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Schiller an Gottfried Körner, 3. Juli 1785

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Golis am 3. Julii [Sonntag] 85.

Ich habe Lust, Dir heute recht viel zu schreiben, denn mein Herz ist voll. Ohnedem wirst Du mich vielleicht diesen Nachmittag unterwegs erwarten, und weil ich diese Hoffnung nicht erfüllen kann, so soll wenigstens meine Seele Dich begleiten. Die Zeit war vorgestern für meine Wünsche zu kurz, und ich hätte eine Injuria gegen meine Kameraden begangen, wenn ich Dich als mein Eigenthum hätte behandeln wollen. Also mag dieser Brief hereinbringen, was neulich verloren ging.

Bester Freund – der gestrige Tag, der zweite des Julius, wird mir unvergeßlich bleiben, so lange ich lebe. Gäbe es Geister, die uns dienstbar sind und unsre Gefühle und Stimmungen durch eine sympathetische Magie fortpflanzen und übertragen, Du hättest die Stunde zwischen halb Acht und halb Neun Vormittags in der süßesten Ahndung empfinden müssen. Ich weiß nicht mehr, wie wir eigentlich darauf kamen, von Entwürfen für die Zukunft zu reden. Mein Herz wurde warm. Es war nicht Schwärmerei, – philosophischfeste Gewißheit wars, was ich in der herrlichen Perspektive der Zeit vor mir liegen sah. Mit weicher Beschämung, die nicht niederdrückt, sondern männlich emporraft, sah ich rükwärts in die Vergangenheit, die ich durch die unglüklichste Verschwendung mißbrauchte. Ich fühlte die kühne Anlage meiner Kräfte, das mislungene (vielleicht große) Vorhaben der Natur mit mir. Eine Hälfte wurde durch die wahnsinnige Methode meiner Erziehung und die Mißlaune meines Schiksals, die zweite und größere aber durch mich selber zernichtet. Tief, bester Freund, habe ich das empfunden, und in der allgemeinen feurigen Gährung meiner Gefühle haben sich Kopf und Herz zu dem herkulischen Gelübde vereinigt – die Vergangenheit nachzuhohlen, und den edlen Wettlauf zum höchsten Ziele von vorn anzufangen. Mein Gefühl war beredt, und theilte sich den anderen elektrisch mit. O, wie schön und wie göttlich ist die Berührung zweier Seelen, die sich auf ihrem Weege zur Gottheit begegnen. Du warst biß jezt noch mit keiner Silbe genannt worden, und doch las ich in Hubers Augen Deinen Namen – und unwillkührlich trat er auf meinen Mund. Unsere Augen begegneten sich, und unser heiliger Vorsatz zerschmolz in unsre heilige Freundschaft. Es war ein stummer Handschlag, getreu zu bleiben dem Entschluß dieses Augenbliks – sich wechselsweise fortzureissen zum Ziele – sich zu mahnen und aufzuraffen einer den andern – und nicht stille zu halten biß an die Grenze, wo die menschlichen Größen enden. O, mein Freund! Nur unserer innigen Verkettung, ich muß sie noch einmal so nennen, unserer heiligen Freundschaft allein war es vorbehalten, uns gros und gut und glüklich zu machen. Die gütige Vorsehung, die meine leisesten Wünsche hörte, hat mich Dir in die Arme geführt, und ich hoffe, auch Dich mir. Ohne mich sollst du eben so wenig Deine Glükseligkeit vollendet sehen können, als ich die meinige ohne Dich. Unsere künftig erreichte Vollkommenheit soll und darf auf keinem anderen Pfeiler als unsrer Freundschaft ruhen. – Unsere Unterredung hat diese Wendung genommen, als wir ausstiegen, um unterwegs ein Frühstück zu nehmen. Wir fanden Wein in der Schenke. Deine Gesundheit wurde getrunken. Stillschweigend sahen wir uns an, unsere Stimmung war feierlich Andacht, und jeder von uns hatte Tränen in den Augen, die er sich zu erstiken zwang. Göschen bekannte, daß er dieses Glas Wein noch in jedem Gliede brennen fühlte, Hubers Gesicht war feuerroth, als er uns gestand, er habe noch kein Wein so gut gefunden, und ich dachte mir die Einsezung des Abendmahls – „Dieses thut, so oft ihrs trinket, zu meinem Gedächtniß.“ Ich hörte die Orgel gehen und stand vor dem Altare. Jezt erst fiels uns auf die Seele, daß heute Dein Geburtstag war. Ohne es zu wissen haben wir ihn heilig gefeiert. – Theuerster Freund, hättest Du Deine Verherrlichung in unseren Gesichtern gesehen – in der vom Weinen erstikten Stimme gehört: in dem Augenblike hättest Du sogar Deine Braut vergessen, keinen Glüklichen unter die Sonne hättest Du beneidet. – – – Der Himmel hat uns seltsam einander zugeführt, aber in unserer Freundschaft soll er ein Wunder gethan haben. Eine dunkle Ahndung ließ mich so viel, so viel von Euch erwarten, als ich meine Reise nach Leipzig beschloß, aber die Vorsehung hat mir mehr erfüllt, als sie mir zusagte, hat mir in Euren Armen eine Glückseligkeit bereitet, von der ich mir damals auch nicht einmal ein Bild machen konnte. Kann dieses Bewußtseyn Dir Freude geben, mein theuerster, so ist Deine Glükseligkeit vollkommen.

