HomeDie Horen1795 - Stück 12I. Die sentimentalischen Dichter. [Friedrich Schiller]

I. Die sentimentalischen Dichter. [Friedrich Schiller]

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Der Dichter, hieß es in dem vorhergehenden Versuch über das Naive ist entweder Natur, oder er wird sie suchen. Jenes macht den naiven, dieses den sentimentalischen Dichter. Mit der Erklärung dieses Satzes wird der gegenwärtige Versuch sich beschäftigen.

Der dichterische Geist ist unsterblich und unverlierbar in der Menschheit; er kann nicht anders als zugleich mit derselben und mit der Anlage zu ihr sich verlieren. Denn, entfernt sich gleich der Mensch durch die Freyheit seiner Phantasie und seines Verstandes von der Einfalt, Wahrheit und Nothwendigkeit der Natur, so steht ihm doch nicht nur der Pfad zu derselben immer offen, sondern ein mächtiger und unvertilgbarer Trieb, der moralische, treibt ihn auch unaufhörlich zu ihr zurück, und eben mit diesem Triebe steht das Dichtungsvermögen in der engsten Verwandtschaft. Dieses verliert sich also nicht auch zugleich mit der natürlichen Einfalt, sondern wirkt nur nach einer andern Richtung.

Auch jetzt ist die Natur noch die einzige Flamme, an der sich der Dichtergeist nähret, aus ihr allein schöpft er seine ganze Macht, zu ihr allein spricht er auch in dem künstlichen, in der Kultur begriffenen Menschen. Jede andere Art zu wirken ist dem poetischen Geiste fremd; daher, beiläufig zu sagen, alle sogenannten Werke des Witzes ganz mit Unrecht poetisch heißen, ob wir sie gleich lange Zeit, durch das Ansehen der französischen Litteratur verleitet, damit vermenget haben. Die Natur, sage ich, ist es auch noch jetzt, in dem künstlichen Zustande der Kultur, wodurch der Dichtergeist mächtig ist, nur steht er jetzt in einem ganz andern Verhältniß zu derselben.

So lange der Mensch noch reine, es versteht sich, nicht rohe Natur ist, wirkt er als ungetheilte sinnliche Einheit, und als ein harmonierendes Ganze. Sinne und Vernunft, empfangendes und selbstthätiges Vermögen, haben sich in ihrem Geschäfte noch nicht getrennt, vielweniger stehen sie im Widerspruch miteinander. Seine Empfindungen sind nicht das formlose Spiel des Zufalls, seine Gedanken nicht das gehaltlose Spiel der Vorstellungskraft; aus dem Gesetz der Nothwendigkeit gehen jene, aus der Wirklichkeit gehen diese hervor. Ist der Mensch in den Stand der Kultur getreten, und hat die Kunst ihre Hand an ihn gelegt, so ist jene sinnliche Harmonie in ihm aufgehoben, und er kann nur noch als moralische Einheit, d. h. als nach Einheit strebend, sich äußern. Die Übereinstimmung zwischen seinem Empfinden und Denken, die in dem ersten Zustande wirklich statt fand, existiert jetzt bloß idealisch; sie ist nicht mehr in ihm, sondern außer ihm; als ein Gedanke, der erst realisiert werden soll, nicht mehr als Thatsache seines Lebens. Wendet man nun den Begriff der Poesie, der kein anderer ist, als der Menschheit ihren möglichst vollständigen Ausdruck zu geben, auf jene beyden Zustände an, so ergiebt sich, daß dort in dem Zustand natürlicher Einfalt, wo der Mensch noch, mit allen seinen Kräften zugleich, als harmonische Einheit wirkt, wo mithin das Ganze seiner Natur sich in der Wirklichkeit vollständig ausdrükt, die möglichst vollständige Nachahmung des Wirklichen – daß hingegen hier in dem Zustande der Kultur, wo jenes harmonische Zusammenwirken seiner ganzen Natur bloß eine Idee ist, die Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal oder was auf eins hinausläuft, die Darstellung des Ideals den Dichter machen muß. Und dies sind auch die zwey einzig möglichen Arten, wie sich überhaupt der poetische Genius äussern kann. Sie sind, wie man sieht, äusserst von einander verschieden, aber es giebt einen höheren Begriff, der sie beyde unter sich fasst, und es darf gar nicht befremden, wenn dieser Begriff mit der Idee der Menschheit in eins zusammentrifft.

Es ist hier der Ort nicht, diesen Gedanken, den nur eine eigene Ausführung in sein volles Licht setzen kann, weiter zu verfolgen. Wer aber nur irgend, dem Geiste nach, und nicht bloß nach zufälligen Formen eine Vergleichung zwischen alten und modernen Dichtern anzustellen versteht, wird sich leicht von der Wahrheit desselben überzeugen können. Jene rühren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, durch lebendige Gegenwart; diese rühren uns durch Ideen.

Dieser Weg, den die neueren Dichter gehen, ist übrigens derselbe, den der Mensch überhaupt sowohl im Einzelnen als im Ganzen einschlagen muß. Die Natur macht ihn mit sich Eins, die Kunst trennt und entzweyet ihn, durch das Ideal kehrt er zur Einheit zurück. Weil aber das Ideal ein unendliches ist, das er niemals erreicht, so kann der kultivierte Mensch in seiner Art niemals vollkommen werden, wie doch der natürliche Mensch es in der seinigen zu werden vermag. Er müßte also dem letztern an Vollkommenheit unendlich nachstehen, wenn bloß auf das Verhältniß, in welchem beide zu ihrer Art und zu ihrem Maximum stehen, geachtet wird. Vergleicht man hingegen die Arten selbst mit einander, so zeigt sich, daß das Ziel, zu welchem der Mensch durch Kultur strebt, demjenigen, welches er durch Natur erreicht, unendlich vorzuziehen ist. Der eine erhält also seinen Wert durch absolute Erreichung einer endlichen, der andere erlangt ihn durch Annäherung zu einer unendlichen Größe. Weil aber nur die letztere Grade und einen Fortschritt hat, so ist der relative Werth des Menschen, der in der Kultur begriffen ist, im Ganzen genommen, niemals bestimmbar, obgleich derselbe, im einzelnen betrachtet sich in einem nothwendigen Nachtheil gegen denjenigen befindet, in welchem die Natur in ihrer ganzen Vollkommenheit wirkt. Insofern aber das letzte Ziel der Menschheit nicht anders als durch jene Fortschreitung zu erreichen ist, und der letztere nicht anders fortschreiten kann, als indem er sich kultiviert und folglich in den erstern übergeht, so ist keine Frage, welchem von beyden in Rücksicht auf jenes letzte Ziel der Vorzug gebühre.

Dasselbe, was hier von den zwey verschiedenen Formen der Menschheit gesagt wird, läßt sich auch auf jene beyden, ihnen entsprechenden Dichterformen anwenden.

Man hätte deßwegen alte und moderne – naive und sentimentalische – Dichter entweder gar nicht, oder nur unter einem gemeinschaftlichen höheren Begriff (einen solchen giebt es wirklich) miteinander vergleichen sollen. Denn freylich, wenn man den Gattungsbegriff der Poesie zuvor einseitig aus den alten Poeten abstrahiert hat, so ist nichts leichter, aber auch nichts trivialer als die modernen gegen sie herabzusetzen. Wenn man nur das Poesie nennt, was zu allen Zeiten auf die einfältige Natur gleichförmig wirkte, so kann es nicht anders seyn, als daß man den neuern Poeten gerade in ihrer eigensten und erhabensten Schönheit den Nahmen der Dichter wird streitig machen müssen, weil sie gerade hier nur zu dem Zögling der Kunst sprechen, und der einfältigen Natur nichts zu sagen haben. Wessen Gemüth nicht schon zubereitet ist, über die Wirklichkeit hinaus ins Ideenreich zu gehen, für den wird der reichste Gehalt leerer Schein und der höchste Dichterschwung Überspannung seyn. Keinem Vernünftigen kann es einfallen, in demjenigen, worinn Homer groß ist, irgend einen Neuern ihm an die Seite stellen zu wollen, und es klingt lächerlich genug, wenn man einen Milton oder Klopstock mit dem Nahmen eines neuern Homer beehrt sieht. Eben so wenig aber wird irgend ein alter Dichter und am wenigsten Homer in demjenigen, was den modernen Dichter charakteristisch auszeichnet, die Vergleichung mit demselben aushalten können. Jener, möchte ich es ausdrücken, ist mächtig durch die Kunst der Begrenzung, dieser ist es durch die Kunst des Unendlichen.

Und eben daraus, daß die Stärke des alten Künstlers (denn, was hier von dem Dichter gesagt worden, kann unter den Einschränkungen, die sich von selbst ergeben, auch auf den schönen Künstler überhaupt ausgedehnt werden) in der Begrenzung bestehet, erklärt sich der hohe Vorzug, den die bildende Kunst des Alterthums über die der neueren Zeiten behauptet, und überhaupt das ungleiche Verhältniß des Werths, in welchem moderne Dichtkunst und moderne bildende Kunst zu beyden Kunstgattungen im Alterthum stehen. Ein Werk für das Auge findet nur in der Begrenzung seine Vollkommenheit; ein Werk für die Einbildungskraft kann sie auch durch das Unbegrenzte erreichen. In plastischen Werken hilft daher dem Neuern seine Überlegenheit in Ideen wenig; hier ist er genöthigt, das Bild seiner Einbildungskraft auf das genaueste im Raum zu bestimmen, und sich folglich mit dem alten Künstler gerade in derjenigen Eigenschaft zu messen, worinn dieser seinen unabstreitbaren Vorzug hat. In poetischen Werken ist es anders, und siegen gleich die alten Dichter auch hier in der Einfalt der Formen und in dem was sinnlich darstellbar und körperlich ist, so kann der neuere sie wieder in Reichthum des Stoffes, in dem was undarstellbar und unaussprechlich ist, kurz, in dem was man in Kunstwerken Geist nennt, hinter sich lassen.

