HomeDie Horen1795 - Stück 11IX. Briefe über Poesie, Silbenmaaß und Sprache. [Wilhelm Schlegel]

IX. Briefe über Poesie, Silbenmaaß und Sprache. [Wilhelm Schlegel]

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Erster Brief.

Der Dichter, so rühmten von jeher die glühenden Bewunderer seiner Kunst, ist vor allen andern Sterblichen ein begünstigter Liebling der Natur, ein Vertrauter und Bote der Götter, deren Offenbarungen er jenen überbringt. Die irdische Sprache, die nur zu unverkennbar die Spuren des Bedürfnisses und der Eingeschränktheit, welche sie erzeugten, an sich trägt, kann ihm hiezu nicht genügen; die seinige athmet in reinem Äther, sie ist eine Tochter der unsterblichen Harmonie. Fast ohne daß er selbst es weiß, verwandelt sich auf seinen Lippen das Wort in Gesang. Das Entzücken, womit er das von oben empfangne wieder ausströmt, wird die Belohnung seiner Wohlthat. Leicht und frey wie auf Flügeln wird er über das Loos der Sterblichkeit hinweggehoben, und der heilige Schimmer, der seine begeisterte Stirn verklärt, fodert Anbetung von seinen erstaunten, hingerissenen Zuhörern.

Aber ach! (verzeih mir die getäuschte Erwartung, liebste Freundin, wenn anders mein feyerlicher Ton dich irre führen konnte) dieser Dichter ist selbst nur ein Geschöpf der dichtenden Phantasie. Wie viel anders erscheint er in der Wirklichkeit, wenn man ihn in seiner Werkstätte belauscht! Denn er hat eine Werkstätte wie jeder andre Künstler. Wohl nur scherzend hat man sie mit einer Schmiede verglichen: hier scheinen nicht so wohl Donnerkeile wie auf dem Ambos der Cyklopen, als Nadeln zugespitzt zu werden. Das schönste Gedicht besteht nur aus Versen; die Verse aus Wörtern; die Wörter aus Sylben; die Sylben aus einzelnen Lauten. Diese müssen nach ihrem Wohlklange oder Übelklange geprüft, die Sylben gezählt, gemessen und gewogen, die Wörter gewählt, die Verse endlich zierlich geordnet und an einander gefügt werden. Doch dieß ist noch nicht alles. Man hat bemerkt, daß es das Ohr angenehm kitzelt, wenn nach bestimmten Zwischenräumen gleichlautende Endungen der Wörter wiederkehren. Diese muß der Dichter also aufsuchen, und oft einer einzigen wegen das ganze Gebiet der Sprache von Westen bis Osten durchstreifen. Bey großer Anstrengung körperlicher Kraft findet noch ein gewisses erhebendes Gefühl Statt: aber was kann für den langweiligen Fleiß, für die kleinliche Sorgfalt entschädigen, womit ein vollendetes Gedicht allmählig zusammenbuchstabirt wird? Wie muß dieß alles den erhabnen Geist demüthigen, der des Umganges mit Göttern gewohnt ist! Gewiß, der Fluch der Mühseligkeit, der sich über alles menschliche Thun verbreitet, drückt ihn vorzüglich hart. Auch an ihn ergeht eine drohende Stimme: Im Schweiße deines Angesichtes sollst du Verse machen! Mit Schmerzen sollst du Gedichte zur Welt bringen.

Ich bitte dich indessen, liebe Amalie, was ich dir hier anvertraue, ja nicht weiter zu erzählen. Du würdest mich unfehlbar in üble Händel mit der Zunft verwickeln, für deren Mitglied du mich aus unverdienter Güte zählen willst. Sieh, das ist eben das schlimmste. Andre wackre Leute dürfen sich wenigstens ihrer Arbeit nicht schämen; ja sie finden eine Erleichterung darin, es unverhohlen zu äußern, daß ihre Geduld oder ihre Kräfte der Erschöpfung nahe sind. Um den Dichter wäre es geschehen, wenn er sich nur von fern etwas dergleichen merken ließe. Er muß sich knechtischem Zwange mit der stolzen Miene der Freyheit unterwerfen. Seine mit Fesseln beladenen Hände und Füße bewegt er zum leichten anmuthigen Tanze. Du glaubst, er ruhe wohllüstig auf Rosen, während er sich auf dem Bette des Prokrustes peinlich dehnt oder krümmt.

Freylich gelingt es auch nicht immer damit. Irgend ein hartnäckiges Wort will nicht aus seiner Stelle. Ein Reim, ein einziger, unerbittlicher Reim ist hinlänglich, um ihn in dem kühnsten und glücklichsten Fluge aufzuhalten. Stundenlang ruft er diese spröde Echo, ohne daß sie ihm antwortet. Ja, nicht selten bricht der geheime und anhaltende Zwiespalt zwischen Gedanken und Ausdruck auf der einen, Sylbenmaaß und Reim auf der andern Seite in so heftige Thätlichkeiten aus, daß er, unvermögend die Rechte beyder Parteyen zu schonen, zu einem Machtspruch genöthiget wird, wodurch er es mit dem Ohr oder dem Geiste seiner Zuhörer, oder auch wohl mit beyden verderbt.

Hiemit hängt der Umstand zusammen, der dich gewiß in deiner Meynung von der geringen Wichtigkeit metrischer Vollendung bestärkt hat, und sie in der That zu begünstigen scheint: daß nämlich die größten Originaldichter oft ein gewisses Ungeschick zum Versbau verrathen, und sich mehr als billig darin erlauben. Wem Bilder und Gedanken wie etwas Fremdes und Zufälliges gleichsam von außenher gegeben werden, der kann leicht verändern und vertauschen, weglassen und hinzusetzen. Der selbstständige Geist hingegen, welcher sie tief aus seinem Innern schöpft, würde bey diesen Umwandlungen an seinem theuersten Eigenthum, ja gewissermaaßen an seiner Person leiden, Nicht zum Dienen erschaffen, unterwirft er sich daher das Sylbenmaaß; und sollte selbst der Ausdruck hier und da ins Gedränge kommen, er bleibt unbekümmert dabey. Es ist zweifelhaft, ob Dante oder Shakespeare, auch in einem mehr gebildeten Zeitalter, sich um Tasso’s und Popens glückliche Geschmeidigkeit beworben hätten, und noch zweifelhafter, ob es ihnen damit gelungen wäre. Wenn sich indessen jene unabhängige Fülle nicht mit diesem Talent in derselben Organisation verträgt, so macht sie es auch entbehrlich.