Die nahe und süße Aussicht auf den Besiz Deiner Minna wird freilich Dein ganzes Herz ausfüllen und es für fremde Freuden und Leiden verschließen, aber ich muthe Dir auch jezt nicht zu, Deine Sympathie an mich zu verschwenden und mit dem Zustande meines Herzens beschäftigt zu seyn. Ich will nur haben, daß der Gedanke an Deinen Freund Deine Freude vergrößern soll, und wenn Du zuweilen Augenblike hast, wo Du anderen Empfindungen Raum gibst, daß dann meine Gemüthsfassung eine Quelle des Vergnügens mehr für Dich sein möge.

Hubers Situation geht mir sehr nahe, und von Herzen wünschte ich, seine Eltern möchten über diesen Punkt mit sich einig seyn. Zur ganzen Glükseligkeit unseres Beisammenseyns gehört es durchaus, daß Huber nicht in Leipzig zurükbleibt. Ich hoffe einmal von unserer Verbindung alles für seine Bildung, und es gehört zu meinen schönsten Träumen, die Epoche seines Geistes lenken zu helfen. Du und ich sind ihm unentbehrlich, wenn die gewünschte Revolution in ihm bewirkt werden soll, und das Glük unsrer wechselseitigen Vereinigung wird durch ihn einen großen Zuwachs erhalten. Mache Dirs also zu einer angenehmen Pflicht, mein lieber, seine Sache ins Reine zu bringen. Das wird geschehen, sobald der Graf Rödern seinem Vater gute Hoffnungen macht. Beunruhige diesen also solange, biß er geschrieben hat, und schreibe Du selbst an Hubers Vater, ihn über die ökonomischen Artikel zu beruhigen. Huber selbst ist zu blöde und muthlos, die Sache zum Ziele zu bringen, andere müssen für ihn wirken, und Du kannst sehr viel thun. Ich erwarte mit Ungeduld Deinen nächsten Brief, wo Du mir sagen wirst, daß ein Schritt mehr in der Sache gethan ist.

Ich habe jezt einige Fragen an Dich zu thun, Deine Verbindung mit Göschen betreffend. Ist Euer Verhältniß so, daß Du z. e. in seiner Handlung Verleger eines Buches seyn kannst, wovon er bloß die Commission zu besorgen hat? – Mir liegt darum viel daran, dieses zu wissen, weil ich dann mein Autor Commerce ganz anders tractiere und, nach einer vorhergehenden Verabredung mit Dir, selbst den Verlag meiner Sachen zu übernehmen Lust hätte.

Zweitens habe ich noch ein Unternehmen im Sinn.

Schwan und Göz haben die Indiscrezion gegen mich gehabt, meinen Fiesko, ohne mir nur ein Wort zu gönnen, neu auflegen zu lassen, nachdem die erste Edition vergriffen war – und Göz trieb es soweit, daß ich einige Exemplare, die ich zu meinem Gebrauch aus ihrer Handlung nahm, bezahlen mußte. Dieser niederträchtige Zug hebt alle meine Verbindlichkeiten gegen diese Buchhandlung auf, und ich bin vollkommen berechtigt, selbst eine neue Auflage meiner Stüke zu veranstalten. Mehrere Gründe sind es, die mich dazu bewegen. Erstlich bin ich es meiner schriftstellerischen Ehre schuldig, die Plümikische Verhunzung meiner Stüke wieder gut zu machen. Zweitens weiß das Publicum, daß ich mit meinem Fiesko große Veränderungen vorgenommen habe, welche noch nicht im Druk erschienen sind. Drittens kann ich voraussezen, daß eine durchgängige korrektere Behandlung der Räuber und des Fiesko dem Publicum interessant und für meinen Nahmen von wichtigen Folgen seyn werde und dann bin ich viertens gesonnen, zu den Räubern einen Nachtag in einem Akt: Räuber Moors leztes Schiksal5, herauszugeben, wodurch das Stük neuerdings in Schwung kommen soll. Die Ausgabe müßte auch alle äußere Verschönerung haben, und es ist keine Frage, daß die Speculation einschlagen werde.

