HomeDie Horen1795 - Stück 2III. Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Fortsetzung. [Friedrich Schiller]

III. Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Fortsetzung. [Friedrich Schiller]

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(Fortsetzung der im vorigen Stück angefangenen Briefe.)

Zehenter Brief.

Sie sind also mit mir darinn einig, und durch den Innhalt meiner vorigen Briefe überzeugt, daß sich der Mensch auf zwey entgegen gesetzten Wegen von seiner Bestimmung entfernen könne, daß unser Zeitalter wirklich auf beyden Abwegen wandle, und hier der Rohigkeit, dort der Erschlaffung und Verkehrtheit zum Raub geworden sey. Von dieser doppelten Verwirrung soll es durch die Schönheit zurückgeführt werden. Wie kann aber die schöne Kultur beyden entgegen gesetzten Gebrechen zugleich begegnen, und zwey widersprechende Eigenschaften in sich vereinigen? Kann sie in dem Wilden die Natur in Fesseln legen und in dem Barbaren dieselbe in Freyheit setzen? Kann sie zugleich anspannen und erschlaffen – und wenn sie nicht wirklich beydes leistet, wie kann ein so grosser Effekt, als die Ausbildung der Menschheit ist, vernünftigerweise von ihr erwartet werden?

Zwar hat man schon zum Überdruß die Behauptung hören müssen, daß das entwickelte Gefühl für Schönheit die Sitten verfeinere, so daß es hiezu keines neuen Beweises mehr zu bedürfen scheint. Man stützt sich auf die alltägliche Erfahrung, welche fast durchgängig mit einem gebildeten Geschmacke Klarheit des Verstandes, Regsamkeit des Gefühls, Liberalität und selbst Würde des Betragens, mit einem ungebildeten gewöhnlich das Gegentheil verbunden zeigt. Man beruft sich, zuversichtlich genug, auf das Beyspiel der gesittetsten aller Nationen des Alterthums, bey welcher das Schönheitsgefühl zugleich seine höchste Entwicklung erreichte, und auf das entgegen gesetzte Beyspiel jener theils wilden, theils barbarischen Völker, die ihre Unempfindlichkeit für das Schöne mit einem rohen oder doch austeren Charakter büßen. Nichts destoweniger fällt es zuweilen denkenden Köpfen ein, entweder das Faktum zu läugnen, oder doch die Rechtmäßigkeit der daraus gezogenen Schlüsse zu bezweifeln. Sie denken nicht ganz so schlimm von jener Wildheit, die man den ungebildeten Völkern zum Vorwurf macht, und nicht ganz so vortheilhaft von dieser Verfeinerung, die man an den gebildeten preißt. Schon im Alterthum gab es Männer, welche die schöne Kultur für nichts weniger als eine Wohlthat hielten, und deßwegen sehr geneigt waren, den Künsten der Einbildungskraft den Eintritt in ihre Republik zu verwehren.

Nicht von denjenigen rede ich, die bloß darum die Grazien schmähn, weil sie nie ihre Gunst erfuhren. Sie, die keinen andern Maßstab des Werthes kennen, als die Mühe der Erwerbung und den handgreiflichen Ertrag – wie sollten sie fähig seyn, die stille Arbeit des Geschmacks an dem äussern und innern Menschen zu würdigen, und über den zufälligen Nachtheilen der schönen Kultur nicht ihre wesentlichen Vortheile aus den Augen setzen? Der Mensch ohne Form verachtet alle Anmuth im Vortrage als Bestechung, alle Feinheit im Umgang als Verstellung, alle Delikatesse und Großheit im Betragen als Überspannung und Affektation. Er kann es dem Günstling der Grazien nicht vergeben, daß er als Gesellschafter alle Zirkel aufheitert, als Geschäftsmann alle Köpfe nach seinen Absichten lenkt, als Schriftsteller seinem ganzen Jahrhundert vielleicht seinen Geist aufdrückt, während daß Er, das Schlachtopfer des Fleißes, mit all seinem Wissen keine Aufmerksamkeit erzwingen, keinen Stein von der Stelle rücken kann. Da er jenem das genialische Geheimniß, angenehm zu seyn, niemals abzulernen vermag, so bleibt ihm nichts anders übrig, als die Verkehrtheit der menschlichen Natur zu bejammern, die mehr dem Schein als dem Wesen huldigt.

Aber es gibt achtungswürdige Stimmen, die sich gegen die Wirkungen der Schönheit erklären, und aus der Erfahrung mit furchtbaren Gründen dagegen gerüstet sind. „Es ist nicht zu leugnen,“ sagen sie, „die Reize des Schönen können in guten Händen zu löblichen Zwecken wirken, aber es widerspricht ihrem Wesen nicht, in schlimmen Händen gerade das Gegentheil zu thun und ihre seelenfesselnde Kraft für Irrthum und Unrecht zu verwenden. Eben deßwegen, weil der Geschmack nur auf die Form und nie auf den Innhalt achtet, so giebt er dem Gemüth zuletzt die gefährliche Richtung, alle Realität überhaupt zu vernachlässigen, und einer reizenden Einkleidung Wahrheit und Sittlichkeit aufzuopfern. Aller Sachunterschied der Dinge verliert sich, und es ist bloß die Erscheinung, die ihren Werth bestimmt. Wie viele Menschen von Fähigkeit, fahren sie fort, werden nicht durch die verführerische Macht des Schönen von einer ernsten und anstrengenden Wirksamkeit abgezogen, oder wenigstens verleitet, sie oberflächlich zu behandeln! Wie mancher schwache Verstand wird bloß deßwegen mit der bürgerlichen Einrichtung uneins, weil es der Phantasie der Poeten beliebte, eine Welt abzustellen, worinn alles ganz anders erfolgt, wo keine Konvenienz die Meinungen bindet, keine Kunst die Natur unterdrückt. Welche gefährliche Dialektik haben die Leidenschaften nicht erlernt, seitdem sie in den Gemählden der Dichter mit den glänzendsten Farben prangen und im Kampf mit Gesetzen und Pflichten gewöhnlich das Feld behalten? Was hat wohl die Gesellschaft dabey gewonnen, daß jetzt die Schönheit dem Umgang Gesetze giebt, den sonst die Wahrheit regierte, und daß der äußere Eindruck die Achtung entscheidet, die nur an den Verdienst gefesselt seyn sollte? Es ist wahr, man sieht jetzt alle Tugenden blühen, die einen gefälligen Effekt in der Erscheinung machen, und einen Werth in der Gesellschaft verleyhen, dafür aber auch alle Ausschweifungen herrschen, und alle Laster im Schwange gehn, die sich mit einer schönen Hülle vertragen.“ In der That muß es Nachdenken erregen, daß man beynahe in jeder Epoche der Geschichte, wo die Künste blühen und der Geschmack regiert, die Menschheit gesunken findet, und auch nicht ein einziges Beyspiel aufweisen kann, daß ein hoher Grad und eine große Allgemeinheit ästhetischer Kultur bei einem Volke mit politischer Freyheit, und bürgerlicher Tugend, daß schöne Sitten mit guten Sitten, und Politur des Betragens mit Wahrheit desselben Hand in Hand gegangen wäre.

