wird sich nie zu kühnen Tugenden oder Verbrechen, weder im Ideal noch in der Wirklichkeit erheben, und das ist schlimm. Ich kann keines Menschen Freund seyn, der nicht Fähigkeit zu einem von beiden oder zu beiden hat. Reinhold hat mir über Wieland die Augen geöfnet. So wenig ich mich zwar auf seine Urtheile über Menschen verlassen kann (denn seine Menschenkenntnis ist wo möglich noch schlechter bestellt als die meinige), so hab ich mir doch aus den Faktis, die er mir nach und nach vorlegte, einige Beleuchtungen über Jenen verschafft. So ein unmäßiger Vergötterer er auch von ihm ist, so gestand er mir doch daß ihn Wielands ungleicher Karakter auf das schrecklichste schon mishandelt habe. Wieland, ob ihm gleich Rheinhold unter allen Menschen der liebste ist, hat diesen durch üble Launen und abwechselndes Anziehen und Zurückstoßen eigentlich aus Weimar getrieben. Heute hab er ihn für einen großen Geist und morgen für einen Esel erklärt. Niemand als Wielands Frau, die alle Ungewitter abwartet, kann in seiner Atmosphäre dauren. Du wirst also begreifen, daß es ganz ohne Hexerei und ohne Verhetzungen zugegangen sein konnte, daß er und ich auseinanderkamen. Wieland, sagte er mir, sei der schlechteste Menschenkenner, und dieses wird mir von allen die ihn kennen bestätigt. Blumauer ist seine Leidenschaft. Nachdem dieser hier gewesen war, hat er erklärt, daß ihm nur darum das Leben lieb wäre, weil Blumauer das nächste Jahr wiederkommen würde. Göschen hat ihn auch gleich weggehabt. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, durch welchen wenigen Aufwand er zu erobern ist. Diese Inconsequenz und diese Wandelbarkeit der Laune erkennt er selbst, und kann, wie mir Reinhold sagt, in der folgenden Stunde abbitten und schmelzen wie ein Kind. – Aber ich mag mit solch einem Menschen nicht leben. Wieland hat eine gar sonderbare Neigung um Fürsten zu wohnen. Reinhold und seine Tochter versichern mir, daß sie vorzüglich der Pracht der Moeublierung zuzuschreiben sei, die er in ihren Zimmern finde. Für dieses hat er eine ganz besondere Schwäche. Etwas natürlich thut doch die Eigenliebe. – Was ihn zum Beisp. an die alte Herzogin attachiert ist die Freiheit, die er sich bei ihr erlauben darf – neben ihr auf dem Sopha zu schlafen. Man sagt, er soll ihr schon auf das heftigste Widersprochen und einmal das Buch an den Kopf geworfen haben. Ich kann nicht bezeugen ob das leztere wahr ist; wenigstens sieht man die Beule nicht mehr.

Von den hiesigen großen Geistern überhaupt kommen einem immer närrische Dinge zu Ohren. Herder und seine Frau leben in einer egoischen Einsamkeit und bilden zusammen eine Art von heiliger ZweiEinigkeit, von der sie jeden Erdensohn ausschließen. Aber weil beide stolz, beide heftig sind, so stößt diese Gottheit zuweilen unter sich selbst aneinander. Wenn sie also in Unfrieden gerathen sind, so wohnen beide abgesondert in ihren Etagen, und Briefe laufen Treppe auf, Treppe nieder, biß sich endlich die Frau entschließt in eigner Person in ihres Ehgemals Zimmer zu treten, wo sie eine Stelle aus seinen Schriften recitiert, mit den Worten: „Wer das gemacht hat, muß ein Gott seyn, und auf den kann niemand zürnen“ – Dann fällt ihr der besiegte Herder um den Hals und die Fehde hat ein Ende. Schlechter sind diese Gottheiten bestellt, wo sie wieder an die Sterblichkeit gränzen. So weiß man zum Beispiel daß Fleischer und Schneider hunderte an sie zu fodern haben, und zwar seit acht und zehen Jahren. Einer Magd, die aus dem Dienst geschickt wurde und welche ihren, sehr hochangelauffenen Lohn foderte, setzte die Frau Generalsuperintendenten höchsteigenhändig eine Rechnung von allem zerbrochenen Küchengeschirre auf, daß nur noch 2 oder 3 Thaler zu bezahlen übrig blieben. Preiset Gott, daß ihr nicht unsterblich seid!