Ueber die Art der Ausführung dieses Projekts bin ich nun uneinig mit mir selbst. Was die Thalia betrift, so wird in einigen Wochen eine Anzeige von mir in der besten Zeitung erscheinen, worin die Ursachen der bisherigen Verzögerung kürzlich angegeben sind, denn meine Abreiße aus Mannheim entschuldigt diesen Aufschub hinlänglich. Das ganze Unternehmen dieser Edition des Fiesko und der Räuber kostet mich 6 Wochen, und also gerade die Zeit, die ich noch in Gohlis zubringe, und wo ich ohnehin nicht gern etwas weitläufigeres unternehmen mag. Außerdem brauche ich höchst nothwendig Geld; denn Du kannst leicht urtheilen, was mich das Vierteljahr, seitdem ich in Leipzig bin gekostet hat. Ueberdem hat mich meine Reise gegen 5 Carolin mehr gekostet als ich mir träumen ließ; von der Mannheimer Post habe ich noch keinen Heller SubscriptionsGeld erhalten, und meine gewisse Ausrechnung, daß das 2te Heft der Thalia jezt fertig seyn würde, hat auch fehlgeschlagen. Ich habe mich hier ganz aufgezehrt, und weil ich nicht voraussehe, daß die Thalia zu Ende der 6 Wochen fertig seyn kann, so muß ich auf etwas anderes denken.

Wenn Du also nach reifer Überlegung meines Plans fändest, daß Du selbst in Goeschens Handlung Theil daran nehmen könntest, so kann die Sache sogleich abgethan seyn. Du würdest Dich mit mir entweder in einer Summe überhaupt vereinigen, oder mir den Bogen bezahlen und dieses überließe ich dann ganz Deinem eigenen Ueberschlag. Der Umstand ist der, daß dieser Plan für Dich (oder Goeschen) mehr als nicht nachtheilig, für mich aber von sehr großen Vortheil ist; denn ich bin für meine 3 Stüke bisher erbärmlich bezahlt worden, und ich glaube doch, daß mir das Publicum einigen Ersaz schuldig ist. Außerdem habe ich noch eine Rüksicht dabei: Huber besorgt mit Recht, daß seine neue Equipage seine Eltern vielleicht am meisten abschröken könnte, und darum wünscht er, ihnen die Ausgaben vom seinigen zu erleichtern. Er hat für den Figaro und Ethelwolf zwar noch einige 70 Thaler von Goeschen zu fodern; weil dieser aber biß jezt von dieser Sache ganz geschwiegen hat, so besorgte er, daß es ihm schwer fallen würde, ihm das Geld zu geben. Ich könnte Huber dann großentheils aus dieser Verlegenheit helfen und ihm und mir wäre gedient, ohne Dich zu risquieren. Antworte mir ausführlich, liebster Freund, überlege aber, daß Huber und ich nothwendig Geld brauchen, denn ich für meinen Theil bin jezt ganz auf dem Sande, und ich habe keine Hoffnung vor einem Vierteljahre einen Pfennig von Subscriptionsgeldern zu sehen, wenn ich nicht ganz und gar darum betrogen bin. Wirst Du mit mir über meinen Vorschlag einig, so thätest Du mir einen großen Gefallen, wenn Du mir jezt gleich einen Theil avancieren könntest. Goeschen habe ich von der Sache noch kein Wort sagen wollen.

Doch genug von dieser Kaufmanns Materie. Heute wollten wir den beiden entgegenfahren, aber das Wetter ist sehr schlecht, und ich zweifle, ob sie kommen. Ich hätte Dir noch tausenderlei Ideen mitzutheilen, aber bald sind wir ja beisammen, und ich will mir die Freude mündlich machen. O, mein bester Freund, wie schön ligt die Dresdner Zukunft vor meinen Augen, wie fange ich jezt an mich meines Lebens zu freuen, weil ich es würdig genießen will. Ich sage mit Julius von Tarent: In meinen Gebeinen ist Mark für Jahrhunderte. Lebwol, Theuerster.

Ewig

Dein Schiller.