Solange Athen und Sparta ihre Unabhängigkeit behaupteten, und Achtung für die Gesetze ihrer Verfassung zur Grundlage diente, war der Geschmack noch unreif, die Kunst noch in ihrer Kindheit, und es fehlte noch viel, dass die Schönheit die Gemüther beherrschte. Zwar hatte die Dichtkunst schon einen erhabnen Flug gethan, aber nur mit den Schwingen des Genies, von dem wir wissen, daß es am nächsten an die Wildheit grenzt, und ein Licht ist, das gern aus der Finsterniß schimmert; welches also vielmehr gegen den Geschmack seines Zeitalters als für denselben zeugt. Als unter dem Perikles und Alexander das goldne Alter der Künste herbeykam, und die Herrschaft des Geschmacks sich allgemeiner verbreitete, findet man Griechenlands Kraft und Freyheit nicht mehr, die Beredsamkeit verfälschte die Wahrheit, die Weisheit beleidigte in dem Mund eines Sokrates, und die Tugend in dem Leben eines Phocion. Die Römer, wissen wir, mußten erst in den bürgerlichen Kriegen ihre Kraft erschöpfen, und durch morgenländische Üppigkeit entmannt, unter das Joch eines glücklichen Dynasten sich beugen, ehe wir die griechische Kunst über die Rigidität ihres Charakters triumphieren sehen. Auch den Arabern gieng die Morgenröthe der Kultur nicht eher auf, als bis die Energie ihres kriegerischen Geistes unter dem Scepter der Abbaßiden erschlafft war. In dem neuern Italien zeigte sich die schöne Kunst nicht eher, als nachdem der herrliche Bund der Lombarden zerrissen war, Florenz sich den Medicäern unterworfen, und der Geist der Unabhängigkeit in allen jenen muthvollen Städten einer unrühmlichen Ergebung Platz gemacht hatte. Es ist beynahe überflüssig, noch an das Beyspiel der neuern Nationen zu erinnern, deren Verfeinerung in demselben Verhältnisse zunahm, als ihre Selbstständigkeit endigte. Wohin wir immer in der vergangenen Welt unsere Augen richten, da finden wir, daß Geschmack und Freyheit einander fliehen, und daß die Schönheit nur auf den Untergang heroischer Tugenden ihre Herrschaft gründet.

Und doch ist gerade diese Energie des Charakters, mit welcher die ästhetische Kultur gewöhnlich erkaufft wird, die wirksamste Feder alles Großen und Trefflichen im Menschen, deren Mangel kein anderer wenn auch noch so großer Vorzug ersetzen kann. Hält man sich also einzig nur an das, was die bisherigen Erfahrungen über den Einfluß der Schönheit lehren, so kann man in der That nicht sehr aufgemuntert seyn, Gefühle auszubilden, die der wahren Kultur des Menschen so gefährlich sind; und lieber wird man, auf die Gefahr der Rohigkeit und Härte, die schmelzende Kraft der Schönheit entbehren, als sich bey allen Vortheilen der Verfeinerung ihren erschlaffenden Wirkungen überliefert sehen. Aber vielleicht ist die Erfahrung der Richterstuhl nicht, vor welchem sich eine Frage wie diese ausmachen läßt, und ehe man ihrem Zeugniß Gewicht einräumte, müßte erst außer Zweifel gesetzt seyn, daß es dieselbe Schönheit ist, von der wir reden, und gegen welche jene Beyspiele zeugen. Dieß scheint aber einen Begriff der Schönheit voraus zu setzen, der eine andere Quelle hat, als die Erfahrung, weil durch denselben erkannt werden soll, ob das, was in der Erfahrung schön heißt, mit Recht diesen Nahmen führe.

Dieser reine Vernunftbegriff der Schönheit, wenn ein solcher sich aufzeigen liesse, müßte also – weil er aus keinem wirklichen Falle geschöpft werden kann, vielmehr unser Urtheil über jeden wirklichen Fall erst berichtigt und leitet – auf dem Wege der Abstraktion gesucht, und schon aus der Möglichkeit der sinnlichvergünstigen Natur gefolgert werden können: mit einem Wort: die Schönheit müßte sich als eine nothwendige Bedingung der Menschheit aufzeigen lassen. Zu dem reinen Begriff der Menschheit müssen wir uns also nunmehr erheben, und da uns die Erfahrung nur einzelne Zustände einzelner Menschen, aber niemals die Menschheit zeigt, so müssen wir auf diesen ihren individuellen und wandelbaren Erscheinungsarten das Absolute und Bleibende zu entdecken, und durch Wegwerfung aller zufälligen Schranken uns der nothwendigen Bedingungen ihres Daseyns zu bemächtigen suchen. Zwar wird uns dieser transcendentale Weg eine zeitlang aus dem traulichen Kreis der Erscheinungen und aus der lebendigen Gegenwart der Dinge entfernen und auf dem nackten Gefild abgezogener Begriffe verweilen, aber wir streben ja nach einem festen Grund der Erkenntniß, den nichts mehr erschüttern soll, und wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nie die Wahrheit erobern.

Eilfter Brief.

Wenn die Abstraktion so hoch als sie immer kann hinaufsteigt, so gelangt sie zu zwey letzten Begriffen, bey denen sie stille stehen und ihre Grenzen bekennen muß. Sie unterscheidet in dem Menschen etwas, das bleibt, und etwas, das sich unaufhörlich verändert. Das bleibende nennt sie seine Person, das wechselnde seinen Zustand.

Person und Zustand – das Selbst und seine Bestimmungen – die wir uns in dem nothwendigen Wesen als Eins und dasselbe denken, sind ewig Zwey in dem endlichen. Bey aller Beharrung der Person wechselt der Zustand, bey allem Wechsel des Zustands beharret die Person. Wir gehen von der Ruhe zur Thätigkeit, vom Affekt zur Gleichgültigkeit, von der Übereinstimmung zum Widerspruch, aber wir sind doch immer, und was unmittelbar aus uns folgt, bleibt. In dem absoluten Subject allein beharren mit der Persönlichkeit auch alle ihre Bestimmungen, weil sie aus der Persönlichkeit fließen. Alles was die Gottheit ist, ist sie deßwegen, weil sie ist; sie ist folglich alles auf ewig, weil sie ewig ist.

Da in dem Menschen, als endlichem Wesen, Person und Zustand verschieden sind, so kann sich weder der Zustand auf die Person, noch die Person auf den Zustand gründen. Wäre das letztere, so müßte die Person sich verändern; wäre das erstere, so müßte der Zustand beharren; Also in jedem Fall entweder die Persönlichkeit oder die Endlichkeit aufhören. Nicht, weil wir denken, wollen, empfinden, sind wir; nicht weil wir sind, denken, wollen, empfinden wir. Wir sind, weil wir sind; wir empfinden, denken und wollen, weil außer uns noch etwas anderes ist.