Vielleicht bist du mir bey der obigen, leider nicht übertriebnen Schilderung schon mit den Fragen zuvorgeeilt, die sich hier natürlich darbieten: Wozu also jene Einschränkungen? Ist das Sylbenmaaß der Poesie wesentlich? Ist es nicht vielmehr unnatürlich, die Ergüsse eines bewegten Herzens, einer entflammten Einbildung, eines ganz von seinem Gegenstande erfüllten Geistes, nach einer mechanischen Regel abzumessen? Und sollte man den Dichter nicht mehr über die Thorheit seines Vornehmens als über die Schwierigkeit der Ausführung beklagen? Es ist unläugbar, daß nur die Allgemeinheit der Sitte das Fremde und Auffallende, was darin liegt, unsrer Bemerkung entziehen kann. Aber eben dieß muß uns auch vor einer zu raschen Beantwortung jener Fragen warnen. Überall finden wir die Poesie vom Sylbenmaaß begleitet, damit verschwistert, davon unzertrennlich. Sein Gebrauch erstreckt sich also fast eben so weit als die bewohnte Erde; seine Erfindung ist nicht viel jünger als das Menschengeschlecht.

Bey einer so allgemeinen Ansicht verdienen einige neuere Ausnahmen (bey den Alten würde man sie vergeblich suchen) kaum erwähnt zu werden. Ganz allgemein ist das Sylbenmaaß bey keinem heutigen Volke von der Bühne verbannt worden; wenn der dramatische Dichter diesen Schmuck verwirft oder vernachlässigt, so muß er zugleich alle Ansprüche auf eigentlich dichterische Schönheiten des Dialogs aufgeben, und selbst der tragische Schauspieler thut in diesem Falle wohl, den Kothurn abzulegen. Dieß kann daher eher für eine Beschränkung des Gebietes der Poesie gelten als für eine Erweiterung, wie man sie bey der sogenannten poetischen Prose im Sinne gehabt zu haben scheint. Wirst du es auf dich nehmen, dieser zweydeutigen Erfindung eine Schutzrede zu halten? Der Nahme weissagt nicht viel Gutes, und wenn man sich bey den Alten nach etwas Ähnlichem umsieht, so wird man unglücklicher Weise an die Romane der spätern Sophisten erinnert. Denn es gilt ziemlich gleich, ob rhetorische Anmaaßung, oder eine Art von dichterischem Unvermögen eine solche Gattung erzeugt, die, indem sie die ausschließenden Vorrechte der Poesie und Prose vereinigen will, die ächte Vollkommenheit beyder verfehlt. Bemerke auch, daß sie unter den euern Sprachen am besten in der Französischen gediehen ist, welche mehr den Zwang als die Musik der Sylbenmaaße kennt. Es mag ihr also hingehen, daß sie sich für eine Verwahrlosung der Natur an der Kunst zu rächen sucht. Bey einigen geschätzten Werken dieser Art unterscheidet man billig den Geist der Urheber von dem Werthe der von ihnen gewählten Form.

Jene Übereinstimmung der verschiedensten Völker und Zeiten läßt sich unmöglich zu einem willkührlichen, zufälligen Einverständnisse herabsetzen. So unstatthaft es ist, von der Allgemeinheit einer Meynung auf ihre Wahrheit zu schließen, wie man oft gewagt hat, so zuverläßig berechtigt uns die Allgemeinheit einer Sitte, ihr Gültigkeit für den Menschen zuzuschreiben; zu behaupten, sie gründe sich auf irgend ein körperliches oder geistiges Bedürfniß seiner Natur. Strenge genommen ist überhaupt nichts im menschlichen Thun willkührlich, auch das nicht, woran sich keine Spur von Absicht wahrnehmen läßt: wenn man sich vornimmt, einmahl ohne allen Grund bloß nach Willkühr zu handeln, so ist eben dieß schon der Grund, welcher den Willen bestimmt; und am unwillkührlichsten handeln wir unter dem Einflusse dunkler Antriebe, die sich unserm Bewustseyn entziehen. Zufällig nennen wir in Werken und Anordnungen des Menschen, was nicht durch wesentliche Verhältnisse nothwendig bestimmt, sondern durch fremde Umstände hervorgebracht wird. Was daher unter ganz entgegengesetzten Einwirkungen des Himmelstrichs und der Lebensweise, bey der abweichendsten Mannigfaltigkeit der Anlagen, und auf jeder Stufe ihrer Entwickelung, immer wieder, dem Wesen nach unverändert, hervorgeht: wie könnte man das für zufällig erklären?

Hieraus folgt unläugbar, daß der rhytmische Gang der Poesie dem Menschen nicht weniger natürlich ist als sie selbst. Beydes ist keine überlieferte Erfindung, sondern eben so einheimisch in den erstarrten Wüsten längs dem Eismeere wie auf den lieblichen Südseeinseln; am Ontario wie am Ganges. Überall wo nur Menschen athmeten und lebten, empfanden und sprachen, da dichteten und sangen sie auch. Dieß bezeugt die älteste Sage der Vorwelt, die selbst nur durch den Mund der Poesie zu uns redet; die Beobachtung ungebildeter roher Völker legt es uns täglich vor Augen.

