HomeDie Horen1795 - Stück 10IV. Elegie. [Friedrich Schiller]

IV. Elegie. [Friedrich Schiller]

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Sey mir gegrüßt, mein Berg mit dem röthlich stralenden Gipfel,
Sey mir Sonne gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint,
Dich auch grüß ich lachende Flur, euch säuselnde Linden,
Und den fröhlichen Chor, der auf den Ästen sich wiegt,
Ruhige Bläue dich auch, die unermeßlich sich ausgießt
Um das braune Gebirg, über den grünenden Wald,
Auch um mich, der endlich entflohen des Zimmers Gefängnis
Und dem engen Gespräch freudig sich rettet zu dir,
Deiner Lüfte balsamischer Strom durchrinnt mich erquickend,
Und den durstigen Blick labt das energische Licht,
Kräftig brennen auf blühender Au die wechselnden Farben,
Aber der reizende Streit löset in Wohllaut sich auf,
Frey, mit weithin verbreitetem Teppich empfängt mich die Wiese,
Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad,
Um mich summen geschäftige Bienen, mit zweifelndem Flügel
Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichten Klee,
Durch die Lüfte spinnt sich der Sonnenfaden, und zeichnet
Einen farbigten Weg weit in den Himmel hinauf,
Glühend trift mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste,
Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft.
Doch jetzt braußts aus dem nahen Gebüsch; tief neigen der Erlen
Kronen sich, und im Wind wogt das versilberte Gras,
Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein,
In des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein mystischer Pfad leitet mich steigend empor.
Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubigtes Gitter
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.
Aber plötzlich zerreißt die Hülle. Der offene Wald giebt
Überraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück.
Unabsehbar ergießt sich vor meinen Blicken die Ferne,
Und ein blaues Gebirg endigt im Dufte die Welt.
Tief an des Berges Fuß, der gähhlings unter mir abstürzt,
Wallet des grünlichten Stroms fliessender Spiegel vorbey.
Unter mir seh ich endlos den Äther und über mir endlos,
Blicke mit Schwindeln hinauf, blicke mit Schaudern hinab,
Aber zwischen der ewigen Höh und der ewigen Tiefe
Trägt ein geländerter Steig sicher den Wandrer dahin.
Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber,
Und den fröhlichen Fleiß rühmet das prangende Thal.
Jene Linien, die des Landmanns Eigenthum scheiden,
In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt,
Freundliche Schrift des Gesetzes, des Menschenerhaltenden Gottes,
Seit aus der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand,
Aber in freyeren Schlangen durchkreuzt die geregelten Felder
Jetzt verschlungen vom Wald, jetzt an den Bergen hinauf
Klimmend, ein schimmernder Streif, die Länder verknüpfende Straße,
Auf dem ebenen Strom gleiten die Flöße dahin,
Vielfach ertönt der Heerden Geläut im belebten Gefilde,
Und den Wiederhall weckt einsam des Hirten Gesang,
Muntre Dörfer bekränzend en Strom, in Gebüschen verschwinden
Andre, vom Rücken des Bergs stürzen sie gäh dort herab,
Nachbarlich wohnet der Mensch noch mit dem Acker zusammen,
Seine Felder umruhn friedlich sein ländliches Dach,
Traulich rankt sich der Weinstock empor an dem niedrigen Fenster,
Einen umarmenden Zweig schlingt um die Hütte der Baum,
Glückliches Volk der Gefilde! Noch nicht zur Freyheit erwachet,
Theilst du mit deiner Flur fröhlich das enge Gesetz.
Deine Wünsche beschränkt der Ärnten ruhiger Kreislauf,
Gleich, wie dein Tagewerk, windet dein Leben sich ab:
Aber wer raubt mir auf einmal den lieblichen Anblick? Ein fremder
Geist verbreitet sich schnell über die fremdere Flur!
Spröde sondert sich ab, was kaum noch leibend sich mischte,
Und das Gleiche nur ist’s, was an das Gleiche sich reyht.
Stände seh ich gebildet, der Pappeln stolze Geschlechter
Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig daher,
Unbemerkt entfliehet dem Blick die einzelne Staude,
Leyht nur dem Ganzen, empfängt nur von dem Ganzen den Reiz.
Regel wird alles und alles wird Wahl und alles Bedeutung,
Dieses Dienergefolg meldet den Herrscher mir an,
Majestätisch verkündigen ihn von fern die beleuchteten Kuppeln,
Aus dem felsigten Kern hebt sich die thürmende Stadt.