Die Person also muß ihr eigener Grund seyn, denn das Bleibende kann nicht aus der Veränderung fließen; und so hätten wir denn fürs erste die Idee des absoluten, in sich selbst gegründeten Seyns, d. i. die Freyheit. Der Zustand muß einen Grund haben; er muß, da er nicht durch die Person also nicht absolut ist, erfolgen; und so hätten wir fürs zweyte die Bedingung alles abhängigen Seyns oder Werdens, die Zeit. Die Zeit ist die Bedingung alles Werdens: ist ein identischer Satz, denn er sagt nichts anders, als: die Folge ist die Bedingung, daß etwas erfolgt.

Die Person, die sich in dem ewig beharrenden ICH und nur in diesem offenbart, kann nicht werden, nicht anfangen in der Zeit, weil vielmehr umgekehrt die Zeit in ihr anfangen, weil dem Wechsel ein Beharrliches zum Grund liegen muß. Etwas muß sich verändern, wenn Veränderung seyn soll; dieses Etwas kann also nicht selbst schon Veränderung seyn. Indem wir sagen, die Blume blühet und verwelkt, machen wir die Blume zum Bleibenden in dieser Verwandlung, und leyhen ihr gleichsam eine Person, an der sich jene beyden Zustände offenbaren. Daß der Mensch erst wird, ist kein Einwurf, denn der Mensch ist nicht blos Person überhaupt, sondern Person, die sich in einem bestimmten Zustand befindet. Aller Zustand aber, alles bestimmte Daseyn entsteht in der Zeit, und so muß also der Mensch, als Phänomen, einen Anfang nehmen, obgleich die reine Intelligenz in ihm ewig ist. Ohne die Zeit, das heißt, ohne es zu werden, würde er nie ein bestimmtes Wesen seyn; seine Persönlichkeit würde zwar in der Anlage, aber nicht in der That existieren. Nur durch die Folge seiner Vorstellungen wird das beharrliche Ich sich selbst zur Erscheinung.

Die Materie der Thätigkeit also, oder die Realität, welche die höchste Intelligenz auf sich selber schöpft, muß der Mensch erst empfangen, und zwar empfängt er dieselbe als etwas außer ihm Befindliches im Raume, und als etwas in ihm wechselndes in der Zeit, auf dem Wege der Wahrnehmung. Diesen in ihm wechselnden Stoff begleitet sein niemals wechselndes Ich – und in allem Wechsel beständig er selbst zu bleiben, alle Wahrnehmungen zur Erfahrung d.h. zur Einheit der Erkenntniß, und jede seiner Erscheinungsarten in der Zeit zum Gesetz für alle Zeiten zu machen, ist die Vorschrift, die durch seine vernünftige Natur ihm gegeben ist. Nur indem er sich verändert, existiert er; nur indem er unveränderlich bleibt, existiert er. Der Mensch, vorgestellt in seiner Vollendung, wäre demnach die beharrliche Einheit, die in den Fluthen der Veränderung ewig dieselbe bleibt.

Ob nun gleich ein unendliches Wesen, eine Gottheit, nicht werden kann, so muß man doch eine Tendenz göttlich nennen, die das eigentlichste Merkmal der Gottheit absolute Verkündigung des Vermögens (Wirklichkeit alles Möglichen) und absolute Einheit des Erscheinens (Nothwendigkeit alles Wirklichen) zu ihrer unendlichen Aufgabe hat. Die Anlage zu der Gottheit trägt der Mensch unwidersprechlich in seiner Persönlichkeit in sich; der Weg zu der Gottheit, wenn man einen Weg nennen kann, was niemals zum Ziele führt, ist ihm aufgethan in den Sinnen.

Seine Persönlichkeit, für sich allein und unabhängig von allem sinnlichen Stoffe betrachtet, ist bloß die Anlage zu einer möglichen, unendlichen Äußerung; und solange er nicht anschaut und nicht empfindet, ist er noch weiter nichts als Form und leeres Vermögen. Seine Sinnlichkeit, für sich allein und abgesondert von aller Selbstthätigkeit des Geistes betrachtet, vermag weiter nichts, als daß sie ihn, der ohne sie bloß Form ist, zur Materie macht, aber keineswegs, daß sie die Materie mit ihm vereinigt. Solange er bloß empfindet, bloß begehrt und aus bloßer Begierde wirkt, ist er noch weiter nichts als Welt, wenn wir unter diesem Namen bloß den formlosen Innhalt der Zeit verstehen. Seine Sinnlichkeit ist es zwar allein, die sein Vermögen zur wirkenden Kraft macht; aber nur seine Persönlichkeit ist es, die sein Wirken zu dem seinigen macht. Um also nicht bloß Welt zu sein, muß er der Materie Form ertheilen; um nicht bloß Form zu seyn, muß er der Anlage, die er in sich trägt, Wirklichkeit geben. Er verwirklichet die Form, wenn er die Zeit erschafft und dem Beharrlichen die Veränderung, der ewigen Einheit seines Ichs die Mannichfaltigkeit der Welt gegenüber stellt; er formt die Materie, wenn er die Zeit wieder aufhebt, Beharrlichkeit im Wechsel behauptet und die Mannichfaltigkeit der Welt der Einheit seines Ichs unterwürfig macht.

Hieraus fliessen nun zwey entgegengesetzte Anforderungen an den Menschen, die zwey Fundamentalgesetze der sinnlich-vernünftigen Natur. Das erste dringt auf absolute Realität: er soll alles zur Welt machen, was bloß Form ist, und alle seine Anlagen zur Erscheinung bringen: das zweyte dringt auf absolute Formalität: er soll alles in sich vertilgen, was bloß Welt ist, und Übereinstimmung in alle seine Veränderungen bringen; mit andern Worten: er soll alles innere veräußern und alles äussere formen. Beyde Aufgaben, in ihrer höchsten Erfüllung gedacht, führen zu dem Begriff der Gottheit zurücke, von dem ich ausgegangen bin.

Zwölfter Brief.

Zur Erfüllung dieser doppelten Aufgabe, das Nothwendige in uns zur Wirklichkeit zu bringen und das Wirkliche ausser uns dem Gesetz der Nothwendigkeit zu unterwerfen, werden wir durch zwey entgegengesetzte Kräfte gedrungen, die man, weil sie uns antreiben, ihr Objekt zu verwirklichen, ganz schicklich Triebe nennt.1 Der erste dieser Triebe, den ich den Sachtrieb nennen will, geht aus von dem physischen Daseyn des Menschen oder von seiner sinnlichen Natur, und ist beschäftigt, ihn in die Schranken der Zeit zu setzen und zur Materie zu machen: nicht ihm Materie zu geben, weil dazu schon eine freie Thätigkeit der Person gehört, welche die Materie aufnimmt, und von Sich, dem Beharrlichen, unterscheidet. Materie aber heißt hier nichts als Veränderung oder Realität, die die Zeit erfüllt; mithin fodert der Sachtrieb, daß Veränderung sey, daß die Zeit einen Innhalt habe. Dieser Zustand der bloß erfüllten Zeit heißt Empfindung, und er ist es allein, durch den sich das physische Daseyn verkündigt.