Da der naive Dichter bloß der einfachen Natur und Empfindung folgt, und sich bloß auf Nachahmung der Wirklichkeit beschränkt, so kann er zu seinem Gegenstand auch nur ein einziges Verhältniß haben, und es giebt, in dieser Rücksicht, für ihn keine Wahl der Behandlung. Der verschiedene Eindruck naiver Dichtungen beruht, (vorausgesetzt, daß man alles hinweg denkt, was daran dem Inhalt gehört, und jenen Eindruck nur als das reine Werk der poetischen Behandlung betrachtet), beruht sage ich bloß auf dem verschiedenen grad einer und derselben Empfindungsweise; selbst die Verschiedenheit in den äuseren Formen kann in der Qualität jenes ästhetischen Eindrucks keine Veränderung machen. Die Form sei lyrisch oder episch, dramatisch oder beschreibend; wir können wohl schwächer und stärker, aber (sobald von dem Stoff abstrahiert wird) nie verschiedenartig gerührt werden. Unser Gefühl ist durchgängig dasselbe, ganz aus Einem Element, so daß wir nichts darinn zu unterscheiden vermögen. Selbst der Unterschied der Sprachen und Zeitalter ändert hier nichts, denn eben diese reine Einheit ihres Ursprungs und ihres Effekts ist ein Charakter der naiven Dichtung.

Ganz anders verhält es sich mit dem sentimentalischen Dichter. Dieser reflektiert über den Eindruck, den die Gegenstände auf ihn machen und nur auf jene Reflexion ist die Rührung gegründet, in die er selbst versetzt wird, und uns versetzt. Der Gegenstand wird hier auf eine Idee bezogen und nur auf dieser Beziehung beruht seine dichterische Kraft. Der sentimentalische Dichter hat es daher immer mit zwey streitenden Vorstellungen und Empfindungen, mit der Wirklichkeit als Grenze und mit seiner Idee als dem Unendlichen zu thun, und das gemischte Gefühl, das er erregt, wird immer von dieser doppelten Quelle zeugen. Da also hier eine Mehrheit der Principien statt findet, so kommt es darauf an, welches von beyden in der Empfindung des Dichters und in seiner Darstellung überwiegen wird, und es ist folglich eine Verschiedenheit in der Behandlung möglich. Denn nun entsteht die Frage, ob er mehr bei der Wirklichkeit, ob er mehr bey dem Ideal verweilen – ob er jene als einen Gegenstand der Abneigung, ob er dieses als einen Gegenstand der Zuneigung ausführen will. Seine Darstellung wird also entweder satyrisch oder sie wird (in einer weiteren Bedeutung dieses Wortes, die sich nachher erklären wird) elegisch seyn; an eine von diesen beyden Empfindungsarten wird jeder sentimentalische Dichter sich halten.
Satyrische Dichtung.

Satyrisch ist der Dichter, wenn er die Entfernung von der Natur und den Widerspruch der Wirklichkeit mit dem Ideale (in der Wirkung auf das Gemüth kommt beydes auf eins hinaus) zu seinem Gegenstande macht. Dieß kann er aber sowohl ernsthaft und mit Affekt, als scherzhaft und mit Heiterkeit ausführen; je nachdem er entweder im Gebiethe des Willens oder im Gebiethe des Verstandes verweilt. Jenes geschieht durch die strafende, oder pathetische, dieses durch die scherzhafte Satyre.

Streng genommen verträgt zwar der Zweck des Dichters weder den Ton der Strafe noch den der Belustigung. Jener ist zu ernst für das Spiel, was die Poesie immer sein soll; dieser ist zu frivol für den Ernst, der allem poetischen Spiele zum Grund liegen soll. Moralische Widersprüche interessieren nothwendig unser Herz, und rauben also dem Gemüth seine Freyheit; und doch soll aus poetischen Rührungen alles eigentliche Interesse, d. h. alle Beziehung auf ein Bedürfniß verbannt seyn. Verstandes-Widersprüche hingegen lassen das Herz gleichgültig, und doch hat es der Dichter mit dem höchsten Anliegen des Herzens, mit der Natur und dem Ideal, zu thun. Es ist daher keine geringe Aufgabe für ihn, in der pathetischen Satyre nicht die poetische Form zu verletzen, welche in der Freyheit des Spiels besteht, in der scherzhaften Satyre nicht den poetischen Gehalt zu verfehlen, welcher immer das Unendliche seyn muß. Diese Aufgabe kann nur auf eine einzige Art gelöset werden. Die strafende Satyre erlangt poetische Freyheit, indem sie ins Erhabene übergeht, die lachende Satyre erhält poetischen Gehalt, indem sie ihren Gegenstand mit Schönheit behandelt.

In der Satyre wird die Wirklichkeit als Mangel, dem Ideal als der höchsten Realität , gegenüber gestellt. Es ist übrigens gar nicht nöthig, daß das letztere ausgesprochen werde, wenn der Dichter es nur im Gemüth zu erwecken weiß; diß muß er aber schlechterdings, oder er wird gar nicht poetisch wirken. Die Wirklichkeit ist also hier ein nothwendiges Objekt der Abneigung, aber worauf hier alles ankömmt, diese Abneigung selbst muß wieder nothwendig aus dem entgegenstehenden Ideale entspringen. Sie könnte nehmlich auch eine bloß sinnliche Quelle haben und lediglich in Bedürfniß gegründet seyn, mit welchem die Wirklichkeit streitet; und häuffig genug glauben wir einen moralischen Unwillen über die Welt zu empfinden, wenn uns bloß der Widerstreit derselben mit unserer Neigung erbittert. Dieses materielle Interesse ist es, was der gemeine Satyriker ins Spiel bringt, und weil es ihm auf diesem Wege gar nicht fehl schlägt, uns in Affekt zu versetzen, so glaubt er unser Herz in seiner Gewalt zu haben und im pathetischen Meister zu seyn. Aber jedes Pathos aus dieser Quelle ist der Dichtkunst unwürdig, die uns nur durch Ideen rühren und nur durch die Vernunft zu unserm Herzen den Weg nehmen darf. Auch wird sich dieses unreine und materielle Pathos jederzeit durch ein Übergewicht des Leidens und durch eine peinliche Befangenheit des Gemüths offenbaren, da im Gegentheil das wahrhaft poetische Pathos an einem Übergewicht der Selbstthätigkeit und an einer, auch im Affekte noch bestehenden Gemüthsfreyheit zu erkennen ist. Entspringt nehmlich die Rührung aus dem, der Wirklichkeit gegenüber stehenden Ideale, so verliert sich in der Erhabenheit des letztern jedes einengende Gefühl und die Größe der Idee, von der wir erfüllt sind, erhebt uns über alle Schranken der Erfahrung. Bei der Darstellung empörender Wirklichkeit kommt daher alles darauf an, daß das Nothwendige der Grund sey, auf welchem der Dichter oder der Erzähler das Wirkliche aufträgt, daß er unser Gemüth für Ideen zu stimmen wisse. Stehen wir nur hoch in der Beurtheilung, so hat es nichts zu sagen, wenn auch der Gegenstand tief und niedrig unter uns zurückbleibt. Wenn uns der Geschichtschreiber Tacitus den tiefen Verfall der Römer des ersten Jahrhunderts schildert, so ist es ein hoher Geist, der auf das Niedrige herabblickt, und unsere Stimmung ist wahrhaft poetisch, weil nur die Höhe, worauf er selbst steht und zu der er uns zu erheben wußte, seinen Gegenstand niedrig machte.

Die pathetische Satyre muß also jederzeit aus einem Gemüthe fliessen, welches von dem Ideale lebhaft durchdrungen ist. Nur ein herrschender Trieb nach Übereinstimmung kann und darf jenes tiefe Gefühl moralischer Widersprüche und jenen glühenden Unwillen gegen moralische Verkehrtheit erzeugen, welcher in einem Juvenal, Lucian, Dante, Swift, Young, Rousseau, Haller und anderen zur Begeisterung wird. Die nehmlichen Dichter würden und müßten mit demselben Glück auch in den rührenden und zärtlichen Gattungen gedichtet haben, wenn nicht zufällige Ursachen ihrem Gemüth frühe diese bestimmte Richtung gegeben hätten; auch haben sie es zum Theil wirklich gethan. Alle die hier genannten lebten entweder in einem ausgearteten Zeitalter und hatten eine schauderhafte Erfahrung moralischer Verderbniß vor Augen, oder eigene Schicksale hatten Bitterkeit in ihre Seele gestreut. Auch der philosophische Geist, da er mit unerbittlicher Strenge den Schein von dem Wesen trennt, und in die Tiefen der Dinge dringet, neigt das Gemüth zu dieser Härte und Austerität, mit welcher Rousseau, Haller und andre die Wirklichkeit mahlen. Aber diese äusern und zufälligen Einflüsse, welche immer einschränkend wirken, dürfen höchstens nur die Richtung bestimmen, niemals den Innhalt der Begeisterung hergeben. Dieser muß in allen derselbe seyn, und, rein von jedem äußern Bedürfniß, aus einem glühenden Treibe für das Ideal hervorfliessen, welcher durchaus der einzig wahre Beruf zu dem satyrischen wie überhaupt zu dem sentimentalischen Dichter ist.

Wenn die pathetische Satyre nur erhabene Seelen kleidet, so kann die spottende Satyre nur einem schönen Herzen gelingen. Denn jene ist schon durch ihren ernsten Gegenstand vor der Frivolität gesichert; aber diese, die nur einen moralisch gleichgültigen Stoff behandeln darf, würde unvermeidlich darein verfallen, und jede poetische Würde verlieren, wenn hier nicht die Behandlung den Innhalt veredelte und das Subjekt des Dichters nicht sein Objekt verträte. Aber nur dem schönen Herzen ist es verliehen, unabhängig von dem Gegenstand seines Wirkens in jeder seiner Äußerungen ein vollendetes Bild von sich selbst abzuprägen. Der erhabene Charakter kann sich nur in einzelnen Siegen über den Widerstand der Sinne, nur in gewissen Momenten des Schwunges und einer augenblicklichen Anstrengung kund thun; in der schönen Seele hingegen wirkt das Ideal als Natur, also gleichförmig, und kann mithin auch in einem Zustand der Ruhe sich zeigen.