Bertuch und Herder hassen einander wie die Schlange und des Menschensohn. Bei Herder geht es soweit daß sich alle seine Züge verändern sollen, wenn Bertuchs Name genannt wird. Aber auch der geschmeidige Bertuch ist an dieser einzigen Stelle sterblich und fühlt etwas höchstseltenes – Leidenschaft. Übrigens aber freue ich mich, Herder wieder zu besuchen. Er ist ein eigener Mensch und insofern ein Genuß für den Beobachter.

Aber ich muß nach Jena zurückkehren, wo ich Dich lange genug habe stehen lassen. Daß die Studenten hier was gelten, zeigt einem der erste Anblick; und wenn man sogar die Augen zumachte, könnte man unterscheiden daß man unter Studenten geht, denn sie wandeln mit Schritten eines Niebesiegten. Anfangs, als Rheinhold erst hieher gekommen war verdroß ihn die Grobheit dieser Herrn, die ihm gegenüber wohnten und mit Hüten zum Fenster heraus ihm ins Gesicht schauten. Er nahm also seinen eignen Hut und sezte ihn gleichfalls auf. Das müssen die Herren sich doch zu Herzen genommen haben, denn sie verließen das Fenster und nahmen diesen ritterlichen Zierrath vom Kopfe. Abends, wenn es dunkel wird hört man, fast alle 4 Minuten, die ganze lange Gasse hinunter schallen: „Kopf weg! Kopf! Kopf weg!“ – welches menschenfreundliche Wort den fliehenden Wanderer vor einem blasamischen Regen warnet, der über seinen Scheitel loszubrechen droht. Im Ganzen aber sind die Sitten der hiesigen Studenten um sehr viel gebessert. Man hört auch wenig mehr von Duellen; doch vergeht keine Woche ohne irgend eine Geschichte. Die Anzahl der Studenten ist zwischen 7 biß 800, und soll jezt, wie der Ruhm der Universität, im Zunehmen seyn.

Meine erste hiesige Bekanntschaft war Schütz und seine Frau. Er war eben aus einer schlimmen Krankheit aufgestanden, doch fand ich ihn schon sehr erhohlt und auch lebhaft. Seine Aussenseite ist nicht liebenswürdig, aber geistreich; seine Augen haben Feuer. Er spricht mit vielem Sinn über alles, hier wird erstaunlich viel aus ihm gemacht, auch in Weimar. Wir sind recht gute Freunde geworden was ich mir in Dresden nicht vermuthete. Schütz hat am Carlos viel Geschmack gefunden, welches nicht ohne Werth für mich ist, denn er ist ein Mensch von Sinn. Den größten Theil der Litteraturzeitung besorgt D. Hufland mit ihm, ein vortreflicher Kopf, in welchem vielleicht ein großer Mann schlummert. Ein stiller denkender Geist voll Salz und tiefer Forschung – und er ist noch jünger, als wir beide. Auch mit diesem bin ich recht gut bekannt worden. An der Zeitung arbeiten gegen 120 Schriftsteller, und von den wichtigsten in Deutschland wie sie ausgeben. Schütz und Bertuch stehen sich, durch sie, jeder auf 2500 Thaler, den Mitarbeitern werden 15 Thaler p Bogen bezahlt. Das Hauß heißt in Jena schlechtweg die Litteratur und ist sehr schön und bequem gebaut. Ich habe mich in dem Bureau herumführen lassen, wo eine ungeheuere Quantität Verlagsbücher nach dem Nahmen der Buchhändler geordnet auf seinen Richterspruch wartet. Eigentlich ist doch eine Recensierende Societät eine brutale und lächerliche Anstalt, und ich muß Dir gestehen, daß ich zu einem Complott gegen diese geneigt bin. Vorher aber müssen sie mich in ihr Heiligthum führen. Die Professor Schützin ist ein triviales sonst sehr lebhaftes Weib das unaussprechlich gern gefallen will und sich durch die auffallendsten übel angebrachte Kleidertrachten lächerlich macht. Sonst aber kommt ihre Eitelkeit dem Fremden, vorzüglich denen von einigem Rufe zu gut, die sie mit Aufmerksamkeit belagert. Bei Schützen lernt’ ich Döderlein kennen; eine feine schelmische Physiognomie im Kopf eines Geistlichen, mit dem sich aber recht gut sprechen läßt. Diesen Abend war ich zwischen 4 Männern von Geist, was mir selten begegnete.