Da alles, was in der Zeit ist, nacheinander ist, so wird dadurch, daß etwas ist, alles andere ausgeschlossen. Indem man auf einem Instrument einen Ton greift, ist unter allen Tönen, die es möglicher weise angeben kann, nur dieser einzige wirklich; indem der Mensch das Gegenwärtige empfindet, ist die ganze unendliche Möglichkeit seiner Bestimmungen auf diese einzige Art des Daseyns beschränkt. Wo also dieser Sachtrieb ausschließend wirkt, da ist nothwendig die höchste Begrenzung vorhanden; der Mensch ist in diesem Zustande nichts als eine Grössen-Einheit, ein erfüllter Moment der Zeit – oder vielmehr Er ist nicht, denn seine Persönlichkeit ist solange aufgehoben, als ihn die Empfindung beherrscht, und die Zeit mit sich fortreißt.2

Soweit der Mensch endlich ist, erstreckt sich das Gebieth dieses Triebs; und da alle Form nur an einer Materie, alles absolute nur durch das Medium der Schranken erscheint, so ist es freylich der Sachtrieb, an dem zuletzt die ganze Erscheinung der Menschheit befestiget ist. Aber obgleich er allein die Anlagen der Menschheit weckt und entfaltet, so ist er es doch allein, der ihre Vollendung unmöglich macht. Mit unzerreißbaren Banden fesselt er den höher strebenden Geist an die Sinnenwelt, und von ihrer freyesten Wanderung ins Unendliche ruft er die Abstraktion in die Grenzen der Gegenwart zurücke. Der Gedanke zwar darf ihm augenblicklich entfliehen, und ein fester Wille setzt sich seinen Foderungen sieghaft entgegen; aber bald tritt die unterdrückte Natur wieder in ihre Rechte zurück, um auf Realität des Daseyns, auf einen Innhalt unsrer Erkenntnisse, und auf einen Zweck unsers Handelns zu dringen.

Der zweyte jener Triebe, den man den Formtrieb nennen kann, geht aus von dem absoluten Daseyn des Menschen oder von seiner vernünftigen Natur, und ist bestrebt, ihn in Freyheit zu setzen, Harmonie in die Verschiedenheit seines Erscheinens zu bringen, und bey allem Wechsel des Zustands seine Person zu behaupten. Da nun die letztere, als absolute und untheilbare Einheit, mit sich selbst nie im Widerspruch seyn kann, da wir in alle Ewigkeit wir sind, so kann derjenige Trieb, der auf Behauptung der Persönlichkeit dringt, nie etwas anders fodern, als was er in alle Ewigkeit fordern muß; er entscheidet also für immer wie er für jetzt entscheidet, und gebietet für jetzt, was er für immer gebietet. Er umfaßt mithin die ganze Folge der Zeit, das ist so viel als: er hebt die Zeit, er hebt die Veränderung auf, er will, daß das wirkliche nothwendig und ewig, und daß das ewige und nothwendige wirklich sey: mit andern Worten: er dringt auf Wahrheit und auf Recht.

Wenn der erste nur Fälle macht, so giebt der Formtrieb Gesetze; Gesetze für jedes Urtheil, wenn es Erkenntnisse, Gesetze für jeden Willen, wenn es Thaten betrifft. Es sey nun, daß wir einen Gegenstand erkennen, daß wir einem Zustande unsers Subjekts objektive Gültigkeit beylegen, oder daß wir aus Erkenntnissen handeln, daß wir das objektive zum Bestimmungsgrund unseres Zustandes machen – in beyden Fällen reissen wir diesen Zustand aus der Gerichtsbarkeit der Zeit, und gestehen ihm Realität für alle Menschen und alle Zeiten, d. i. Allgemeinheit und Nothwendigkeit zu. Das Gefühl kann bloß sagen: das ist wahr für dieses Subjekt und in diesem Moment, und ein anderer Moment, ein anderes Subjekt kann kommen, das die Aussage der gegenwärtigen Empfindung zurück nimmt. Aber wenn der Gedanke einmal ausspricht: das ist, so entscheidet er für immer und ewig, und die Gültigkeit seines Ausspruchs ist durch die Persönlichkeit selbst verbürgt, die allem Wechsel Trotz bietet. Die Neigung kann bloß sagen: das ist für dein Individuum und für dein jetziges Bedürfniß gut, aber dein Individuum und dein jetziges Bedürfniß wird die Veränderung mit sich fortreißen, und was du jetzt feurig begehrst, dereinst zum Gegenstand deines Abscheues machen. Wenn aber das moralische Gefühl sagt: das soll seyn, so entscheidet es für immer und ewig – wenn du Wahrheit bekennst, weil sie Wahrheit ist, und Gerechtigkeit ausübst, weil sie Gerechtigkeit ist, so hast du einen einzelnen Fall zum Gesetz für alle Fälle gemacht, einen Moment in deinem Leben als Ewigkeit behandelt.

Wo also der Formtrieb die Herrschaft führt, und das reine Objekt in uns handelt, da ist die höchste Erweiterung des Seyns, da verschwinden alle Schranken, da hat sich der Mensch aus einer Größen-Einheit, auf welche der dürftige Sinn ihn beschränkte, zu einer Ideen-Einheit erhoben, die das ganze Reich der Erscheinungen unter sich faßt. Wir sind bey dieser Operation nicht mehr in der Zeit, sondern die Zeit ist in uns mit ihrer ganzen nie endenden Reyhe. Wir sind nicht mehr Individuen, sondern Gattung; das Urtheil aller Geister ist durch das unsrige ausgesprochen, die Wahl aller Herzen ist repräsentiert durch unsre That.

Dreyzehenter Brief.

Beym ersten Anblick scheint nichts einander mehr entgegen gesetzt zu sein, als die Tendenzen dieser beyden Triebe, indem der eine auf Veränderung, der andre auf Unveränderlichkeit dringt. Und doch sind es diese beyden Triebe, die den Begriff der Menschheit erschöpfen, und ein dritter Grundtrieb, der beyde vermitteln könnte, ist schlechterdings ein undenkbarer Begriff. Wie werden wir also die Einheit der menschlichen Natur wieder herstellen, die durch diese ursprüngliche und radikale Entgegensetzung völlig aufgehoben scheint?

Wahr ist es, ihre Tendenzen widersprechen sich, aber was wohl zu bemerken ist, nicht in denselben Objekten, und was nicht aufeinander trift, kann nicht gegeneinander stossen. Der Sachtrieb fodert zwar Veränderung, aber er fordert nicht, daß sie auch auf die Person und ihr Gebiet sich erstrecke: daß ein Wechsel der Grundsätze sey. Der Formtrieb dringt auf Einheit und Beharrlichkeit – aber er will nicht, daß mit der Person sich auch der Zustand fixiere, daß Identität der Empfindung sey. Sie sind einander also von Natur nicht entgegengesetzt, und wenn sie dem ohngeachtet so erscheinen, so sind sie es erst geworden durch eine freye Übertretung der Natur, indem sie sich selbst mißverstehen, und ihre Sphären verwirren.3 Über diese zu wachen, und einem jeden dieser beyden Triebe seine Grenzen zu sichern, ist die Aufgabe der Kultur, die also beyden eine gleiche Gerechtigkeit schuldig ist, und nicht bloß den Formtrieb gegen den Sachtrieb, sondern auch diesen gegen jenen zu behaupten hat. Ihr Geschäft ist also doppelt: erstlich: die Sinnlichkeit gegen die Eingriffe der Freyheit zu verwahren: zweytens: die Persönlichkeit gegen die Macht der Empfindungen sicher zu stellen. Jenes erreicht sie durch Ausbildung des Gefühlvermögens, dieses durch Ausbildung des Vernunftvermögens.