Es ist mehrmals darüber gestritten worden, welche von beyden, die Tragödie oder die Comödie vor der anderen den Rang verdiene. Wird damit bloß gefragt, welche von beyden das wichtigere Objekte behandle, so ist kein Zweifel, daß die erstere den Vorzug behauptet; will man aber wissen, welche von beyden das wichtigere Subjekt erfodre, so muß der Ausspruch eben so entscheidend für die letztere ausfallen. In der Tragödie geschieht schon durch den Gegenstand sehr viel, in der Comödie geschieht durch den Gegenstand nichts und alles durch den Dichter. Da nun bey Urtheilen des Geschmacks der Stoff nie in Betrachtung kommt, so muß natürlicher weise der ästhetische Werth dieser beyden Kunstgattungen in ungekehrtem Verhältnis zu ihrer materiellen Wichtigkeit stehen. Den tragischen Dichter trägt sein Objekt, der komische hingegen muß durch sein Subjekt das seinige in der ästhetischen Höhe erhalten. Jener darf einen Schwung nehmen, wozu soviel eben nicht gehöret; der andre muß sich gleich bleiben, er muß also schon dort seyn und dort zu Hause seyn, wohin der andre nicht ohne einen Anlauf gelangt. Und gerade das ist es, worinn sich der schöne Charakter von dem erhabenen unterscheidet. In dem ersten ist jede Größe schon enthalten, sie fließt ungezwungen und mühelos aus seiner Natur, er ist, dem Vermögen nach, ein Unendliches in jedem Punkte seiner Bahn; der andere kann sich zu jeder Größe anspannen und erheben, er kann durch die Kraft seines Willens aus jedem Zustande der Beschränkung sich reissen. Dieser ist also nur ruckweise und nur mit Anstrengung frey, jener ist es mit Leichtigkeit und immer.

Diese Freyheit des Gemüths in uns hervorzubringen und zu nähren, ist die schöne Aufgabe der Comödie, so wie die Tragödie bestimmt ist, die Gemüthsfreyheit, wenn sie durch einen Affekt gewaltsam aufgehoben worden, auf ästhetischem Weg wieder herstellen zu helfen. In der Tragödie muß daher die Gemüthsfreyheit künstlicherweise und als Experiment aufgehoben werden, weil sie in Herstellung derselben ihre poetische Kraft beweist; in der Comödie hingegen muß verhütet werden, daß es niemals zu jener Aufhebung der Gemüthsfreyheit komme. Daher behandelt der Tragödiendichter seinen Gegenstand immer praktisch, der Comödiendichter den seinigen immer theoretisch; auch wenn jener (wie Lessing in seinem Nathan) die Grille hätte einen theoretischen, dieser, einen praktischen Stoff zu bearbeiten. Nicht das Gebieth aus welchem der Gegenstand genommen, sondern das Forum, vor welches der Dichter ihn bringt, macht denselben tragisch oder komisch. Der Tragiker muß sich vor dem ruhigen Raisonnement in Acht nehmen und immer das Herz interessieren, der Comiker muß ich vor dem Pathos hüten und immer den Verstand unterhalten. Jener zeigt also durch beständige Erregung, dieser durch beständige Abwehrung der Leidenschaft seine Kunst; und diese Kunst ist natürlich auf beyden Seiten um so grösser, je mehr der Gegenstand des Einen abstrakter Natur ist, und der des Andern sich zum pathetischen neigt. Wenn also die Tragödie von einem wichtigeren Punkt ausgeht, so muß man auf der andern Seite gestehen, daß die Comödie einem wichtigern Ziel entgegen geht, und sie würde, wenn sie es erreichte, alle Tragödie überflüßig und unmöglich machen. Ihr Ziel ist einerley mit dem höchsten, wornach der Mensch zu ringen hat, frey von Leidenschaft zu seyn, immer klar, immer ruhig um sich und in sich zu schauen, überall mehr Zufall als Schicksal zu finden und mehr über Ungereimtheit zu lachen als über Boßheit zu zürnen oder zu weinen.

Wie in dem handelnden Leben so begegnet es auch oft bei dichterischen Darstellungen, den bloß leichten Sinn, das angenehme Talent, die fröhliche Gutmüthigkeit mit Schönheit der Seele zu verwechseln, und da sich der gemeine Geschmack überhaupt nie über das Angenehme erhebt, so ist es solchen niedlichen Geistern ein leichtes, jenen Ruhm zu usurpieren, der so schwer zu verdienen ist. Aber es giebt eine untrügliche Probe, vermittelst deren man die Leichtigkeit des Naturells von der Leichtigkeit des Ideals, so wie die Tugend des Temperaments von der wahrhaften Sittlichkeit des Charakters unterscheiden kann, und diese ist, wenn beyde sich an einem schwürigen und großen Objekte versuchen. In einem solchen Fall geht das niedliche Genie unfehlbar in das Platte, so wie die Temperamentstugend in das Materielle, die wahrhaft schöne Seele hingegen geht eben so gewiß in die erhabene über.

So lange Lucian bloß die Ungereimtheit züchtigt, wie in den Wünschen, in den Lapithen, in dem Jupiter, Tragödus u. a. bleibt er Spötter, und ergötzt uns mit seinem fröhlichen Humor; aber es wird ein ganz anderer Mann aus ihm in vielen Stellen seines Nigrinus, seines Timons, seines Alexander, wo seine Satyre auch die moralische Verderbniß trift. „Unglückseliger“, so beginnt er in seinem Nigrinus das empörende Gemählde des damaligen Roms, „warum verliessest du das Licht der Sonne, Griechenland, und jenes glückliche Leben der Freyheit, und kammst hieher in dieß Getümmel von prachtvoller Dienstbarkeit, von Aufwartung und Gastmälern, von Sykophanten, Schmeichlern, Giftmischern, Erbschleichern und falschen Freunden? u. s. w.“ Bey solchen und ähnlichen Anlässen muß sich der hohe Erns des Gefühls offenbaren, der allem Spiele, wenn es poetisch seyn soll, zum Grund liegen muß. Selbst durch den boßhaften Scherz, womit sowohl Lucian als Aristophanes den Sokrates mißhandeln, blickt eine ernste Vernunft hervor, welche die Wahrheit an dem Sophisten rächt, und für ein Ideal streitet, das sie nur nicht immer ausspricht. Auch hat der erste von beyden in seinem Diogenes und Dämonar diesen Charakter gegen alle Zweifel gerechtfertigt; unter den Neuern welchen großen und schönen Charakter drückt nicht Cervantes bey jedem würdigen Anlaß in seinem Don Quixote aus, welch ein herrliches Ideal mußte nicht in der Seele des Dichters leben, der einen Tom Jones und eine Sophia erschuf, wie kann der Lacher Yorik sobald er will unser Gemüth so groß und so mächtig bewegen. Auch in unserm Wieland erkenne ich diesen Ernst der Empfindung; selbst die muthwilligen Spiele seiner Lauen beseelt und adelt die Grazie des Herzens; selbst in den Rhythmus seines Gesanges drückt sie ihr Gepräg, und nimmer fehlt ihm die Schwungkraft, uns, sobald es gilt, zu dem Höchsten empor zu tragen.

Von der Voltaireschen Satyre läßt sich kein solches Urtheil fällen. Zwar ist es auch bey diesem Schriftsteller einzig nur die Wahrheit und Simplicität der Natur, wodurch er uns zuweilen poetisch rührt; es sey nun, daß er sie in einem naiven Charakter wirklich erreiche, wie mehrmals in seinem Ingenu, oder daß er sie, wie in seinem Candide u. a. suche und räche. Wo keines von beyden der Fall ist, da kann er uns zwar als witziger Kopf belustigen, aber gewiß nicht als Dichter bewegen. Aber seinem Spott liegt überall zu wenig Ernst zum Grunde, und dieses macht seinen Dichterberuf mit Recht verdächtig. Wir begegnen immer nur seinem Verstande, nicht seinem Gefühl. Es zeigt sich kein Ideal unter jener luftigen Hülle, und kaum etwas absolut Festes in jener ewigen Bewegung. Seine wunderbare Mannichfaltigkeit in äußeren Formen, weit entfernt für die innere Fülle seines Geistes etwas zu beweisen, legt vielmehr ein bedenkliches Zeugniß dagegen ab, denn ungeachtet aller jener Formen hat er auch nicht Eine gefunden, worinn er ein Herz hätte abdrücken können. Beynahe muß man also fürchten, es war in diesem reichen Genius nur die Armuth des Herzens, die seinen Beruf zur Satyre bestimmte. Wäre es anders, so hätte er doch irgend auf seinem weiten Weg aus diesem engen Geleise treten müssen. Aber bey allem noch so großen Wechsel des Stoffes und der äusern Form sehen wir diese innere Form in ewigem, dürftigem Einerley wiederkehren, und trotz seiner voluminösen Laufbahn hat er doch den Kreis der Menschheit in sich selbst nicht erfüllt, den man in den obenerwähnten Satyrikern mit Freuden durchlaufen findet.
Elegische Dichtung

Setzt der Dichter die Natur der Kunst und das Ideal der Wirklichkeit so entgegen, daß die Darstellung des ersten überwiegt, und das Wohlgefallen an demselben herrschende Empfindung wird, so nenne ich ihn elegisch. Auch diese Gattung hat wie die Satyre zwey Klassen unter sich. Entweder ist die Natur und das Ideal ein Gegenstand der Trauer, wenn jene als verloren, dieses als unerreicht dargestellt wird. Oder beyde sind ein Gegenstand der Freude, indem sie als wirklich vorgestellt werden. Das erste giebt die Elegie in engerer, das andre die Idylle in weitester Bedeutung.