In ihrem Ursprünge macht Poesie mit Musik und Tanz ein untheilbares Ganzes aus. Der Tanz hat in allen seinen Gestalten, von der einfachsten Natur bis zu den sinnreichsten Erweiterungen der Kunst, vom Freudensprunge des Wilden bis zum Noverrischen Ballet, nie die Begleitung der Musik entbehren gelernt. Dagegen bestehen jetzt Poesie und Musik ganz unabhängig von einander: ihre Werke bilden sich vereinzelt in den Seelen verschiedner, oft sich misverstehender Künstler, und müssen absichtlich darauf gerichtet werden, durch die Täuschung des Vortrages wieder eins zu scheinen. Es ist mit diesen Künsten wie mit den Gewerben ergangen. In den altväterlichen Zeiten trieb jeder sie alle für seine eigene Nothdurft; mit dem Fortgange der geselligen Ausbildung schieden sie sich mehr und mehr. Der absondernde Verstand hat sich selbst an dem Eigenthume des Dichtungsvermögens geübt, dessen Wirksamkeit im Verknüpfen besteht. Je mehr er die Oberhand gewinnt, desto mehr gelingt es ihm, jeden Zusammenhang zu lösen, der sich nicht auf die Begriffe zurückführen läßt. Alsdann spielt er gern den Ungläubigen, und behauptet, was seine Geschäftigkeit zerstört hat, sey nie wirklich vorhanden gewesen. Aber der geheimste Zusammenhang ist oft auch der innigste, eben weil er nicht auf dem, was der Begriff erschöpft, sondern auf solchen Beschaffenheiten der Dinge beruht, welche nur durch die unmittelbare Anschauung aufgefaßt werden können, das heißt, auf ihrem eigentlichen Leben. Wir dürfen ihn nicht wegzuklügeln suchen, weil wir ihn bloß fühlen: denn was nicht ist, kann nicht auf uns wirken.

Die Sprache, die wunderbarste Schöpfung des menschlichen Dichtungsvermögens, gleichsam das große, nie vollendete Gedicht, worinn die menschliche Natur sich selbst darstellt, bietet uns von dem, was ich eben sagte, ein unfallendes Beyspiel dar. So wie sie auf der einen Seite, vom Verstande bearbeitet, an Brauchbarkeit zu allen seinen Verrichtungen zunimmt, so büßt sie auf der andern an jener ursprünglichen Kraft ein, die im nothwendigen Zusammenhange zwischen den Zeichen der Mittheilung und dem Bezeichneten liegt. So wie die gränzenlose Mannigfaltigkeit der Natur in abgezognen Begriffen verarmt, so sinkt die lebendige Fülle der Töne immer mehr zum todten Buchstaben hinab. Zwar ist es unmöglich, daß dieser jene völlig verdrängen sollte, weil der Mensch immer ein empfindendes Wesen bleibt, und sein angebohrner Trieb, Andern von seinem innersten Daseyn Zeugniß zu geben, und es dadurch in ihnen zu vervielfältigen, (wie sehr ihn auch die Herrschaft des Verstandes, der sein Wesen, so zu sagen, immer außer uns treibt, schwächen möge) doch nie ganz verloren gehen kann. Allein in den gebildeten Sprachen, hauptsächlich in der Gestalt, wie sie zum Vortrage der deutlichen Einsicht, der Wissenschaft gebraucht werden, wittern wir kaum noch einige verlohrne Spuren ihres Ursprunges, von welchem sie so unermeßlich weit entfernt sind; wir können sie fast nicht anders als wie eine Sammlung durch Übereinkunft festgesetzter Zeichen betrachten. Indessen liegt doch jene innige, unwiderstehliche, eingeschränkte, aber selbst in ihrer Eingeschränktheit unendliche Sprache der Natur in ihnen verborgen; sie muß in ihnen liegen: nur dadurch wird eine Poesie möglich. Der ist ein Dichter, der die unsichtbare Gottheit nicht nur entdeckt, sondern sie auch andern zu offenbaren weiß; und der Grad von Klarheit, womit dieß noch in seiner Sprache geschehen kann, bestimmt ihre poetische Stärke.

Ich hatte dir vorgeworfen, du wärest bey deinem seelenvollen Vorlesen doch in Gefahr, einem Gedichte hier und da Schaden zuzufügen, oder wenigstens nicht alle Schönheit gelten zu machen, weil da dich niemahls im mindesten um die Verskunst bekümmert hast. Du wolltest dieß zwar nicht eingestehn, doch einige prosodische Erörterungen dir wohl gefallen lassen, wenn sie nur recht kurz und bündig wären; und nun findest du dich unversehens von der Mühe, die es heut zu Tage unsern Dichtern kostet, die Geburten ihrer Phantasie in Verse, oder, wie die ehrlichen Alten sagen, in Reime zu zwingen, bis zum Ursprunge der Poesie, ja bis zur ersten Entwickelung der Sprache weggerückt. Schreibe dieß indessen lieber jener sinnreich bemerkten Ähnlichkeit zwischen der Sprache der Philosophie und dem Dithyramben, als der Absicht zu, dich mit Hinterlist in theoretische Untersuchungen der Kunst zu verstricken, vor welchen ich deine Abneigung kenne. Du weißt, daß ich selbst die Theorie, an sich betrachtet, nicht liebe, sondern sie nur als ein nothwendiges Übel ansehe. Sie ist für die Poesie der Baum der Erkenntniß des Guten und Bösen: sobald diese davon gekostet hatte, war ihr Paradies der Unschuld verloren. Das Glück des goldenen Zeitlaters bestand darin, keine Gesetze zu bedürfen; aber in dem unsrigen können wir leider so wenig in der Kunst als in der bürgerlichen Gesellschaft ihrer entrathen. Der Eifer mancher warmen Freunde des Schönen gegen sie darf sich daher, um nicht unbillig zu seyn, nur wider die Machtgebote des Systems oder des Vorurtheils, welche man für ächte Gesetze der Kunst ausgiebt, oder wider die gesetzgebende Anmaaßungen des Philosophen in einem ihm fremden Gebiete auflehnen. Diesem Misverständnisse wäre vielleicht vorgebeugt worden, wenn man der Theorie, statt des wissenschaftlichen Vortrags, die mehr anziehende historische Form geliehen hätte. Sie kann sie annehmen: denn indem man erklärt, wie die Kunst wurde, zeigt man zugleich auf das einleuchtendste, was sie seyn soll. Auch ist nicht zu besorgen, die Ansichten der Theorie möchten dadurch beschränkt werden; sie hat vielmehr Erweiterung davon zu hoffen. Eben deswegen haben ja viele Kunstrichter ein so enges Regelgebäude errichtet, weil sie nur die Werke ihres eignen Volkes und zwar im Zeitalter der künstlichen Bildung vor Augen hatten; weil sie sich nie bis zur Weltgeschichte der Phantasie und des Gefühls erhoben. Welch ein weiter Horizont ist es, der alles uns bekannte Schöne der Poesie, was jemahls irgendwo unter den Menschen erschien, in sich fasst! Gewiß, der Forscher hat keine Ursache, sich darüber zu beklagen, daß er jenseit desselben nichts wahrzunehmen vermag, und es dem dichtenden Geiste überlassen muß, die noch nicht vorhandne Vortreflichkeit vorherzusehen.