Da die Welt ein Ausgedehntes in der Zeit, Veränderung, ist, so wird die Vollkommenheit desjenigen Vermögens, welches den Menschen mit der Welt in Verbindung setzt, größtmöglichste Veränderlichkeit und Extensität seyn müssen. Da die Person das Bestehende in der Veränderung ist, so wird die Vollkommenheit desjenigen Vermögens, welches sich dem Wechsel entgegensetzen soll, größtmöglichste Selbständigkeit und Intensität seyn müssen. Je vielseitiger sich die Empfänglichkeit ausbildet, je beweglicher dieselbe ist und je mehr Fläche sie den Erscheinungen darbietet, desto mehr Welt ergreift der Mensch, desto mehr Anlagen entwickelt er in sich; je mehr Kraft und Tiefe die Persönlichkeit, je mehr Freyheit die Vernunft gewinnt, desto mehr Welt begreift der Mensch, desto mehr Form schafft er außer sich. Seine Kultur wird also darin bestehen: erstlich: dem empfangenden Vermögen die vielfältigsten Berührungen mit der Welt zu verschaffen, und auf Seiten des Gefühls die Paßivität aufs höchste zu treiben: zweytens dem bestimmenden Vermögen die höchste Unabhängigkeit von dem empfangenden zu erwerben, und auf Seiten der Vernunft die Aktivität aufs höchste zu treiben. Wo beyde Eigenschaften sich vereinigen, da wird der Mensch mit der höchsten Fülle von Daseyn die höchste Selbständigkeit und Freyheit verbinden, und, anstatt sich an die Welt zu verlieren, diese vielmehr mit der ganzen Unendlichkeit ihrer Erscheinungen in sich ziehen und der Einheit seiner Vernunft unterwerfen.

Dieses Verhältniß nun kann der Mensch umkehren, und dadurch auf eine zweyfache Weise seine Bestimmung verfehlen. Er kann die Intensität, welche die thätige Kraft erheischt, auf die leidende legen, durch den Stachtrieb dem Formtriebe vorgreifen, und das empfangende Vermögen zum bestimmenden machen. Er kann die Extensität, welche der leidenden Kraft gebührt, der tätigen zutheilen, durch den Formtrieb dem Stofftrieb vorgreifen und dem empfangenden Vermögen das bestimmende unterschieben. In dem ersten Fall wird er nie Er selbst, in dem zweyten wird er nie etwas Anderes seyn, mithin eben darum in beyden Fällen keines von beyden folglich – Null sein.4

Wird nehmlich der Sachtrieb bestimmend, macht der Sinn den Gesetzgeber, und unterdrückt die Welt die Person, so hört sie in demselben Verhältnisse auf, Objekt zu seyn, als sie Macht wird. Sobald der Mensch nur Innhalt der Zeit ist, so ist Er nicht, und er hat folglich auch keinen Innhalt. Mit seiner Persönlichkeit ist auch sein Zustand aufgehoben, weil beydes Wechselbegriffe sind – weil die Veränderung ein Beharrliches, und die begrenzte Realität eine unendliche fodert. Wird der Formtrieb empfangend, das heißt, kommt die Denkkraft der Empfindung zuvor und unterschiebt die Person sich der Welt, so hört sie in demselben Verhältniß auf, selbstständige Kraft und Subjekt zu seyn, als sie sich in den Platz des Objekts drängt, weil das Beharrliche die Veränderung und die absolute Realität zu ihrer Verkündigung Schranken fodert. Sobald der Mensch nur Form ist, so hat er keine Form; und mit dem Zustand ist folglich auch die Person aufgehoben. Mit einem Wort: nur insofern er selbstständig ist, ist Realität außer ihm, ist er empfänglich; nur insofern er empfänglich ist, ist Realität in ihm, ist er eine denkende Kraft.

Beyde, der Sachtrieb und der Formtrieb haben also Einschränkung, und insofern sie als Energieen gedacht werden, Abspannung nöthig; jener, daß er sich nicht ins Gebiet der Gesetzgebung, dieser, daß er sich nicht ins Gebiet der Empfindung eindringe. Jene Abspannung des Sachtriebes darf aber keineswegs die Wirkung eines physischen Unvermögens und einer Stumpfheit der Empfindungen seyn, welche überall nur Verachtung verdient; sie muß eine Handlung der Freyheit, eine Thätigkeit der Person seyn, die durch ihre moralische Intensität jene sinnliche mäßigt, und durch Beherrschung der Eindrücke ihnen an Tiefe nimmt, um ihnen an Fläche zu geben. Der Charakter muß dem Temperament seine Grenzen bestimmen, denn nur an den Geist darf der Sinn verlieren. Jene Abspannung des Formtriebs darf eben so wenig die Wirkung eines geistigen Unvermögens und einer Schlaffheit der Denk- oder Willenskräfte seyn, welche die Menschheit erniedrigen würde. Fülle der Empfindungen muß ihre rühmliche Quelle seyn; die Sinnlichkeit selbst muß mit siegender Kraft ihr Gebiet behaupten, und der Gewalt widerstreben, die ihr der Geist durch seine vorgreifende Thätigkeit gerne zufügen möchte. Mit einem Wort: den Sachtrieb muß die Persönlichkeit, und den Formtrieb die Empfänglichkeit oder die Natur in seinen gehörigen Schranken halten.

Vierzehenter Brief.

Wir sind nunmehr zu dem Begriff einer solchen Wechsel-Wirkung zwischen beyden Trieben geführt worden, wo die Wirksamkeit des einen die Wirksamkeit des andern zugleich begründet und begrenzt, und wo jeder einzelne für sich gerade dadurch zu seiner höchsten Verkündigung gelangt, daß der andere thätig ist.