Wie der Unwille bei der pathetischen und wie der Spott bei der scherzhaften Satyre, so darf bey der Elegie die Trauer nur aus einer durch das Ideal erweckten Begeisterung fließen. Dadurch allein erhält die Elegie poetischen Gehalt, und jede andere Quelle derselben ist völlig unter der Würde der Dichtkunst. Der elegische Dichter sucht die Natur, aber in ihrer Schönheit, nicht bloß in ihrer Annehmlichkeit, in ihrer Übereinstimmung mit Ideen, nicht bloß in ihrer Nachgiebigkeit gegen das Bedürfniß. Die Trauer über verlorene Freuden, über das aus der Welt verschwundene goldene Alter, über das entflohene Glück der Jugend, der Liebe u. s. w. kann nur alsdann der Stoff zu einer elegischen Dichtung werden, wenn jene Zustände sinnlichen Friedens zugleich als Gegenstände moralischer Harmonie sich vorstellen lassen. Ich kann deßwegen die Klaggesänge des Ovid, die er aus seinem Verbannungsort am Euxin anstimmt, wie rührend sie auch sind, und wie viel Dichterisches auch einzelne Stellen haben, im Ganzen nicht wohl als ein poetisches Werk betrachten. Es ist viel zu wenig Energie, viel zu wenig Geist und Adel in seinem Schmerz. Das Bedürfniß, nicht die Begeisterung stieß jene Klagen aus; es athmet darinn, wenn gleich keine gemeine Seele, doch die gemeine Stimmung eines edleren Geistes, den sein Schicksal zu Boden drückte. Zwar, wenn wir uns erinnern, daß es Rom und das Rom des Augustus ist, um das er trauert, so verzeyhen wir dem Sohn der Freude seinen Schmerz; aber selbst das herrliche Rom mit allen seinen Glückseligkeiten ist, wenn nicht die Einbildungskraft es erst veredelt, bloß eine endliche Größe, mithin ein unwürdiges Objekt für die Dichtkunst, die erhaben über alles, was die Wirklichkeit aufstellt, nur das Recht hat, um das Unendliche zu trauern.

Der Inhalt der dichterischen Klage kann also niemals ein äußrer, jederzeit nur ein innerer idealistischer Gegenstand seyn; selbst wenn sie einen Verlust in der Wirklichkeit betrauert, muß sie ihn erst zu einem idealischen umschaffen. In dieser Reduktion des Beschränkten auf ein Unendliches besteht eigentlich die poetische Behandlung. Der äußere Stoff ist daher an sich selbst immer gleichgültig, weil ihn die Dichtkunst niemals so brauchen kann, wie sie ihn findet, sondern nur durch das, was sie selbst daraus macht, ihm die poetische Würde gibt. Der elegische Dichter sucht die Natur, aber als eine Idee und in einer Vollkommenheit, in der sie nie existirt hat, wenn er sie gleich als etwas da gewesenes und nun verlorenes beweint. Wenn uns Ossian von den Tagen erzählt, die nicht mehr sind, und von den Helden, die verschwunden sind, so hat seine Dichtungskraft jene Bilder der Erinnerung längst in Ideale, jene Helden in Götter umgestaltet. Die Erfahrungen eines bestimmten Verlustes haben sich zur Idee der allgemeinen Vergänglichkeit erweitert, und der gerührte Barde, den das Bild des allgegenwärtigen Ruins verfolgt, schwingt sich zum Himmel auf, um dort in dem Sonnenlauf ein Sinnbild des Unvergänglichen zu finden.

Ich wende mich sogleich zu den neuern Poeten in der elegischen Gattung. Rousseau, als Dichter, wie als Philosoph, hat keine andere Tendenz als die Natur entweder zu suchen, oder an der Kunst zu rächen. Je nachdem sich sein Gefühl entweder bei der einen oder der andern verweilt, finden wir ihn bald elegisch gerührt, bald zu Juvenalischer Satyre begeistert, bald, wie in seiner Julie, in das Feld der Idylle entzückt. Seine Dichtungen haben unwidersprechlich poetischen Gehalt, da sie ein Ideal behandeln; nur weiß er denselben nicht auf poetische Weise zu gebrauchen. Sein ernster Charakter läßt ihn zwar nie zur Frivolität herabsinken, aber erlaubt ihm auch nicht, sich bis zum poetischen Spiel zu erheben. Bald durch Leidenschaft, bald durch Abstraktion angespannt, bringt er es selten oder nie zu der ästhetischen Freyheit, welche der Dichter seinem Stoff gegenüber behaupten, seinem Leser mittheilen muß. Entweder es ist seine kranke Empfindlichkeit, die über ihn herrschet und seine Gefühle bis zum Peinlichen treibt; oder es ist seine Denkkraft, die seiner Imagination Fesseln anlegt und durch die Strenge des Begriffs die Anmut des Gemähldes vernichtet. Beyde Eigenschaften, deren innige Wechselwirkung und Vereinigung den Poeten eigentlich ausmacht, finden sich bey diesem Schriftsteller in ungewöhnlich hohem Grad, und nichts fehlt, als daß sie sich auch wirklich miteinander vereinigt äusserten, daß seine Selbstthätigkeit sich mehr in sein Empfinden, daß seine Empfänglichkeit sich mehr in sein Denken mischte. Daher ist auch in dem Ideale, das er von der Menschheit aufstellt, auf die Schranken derselben zu viel, auf ihr Vermögen zu wenig Rücksicht genommen, und überall mehr ein Bedürfniß nach physischer Ruhe als nach moralischer Übereinstimmung darin sichtbar. Seine leidenschaftliche Empfindlichkeit ist Schuld, daß er die Menschheit, um nur des Streits in derselben recht bald los zu werden, lieber zu der geistlosen Einförmigkeit des ersten Standes zurückgeführt, als jenen Streit in der geistreichen Harmonie einer durchgeführten Bildung geendigt sehen, daß er die Kunst lieber gar nicht anfangen lassen, als ihre Vollendung erwarten will, kurz, daß er das Ziel lieber niedriger steckt, und das Ideal lieber herabsetzt, um es nur desto schneller, um es nur desto sicherer zu erreichen.

Unter Deutschlands Dichtern in dieser Gattung will ich hier nur Hallers, Kleists und Klopstocks erwähnen. Der Charakter ihrer Dichtung ist sentimentalisch; durch Ideen rühren sie uns, nicht durch sinnliche Wahrheit, nicht sowohl weil sie selbst Natur sind, als weil sie uns für Natur zu begeistern wissen. Was indessen von dem Charakter sowohl dieser als aller sentimentalischen Dichter im Ganzen wahr ist, schließt natürlicherweise darum keineswegs das Vermögen aus, im Einzelnen uns durch naive Schönheit zu rühren: Ohne das würden sie überall keine Dichter sein. Nur ihr eigentlicher und herrschender Charakter ist es nicht, mit ruhigem, einfältigem und leichtem Sinn zu empfangen und das Empfangene eben so wieder darzustellen. Unwillkürlich drängt sich die Phantasie der Anschauung, die Denkkraft der Empfindung zuvor und man verschließt Auge und Ohr, um betrachtend in sich selbst zu versinken. Das Gemüth kann keinen Eindruck erleiden, ohne sogleich seinem eigenen Spiel zuzusehen, und was es in sich hat, durch Reflexion sich gegenüber und aus sich herauszustellen. Wir erhalten auf diese Art nie den Gegenstand, nur was der reflektierende Verstand des Dichters aus dem Gegenstand machte und selbst dann, wenn der Dichter selbst dieser Gegenstand ist, wenn er uns seine Empfindungen darstellen will, erfahren wir nicht seinen Zustand unmittelbar und aus der ersten Hand, sondern wie sich derselbe in seinem Gemüth reflektiert, was er als Zuschauer seiner selbst darüber gedacht hat. Wenn Haller den Tod seiner Gattin betrauert (man kennt das schöne Lied) und folgendermaßen anfängt:

Soll ich von deinem Tode singen
O Mariane welch ein Lied!
Wenn Seufzer mit den Worten ringen
Und ein Begriff den andern flieht etc.

so finden wir diese Beschreibung genau wahr, aber wir fühlen auch, daß uns der Dichter nicht eigentlich seine Empfindungen, sondern seine Gedanken darüber mittheilt. Er rührt uns deßwegen auch weit schwächer, weil er selbst schon sehr viel erkältet seyn mußte, um ein Zuschauer seiner Rührung zu seyn.

Schon der größtentheils übersinnliche Stoff der Hallerischen und zum Theil auch der Klopstockischen Dichtungen schließt sie von der naiven Gattung aus; sobald daher jener Stoff überhaupt nur poetisch bearbeitet werden sollte, so mußte er, da er keine körperliche Natur annehmen und folglich kein Gegenstand der sinnlichen Anschauung werden konnte, ins Unendliche hinübergeführt und zu einem Gegenstand der geistigen Anschauung erhoben werden. Überhaupt läßt sich nur in diesem Sinne eine didaktische Poesie ohne innern Widerspruch denken; denn, um es noch einmal zu wiederhohlen, nur diese zwey Felder besitzt die Dichtkunst; entweder sie muß sich in der Sinnenwelt oder sie muß sich in der Ideenwelt aufhalten, da sie im Reich der Begriffe oder in der Verstandeswelt schlechterdings nicht gedeihen kann. Noch, ich gestehe es, kenne ich kein Gedicht in dieser Gattung, weder aus älterer noch neuerer Litteratur, welches den Begriff, den es bearbeitet, rein und vollständig entweder bis zur Individualität herab oder bis zur Idee hinaufgeführt hätte. Der gewöhnliche Fall ist, wenn es noch glücklich geht, daß zwischen beyden abgewechselt wird, während daß der abstrakte Begriff herrschet, und daß der Einbildungskraft, welche auf dem poetischen Felde zu gebieten haben soll, bloß verstattet wird, den Verstand zu bedienen. Dasjenige didaktische Gedicht, worinn der Gedanke selbst poetisch wäre, und es auch bliebe, ist noch zu erwarten.

Was hier im allgemeinen von allen Lehrgedichten gesagt wird, gilt auch von den Hallerischen insbesondere. Der Gedanke selbst ist kein dichterischer Gedanke, aber die Ausführung wird es zuweilen bald durch den Gebrauch der Bilder bald durch den Aufschwung zu Ideen. Nur in der letztern Qualität gehören sie hieher. Kraft und Tiefe und ein pathetischer Ernst charakterisieren diesen Dichter. Von einem Ideal ist seine Seele entzündet, und sein glühendes Gefühl für Wahrheit sucht in den stillen Alpenthälern die aus der Welt verschwundene Unschuld. Tiefrührend ist seine Klage; mit energischer, fast bitterer Satyre zeichnet er die Verirrungen des Verstandes und Herzens und mit Liebe die schöne Einfalt der Natur. Nur überwiegt überall zu sehr der Begriff in seinen Gemälden, so wie in ihm selbst der Verstand über die Empfindung den Meister spielt. Daher lehrt er durchgängig mehr als er darstellt, und stellt durchgängig mit mehr kräftigen als lieblichen Zügen dar. Er ist groß, kühn, feurig, erhaben; zur Schönheit aber hat er sich selten oder niemals erhoben.