Der nächste nach Döderlein und der gleichen Ruf mit ihm theilt ist Griesbach, geheimer Kirchenrath. In dessen Hause habe ich mit Charlotten meinen lezten Abend in Jena überaus angenehm zugebracht. Er wohnt des Sommers in einem großen neuerbauten Gartenhause an der Stadt das eine ganz herrliche Landschaft beherrscht. Hier waren wir mit Reinholds zu zehn Personen beisammen und der Ton, den ich da fand gefiel mir ungemein. Seine Frau ist eine sehr gescheide, wahre und natürliche Person die viel Lebhaftigkeit hat. Er selbst scheint beim ersten Anblick verschlossen und kostbar, bald aber erwarmt er, und man findet einen sehr geselligen verständigen Mann. Ich habe mich lange mit ihm, vorzüglich über die Universität und die Stadt Jena, unterhalten. Die unter 4 sächsische Herzöge vertheilte Gewalt über die academie macht diese zu einer ziemlich freien und sicheren Republik, in welcher nicht leicht Unterdrückung Statt findet. Diesen Vorzug rühmten mir alle Professoren die ich sprach und besonders Grießbach mit vielem Nachdruck. Die Professoren sind in Jena fast unabhängige Leute und dürfen sich um keine Fürstlichkeit bekümmern. Diesen Vorzug hat Jena unter den academieen voraus.

Von den übrigen Professoren habe ich keinen gesehen. Ich habe diesen die Gegenden vorgezogen, die ich mit Reinholds durchwanderte. Eine Parthie machten wir nach einem Dorfe Lopetha eine Stunde von Jena, wo eine sehr geehrte Dichterin, die Frau Bürgermeister Bohlin als Merkwürdigkeit des Landes besucht wird. Ich fand eine Frau von fünfzig Jahren ohngefehr, die aber noch ziemlich hell aus den Augen sieht. Ohngeachtet der Bewunderung die sie in Weimar auszustehen hatte ist sie doch von Affektation entfernt. Eine weitläufftige Wirtschaft beschäftigt sie und ihr Dichtertalent nimmt noch bloß mit den leeren Augenblicken vorlieb. Ein vortrefliches Gedicht „Wind und Männer“ (als Gegensatz zu dem englischen, „Wolken und Weiber“) das im D. Mercur steht ist von ihr. Sie sagte mir die Freude auswendig und auch vieles aus dem Carlos. Hier zeigte man ihr die Laube, worin zwischen Schütz, Wieland und Bertuch die erste Idee der Litteraturzeitung ausgeheckt wurde.

Der Weeg nach Lopetha und die ganze dortige Gegend sind ungemein schön und gefällig. Eine Retraite an diesem Orte könnte vielen Reitz für mich haben. Bei der Fr. Bürgermeistern fand ich die Büste der Frau von Recke, die mich anzog. Es ist keine gemeine Physiognomie und ich kann begreifen, wie sie Cagliostro Hoffnungen erweckt hat.

Ich verließ Jena sehr vergnügt und that ein Gelübde es nicht zum leztenmal gesehen zu haben. Hätte ich einen Plan nach Jena, so versichert mir Reinhold, daß ich keine Schwierigkeit finden würde. Ich soll, sagte er, ohne ein Wort darüber zu verlieren, noch vor dem Frühjahr einen Ruf dahin bekommen. Ich weiß aber nicht mein Lieber. Mit dieser Idee bin ich zerfallen. Meine Unabhängigkeit und die Vermengung meiner Existenz mit euch soll das Schiksal meines Lebens bleiben, vorausgesezt, daß mir Schriftstellerei ein angenehmes Daseyn verschaffen kann. Dieses muß sich nach Verfluss eines Jahres entschieden haben, wo ich alsdann wissen werde, wie leicht oder schwer, wie fruchtbar oder arm meine Feder und wie günstig oder abhold das Glück mir seyn wird. Für meine späteren Jahre muß mir freilich immer irgend eine Zuflucht in einer akademischen Wissenschaft bleiben.