Dieses Wechselverhältniß beyder Triebe ist zwar bloß eine Aufgabe der Vernunft, die der Mensch nur in der Vollendung seines Daseyns ganz zu lösen im Stand ist. Es ist im eigentlichsten Sinne des Worts die Idee seiner Menschheit, mithin ein unendliches, dem er sich im Laufe der Zeit immer mehr nähern kann, aber ohne es jemals zu erreichen. „Er soll nicht auf Kosten seiner Realität nach Form, und nicht auf Kosten der Form nach Realität streben; vielmehr soll er das absolute Seyn durch ein bestimmtes, und das bestimmte Seyn durch ein unendliches suchen. Er soll sich eine Welt gegenüber stellen, weil er Person ist, und soll Person seyn, weil ihm eine Welt gegenüber steht. Er soll empfinden, weil er sich bewußt ist, und soll sich bewußt seyn, weil er empfindet.“ – Daß er dieser Idee wirklich gemäß, folglich, in voller Bedeutung des Worts, Mensch ist, kann er nie in Erfahrung bringen, solange er nur Einen dieser beyden Triebe ausschließend, oder nur Einen nach dem Andern befriedigt; denn solange er nur empfindet, bleibt ihm seine Person oder seine absolute Existenz, und solange er nur denkt, bleibt ihm seine Existenz in der Zeit oder sein Zustand Geheimniß. Gäbe es aber Fälle, wo er diese doppelte Erfahrung zugleich machte, wo er sich zugleich seiner Freyheit bewußt würde, und sein Daseyn empfände, wo er sich zugleich als Materie fühlte, und als Geist kennen lernte, so hätte er in diesen Fällen, und schlechterdings nur in diesen, eine vollständige Anschauung seiner Menschheit, und der Gegenstand, der diese Anschauung ihm verschaffte, würde ihm zu einem Symbol seiner ausgeführten Bestimmung, folglich (weil diese nur in der Allheit der Zeit zu erreichen ist) zu einer Darstellung des Unendlichen dienen.

Vorausgesetzt, daß Fälle dieser Art in der Erfahrung vorkommen können, so würden sie einen neuen Trieb in ihm aufwecken, der eben darum, weil die beyden andern in ihm zusammenwirken, einem jeden derselben, einzeln betrachtet, entgegengesetzt seyn, und mit Recht für einen neuen Trieb gelten würde. Der Sachtrieb will, daß Veränderung sey, daß die Zeit einen Innhalt habe; der Formtrieb will, daß die Zeit aufgehoben, daß keine Veränderung sey. Derjenige Trieb also, in welchem beyde verbunden wirken, (es sey mir einstweilen, bis ich diese Benennung gerechtfertigt haben werde, vergönnt, ihn Spieltrieb zu nennen) der Spieltrieb also würde dahin gerichtet seyn, die Zeit in der Zeit aufzuheben, Werden mit absolutem Seyn, Veränderung mit Identität zu vereinbaren.

Der Sachtrieb will bestimmt werden, er will sein Objekt empfangen; der Formtrieb will selbst bestimmen, er will sein Objekt hervorbringen: der Spieltrieb wird also bestrebt seyn, so zu empfangen, wie er selbst hervorgebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet. Der Sachtrieb, kann man sagen, ist dahin gerichtet die Einheit in der Zeit zu vervielfältigen, weil die Empfindung Succeßion von Realitäten ist; Der Formtrieb ist dahin gerichtet, die Vielheit in der Idee zu vereinigen, weil der Gedanke Übereinstimmung des Verschiedenen ist: der Spieltrieb wird also damit umgehen, die Einheit der Idee in der Zeit zu vervielfältigen; das Gesetz zum Gefühl zu machen; oder was eben soviel ist, die Vielheit in der Zeit in der Idee zu vereinigen; das Gefühl zum Gesetz zu machen.

Der Sachtrieb schließt aus seinem Subject alle Selbstthätigkeit und Freyheit, der Formtrieb schließt aus dem seinigen alle Abhängigkeit, alles Leiden aus. Ausschließung der Freyheit ist aber physische, Ausschliessung des Leidens ist moralische Nothwendigkeit. Beyde Triebe nöthigen also das Gemüth, jener durch Naturgesetze, dieser durch Gesetze der Vernunft. Der Spieltrieb also, als in welchem beyde verbunden wirken, wird das Gemüth zugleich moralisch und physisch nöthigen; er wird also, weil er alle Zufälligkeit aufhebt, auch alle Nöthigung aufheben, und den Menschen, sowohl physisch als moralisch, in Freyheit setzen. Wenn wir jemand mit Leidenschaft umfassen, der unsrer Verachtung würdig ist, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Natur. Wenn wir gegen einen andern feindlich gesinnt sind, der uns Achtung abnöthigt, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Vernunft. Sobald er aber zugleich unsre Neigung interessiert und unsere Achtung sich erworben, so verschwindet sowohl der Zwang der Empfindung als der Zwang des Gewissens, und wir fangen an, ihn zu lieben, d. h. zugleich mit unsrer Neigung und mit unsrer Achtung zu spielen.

Indem uns ferner der Sachtrieb physisch, und der Formtrieb moralisch nöthigt, so läßt jener unsre formale, dieser unsre materiale Beschaffenheit zufällig; das heißt, es ist zufällig, ob unsere Glückseligkeit mit unsrer Vollkommenheit, oder ob diese mit jener übereinstimmen werde. Der Spieltrieb also, in welchem beyde vereinigt wirken, wird zugleich unsre formale und unsere materiale Beschaffenheit, zugleich unsre Vollkommenheit und unsre Glückseligkeit zufällig machen; er wird also, eben weil er beyde zufällig macht, und weil mit der Nothwendigkeit auch die Zufälligkeit verschwindet, die Zufälligkeit in beyden wieder aufheben, mithin Form in die Materie und Realität in die Form bringen. In demselben Maße als er den Empfindungen und Affekten ihren dynamischen Einfluß nimmt, wird er sie mit Ideen der Vernunft in Übereinstimmung bringen, und in demselben Maaße, als er den Gesetzen der Vernunft ihre moralische Nöthigung benimmt, wird er sie mit dem Interesse der Sinne versöhnen. Unter seiner Herrschaft wird das Angenehme zu einem Objekt, und das Gute zu einer Macht werden. Er wird in seinem Objekte die Materie mit der Form und die Form mit der Materie auswechseln, er wird in seinem Subjekte Nothwendigkeit in Freyheit, und Freyheit in Nothwendigkeit verwandeln, und auf diese Art beyde Naturen in dem Menschen in die innigste Gemeinschaft setzen.

Fünfzehenter Brief.

Immer näher komm ich dem Ziel, dem ich Sie auf einem wenig ermunternden Pfade entgegen führe. Lassen Sie es sich gefallen, mir noch einige Schritte weiter zu folgen, so wird ein desto freyerer Gesichtskreis sich aufthun, und eine muntere Aussicht die Mühe des Wegs vielleicht belohnen.

Der Gegenstand des Sachtriebes, in einem allgemeinen Begriff ausgedrückt, heißt Leben, in weitester Bedeutung; ein Begriff, der alles materiale Seyn, und alle unmittelbare Gegenwart in den Sinnen bedeutet. Der Gegenstand des Formtriebes, in einem allgemeinen Begriff ausgedrückt, heißt Gestalt, sowohl in uneigentlicher als in eigentlicher Bedeutung; ein Begriff, der alle formalen Beschaffenheiten der Dinge und alle Beziehungen derselben auf die Denkkräfte unter sich faßt. Der Gegenstand des Spieltriebes, in einem allgemeinen Schema vorgestellt, wird also lebende Gestalt heißen können; ein Begriff, der allen ästhetischen Beschaffenheiten der Erscheinungen, und mit einem Worte dem, was man in weitester Bedeutung Schönheit nennt, zur Bezeichnung dient.