An Ideengehalt und an Tiefe des Geistes steht Kleist diesem Dichter um vieles nach; an Anmuth möchte er ihn übertreffen, wenn wir ihm anders nicht, wie zuweilen geschieht, einen Mangel auf der einen Seite für eine Stärke auf der andern anrechnen. Kleists gefühlvolle Seele schwelgt am liebsten im Anblick ländlicher Szenen und Sitten. Er flieht gerne das leere Geräusch der Gesellschaft und findet im Schooß der leblosen Natur die Harmonie und den Frieden, den er in der moralischen Welt vermißt. Wie rührend ist seine Sehnsucht nach Ruhe! Wie wahr und gefühlt, wenn er singt:

„O Welt, du bist des wahren Lebens Grab.
Oft reitzet mich ein heisser Trieb zur Tugend,
Für Wehmuth rollt ein Bach die Wang’ herab,
Das Beyspiel siegt und du o Feur der Jugend.
Ihr trocknet bald die edeln Thränen ein.
Ein wahrer Mensch muß fern von Menschen seyn.“

Aber hat ihn sein Dichtungstrieb aus dem einengenden Kreis der Verhältnisse heraus in die geistreiche Einsamkeit der Natur geführt, so verfolgt ihn auch noch biß hieher das ängstliche Bild des Zeitalters und leider auch seine Fesseln. Was er fliehet, ist in ihm, was er sucht, ist ewig ausser ihm; nie kann er den üblen Einfluß seines Jahrhunderts verwinden. Ist sein Herz gleich feurig, seine Phantasie gleich energisch genug, die toten Gebilde des Verstandes durch die Darstellung zu beseelen, so entseelt der kalte Gedanke eben so oft wieder die lebendige Schöpfung der Dichtungskraft, und die Reflexion stört das geheime Werk der Empfindung. Bunt zwar und prangend wie der Frühling, den er besang, ist seine Dichtung, seine Phantasie ist rege und thätig, doch möchte man sie eher veränderlich als reich, eher spielend als schaffend, eher unruhig fortschreitend als sammelnd und bildend nennen. Schnell und üppig wechseln Züge auf Züge, aber ohne sich zum Individuum zu concentrieren, ohne sich zum Leben zu füllen und zur Gestalt zu runden. Solange er bloß lyrisch dichtet und bloß bey landschaftlichen Gemählden verweilt, läßt uns theils die größere Freyheit der lyrischen Form, theils die willkührliche Beschaffenheit seines Stoffs diesen Mangel übersehen, indem wir hier überhaupt mehr die Gefühle des Dichters als den Gegenstand selbst dargestellt verlangen. Aber der Fehler wird nur allzu merklich, wenn er sich, wie in seinem Cissides und Paches, und in seinem Seneka, heraus nimmt, Menschen und menschliche Handlungen darzustellen; weil hier die Einbildungskraft sich zwischen festen und nothwendigen Grenzen eingeschlossen sieht, und der poetische Effekt nur aus dem Gegenstand hervorgehen kann. Hier wird er dürftig, langweilig, mager und bis zum Unerträglichen frostig: ein warnendes Beyspiel für alle, die ohne innern Beruf aus dem Felde musikalischer Poesie in das Gebiet der bildenden sich versteigen. Einem verwandten Genie, dem Thomson, ist die nehmliche Menschlichkeit begegnet.

In der sentimentalischen Gattung und besonders in dem elegischen Theil derselben möchten wenige aus den neuern und noch wenigere aus den ältern Dichtern mit unserm Klopstock zu vergleichen seyn. Was nur immer, außerhalb den Grenzen lebendiger Form und außer dem Gebiete der Individualität, im Felde der Idealität zu erreichen ist, ist von diesem musikalischen Dichter geleistet. Zwar würde man ihm grosses Unrecht thun, wenn man ihm jene individuelle Wahrheit und Lebendigkeit, womit der naive Dichter seinen Gegenstand schildert, überhaupt absprechen wollte. Viele seiner Oden, mehrere einzelne Züge in seinen Dramen und in seinem Messias stellen den Gegenstand mit treffender Wahrheit und in schöner Umgrenzung dar; da besonders, wo der Gegenstand sein eigenes Herz ist, hat er nicht selten eine große Natur, eine reizende Naivetät bewiesen. Nur liegt hierinn seine Stärke nicht, nur möchte sich diese Eigenschaft nicht durch das Ganze seines dichterischen Kreises durchführen lassen. So eine herrliche Schöpfung die Messiade in musikalisch poetischer Rücksicht, nach der oben gegebenen Bestimmung, ist, so vieles läßt sie in plastisch poetischer noch zu wünschen übrig, wo man bestimmte und für die Anschauung bestimmte Formen erwartet. Bestimmt genug möchten vielleicht noch die Figuren in diesem Gedichte seyn, aber nicht für die Anschauung; nur die Abstraktion hat sie erschaffen, nur die Abstraktion kann sie unterscheiden. Sie sind gute Exempel zu Begriffen, aber keine Individuen, keine lebende Gestalten. Der Einbildungskraft, an die doch der Dichter sich wenden, und die er durch die durchgängige Bestimmung seiner Formen beherrschen soll, ist es viel zu sehr frey gestellt, auf was Art sie sich diese Menschen und Engel, diese Götter und Satane, diesen Himmel und diese Hölle versinnlichen will. Es ist ein Umriß gegeben, innerhalb dessen der Verstand sie nothwendig denken muß, aber keine feste Grenze ist gesetzt, innerhalb deren die Phantasie sie nothwendig darstellen müßte. Was ich hier von den Charakteren sage, gilt von allem, was in diesem Gedichte Leben und Handlung ist oder seyn soll; und nicht bloß in dieser Epopee, auch in den dramatischen Poesien unsers Dichters. Für den Verstand ist alles treflich bestimmt und begrenzt (ich will hier nur an seinen Judas, seinen Pilatus, seinen Philo, seinen Salomo, im Trauerspiel dieses Nahmens erinnern) aber es ist viel zu formlos für die Einbildungskraft und hier, ich gestehe es frey heraus, finde ich diesen Dichter ganz und gar nicht in seiner Sphäre.

Seine Sphäre ist immer das Ideenreich, und ins Unendliche weiß er alles, was er bearbeitet, hinüber zu führen. Man möchte sagen, er ziehe allem, was er behandelt, den Körper aus, um es zu Geist zu machen, so wie andere Dichter alles geistige mit einem Körper bekleiden. Beynahe jeder Genuß, den seine Dichtungen gewähren, muß durch eine Übung der Denkkraft errungen werden; alle Gefühle, die er, und zwar so innig und so mächtig in uns zu erregen weiß, strömen aus übersinnlichen Quellen hervor. Daher dieser Ernst, diese Kraft, dieser Schwung, diese Tiefe, die alles charakterisieren, was von ihm kommt; daher auch diese immerwährende Spannung des Gemüths, in der wir bey Lesung desselben erhalten werden. Kein Dichter (Young etwa ausgenommen, der darinn mehr fodert als Er, aber ohne es, wie er thut, zu vergüten) dürfte sich weniger zum Liebling und zum Begleiter durchs Leben schicken, als gerade Klopstock, der uns immer nur aus dem Leben herausführt, immer nur den Geist unter die Waffen ruft, ohne den Sinn mit der ruhigen Gegenwart eines Objekts zu erquicken. Keusch, überirrdisch, unkörperlich, heilig wie seine Religion ist seine dichterische Muse, und man muß mit Bewunderung gestehen, daß er, wiewohl zuweilen in diesen Höhen verirret, doch niemals davon herabgesunken ist. Ich bekenne daher unverhohlen, daß mir für den Kopf desjenigen etwas bange ist, der wirklich und ohne Affektation diesen Dichter zu seinem Lieblingsbuch machen kann; zu einem Buche nehmlich, bey dem man zu jeder Lage sich stimmen, zu dem man aus jeder Lage zurückkehren kann; auch, dächte ich, hätte man in Deutschland Früchte genug von seiner gefährlichen Herrschaft gesehen. Nur in gewissen exaltierten Stimmungen des Gemüths kann er gesucht und empfunden werden; deswegen ist er auch der Abgott der Jugend, obgleich bey weitem nicht ihre glücklichste Wahl. Die Jugend, die immer über das Leben hinausstrebt, die alle Form fliehet, und jede Grenze zu enge findet, ergeht sich mit Liebe und Lust in den endlosen Räumen, die ihr von diesem Dichter aufgethan werden. Wenn dann der Jüngling Mann wird, und aus dem Reiche der Ideen in die Grenzen der Erfahrung zurückkehrt, so verliert sich vieles, sehr vieles von jener enthusiastischen Liebe, aber nichts von der Achtung, die man einer so einzigen Erscheinung, einem so außerordentlichen Genius, einem so sehr veredelten Gefühl, die der Deutsche besonders einem so hohen Verdienste schuldig ist.

Ich nannte diesen Dichter vorzugsweise in der elegischen Gattung groß, und kaum wird es nöthig seyn, dieses Urtheil noch besonders zu rechtfertigen. Fähig zu jeder Energie und Meister auf dem ganzen Felde sentimentalischer Dichtung kann er uns bald durch das höchste Pathos erschüttern, bald in himmlisch süsse Empfindungen wiegen; aber zu einer hohen geistreichen Wehmuth neigt sich doch überwiegend sein Herz; und wie erhaben auch seine Harfe, seine Lyra tönt, so werden die schmelzenden Töne seiner Laute doch immer wahrer und tiefer und beweglicher klingen. Ich berufe mich auf jedes rein gestimmte Gefühl, ob es nicht alles Kühne und Starke, alle Fictionen, alle prachtvollen Beschreibungen, alle Muster oratorischer Beredtsamkeit im Messias, alle schimmernden Gleichnisse, worin unser Dichter so vorzüglich glücklich ist, für die zarten Empfindungen hingeben würde, welche in der Elegie an Ebert, in dem herrlichen Gedicht Bardale, den frühen Gräbern, der Sommernacht, dem Zürcher See und mehrere andere aus dieser Gattung athmen. So ist mir die Messiade als ein Schatz elegischer Gefühle und idealistischer Schilderungen theuer, wie wenig sie mich auch als Darstellung einer Handlung und als ein episches Werk befriedigt.