In die Wildniß hinaus sind des Waldes Faunen verstoßen,
Aber die Andacht leyht höheres Leben dem Stein.
Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen. Enger wird um ihn
Reger erwacht, es umwälzt rascher sich in ihm die Welt.
Sich, da entbrennen in feurigem Kampf die eifernden Kräfte,
Großes wirket ihr Streit, größeres wirket ihr Bund.
Tausend Hände belebt Ein Geist, in tausend Brüsten
Schlägt, von Einem Gefühl glühend, ein einziges Herz,
Schlägt für das Vaterland und glüht für der Ahnen Gesetze,
Hier auf dem theuren Grund ruht ihr verehrtes Gebein.
Vom dem Himmel die seligen Götter, und nehmen
In dem geweyhten Bezirk festliche Wohnungen ein;
Herrliche Gaben bescheerend erscheinen sie; Ceres vor allen
Bringet des Pfluges Geschenk, Hermes den Anker herbey,
Bacchus die Traube, Minerva des Ölbaums grünende Reiser,
Auch das kriegrische Roß führet Poseidon heran,
Mutter Cybele spannt an des Wagens Deichsel die Löwen,
In das gastliche Thor zieht sie als Bürgerinn ein.
Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzer der Menschheit,
Fernen Inseln des Meers sandtet ihr Wahrheit und Kunst,
Weise sprachen das Recht an diesen geselligen Thoren,
Helden stürzten zum Kampf für die Penaten heraus.
Auf den Mauern erschienen, den Säugling im Arme, die Mütter,
Blickten dem Zuge nach, bis ihn die Ferne verschlang,
Betend stürzten sie dann vor der Götter Altären sich nieder,
Flehten um Ruhm und Sieg, flehten um Rückkehr für euch.
Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke,
Eurer Thaten Verdienst meldet der rührende Stein:
„Wanderer, kommst du nach Sparta, gib Kunde dorten, du habest
„Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl“
Ruhet sanft ihr Theuren! Von eurem Blute begossen,
Grünet der Ölbaum, es keimt lustig die köstliche Saat.
Munter entbrennt, des Eigenthums froh, das freye Gewerbe,
Aus dem Schilfe des Stroms winket der bläulichte Gott.
Zischend fliegt in den Baum die Axt, es erseufzt die Dryade,
Hoch von des Berges Haupt stürzt sich die donnernde Last.
Aus dem Bruche wiegt sich der Fels, vom Hebel beflügelt,
In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab.
Mulcibers Ambos ertönt von dem Takt geschwungener Hämmer,
Unter der nervigten Faust sprützen die Funken des Stahls,
Glänzend umwindet der goldene Lein die tanzende Spindel,
Durch die Saiten des Garns sauset das webende Schiff,
Fern auf der Rhede ruft der Pilot, es warten die Flotten,
Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiß,
Andre ziehn frohlockend dort ein, mit den Gaben der Ferne,
Hoch von dem thürmenden Mast wehet der festliche Kranz.
Siehe da wimmeln von fröhlichem Leben die Krahne, die Märkte,
Seltsamer Sprachen Gewirr braußt in das wundernde Ohr.
Auf den Stapel schüttet die Ärnten der Erde der Kaufmann,
Was dem glühenden Stral Afrikas Boden gebiert,
Was Arabien kocht, was die äußerste Thule bereitet,
Hoch mit erfreuendem Gut füllt Amalthea das Horn.
Da gebiert dem Talente das Glück die göttlichen Kinder,
Von der Freyheit gesäugt wachsen die Künste empor,
Mit nachahmendem Leben erfreuet der Bildner die Augen,
Und von Dädal beseelt redet das fühlende Holz,
Künstliche Himmel ruhn auf schlanken jonischen Säulen
Und den ganzen Olymp schließet ein Pantheon ein,
Leicht wie der Iris Sprung durch die Luft, wie der Pfeil von der Senne
Hüpfet der Brücke Joch über den brausenden Strom.
Aber im stillen Gemache zeichnet bedeutende Zirkel
Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden Geist,
Prüft der Elemente Gewalt auf versuchender Waage,
Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Äther dem Strahl,
Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern,
Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht.
Körper und Stimme leyht dem stummen Gedanken die Presse,
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt.
Da zerrinnt vor dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes
Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht.
Seine Feßeln zerbricht der Mensch. Der Beglückte! Zerriß er
Mit den Feßeln der Furcht nur nicht den Zügel der Schaam!