Meine Absicht ist, dir darzuthun, daß das Sylbenmaaß keinesweges ein äusserlicher Zierrath, sondern innig in das Wesen der Poesie verwebt ist, und daß sein verborgner Zauber an ihren Eindrücken auf uns weit größern Antheil hat, als wir gewöhnlich glauben. Ich unternehme es nicht, hiebey von allgemeinen Grundsätzen auszugehen, weil mir das meiste von unsrer so wunderbar zusammengesetzten äussern und innern Organisation abzuhängen schient, welche wir als eine Thatsache erst aus einzelnen Beobachtungen kennen lernen. Eine förmliche Geschichte der Metrik würde bey mir weit mehr Kenntnisse, bey dir vielleicht mehr Geduld erfodern, als wir beyde haben. Indessen dürfen wir doch nicht bey den Werken unsrer heutigen Dichtkunst stehen bleiben, deren musikalischer Theil, ganz vernachläßigt, beynah verstummend in Büchern aufbewahrt wird. Hier erscheint sie uns durch Erfindungen des geschäftig müßigen Witzes so vielfach bereichert oder entstellt, und dem Eigensinn der Gewohnheit oft so unterthänig, daß wir in Gefahr kommen möchten, das Ursprüngliche und Unwandelbare in ihr vergebens zu suchen, oder, fänden wir es auch, es nicht für das, was es ist, anzuerkennen. Nein, laß uns in jene früheren Zeiten zurückkehren, wo die erst unmündige, bald kindliche, dann jugendliche Kunst (wenn sie anders da schon diesen Nahmen tragen soll, der die Vorstellung von besonnenen Absichten und den kühlem Überrechnen der Wirkung eines Verfahrens erregt) von der gütigen Natur selbst gepflegt und erzogen ward. Diese Wandrung wird wohlthätig für uns seyn; wir werden sie nicht in Gesellschaft jenes höchst verfeinerten Geschmacks anstellen, welcher oft nur in Empfindlichkeit gegen oberflächliche Berührungen bey einer gänzlichen Erstorbenheit des innern besteht.

Die Folge meiner Betrachtungen war etwa diese. Der Zwang des Sylbenmaaßes scheint bey der Äusserung lebhafter Vorstellungen und nachdrücklicher Regungen nicht natürlich, und daher auch mit der Absicht des Dichters, sie andern so vollkommen als möglich mitzutheilen, im Widerspruch zu seyn. Dennoch tritt die Poesie überall und zu allen Zeiten in irgend einer gemessenen Bewegung auf. Dieß muß, wie jede durchaus allgemeine Sitte seinen Grund in der menschlichen Natur haben, dem man am leichtesten im Ursprunge derselben nachspüren kann, weil Absicht und Überlegung sich da noch am wenigsten in die Spiele des sicher leitenden Instinktes mischen. Poesie entstand gemeinschaftlich mit Musik und Tanz, und das Sylbenmaaß war das innliche Band ihrer Vereinigung mit diesen verschwisterten Künsten. Auch nachdem sie von ihnen getrennt ist, muß sie immer noch Gesang und gleichsam Tanz in die Rede zu bringen suchen, wenn sie noch dem dichtenden Vermögen angehören und nicht bloß Übung des Verstandes seyn will. Dieß hängt genau mit ihrem bestreben zusammen, die Sprache durch eine höhere Vollendung zu ihrer ursprünglichen Kraft zurückzuführen, und Zeichen der Verabredung durch die Art des Bebrauches beynah in natürliche und an sich bedeutende Zeichen umzuschaffen.

Hier bin ich nun auf den Punkt gelangt, wovon ich wieder auszugehen wünschte. Ich mußte dir diesen Zusammenhang wenigstens in flüchtigen Zügen entwerfen, damit du mich nicht beschuldigtest, ich mache es wie jener Sänger des Trojanischen Krieges, der vom Ey der Leba anhob, oder wie so mancher Chronikschreiber, der die Begebenheiten seiner kleinen Ortschaft unmittelbar an die Geschichte der Schöpfung anschließt. Laß mich erst in den einfachen Anlagen zur Metrik den Beweis ihrer Wichtigkeit, ich möchte sagen ihrer Unentbehrlichkeit, aufsuchen; hierauf an ihrer fortschreitenden Ausbildung im allgemeinen die Schönheit entwickeln, welche sie zu erreichen strebt; und endlich zeigen, wie diese durch den unendlich verschiednen Bau der Sprachen in jeder eigenthümlich, und zwar sehr abweichend bestimmt, bald begünstigt und bald gehindert wird.
Zweyter Brief.

Fast gereut mich meines Vorhabens, liebe Freundin, da du mir bey seiner Ausführung so harte Bedingungen vorschreibst. Was ich nicht ohne Hülfe eines Kunstwortes sagen kann, soll ich nur verschweigen. Allem eigentlich Wissenschaftlichen, sey es nun Metaphysik oder Grammatik, willst du den Zutritt durchaus nicht verstatten. gestehe nur, diene Absicht hiebey ist weniger, es dir leicht, als es mir schwer zu machen. Du besorgst, ich möcht eine unwillkommenes Licht auf Gegenstände werfen, die du lieber in einer freundlichen Dämmerung erblickst, und den Zauber vernichten, indem ich mich bemühe ihn zu erklären. Aber gieb mir nur Raum auch nach den strengsten und sorgfältigsten Zergliederungen bleibt unsre eigene Natur uns immer noch ein Räthsel; besonders ist das Gewebe unsrer Empfindungen so fein und dicht, daß sich die einzelnen Faden, woraus es besteht, kaum unterschieden, geschweige dann unversehrt auftrennen lassen. Wir werden oft Gelegenheit finden, im Genusse des Ahnens und halben Errathens den forschenden Ernst aufzuheitern.