Vielleicht sollte ich, ehe ich dieses Gebiet verlasse, auch noch an die Verdienste eines Uz, Denis, Geßner (in seinem Tod Abels) Jacobi, von Gerstenberg, eines Hölty, von Göckingk, und mehrerer andern in dieser Gattung erinnern, welche alle uns durch Ideen rühren, und, in der oben festgesetzten Bedeutung des Worts, sentimentalisch gedichtet haben. Aber mein Zweck ist nicht, eine Geschichte der deutschen Dichtkunst zu schreiben, sondern das oben gesagte durch einige Beyspiele aus unsrer Litteratur klar zu machen. Die Verschiedenheit des Weges wollte ich zeigen, auf welchem alte und moderne, naive und sentimentalische Dichter zu dem nehmlichen Ziele gehen – daß, wenn uns jene durch Natur, Individualität und lebendige Sinnlichkeit rühren, diese durch Ideen und hohe Geistigkeit eine eben so große, wenn glich keine so ausgebreitete, Macht über unser Gemüth beweisen.

An den bisherigen Beyspielen hat man gesehen, wie der sentimentalische Dichtergeist einen natürlichen Stoff behandelt; man könnte aber auch interessiert seyn zu wissen, wie der naive Dichtergeist mit einem sentimentalischen Stoff verfährt. Völlig neu und von einer ganz eigenen Schwierigkeit scheint diese Aufgabe zu seyn, da in der alten und naiven Welt ein solcher Stoff sich nicht vorfand, in der neuen aber der Dichter dazu fehlen möchte. Dennoch hat sich das Genie auch diese Aufgabe gemacht, und auf eine bewunderungswürdig glückliche Weise aufgelößt. Ein Charakter, der mit glühender Empfindung ein Ideal umfaßt, und die Wirklichkeit fliehet, um nach einem wesenlosen Unendlichen zu ringen, der was er in sich selbst unaufhörlich zerstört, unaufhörlich ausser sich suchet, dem nur seine Träume das Reelle, seine Erfahrungen ewig nur Schranken sind, der endlich in seinem eigenen Daseyn nur eine Schranke sieht, und auch diese, wie billig ist, noch einreißt, um zu der wahren Realität durchzudringen – dieses gefährliche Extrem des sentimentalischen Charakters ist der Stoff eines Dichters geworden, in welchem die Natur getreuer und reiner als in irgend einem andern wirkt, und der sich unter modernen Dichtern vielleicht am wenigsten von der sinnlichen Wahrheit der Dinge entfernt.

Es ist interessant zu sehen, mit welchem glücklichen Instinkt alles was dem sentimentalischen Charakter Nahrung giebt, im Werther zusammengedrängt ist; schwärmerische unglückliche Liebe, Empfindsamkeit für Natur, Religionsgefühle, philosophischer Contemplationsgeist, endlich, um nichts zu vergessen, die düstre, gestaltlose, schwermüthige Ossianische Welt. Rechnet man dazu, wie wenig empfehlend, ja wie feindlich die Wirklichkeit dagegen gestellt ist, und wie von aussen her alles sich vereinigt, den Gequälten in seine Idealwelt zurückzudrängen, so sieht man keine Möglichkeit, wie ein solcher Charakter aus einem solchen Kreise sich hätte retten können. In dem Tasso des nehmlichen Dichters kehrt der nehmliche Gegensatz, wiewohl in ganz verschiedenen Charakteren; selbst in seinem neuesten Roman stellt sich, so wie in jenem ersten, der poetisierende Geist dem nüchternen Gemeinsinn, das Ideale dem Wirklichen, die subjektive Vorstellungsweise der objektiven – – aber mit welcher Verschiedenheit! Entgegen: sogar im Faust treffen wir den nehmlichen Gegensatz, freylich wie auch der Stoff dieß erfoderte, auf beyden Seiten sehr vergröbert und materialisiert, wieder an; es verlohnte wohl der Mühe, eine psychologische Entwicklung dieses auf vier so verschiedene Arten specificierten Charakters zu versuchen.

Es ist oben bemerkt worden, daß die bloß leichte und joviale Gemüthsart, wenn ihr nicht eine innere Ideenfülle zum Grund liegt, noch gar keinen Beruf zur scherzhaften Satyre abgebe, so freygebig sie auch im gewöhnlichen Urtheil dafür genommen wird; eben so wenig Beruf giebt die bloß zärtliche Weichmüthigkeit und Schwermuth zur elegischen Dichtung. Beyden fehlt zu dem wahren Dichtertalente das energische Princip, welches den Stoff beleben muß, um das wahrhaft schöne zu erzeugen. Produkte dieser zärtlichen Gattung können uns daher bloß schmelzen und ohne das Herz zu erquicken und den Geist zu beschäftigen, bloß der Sinnlichkeit schmeicheln. Ein fortgesetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muß zuletzt nothwendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Paßivität versenken, aus welchem gar keine Realität, weder für das äußre noch innere Leben, hervorgehen kann. Man hat daher sehr Recht gethan, jenes Übel der Empfindeley und weinerliche Wesen, welches durch Mißdeutung und Nachäffung einiger vortreflicher Werke, vor etwa achtzehn Jahren, in Deutschland überhand zu nehmen anfieng, mit unerbittlichem Spott zu verfolgen; obgleich die Nachgiebigkeit, die man gegen das nicht viel beßere Gegenstück jener elegischen Karrikatur, gegen das spaßhafte Wesen, gegen die herzlose Satyre, und die geistlose Laune zu beweisen geneigt ist, deutlich genug an den Tag legt, daß nicht aus ganz reinen Gründen dagegen geeifert worden ist. Auf der Wage des ächten Geschmacks kann das eine so wenig als das andere etwas gelten, weil beyden der ästhetische Gehalt fehlt, der nur in der innigen Verbindung des Geistes mit dem Stoff und in der vereinigten Beziehung eines Produktes auf das Gefühlvermögen und auf das Ideenvermögen enthalten ist.

Über Siegwart und seine Klostergeschichte hat man gespottet, und die Reisen nach dem mittäglichen Frankreich werden bewundert; dennoch haben beyde Produkte gleich großen Anspruch auf einen gewissen Grad von Schätzung, und gleich geringen auf ein unbedingtes Lob. Wahre, obgleich überspannte Empfindung macht den erstern Roman, ein leichter Humor und ein aufgeweckter, feiner Verstand macht den zweyten schätzbar; aber, so wie es dem einen durchaus an der gehörigen Nüchternheit des Verstandes fehlt, so fehlt es dem andern an ästhetischer Würde. Der erste wird der Erfahrung gegenüber ein wenig lächerlich, der andere wird dem Ideale gegenüber beynahe verächtlich. Da nun das wahrhaft Schöne einerseits mit der Natur und andrerseits mit dem Ideale übereinstimmend seyn muß, so kann der eine so wenig als der andre auf den Nahmen eines schönen Werks Anspruch machen. Indessen ist es natürlich und billig, und ich weiß es aus eigener Erfahrung, daß der Thümmelische Roman mit großem Vergnügen gelesen wird. Da er nur solche Foderungen beleidigt, die aus dem Ideal entspringen, die folglich von dem größten Theil der Leser gar nicht, und von dem beßern gerade nicht in solchen Momenten, wo man Romanen ließt, aufgeworfen werden, die übrigen Foderungen des Geistes und – des Körpers hingegen in nicht gemeinem Grade erfüllt, so muß er und wird mit Recht ein Lieblingsbuch unserer und aller der Zeiten bleiben, wo man ästhetische Werke bloß schreibt, um zu gefallen, und bloß ließt, um sich ein Vergnügen zu machen.

Aber hat die poetische Litteratur nicht sogar klassische Werke aufzuweisen, welche die hohe Reinheit des Ideals auf ähnliche Weise zu beleidigen, und sich durch die Materialität ihres Inhalts von jener Geistigkeit, die hier von jedem ästhetischem Kunstwerk verlangt wird, sehr weit zu entfernen scheinen? Was selbst der Dichter, der keusche Jünger der Muse, sich erlauben darf, sollte das dem Romanschreiber, der nur sein Halbbruder ist und die Erde noch so sehr berührt, nicht gestattet seyn? Ich darf dieser Frage hier um so weniger ausweichen, da sowohl im elegischen als im satyrischen Fach Meisterstücke vorhanden sind, welche eine ganz andre Natur, als diejenige ist, von der dieser Aufsatz spricht, zu suchen, zu empfehlen und dieselbe nicht sowohl gegen die schlechten als gegen die guten Sitten zu vertheidigen das Ansehen haben. Entweder müßten also jene Dichterwerke zu verwerfen oder der hier aufgestellte Begriff elegischer Dichtung viel zu willkührlich angenommen seyn.

Was der Dichter sich erlauben darf, hieß es, sollte dem prosaischen Erzähler nicht nachgesehen werden dürfen? Die Antwort ist in der Frage schon enthalten: was dem Dichter verstattet ist, kann für den, der es nicht ist, nichts beweisen. In dem Begriffe des Dichters selbst und nur in diesem ligt der Grund jener Freyheit, die eine bloß verächtliche Licenz ist, sobald sie nicht aus dem Höchsten und Edelsten, was ihn ausmacht, kann abgeleitet werden.

Die Gesetze des Anstandes sind der unschuldigen Natur fremd; nur die Erfahrung der Verderbniß hat ihnen den Ursprung gegeben. Sobald aber jene Erfahrung einmal gemacht worden, und aus den Sitten die natürliche Unschuld verschwunden ist, so sind es heilige Gesetze, die ein sittliches Gefühl nicht verletzen darf. Sie gelten in einer künstlichen Welt mit demselben Rechte, als die Gesetze der Natur in der Unschuldwelt regieren. Aber eben das macht ja den Dichter aus, daß er alles in sich aufhebt, was an eine künstliche Welt erinnert, daß er die Natur in ihrer ursprünglichen Einfalt wieder in sich herzustellen weiß. Hat er aber dieses gethan, so ist er auch eben dadurch von allen Gesetzen losgesprochen, durch die ein verführtes Herz sich gegen sich selbst sicher stellt. Er ist rein, er ist unschuldig und was der unschuldigen Natur erlaubt ist, ist es auch ihm; bist du, der du ihn liest oder hörst, nicht mehr schuldlos, und kannst du es nicht einmal momentweise durch seine reinigende Gegenwart werden, so ist es dein Unglück und nicht das seine; du verlässest ihn, er hat für dich nicht gesungen.