Ich habe am 28. August Göthens Geburtstag mit begehen helfen, den Herr von Knebel in seinem Garten feierte, wo er in Göthens Abwesenheit wohnt. Die Gesellschaft bestand aus einigen hiesigen Damen, Vogts, Charlotten und mir. Herders beide Jungen waren auch dabei. Wir fraßen herzhaft, und Göthens Gesundheit wurde von mir in Rheinwein getrunken. Schwerlich vermuthete er in Italien, daß er mich unter seinen Hausgästen habe, aber das Schicksal fügt die Dinge gar wunderbar. Nach dem Soupee fanden wir den Garten illuminiert, und ein ziemlich erträgliches Feuerwerk machte den Beschluß. An diesem Tage sah ich die jüngere Herzogin. Sie begegnete mir im Stern als ich Charlotte zu Knebel führte, aber es blieb nur beim bloßen Vorbeigehen. Es ist eine schöne und edle Figur aber viel Stolz und Fürstlichkeit im Gange.

Eure Mlle Schmidt habe ich vor 10 oder 12 Tagen bei einem Concerte kennen lernen. Es ist eine kostbare Demoiselle, gegen die ich nie etwas fühlen könnte. Ihre Schönheit besteht in einem ungemein weissen und feinen Teint und überaus schönen lichtblonden Haaren. In diesen beiden Stücken erinnerte sie mich an das Pastellgemählde, das Dorchen für Huber gemacht hat, aber ihre Züge taugen wenig und würden ohne diese Gesichtsfarbe und Haare schwerlich bemerkt werden. Gegen mich war sie sehr artig und aufmerksam. Ueberhaupt mag sie es wohl leiden können, bewundert zu werden. Man hält sie hier für eine gute Parthie, aber ihre Gefühle der Liebe stehen unter dem eisernen Scepter der Vernunft. Man will behaupten, daß sie den Dreißigen nahe wäre.

Die hiesigen Damen sind ganz erstaunlich empfindsam; da ist beinahe keine, die nicht eine Geschichte hätte oder gehabt hätte. Erobern möchten sie gern alle. Da ist zum Beispiel eine Frau von Schardt die Du in jeder anderen Gesellschaft für eine ausgelernte Fille de Joye erklären würdest, ein feines nicht häßliches Gesicht, lebhafte, aber sehr begehrliche Augen. Sie wollte sich uns nach Jena mit aufhängen, aber wir schüttelten sie ab. Weil ich die hiesigen Theeassembleen nie besuchte, so legte man es Charlotten als einen Despotismus über mich aus. Man kann hie sehr leicht zu einer Angelegenheit des Herzens kommen, welche aber freilich bald genug ihren ersten Wohnplaz verändert.

Beim vorigen Clubb mußte ich Bertuchs Gast seyn. Ich machte mir die Lust ihn auf sein Steckenpferd zu setzen und verbreitete mich ganz erstaunlicherweise und mit einer Art Begeisterung über Commercespeculationen. Er wurde warm und machte mir große Confidencen, unter anderen auch die Idee eines teutschen Bücherhandels nach Paris, Amsterdam und England, den er gar sehr in Affection genommen hat. Ich sprach mit soviel Achtung von dem Handel dass ich ihn bald ganz weg hatte und er mir am Ende einfiel, ob ich, stelle Dir vor! ich! nicht Lust hätte mich in eine solche Carriere einzulassen. Als wir auseinandergiengen, drückte er mir die Hand und sagte: Es freue ihn, daß wir einander nun hätten kennen lernen! Der Mann bildet sich ein, daß wir Berührungspunkte hätten und denkt mich auf einer neuen Seite betreten zu haben. Uebrigens aber gestehe ich Dir werde ich Bertuchs Bekanntschaft nie ganz aufgeben. Wer weiß, ob nicht Du vielleicht einmal von seiner Thätigkeit, seinem Handelsgeist und seinem Glücke profitieren kannst, wenn sich Fälle ereignen sollten. Vielleicht auch ich selbst.

Bode ist vorgestern hier angelangt, aber besucht habe ich ihn noch nicht; man sagt daß er nicht wohl sey. Doch wird es denke ich diese Woche noch geschehen. Meine Reise nach Meinungen ist aufgeschoben, also kannst Du Deine Briefe künftig wieder nach Weimar adressieren. Wäre schon einer nach Meinungen abgegangen, so erhalte ich ihn von dort.

Ich denke doch, ich will endlich den Brief schließen. Deine Geduld wird erschöpft seyn. Aber ich fürchte dennoch daß ich manches vergessen habe, worauf Du noch neugierig sein könntest. Kommt kein anderer Brief mit, so muß mich die Länge dieses Briefes für heute entschuldigen. Lebt wohl alle miteinander und bleibt mein, wie ich euer auf immerdar.

Schiller.