Wenn du gleich auf der einen Seite die Langeweile eines methodischen Unterrichts fliehest, so bist du doch wohl auf der andern nicht von jener Begierde nach versagter Erkenntniß frey, die zwar uns allen angebohren scheint, sich aber doch, wenn wir einer ehrwürdigen Urkunde trauen sollen, in deinem Geschlechte am frühesten verrathen hat. Sie lockt auch mich, ich will es nicht leugnen, zu Untersuchungen über jene Geschichte hin, die aller eigentlichen Geschichte vorausgeht. Wir steigen gar zu gern in die Tiefe der Zeiten bis zu einer unbekannten und eben deswegen heiligen Urwelt hinab. Wir bekümmern uns genauer um den ersten Menschen, als manchmahl um unsre Vettern und Muhmen. Wir ängstigen uns, wie er doch seine von der armseligsten Thierheit gefesselten Anlagen entwickeln, wie er sich aus so manchen Verlegenheiten ziehen wird. Was gäben wir nicht darum, bey seiner Erschaffung, ja bey der Schöpfung überhaupt gegenwärtig gewesen zu seyn!

Die Frage vom Ursprunge der Sprache steht mit den Meynungen über den anfänglichen Zustand des Menschen in engem Bezuge. Sie ist sehr alt, denn sie hat schon vor ein paar tausend Jahren Denker beschäftigt; und die mancherley entgegengesetzten Auflösungen, welche man damahls wie in den neusten Zeiten versucht hat, erinnern uns zwar, daß es fast eben so schwer ist, neue Irrthümer, als neue Wahrheiten zu ersinnen; aber sie dürfen uns keine Zweifel erregen, ob eine vollständige und genugthuende Beantwortung auch wohl möglich sey. Historische Nachrichten kann die Philosophie freylich nicht ertheilen: sie begnügt sich darzuthun, aus und mit welchen Anlagen des Menschen die Sprache sich entwickeln konnte und mußte, ohne den wirklichen Vorgang dieser Begebenheit nach Zeit, Ort und Umständen erzählen zu wollen. Zwischen der letzten, bestimmtesten Anwendung ihrer allgemeinen Lehren, und den ältesten Urkunden, die wir in aufbewahrten Schriften oder in der Kindheit noch vorhandner Sprachen entziffern können, ist der Abstand so groß, daß man nur durch einen tödtlichen Sprung hinüber gelangen kann. Viele haben ihn indessen von diesseits und jenseits gewagt, die Lücke ist mit sinnreichen Spielen oder schwerfälligen Grübeleyen einer gewissen philosophischen Etymologie, die weder der genaue Sprachforscher noch der nüchterne Philosoph anerkennt, reichlich bevölkert, scheinbar ausgefüllt worden; und wenn man jene Schattenwesen nicht so unstät und ohne Haltung herumschweben sähe, könnte man wirklich glauben, sie hätten festen Boden unter sich. Was das übelste ist, so haben die mislungenen Bemühungen, die Sprachen aller Völker von einem gemeinschaftlichen Stamme abzuleiten, indem man sie mit der philosophischen Theorie über ihren Ursprung verwechselte, diese selbst verdächtig gemacht. Du erlässest mir es gern, dir von den göttlichen Unterricht, der seiner Unfähigkeit die Sprache zu erfinden zu Hülfe gekommen seyn soll, da doch zu ihrer Erlernung dasselbe Vermögen erfodert wird, dem ihre Erfindung angehört: nämlich das Vermögen, Vorstellungen durch Zeichen festzuhalten und zu erneuern; oder von der müßigen und überlegten Verabredung der Menschen, kraft welcher sie den Dingen diese oder jene beliebigen Nahmen gaben, wie man etwa seine Kinder tauft, und sich also verständigten, ehe sie ein Mittel der Verständigung hatten. Diese beyden Meynungen sind vielleicht noch nicht für immer abgewiesen, doch gewiss für immer widerlegt. Aber ihre siegreichen Gegner sind nur darin einig, daß sie keine Verirrung aus der menschlichen Natur oder über sie hinaus gelten lassen, und einen wesentlichen Zusammenhang zwischen den ersten Zeichen und ihrer Bedeutung anerkennen: sie widersprechen sich in der Art ihn zu erklären. Die Sprache ist entweder aus Tönen der Empfindung ganz allein, oder aus Nachahmungen der Gegenstände ganz allein, oder aus beyden zusammen entstanden. Der Hauptsache und dem Wesen nach lassen sich nicht mehr Systeme denken als diese drey; und wenn die zahlreichen Schriften, worinn sie vorgetragen werden, eine grössere Mannigfaltigkeit darbieten, so liegt sie nur in ihrer Begründung und ausführlicheren Bestimmung.

Nicht dem Menschen allein, auch vielen Gattungen von Thieren dringt das Gefühl ihres Zustandes gewisse Laute ab, die von verwandten Geschöpfen mit einer ähnlichen, oft fast eben so starken, Erschütterung der Nerven, wie die, welche sie erzeugte, vernommen werden. Bey manchen bleibt die Stimme nur für die dringendste Noth, für die heftigsten Leidenschaften aufgespart, und selbst ihre Geselligkeit ist meistens stumm. Andere hingegen ist bey einer Organisation, die sich der menschlichen weit weniger nähert, zum Theil auch bey beschränkteren Anlagen und einem geringern Maaße von Gelehrigkeit, der vielfachste, beredteste Ausdruck sogar der zarteren Regungen, und, wie es scheint, eine unermüdliche Lust an ihren eignen Tönen gegönnt.