Freyheit heischt die Vernunft, Freyheit rufen die Sinne,
Beyden ist der Natur züchtiger Gürtel zu eng.
Ach, da reissen im Sturme die Anker, die an dem Ufer
Warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der flutende Strom,
Ins Unendliche reißt er ihn hin, die Küste verschwindet,
Hoch auf der Fluten Gebirg wiegt sich entmastet der Kahn,
Hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Sterne,
Bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst in dem Busen der Gott.
Unnatürlich tritt die Begier aus den ewigen Schranken,
Lüsterne Willkühr vermischt, was die Nothwendigkeit schied,
Aus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, die heilige Treue
Aus dem Leben, es lügt selbst auf der Lippe der Schwur.
Ihren Schleyer zerreißt die Schaam, Asträa die Binde,
Und der freche Gelust spottet der Nemesis Zaum,
In der Herzen vertraulichsten Bund, in der Liebe Geheimniß
Drängt sich der Sykophant, reißt von dem Freunde den Freund,
Auf die Unschuld schielt der Verrath mit verschlingendem Blicke,
Mit vergiftendem Biß tödtet des Lästerers Zahn.
Feil ist in der geschändeten Brust der Gedanke, die Liebe
Wirst des freyen Gefühls göttliches Vorrecht hinweg,
Keine Zeichen mehr findet die Wahrheit, verpraßt hat sie alle
Alle der Trug, der Natur köstlichste Töne entehrt,
Die das Sprachbedürftige Herz in der Freude erfindet;
Kaum giebt wahres Gefühl noch durch Verstummen sich kund,
Leben wähnst du noch immer zu seyn, dich täuschen die Züge,
Hohl ist die Schaale, der Geist ist aus dem Leichnam geflohn.
Auf der Tribüne prahlet das Recht, in der Hütte die Eintracht,
Des Gesetzes Gespenst steht an der Könige Thron,
Lange Jahre, Jahrhunderte mag die Mumie dauren
Mag der Sitten, des Staats kernlose Hülfe bestehn,
Biß die Natur erwacht, und mit schweren ehernen Händen
An das hohle Gebäu rühret die Noth und die Zeit,
Biß, verlassen zugleich von dem Führer von aussen und innen,
Von der Gefühle Geleit, von der Erkenntnisse Licht,
Eine Tigerin, die das eiserne Gitter durchbrochen,
Und des numidischen Walds plötzlich und schrecklich gedenkt,
Aufsteht mit des Verbrechens Wuth und des Elends die Menschheit,
Und in der Asche der Stadt sucht die verlorne Natur.
O so öfnet euch Mauren, und gebt den Gefangenen ledig,
Zu der verlassenen Flur kehr er gerettet zurück!
Weit von dem Menschen fliehe der Mensch! Dem Sohn der Veränderung
Darf der Veränderung Sohn nimmer und nimmer sich nahn,
Nimmer der Freye den Freyen zum bildenden Führer sich nehmen,
Nur was in ruhiger Form sicher und ewig besteht.
Aber wo bin ich? Es birgt sich der Pfad. Abschüßige Gründe
Hemmen mit gähnender Kluft vorwärts und rückwärts den Schritt.
Hinter mir bleib der Gärten, der Hecken vertraute Begleitung,
Hinter mir jegliche Spur menschlicher Hände zurück.
Nur die Stoffe seh ich gethürmt, aus welchen das Leben
Keimet, der rohe Basalt hofft auf die bildende Hand,
Brausend stürzet der Gießbach herab durch die Rinne des Felsen
Unter den Wurzeln des Baums bricht er entrüstet sich Bahn.
Wild ist es hier und schauerlich öd‘. Im einsamen Luftraum
Hängt nur der Adler, und knüpft an das Gewölke die Welt.
Hoch herauf biß zu mir trägt keines Windes Gefieder
Den verlorenen Schall menschlicher Arbeit und Lust.
Bin ich wirklich allein? In deinen Armen, an deinem
Herzen wieder, Natur, ach! und es war nur ein Traum,
Der mich des Lebens furchtbarem Bild mich schaudernd ergriffen,
Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab.
Reiner von deinem reinen Altare nehm ich mein Leben,
Nehme den fröhlichen Muth hoffender Jugend zurück!
Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig
Wiederhohlter Gestalt wälzen die Thaten sich um.
Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne
Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesetz,
Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne,
Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut,
Wiegest auf gleichem Mutterschosse die wechselnden Alter;
Unter demselben Blau, über dem nehmlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,
Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.

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