Es läßt sich also, in Absicht auf Freyheiten dieser Art folgendes festsetzen.

Fürs erste: nur die Natur kann sie rechtfertigen. Sie dürfen mithin nicht das Werk der Wahl und einer absichtlichen Nachahmung seyn, denn dem Willen, der immer nach moralischen Gesetzen gerichtet wird, können wir eine Begünstigung der Sinnlichkeit niemals vergeben. Sie müssen also Naivetät seyn. Um uns aber überzeugen zu können, daß sie dieses wirklich sind, müssen wir sie von allem übrigen, was gleichfalls in der Natur gegründet ist, unterstützt und begleitet sehen, weil die Natur nur an der strengen Consequenz, Einheit und Gleichförmigkeit ihrer Wirkungen zu erkennen ist. Nur einem Herzen, welches alle Künsteley überhaupt, und mithin auch da, wo sie nützt, verabscheut, erlauben wir, sich da, wo sie drückt und einschränkt, davon loszusprechen; nur einem Herzen, welches sich allen Feßeln der Natur unterwirft, erlauben wir, von den Freyheiten derselben Gebrauch zu machen. Alle übrigen Empfindungen eines solchen Menschen müssen folglich das Gepräge der Natürlichkeit an sich tragen; er muß wahr, einfach, frey, offen, gefühlvoll, gerade seyn; alle Verstellung, alle List, alle Willkühr, alle kleinliche Selbstsucht muß aus seinem Charakter, alle Spuren davon aus seinem Werke verbannt seyn.

Fürs zweyte: nur die schöne Natur kann dergleichen Freyheiten rechtfertigen. Sie dürfen mithin kein einseitiger Ausbruch der Begierde seyn, denn alles, was aus bloßer Bedürftigkeit entspringt, ist verächtlich. Aus dem Ganzen und aus der Fülle menschlicher Natur müssen auch diese sinnlichen Energien hervorgehen. Sie müssen Humanität seyn. Um aber beurtheilen zu können, daß das Ganze menschlicher Natur, und nicht bloß ein einseitiges und gemeines Bedürfniß der Sinnlichkeit sie fodert, müssen wir das Ganze, von dem sie einen einzelnen Zug ausmachen, dargestellt sehen. An sich selbst ist die sinnliche Empfindungsweise etwas unschuldiges und gleichgültiges. Sie mißfällt uns nur darum an einem Menschen, weil sie thierisch ist, und von einem Mangel wahrer vollkommener Menschheit in ihm zeuget: sie beleidigt uns nur darum an einem Dichterwerk, weil ein solches Werk Anspruch macht, uns zu gefallen, mithin auch uns eines solchen Mangels fähig hält. Sehen wir aber in dem Menschen, der sich dabey überraschen läßt, die Menschheit in ihrem ganzen übrigen Umfange wirken; finden wir in dem Werke, worinn man sich Freyheiten dieser Art genommen, alle Realitäten der Menschheit ausgedrückt, so ist jener Grund unseres Mißfallens weggeräumt, und wir können uns mit unvergällter Freude an dem naiven Ausdruck wahrer und schöner Natur ergötzen. Derselbe Dichter also, der sich erlauben darf, uns zu Theilnehmern so niedrig menschlicher Gefühle zu machen, muß uns auf der andern Seite wieder zu allem, was groß und schön und erhaben menschlich ist, empor zu tragen wissen.

Und so hätten wir denn den Maaßstab gefunden, dem wir jeden Dichter, der sich etwas gegen den Anstand herausnimmt, und seine Freyheit in Darstellung der Natur biß zu dieser Grenze treibt mit Sicherheit unterwerfen können. Sein Produkt ist gemein, niedrig, ohne alle Ausnahme verwerflich, sobald es kalt und sobald es leer ist, weil dieses einen Ursprung aus Absicht und aus einem gemeinen Bedürfniß und einen heillosen Anschlag auf unsre Begierden beweißt. Es ist hingegen schön, edel, und ohne Rücksicht auf alle Einwendungen einer frostigen Decenz Beyfallswürdig, sobald es naiv ist, und Geist mit Herz verbindet.

Wenn man mir sagt, daß unter dem hier gegebenen Maaßstab die meisten französischen Erzählungen in dieser Gattung, und die glücklichsten Nachahmungen derselben in Deutschland nicht zum besten bestehen möchten – daß dieses zum Theil auch der Fall mit manchen Produkten unsers anmuthigsten und geistreichsten Dichters seyn dürfte, seine Meisterstücke sogar nicht ausgenommen, so habe ich nichts darauf zu antworten. Der Ausspruch selbst ist nichts weniger als neu, und ich gebe hier nur die Gründe von einem Urtheil an, welches längst schon von jedem feineren Gefühl über diese Gegenstände gefällt worden ist. Eben diese Principien aber, welche in Rücksicht auf jene Schriften vielleicht allzu rigoristisch scheinen, möchten in Rücksicht auf einige andere Werke vielleicht zu liberal befunden werden; denn ich läugne nicht, daß die nehmlichen Gründe, aus welchen ich die verführerischen Gemählde des römischen und deutschen Ovid, so wie eines Crebillon, Voltaire, Marmontels (der sich einen moralischen Erzähler nennt) Laclos und vieler andern, einer Entschuldigung durchaus für unfähig halte, mich mit den Elegien des römischen und deutschen Properz, ja selbst mit manchem verschrienen Produkt des Diderot versöhnen; denn jene sind nur witzig, nur prosaisch, nur lüstern, diese sind poetisch, menschlich und naiv.
Idylle

Es bleiben mir noch einige Worte über diese dritte Species sentimentalischer Dichtung zu sagen übrig, wenige Worte nur, denn eine ausführlichere Entwicklung derselben, deren sie vorzüglich bedarf, bleibt einer andern Zeit vorbehalten.

Die poetische Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschheit ist der allgemeine Begriff dieser Dichtungsart. Weil diese Unschuld und dieses Glück mit den künstlichen Verhältnissen der größeren Societät und mit einem gewissen Grad von Ausbildung und Verfeinerung unverträglich schienen, so haben die Dichter den Schauplatz der Idylle aus dem Gedränge des bürgerlichen Lebens heraus in den einfachen Hirtenstand verlegt, und derselben ihre Stelle vor dem Anfange der Kultur in dem kindlichen Alter der Menschheit angewiesen. Man begreift aber wohl, daß diese Bestimmungen bloß zufällig sind, daß sie nicht als der Zweck der Idylle, bloß als das natürlichste Mittel zu demselben in Betrachtung kommen. Der Zweck selbst ist überall nur der, den Menschen im Stand der Unschuld, d. h. in einem Zustand der Harmonie und des Friedens mit sich selbst und von aussen darzustellen.

Aber ein solcher Zustand findet nicht bloß vor dem Anfange der Kultur statt, sondern er ist es auch, den die Kultur, wenn sie überal nur eine bestimmte Tendenz haben soll, als ihr letztes Ziel beabsichtigt. Die Idee dieses Zustandes allein und der Glaube an die mögliche Realität derselben kann den Menschen mit allen den Übeln versöhnen, denen er auf dem Weg der Kultur unterworfen ist, und wäre sie bloß Schimäre, so würden die Klagen derer, welche die größere Societät und die Anbauung des Verstandes bloß als ein Übel verschreyen und jenen verlassenen Stand der Natur für den wahren Zweck des Menschen ausgeben, vollkommen gegründet seyn. Dem Menschen, der in der Kultur begriffen ist, liegt also unendlich viel daran, von der Ausführbarkeit jener Idee in der Sinnenwelt, von der möglichen Realität jenes Zustandes eine sinnliche Bekräftigung zu erhalten, und da die wirkliche Erfahrung, weit entfernt diesen Glauben zu nähren, ihn vielmehr beständig widerlegt, so kömmt auch hier, wie in so vielen andern Fällen das Dichtungsvermögen der Vernunft zu Hülfe, um jene Idee zur Anschauung zu bringen und in einem einzelnen Fall zu verwirklichen.