Wenn man den Menschen, bloß nach seiner körperlichen Zusammensetzung betrachtet, zu jenem rechnet: (und dieß hat allen Anschein für sich; denn zu unsrer Demüthigung gleichen wir dem hässlichsten Affen viel mehr als der Nachtigall) so ist es allerdings einleuchtend, daß der Schrey körperlicher Schmerzen oder thierischer Begierden, vom ersten Wimmern des Neugebohrnen bis zum letzten Ächzend es Sterbenden, sich nie bis zur Rede erheben kann; und der Empfindung wird folglich mit Recht aller Antheil an ihrer Entstehung abgesprochen. Selbst die einfachen Ausrufe der Leidenschaft, (Interjektionen) welche auch die verfeinteste Sprache noch gelten läßt, sind eigentlich nicht mehr jene unwillkührlich hervorgebrachten Laute selbst, sondern vertreten sie nur durch ihren gemilderten Ausdruck, und fliessen also mit allen übrigen Wörtern aus der gemeinschaftlichen Quelle der Nachahmung her.

Dennoch ist es unläugbar, und wir erfahren es täglich, daß der Mensch eben so wohl für seine Empfindungen als für seine Gedanken Zeichen der Mittheilung hat; und zwar nicht allein für die, welche seinen Organen von außen durch eine körperliche Gewalt eingedrückt werden, sondern auch für solche, deren ihn bloß seine höhere Natur empfänglich macht, und wodurch der Prometheische Funke in dem Stoffe, den er belebt, sich freythätig und herrschend beweiset. Diese Zeichen bestehen im lebendigen Vortrage der Rede und in den Gebährden: wenn anders alles, wodurch sich das Innre im Äussern offenbart, mit Recht Sprache heißt, so verdienen sie eben so sehr diesen Nahmen zu tragen, als die Schätze des Wörterbuchs. Einige Gebährden sind nachahmend, oder zeigen auch gleichsam auf die Gegenstände hin; manche Biegung der Stimme dienen dazu, die Beziehung der Begriffe auf einander deutlich, ihre größere oder geringere Wichtigkeit anschaulich zu machen; allein in den meisten redet das Gefühl, und zwar wendet es sich hiebey nicht an den Verstand, als an den Ausleger seiner Äusserungen, sondern weiß sich unmittelbar mitzutheilen. Wenn wir zum Beyspiel die Mienen eines Traurigen sehen, und den Ton seiner Stimme hören, ohne die Worte zu verstehn; ist etwa erst ein Schluß nöthig, um uns von seiner Gemüthslage zu unterrichten? Oder wird nicht vielmehr durch die Eindrücke auf Auge und Ohr in unsern innern Organen, und dadurch in unsrer Seele eine ähnliche Bewegung hervorgebracht? „Jede Regung,“ sagt ein alter Philosoph, „hat von Natur ihre Gebährde, Miene und Stimme; der ganze Körper des Menschen gleicht den Saiten einer Leyer, welche, je nachdem die Seele sie rührt, verschiedne Töne angeben.“ Könnte man dieß schöne Gleichniß nicht auch auf die Mittheilung der Gefühle anwenden, und, um sie zu erklären, an jenes Gesetz der tönenden Körper erinnern, nach welchem gleichgestimmte Saiten, ohne sich sichtbar zu berühren, nur durch die erschütterte Luft ihre Bebungen gegenseitig bis zu einander fortpflanzen? Aber wie es auch zugehen mag: wohl uns, daß ein innigeres Band des Mitgefühls als der eigennützige Ideenhandel des Verstandes das menschliche Geschlecht zu einem Ganzen verknüpft! Wir würden sonst mitten in der Gesellschaft einsam, im Leiden von aller Theilnahme verlassen, im Glücke selbst zu den todten Freuden des Egoismus verdammt seyn.

Diese Sprache schränkt sich keinesweges bloß auf die stärksten Regungen oder eigentlichen Leidenschaften ein. Sie folgt mit ihrem Ausdrucke den unendlich verschiedenen Graden und Abstufungen der Empfindung, im weitesten Sinne des Wortes, für Wahrnehmung des eignen Zustandes genommen; ja selbst die Gleichgültigkeit hat den ihrigen. Irgend einer wird daher mit allen ausgesprochenen Gedanken vernommen, und nur, indem wir ihnen durch das künstliche Hülfsmittel der Schrift eine Art von Fortdauer außer uns verschaffen, wird es möglich, ihn ganz davon abzusondern. Sobald aber diese Zeichen wieder durch die Stimme belebt werden sollen, so muß der Leser den Ausdruck hinzubringen, mit welchem er vermuthen kann, daß der Urheber eines Gedankens ihn ausgesprochen hätte.

Weit entfernt, daß die Sprache der Gebährden, Mienen und Akzente von irgend einer Übereinkunft abhinge, oder erst durch die Erziehung erlernt würde, ist aller Zwang der Erziehung und des Wohlstandes nicht im Stande, sie je ganz zu unterdrücken, oder, wo es an innrer Empfänglichkeit fehlt, den Mangel im Äussern vollkommen zu ersetzen. Wie weit man es auch in der Herrschaft über die Bewegungen des Körpers und der Stimme bringen mag: einige Gefühle sind dennoch zu stark, als daß man ihren Ausdruck völlig ersticken, andre zu heilig, als daß man ihn erheucheln könnte. Selbst wo die verstrickenden Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft die Verstellung zum täglichen Geschäfte machen, täuscht man sich nicht sonderlich, weil der Scharfsinn im Unterscheiden mit der Geschicklichkeit im Nachahmen immer im gleichen Grade zunimmt. Die Einfalt der Natur ist als Schauspielerin dessen, was sie wirklich fühlt, der geübtesten Kunst überlegen, die eine fremde Rolle übernimmt.

Nicht wahr, meine Freundin: jetzt gewinnt die Lehre, welche, mit Ausschliessung der Nachahmung, die Empfindung zur einzigen Bildnerin der Sprache macht, ein ganz andres Ansehen? Wir forschen nach dem Ursprunge der Sprache; wir betrachten ihre jetzigen Bestandtheile, wir finden darunter etwas, was so wenig der künstlichen Verabredung oder dem Witze einzelner Menschen angehört, daß es vielmehr durch alle von diesen herrührende Zusätze und Veränderungen unfehlbar geschwächt und entstellt wird; das sich in seiner größten Reinheit und Stärke gerade unter solchen Völkern findet, deren Zustand sich am wenigsten von dem Ursprünglichen zu entfernen scheint, oder deren reiche und regsame Empfänglichkeit den Wirkungen der feinern Ausbildung das Gegengewicht hält; etwas, worin jedes Kind und jeder Wilde die Beredtsamkeit eines Demosthenes beschämt; wodurch endlich Menschen aus den entferntesten Zonen, und, würden sie wieder ins Leben gerufen, aus den entferntesten Jahrhunderten, einander mittheilen könnten, was in ihrem Innern vorgeht. Dürfen wir also noch anstehen, dieß für die ächte, ewige, allgemein gültige Sprache des Menschengeschlechts anzuerkennen? Und ist sie das: wie liesse sich noch zweifeln, daß sie in allen einzelnen und abgeleiteten Sprachen das Ursprüngliche ausmacht?

Nun scheint auch der Einwurf wegzufallen, der von dem Gegensatze zwischen thierischem Geschrey und artikulirter Rede hergenommen wird, indem man behauptet, der gänzliche Mangel an Verwandschaft zwischen beyden mache einen Übergang unmöglich. Es ist wahr, die vierfüßigen Theire schreyen nur; aber die Vögel singen zum Theil: hier sehen wir also schon zwey ganz verschiedne Sprachen, (ohne die vielen Dialekte der besondern Thiergeschlechter zu rechnen) welche die Natur durch die verschiedne Einrichtung der Organe mit ähnlichen Empfindungen verknüpft hat. Wäre es denn so unwahrscheinlich, daß sie auch dem edelsten Thier eine ihm ausschließend eigne Sprache der Empfindung verliehen hätte? Jeder Mensch fängt freylich den Gebrauch seiner Stimme mit Schreyen an, wenn wir nicht etwa jene Kinder der Chorasmier ausnehmen wollen, die nach der Erzählung eines morgenländischen Geschichtschreibers schon in der Wiege die musikalischen Anlagen des Volkes verrathen, indem sie fast melodisch weinen. Allein, man würde sich sehr irren, wenn man von den ersten Übungen eines noch schwachen Organs einen ungünstigen Schluß auf das, wozu die Natur es im Zustande seiner völligen Entwicklung und Stärke bestimmt hat, herleiten wollte. Die Jungen der Nachtigall könnte man nach ihrem unbedeutenden Zwitschern mit Sperlingen verwechseln. Die Kinder lernen erst durch Nachahmung der Erwachsenen sprechen: beweißt dieß, daß die dazu erfoderliche Bewegung ihren Organen nicht von Natur eigen ist? Zeigt nicht vielmehr ihr früher Trieb dazu das Gegentheil? Ihre Fortschritte hierin sind im Vergleich mit denen, welche sie in jeder andern Verrichtung machen, nicht vorzüglich langsam; ja, viele Kinder lernen die Zunge weit eher fertig bewegen, als die Füße. Vielleicht findet auch bey Thieren eine Nachahmung der Alten durch die Jungen, bey manchen sogar eine Art von Unterricht Statt. Einige Vögel scheinen ja ihren Kleinen fliegen zu lehren: warum nicht auch singen? Von der Nachtigall wirst du es dem Dichter und Musiker, die diesen Gedanken so bezaubernd ausgeführt haben , gewiß willig glauben, ohne auf die Bestätigung des Naturforschers zu warten. Zwar ist schöner Gesang dem Menschen nicht so angebohren, wie diesem beneideten zarten Geschöpfe, das gleichsam ganz Kehle, ganz Wohllaut ist; aber die Stimme auf irgend eine Art singend zu biegen, ist auch den menschlichen Organen sehr natürlich, wie man es oft an Kindern beobachten kann. Die erste Sprache mag ein wüstes Gemisch von Geschrey und Gesange gewesen seyn: und warum wäre es unmöglich, daß dieses nach und nach gemäßigt und herabgestimmt, durch viele Mittelstufen sich endlich in eine artikulirte Rede umgebildet hätte? Viele Sprachen der Wilden wurden von Reisenden noch sehr unartikulirt gefunden, so daß sie mit aller Mühe die gehörten Laute nicht nachsprechen, geschweige dann in unsrer Schrift aufzeichnen konnten.

Wie nun? Wofür sollen wir uns im Gedränge zwischen diesen zwey entgegengesetzten Systemen entscheiden? Da wir nicht beyde zugleich gelten lassen, und doch weder das eine noch das andre unbedingt verwerfen können, so müssen wir sie friedlich zu vereinigen suchen. Beyde scheinen mir Theil an der Wahrheit zu haben, und nur darin unrichtig zu seyn, daß sie ihr Grundgesetz des Ursprunges der Sprache als das einzige, mit Ausschließung des andern, behaupten. Die, welche alles auf die Ähnlichkeit der Zeichen mit den benannten Gegenständen, erst mit den hörbaren, dann durch entferntere Beziehungen zwischen den verschiednen Sinnen auch mit andern, zurückführen, schränken den der menschlichen Organisazion eignen Ausdruck der Empfindung willkührlich zu enge ein: denn Erfahrungen an Menschen in einem widernatürlichen Zustande, zum Beyspiel an solchen, die unter Thieren verwilderten, oder an Taubgebohrnen taugen zum Bewiese ihrer Voraussetzung nicht. Die ausdrucksvolle Beweglichkeit der menschlichen Glieder, vorzüglich des Antlitzes, widerspricht ihr vielmehr. Gleicht der Mensch hierin einem vielbesaiteten, von Leidenschaften mannigfaltig gerührtem Instrumente, indessen der thierischen Eingeschränktheit eine oder wenige Saiten genügen: warum nicht auch in den Tönen der Empfindung? Will man hingegen die Sprache ganz von diesen ableiten, so bleibt es unerklärlich, wie sie so unendlich hat erweitert und vervollkommt werden können. In der Empfänglichkeit des Menschen allein, wäre sie auch noch so vieles zarter und umfassender als in den übrigen Thieren, liegt kein unterscheidendes Kennzeichen seiner Natur. Er würde also, wie wir es an jenen sehen, mit den Vorzügen seiner Organisazion durch alle Geschlechter hin beständig auf eben dem Punkte beharren, wäre ihm nicht eine selbstthätige Richtung derselben verliehen. Bey dem Eindruck der Gegenstände durch die Sinne auf die innern Organe, und bey der Gegenwirkung dieser auf die äußern verhält er sich bloß leidend: der Gebrauch einer ganz hierauf beruhenden Sprache würde folglich gar nicht von seinem Willen abhängen. Unser Liebling Hemsterhuys hat bey dem System, das er vertheidigt , dieser Einwendung dadurch vorzubeugen gesucht, daß er bey der Sprache, als Werkzeug der Mittheilung betrachtet, die innre Sprache der Seele, das Vermögen, Vorstellungen durch Zeichen festzuhalten und zu erneuern, schon voraussetzt, und nur die Beschaffenheit der Mittheilungszeichen durch den nothwendigen Zusammenhang zwischen den Bewegungen der innern und äußern Organe bestimmen läßt. Allein warum sollte die Selbstthätigkeit grade hier still stehen, da doch ihre Macht sich so viel weiter erstreckt? Wir wissen nur zu gut, daß ihr Einfluß den Ausdruck der Empfindungen eher verfälscht und stört als befördert. Aber Zeichen mit den Vorstellungen von Gegenständen ausser uns, vorzüglich nach dem Gesetz der Ähnlichkeit, verknüpfen, und sie dadurch auch in andern erwecken, ist ihr eigentliches Geschaft: und wie sollte sie es bey der ersten Bildung der menschlichen Rede nicht ausgeübt haben?