Zwar ist auch jene Unschuld des Hirtenstandes eine poetische Vorstellung, und die Einbildungskraft mußte sich mithin auch dort schon schöpferisch beweisen; aber außerdem daß die Aufgabe dort ungleich einfacher und leichter zu lösen war, so fanden sich in der Erfahrung selbst schon die einzelnen Züge vor, die sie nur auszuwählen und in ein Ganzes zu verbinden brauchte. Unter einem glücklichen Himmel, in den einfachen Verhältnissen des ersten Standes, bey einem beschränkten Wissen wird die Natur leicht befriedigt, und der Mensch verwildert nicht eher, als biß das Bedürfniß ihn ängstiget. Alle Völker, die eine Geschichte haben, haben ein Paradies, einen Stand der Unschuld, ein goldnes Alter; ja jeder einzelne Mensch hat sein Paradies, sein goldnes Alter, dessen er sich, je nachdem er mehr oder weniger poetisches in seiner Natur hat, mit mehr oder weniger Begeisterung erinnert. Die Erfahrung selbst bietet also Züge genug zu dem Gemählde dar, welches die Hirtenidylle behandelt. Deßwegen bleibt aber diese immer eine schöne, eine erhebende Fiction, und die Dichtungskraft hat in Darstellung derselben wirklich für das Ideal gearbeitet. Denn für den Menschen, der von der Einfalt der Natur einmal abgewichen und der gefährlichen Führung seiner Vernunft überliefert worden ist, ist es von unendlicher Wichtigkeit, die Gesetzgebung der Natur in einem reinen Exemplar wieder anzuschauen, und sich von den Verderbnissen der Kunst in diesem treuen Spiegel wieder reinigen zu können. Aber ein Umstand findet sich dabey, der den ästhetischen Werth solcher Dichtungen um sehr viel vermindert. Vor dem Anfang der Kultur gepflanzt, schließen sie mit den Nachtheilen zugleich alle Vortheile derselben aus, und befinden sich ihrem Wesen nach in einem nothwendigen Streit mit derselben. Sie führen uns also theoretisch rückwärts, indem sie uns praktisch vorwärts führen und veredeln. Sie stellen unglücklicherweise das Ziel hinter uns, dem sie uns doch entgegen führen sollten, und können uns daher bloß das traurige Gefühl des Verlustes, nicht das fröhliche der Hofnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen Natur ihren Zweck ausführen, so haben sie, bey dem höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist, und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt. Wir können sie daher nur lieben und aufsuchen, wenn wir der Ruhe bedürftig sind, nicht wenn unsre Kräfte nach Bewegung und Thätigkeit streben. Sie können nur dem kranken Gemüthe Heilung, dem gesunden keine Nahrung geben; sie können nicht beleben, nur besänftigen. Diesen in dem Wesen der Hirtenidylle gegründeten Mangel hat alle Kunst der Poeten nicht gut machen können. Zwar fehlt es auch dieser Dichtart nicht an enthusiastischen Liebhabern, und es gibt Leser genug, die einen Amintas und einen Daphnis den größten Meisterstücken der epischen und dramatischen Muse vorziehen können; aber bei solchen Lesern ist es nicht sowohl der Geschmack als das individuelle Bedürfniß, was über Kunstwerke richtet, und ihr Urtheil kann folglich hier in keine Betrachtung kommen. Der Leser von Geist und Empfindung verkennt zwar den Werth solcher Dichtungen nicht, aber es fühlt sich seltner zu denselben gezogen und früher davon gesättigt. In dem rechten Moment des Bedürfnisses wirken sie dafür desto mächtiger; aber auf einen solchen Moment soll das wahre Schöne niemals zu warten brauchen, sondern ihn vielmehr erzeugen.

Was ich hier an der Schäferidylle tadle, gilt übrigens nur von der sentimentalischen; denn der naiven kann es nie an Gehalt fehlen, da er hier in der Form selbst schon enthalten ist. Jede Poesie nehmlich muß einen unendlichen Gehalt haben, dadurch allein ist sie Poesie; aber sie kann diese Foderung auf zwey verschiedene Arten erfüllen. Sie kann ein Unendliches seyn, der Form nach, wenn sie ihren Gegenstand mit allen seinen Grenzen darstellt, wenn sie ihn individualisiert; sie kann ein Unendliches seyn der Materie nach, wenn sie von ihrem Gegenstand alle Grenzen entfernt, wenn sie ihn idealisiert; also entweder durch eine absolute Darstellung oder durch Darstellung eines Absoluten. Den ersten Weg geht der naive, den zweyten der sentimentalische Dichter. Jener kann also seinen Gehalt nicht verfehlen, sobald er sich nur treu an die Natur hält, welche immer durchgängig begrenzt, d. h. der Form nach unendlich ist. Diesem hingegen steht die Natur mit ihrer durchgängigen Begrenzung im Wege, da er einen absoluten Gehalt in den Gegenstand legen soll. Der sentimentalische Dichter versteht sich also nicht gut auf seinen Vortheil, wenn er dem naiven Dichter seine Gegenstände abborgt, welche an sich selbst völlig gleichgültig sind, und nur durch die Behandlung poetisch werden. Er setzt sich dadurch ganz unnöthiger Weise einerley Grenzen mit jenem, ohne doch die Begrenzung vollkommen durchführen und in der absoluten Bestimmtheit der Darstellung mit demselben wetteifern zu können; er sollte sich also vielmehr gerade in dem Gegenstand von dem naiven Dichter entfernen, weil er diesem, was derselbe in der Form vor ihm voraus hat, nur durch den Gegenstand wieder abgewinnen kann.

Um hievon die Anwendung auf die Schäferidylle der sentimentalischen Dichter zu machen, so erklärt es sich nun, warum diese Dichtungen bei allem Aufwand von Genie und Kunst weder für das Herz noch für den Geist völlig befriedigend sind. Sie haben ein Ideal ausgeführt und doch die enge dürftige Hirtenwelt beibehalten, da sie doch schlechterdings entweder für das Ideal eine andere Welt, oder für die Hirtenwelt eine andere Darstellung hätten wählen sollen. Sie sind gerade so weit ideal, daß die Darstellung dadurch an individueller Wahrheit verliert, und sind wieder gerade um so viel individuell, daß der idealistische Gehalt darunter leidet. Ein Geßnerischer Hirte z. B. kann uns nicht als Natur, nicht durch Wahrheit der Nachahmung entzücken, denn dazu ist er ein zu ideales Wesen; eben so wenig kann er uns als ein Ideal durch das unendliche des Gedankens befriedigen, denn dazu ist er ein viel zu dürftiges Geschöpf. Er wird also zwar biß auf einen gewissen Punkt allen Klassen von Lesern ohne Ausnahme gefallen, weil er das Naive mit dem Sentimentalen zu vereinigen strebt, und folglich den zwey entgegengesetzten Foderungen, die an ein Gedicht gemacht werden können, in einem gewissen Grade Genüge leistet; weil aber der Dichter, über der Bemühung beydes zu vereinigen, keinem von beyden sein volles Recht erweißt, weder ganz Natur noch ganz Ideal ist, so kann er eben deßwegen vor einem strengen Geschmack nicht ganz bestehen, der in ästhetischen Dingen nichts halbes verzeyhen kann. Es ist sonderbar, daß diese Halbheit sich auch biß auf die Sprache des genannten Dichters erstreckt, die zwischen Poesie und Prosa unentschieden schwankt, als fürchtete der Dichter in gebundener Rede sich von der wirklichen Natur zu weit zu entfernen und in ungebundener den poetischen Schwung zu verlieren. Eine höhere Befriedigung gewährt Miltons herrliche Darstellung des ersten Menschenpaares und des Standes der Unschuld im Paradiese; die schönste, mir bekannte Idylle in der sentimentalischen Gattung. Hier ist die Natur edel, geistreich, zugleich voll Fläche und voll Tiefe; der höchste Gehalt der Menschheit ist in die anmuthigste Form eingekleidet.

Also auch hier in der Idylle wie in allen andern poetischen Gattungen, muß man einmal für allemal zwischen der Individualität und der Idealität eine Wahl treffen, denn beyden Foderungen zugleich Genüge leisten zu wollen, ist, solange man nicht am Ziel der Vollkommenheit stehet, der sicherste Weg, beyde zugleich zu verfehlen. Fühlt sich der Moderne griechischen Geistes genug, um bey aller Widerspenstigkeit seines Stoffs mit den Griechen auf ihrem eigenen Feld, nehmlich dem Felde naiver Dichtung, zu ringen, so thue er es ganz, und thue es ausschließend, und setze sich über jede Foderung des sentimentalischen Zeitgeschmacks hinweg. Erreichen zwar dürfte er seine Muster schwerlich; zwischen dem Original und dem glücklichsten Nachahmer wird immer eine merkliche Distanz offen bleiben, aber er ist auf diesem Wege doch gewiß ein ächt poetisches Werk zu erzeugen. Treibt ihn hingegen der sentimentalische Dichtungstrieb zum Ideale, so verfolge er auch dieses ganz, in völliger Reinheit und stehe nicht eher als bey dem Höchsten stille, ohne hinter sich zu schauen, ob auch die Wirklichkeit ihm nachkommen möchte. Er verschmähe den unwürdigen Ausweg, den Gehalt des Ideals zu verschlechtern, um es der menschlichen Bedürftigkeit anzupassen, und den Geist auszuschließen, um mit dem Herzen ein leichteres Spiel zu haben. Er führe uns nicht rückwärts in unsere Kindheit, um uns mit den kostbarsten Erwerbungen des Verstandes eine Ruhe erkaufen zu lassen, die nicht länger dauern kann als der Schlaf unserer Geisteskräfte; sondern führe uns vorwärts zu unserer Mündigkeit, um uns die höhere Harmonie zu empfinden zu geben, die den Kämpfer belohnet, die den Überwinder beglückt. Er mache sich die Aufgabe einer Idylle, welche jene Hirtenunschuld auch in Subjekten der Kultur und unter allen Bedingungen des rüstigsten feurigsten Lebens, des ausgebreitetsten Denkens, der raffinirtesten Kunst, der höchsten gesellschaftlichen Verfeinerung ausführt, welche mit einem Wort, den Menschen, der nun einmal nicht mehr nach Arkadien zurückkan, bis nach Elysium führt.

Der Begriff dieser Idylle ist der Begriff eines völlig aufgelößten Kampfes sowohl in dem einzelnen Menschen, als in der Gesellschaft, einer freyen Vereinigung der Neigungen mit dem Gesetz, einer zur höchsten sittlichen Würde hinaufgelauterten Natur, kurz, es ist kein andrer als das Ideal der Schönheit auf das wirkliche Leben angewendet. Ihr Charakter besteht also darinn, daß aller Gegensatz der Wirklichkeit mit dem Ideale, der den Stoff zu der satyrischen und elegischen Dichtung hergegeben hatte, vollkommen aufgehoben sey, und mit demselben auch aller Streit der Empfindungen aufhöre. Ruhe wäre also der herrschende Eindruck dieser Dichtungsart, aber Ruhe der Vollendung, nicht der Trägheit; eine Ruhe, die aus dem Gleichgewicht, nicht aus dem Stillstand der Kräfte, die aus der Fülle nicht aus der Leerheit fließt, und von dem Gefühl eines unendlichen Vermögens begleitet wird. Aber eben darum, weil aller Widerstand hinwegfällt, so wird es hier ungleich schwüriger, als in den zwey vorigen Dichtungsarten, die Bewegung hervorzubringen, ohne welche doch überall keine poetische Wirkung sich denken läßt. Die höchste Einheit muß seyn, aber sie darf der Mannichfaltigkeit nichts nehmen; das Gemüth muß befriedigt werden, aber ohne daß das Streben darum aufhöre. Die Auflösung dieser Frage ist es eigentlich, was die Theorie der Idylle zu leisten hat.

(Der Beschluß im nächsten Stück.)

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