Mehrere Philosophen sind zwar einen Mittelweg gegangen, und haben zwey Quellen der Sprache anerkannt: allein sie räumen dabey der Empfindung meistens zu wenig ein; bleiben bey den Interjektionen, als dem Einzigen, was ihr angehöre, stehen; und bemerken ganz richtig, daß diese nur im Zeitalter der rohen Sinnlichkeit, der ungezähmten Leidenschaft eine bedeutende Rolle unter den Wörtern spielen könnten, sich aber mit dem Fortgange der Verfeinerung immer mehr verlieren müssen. Es ist wahr, jene mächtigen Eindrücke, welche auf einen Augenblick alle Vorstellungen verdunkeln, äussern sich nur in abgebrochnen Ausrufungen. Aber daß die Empfindung, in so fern sie als Wahrnehmung des eignen Zustandes jede Vorstellung von etwas ausser uns nothwendig begleitet, sowohl an dem Ursprunge als an der weitern Ausbildung der Sprache, mit dem Bestreben, die Dinge nachahmend zu bezeichnen, einen glich wesentlichen und allgemeinen Antheil habe, scheint mir durch alles Bisherige ausgemacht. Freylich läßt sich ihr Werk nicht an einzelnen Worten darlegen; auch in der ganzen Masse einer Sprache ist sie nicht sichtbar vorhanden und gleichsam mit Händen zu greifen, eben so wenig, wie man den lebhaften Vortrag einer Rede in Schriftzüge würde auffassen können. Es ist eine geistige Gegenwart, wie die der Luft in so vielen von ihr durchdrungenen Körpern unsichtbar und belebend. Indessen will ich dir doch nachher, wann ich von dem sinnlich Schönen in den Sprachen reden werde, wenigstens flüchtig anzudeuten versuchen, wie dieses hauptsächlich von dem Reichthum und dem Charakter der Empfänglichkeit eines Volkes abhängt.

Nun zum Ursprunge der Poesie, worauf ich mit allen meinen Betrachtungen hinzielte. Historisch wissen wir davon eben so wenig als von der Entstehung der Sprache. Denn, obgleich die fabelnden Sagen einzelner Völker darüber vielleicht auf manchen wirklichen Umstand in ihrer frühesten Geschichte anspielen, so sind sie doch immer an ihre besondre Szene gebunden, und das wunderbare Alterthum, wohin sie alles zurückschieben, ist jung neben dem Menschengeschlechte. Die erwachsene Muse mochte sich von ihrer Kindheit einiges dunkel erinnern: wie hätte sie es von dem ersten Augenblicke ihres Daseyns gekonnt? Wir müssen uns also mit den allgemeinen Aufschlüssen begnügen, die uns die Lehre vom Ursprunge der Sprache geben kann. Aus der Beschaffenheit des Bodens, woraus der erste Keim der Poesie aufsproßte, läßt sich ungefähr vermuthen, wie er gediehen seyn mag. War die älteste Sprache wirklich das Werk jener beyden vereinigt wirkenden Anlagen der menschlichen Natur, denen wir sie zugeschrieben haben, so war sie auch zuverlässig ganz Bild und Gleichniß, ganz Akzent der Leidenschaften: die sinnlichen Gegenstände lebten und bewegten sich in ihr, und das Herz bewegte sich mit allen. Dieß ist es, was man so oft gesagt hat, und was doch nur in einem gewissen Sinne wahr ist: Poesie und Musik sey vom Anfange an da gewesen, und gleich alt mit der Sprache. Welch eine Poesie und welch eine Musik kann man sich hiebey denken? Beyden fehlte noch etwas, woran doch ihre ganze Entwicklung zu schönen Künsten hieng, nämlich ein Gesetz der äußern Form; und wie dieses gefunden worden, ist dadurch noch im geringsten nicht erklärt. Zwar brauchte nur einmal die Freyheit von äußern Bedürfnissen und ungewöhnlich starke Regung der innern Lebensfülle in Einer Stunde zusammenzutreffen, so mischte sich die noch ungeübte rauhe Kehle des Menschen unter die übrigen Waldgesänge und stimmte den ersten Hymnus an. Allein wie kam eine gleichförmige Bewegung, ein Zeitmaaß in seinen Gesang, oder (denn beydes war ja ursprünglich eins) ein Rhythmus, sey er auch noch so unförmlich gewesen, in seine Worte? Mußten sie nicht vielmehr, den augenblicklich wechselnden Antrieben gemäß, regellos hinströmen? Und wie verfiel der freye Sohn der Natur darauf, dem Ungestüm seiner Phantasie und seiner Gefühle selbst irgend einen Zügel anzulegen? – Das nächste Mahl will ich dieß Räthsel zu lösen suchen.

Die Fortsetzung folgt.

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