Durch diese Erklärung, wenn es eine wäre, wird die Schönheit weder auf das ganze Gebiet des Lebendigen ausgedehnt, noch bloß in dieses Gebiet eingeschlossen. Ein Marmorblock, obgleich er leblos ist und bleibt, kann darum nichts desto weniger lebende Gestalt durch den Architekt und Bildhauer werden; ein Mensch, wiewohl er lebt und Gestalt hat, ist darum noch lange keine lebende Gestalt. Dazu gehört, daß seine Gestalt Leben und sein Leben Gestalt sey. Solange wir über seine Gestalt bloß denken, ist sie leblos, bloße Abstraktion; solange wir sein Leben bloß fühlen, ist es gestaltlos, bloße Impression. Nur indem seine Form in unsrer Empfindung lebt, und sein Leben in unserm Verstande sich formt, ist er lebende Gestalt, und dieß wird überall der Fall seyn, wo wir ihn als schön beurtheilen.

Dadurch aber, daß wir die Bestandtheile anzugeben wissen, die in ihrer Vereinigung die Schönheit hervorbringen, ist die Genesis derselben auf keine Weise noch erklärt; denn dazu würde erfodert, daß man jene Vereinigung selbst begreiffe, die uns, wie überhaupt alle Wechselwirkung zwischen dem endlichen und unendlichen unerforschlich bleibt. Die Vernunft stellt aus transcendentalen Gründen die Forderung auf: es soll eine Gemeinschaft zwischen Formtrieb und Sachtrieb, das heißt, ein Spieltrieb seyn, weil nur die Einheit der Realität mit der Form, der Zufälligkeit mit der Nothwendigkeit, des Leidens mit der Freyheit den Begriff der Menschheit vollendet. Sie muß diese Foderung aufstellen, weil sie Vernunft ist – weil sie ihrem Wesen nach auf Vollendung und auf Wegräumung aller Schranken dringt, jede ausschließende Thätigkeit des einen oder des andern Triebes aber die menschliche Natur unvollendet läßt, und eine Schranke in derselben begründet. Sobald sie demnach den Ausspruch thut: es soll eine Menschheit existieren, so hat sie eben dadurch das Gesetz aufgestellt: es soll eine Schönheit seyn. Die Erfahrung kann uns beantworten, ob eine Schönheit ist, und wir werden es wissen, sobald sie uns belehrt hat, ob eine Menschheit ist. Wie aber eine Schönheit seyn kann, und wie eine Menschheit möglich ist, kann uns weder Vernunft noch Erfahrung lehren.

Der Mensch, wissen wir, ist weder ausschließend Materie, noch ist er ausschließend Geist. Die Schönheit, als Consummation seiner Menschheit, kann also weder ausschließend ein Objekt des Sachtriebes, blosses Leben seyn, wie von scharfsinnigen Beobachtern, die sich zu genau an die Zeugnisse der Erfahrung hielten, behauptet worden ist, und wozu der Geschmack der Zeit sie gern herabziehen möchte; noch kann sie ausschließend ein Objekt es Formtriebs, blosse Gestalt seyn, wie von spekulativen Weltweisen, die sich zu weit von der Erfahrung entfernten, und von philosophierenden Künstlern, die sich in Erklärung derselben allzusehr durch das Bedürfniß der Kunst leiten liessen, geurtheilt worden ist5: sie ist das gemeinschaftliche Objekt beyder Triebe, das heißt, des Spieltriebs. Diese Namen rechtfertigt der Sprachgebrauch vollkommen, der alles das, was weder subjektiv noch objektiv zufällig ist, und doch weder äußerlich noch innerlich nöthigt, mit dem Wort Spiel zu bezeichnen pflegt. Da sich das Gemüth bey Anschauung des Schönen in einer glücklichen Mitte zwischen dem Gesetz und Bedürfniß befindet, so ist es eben darum, weil es sich zwischen beyden theilt, dem Zwang sowohl des einen als des andern entzogen. Dem Sachtrieb wie dem Formtrieb ist es mit ihren Foderungen ernst, weil der eine sich, beym Erkennen, auf die Wirklichkeit, der andre auf die Nothwendigkeit der Dinge bezieht; weil, beym Handeln, der erste auf Erhaltung des Lebens, der zweyte auf Bewahrung der Würde, beyde also auf Wahrheit und Vollkommenheit gerichtet sind. Aber das Leben wird gleichgültiger, so wie die Würde sich einmischt, und die Pflicht nöthigt nicht mehr, sobald die Neigung zieht: eben so nimmt das Gemüth die Wirklichkeit der Dinge, die materiale Wahrheit, freyer und ruhiger auf, sobald solche der formalen Wahrheit, dem Gesetz der Nothwendigkeit, begegnet, und fühlt sich durch Abstraktion nicht mehr angespannt, sobald die unmittelbare Anschauung sie begleiten kann. Mit einem Wort: indem es mit Ideen in Gemeinschaft kommt, verliert alles Wirkliche seinen Ernst, weil es klein wird, und indem es mit der Empfindung zusammen trift, legt das Nothwendige den seinigen ab, weil es leicht wird.

Wird aber, möchten Sie längst schon versucht gewesen seyn mir entgegen zu setzen, wird nicht das Schöne dadurch, daß man es zum bloßen Spiel macht, erniedrigt, und den frivolen Gegenständen gleich gestellt, die von jeher im Besitz dieses Namens waren? Widerspricht es nicht dem Vernunftbegriff und der Würde der Schönheit die doch als ein Instrument der Kultur betrachtet wird, sie auf ein bloßes Spiel einzuschränken, und widerspricht es nicht dem Erfahrungsbegriff des Spiels, das mit Ausschließung alles Geschmackes zusammen bestehen kann, es bloß auf Schönheit einzuschränken?

Aber was heißt denn ein bloßes Spiel, nachdem wir wissen, daß unter allen Zuständen des Menschen gerade das Spiel und nur das Spiel es ist, was ihn vollständig macht, und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet? Was Sie, nach Ihrer Vorstellung der Sache, Einschränkung nennen, das nenne ich, nach der meinen, die ich durch Beweise gerechtfertigt habe, Erweiterung. Ich würde also vielmehr gerade umgekehrt sagen: mit dem Angenehmen, mit dem Guten, mit dem Vollkommenen ist es dem Menschen nur ernst, aber mit der Schönheit spielt er.6 Freylich dürfen wir uns hier nicht an die Spiele erinnern, die in dem wirklichen Leben im Gange sind, und die sich gewöhnlich nur auf sehr materielle Gegenstände richten; aber in dem wirklichen Leben würden wir auch die Schönheit vergebens suchen, von der hier die Rede ist. Die wirklich vorhandene Schönheit ist des wirklich vorhandenen Spieltriebes werth; aber durch das Ideal der Schönheit, welches die Vernunft aufstellt, ist auch ein Ideal des Spieltriebes aufgegeben, das der Mensch in allen seinen Spielen vor Augen haben soll. Je nachdem sich der Spieltrieb entweder dem Sachtriebe oder dem Formtriebe nähert, wird auch das Schöne entweder mehr an das bloße Leben oder an die bloße Gestalt grenzen, und man wird niemals irren, wenn man das Schönheitsideal eines Menschen auf dem nehmlichen Wege sucht, auf dem er seinen Spieltrieb befriedigt. Wenn sich die griechischen Völkerschaften in den Kampfspielen zu Olympia an den unblutigen Wettkämpfen der Kraft, der Schnelligkeit, der Gelenkigkeit und an dem edleren Wechselstreit der Talente ergötzen, und wenn das römische Volk an dem Todeskampf eines erlegten Gladiators oder seines libyschen Gegners sich labt, so wird es uns auf diesem einzigen Zuge begreiflich, warum wir die Idealgestalten einer Venus, einer Juno, eines Apolls nicht in Rom, sondern in Griechenland aufsuchen müssen.7 Nun spricht aber die Vernunft: das Schöne soll nicht bloßes Leben und nicht bloße Gestalt, sondern lebende Gestalt, das ist, Schönheit seyn; indem sie ja dem Menschen das doppelte Gesetz der absoluten Formalität und der absoluten Realität diktiert. Mithin thut sie auch den Ausspruch: der Spieltrieb soll nicht bloß Sachtrieb, und soll nicht blos Formtrieb, sondern beydes zugleich, das ist, Spieltrieb seyn. Mit andern Worten: der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen.

Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz, der in diesem Augenblicke vielleicht paradox erscheint, wird eine große und tiefe Bedeutung erhalten, wenn wir erst dahin gekommen seyn werden, ihn auf den doppelten Ernst der Pflicht und des Schicksals anzuwenden; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwürigern Lebenskunst tragen. Aber dieser Satz ist auch nur in der Wissenschaft unerwartet; längst schon lebte und wirkte er in der Kunst, und in dem Gefühle der Griechen, ihrer vornehmsten Meister; nur daß sie in den Olympus versetzten, was auf der Erde sollte ausgeführt werden. Von der Wahrheit desselben geleitet liessen sie sowohl den Ernst und die Arbeit, welche die Wangen der Sterblichen furchen, als die nichtige Lust, die das leere Angesicht glättet, aus der Stirne der seligen Götter verschwinden, gaben die ewig zufriedenen von den Feßeln jedes Zweckes, jeder Pflicht, jeder Sorge frey, und machten den Müssiggang und die Gleichgültigkeit zum beneideten Loose des Götterstandes: ein bloß menschlicherer Nahme für das freyeste und erhabenste Seyn. Sowohl der materielle Zwang der Naturgesetze, als der geistige Zwang der Sittengesetze verlor sich in ihrem höhern Begriff von Nothwendigkeit, der beyde Welten zugleich umfasste, und aus der Einheit jener beyden Nothwendigkeiten ging ihnen erst die wahre Freyheit hervor. Beseelt von diesem Geiste löschten sie aus den Gesichtszügen ihres Ideals zugleich mit der Neigung auch alle Spuren des Willens aus, oder besser, sie machten beyde unkenntlich, weil sie beyde in dem innigsten Bund zu verknüpfen wußten. Es ist weder Anmuth noch ist es Würde, was auf dem herrlichen Antlitz einer Juno Ludovisi zu uns spricht; es ist keines von beyden, weil es beydes zugleich ist. Indem der weibliche Gott unsre Anbetung heischt, entzündet das gottgleiche Weib unsre Liebe; aber indem wir uns der himmlischen Holdseligkeit aufgelößt hingeben, schreckt die himmlische Selbstgenügsamkeit uns zurück. In sich selbst ruhet und wohnt die ganze Gestalt, eine völlig geschlossene Schöpfung, und als wenn sie jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit einbrechen könnte. Durch jenes unwiderstehlich ergriffen und angezogen, durch dieses in der Ferne gehalten, befinden wir uns zugleich in dem Zustand der höchsten Ruhe und der höchsten Bewegung, und es entsteht jene wunderbare Rührung, für welche der Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat.

Sechzehnter Brief.

Aus der Wechselwirkung zwey entgegengesetzter Triebe, und auf der Verbindung zwey entgegengesetzter Principien haben wir das Schöne hervorgehen sehen, dessen höchstes Ideal also in dem möglichstvollkommensten Bunde und Gleichgewicht der Realität und der Form wird zu suchen seyn. Dieses Gleichgewicht bleibt aber immer nur Idee, die von der Wirklichkeit nie ganz erreicht werden kann. In der Wirklichkeit wird immer ein Übergewicht des Einen Elements über das andere übrig bleiben, und das höchste was die Erfahrung leistet, wird in einer Schwankung zwischen beyden Principien bestehen, wo bald die Realität, bald die Form überwiegend ist. Die Schönheit in der Idee ist also ewig nur eine untheilbare einzige, weil es nur ein einziges Gleichgewicht geben kann; die Schönheit in der Erfahrung hingegen wird ewig eine doppelte seyn, weil bey einer Schwankung das Gleichgewicht auf eine doppelte Art, nehmlich diesseits und jenseits, kann übertreten werden.

Ich habe in einem der vorhergehenden Briefe bemerkt, auch läßt es sich aus dem Zusammenhange des bisherigen mit strenger Nothwendigkeit folgern, daß von dem Schönen zugleich eine auflösende und eine anspannende Wirkung zu erwarten sey: eine auflösende, um sowohl den Sachtrieb als den Formtrieb in ihren Grenzen zu halten: eine anspannende, um beyde in ihrer Kraft zu erhalten. Diese beyden Wirkungsarten der Schönheit sollen aber, der Idee nach, schlechterdings nur eine einzige seyn. Sie soll auflösen, dadurch daß sie beyde Naturen gleichförmig anspannt, und soll anspannen, dadurch daß sie beyde Naturen gleichförmig auflöst. Indem sie zugleich mit dem Sachtriebe auch den Formtrieb in Thätigkeit setzt, hat sie beyden ihre Grenzen gezogen; indem sie beyde durcheinander in Schranken hält, hat sie beyden die gehörige Freyheit gegeben. Dieses folgt schon aus dem Begriff einer Wechselwirkung, vermöge dessen beyde Theile einander zugleich nothwendig bedingen, und durch einander bedingt werden, und deren reinstes Produkt die Schönheit ist. Aber die Erfahrung bietet uns kein Beyspiel einer so vollkommenen Wechselwirkung dar, sondern hier wird jederzeit, mehr oder weniger, das Übergewicht einen Mangel und der Mangel ein Übergewicht begründen. Was also in dem Ideal-Schönen nur in der Vorstellung unterschieden wird, das ist in dem Schönen der Erfahrung der Existenz nach verschieden. Das Idealschöne, obgleich untheilbar und einfach zeigt in verschiedener Beziehung sowohl eine schmelzende als energische Eigenschaft; in der Erfahrung gibt es eine schmelzende und energische Schönheit. So ist es und so wird es in allen den Fällen seyn, wo das Absolute in die Schranken der Zeit gesetzt ist, und Ideen der Vernunft in der Menschheit realisiert werden sollen. So denkt der reflektirende Mensch sich die Tugend, die Wahrheit, die Glückseligkeit; aber der handelnde Mensch wird bloß Tugenden üben, bloß Wahrheiten fassen, bloß glückselige Tage geniessen. Diese auf jene zurück zu führen – an die Stelle der Sitten die Sittlichkeit, an die Stelle der Kenntnisse die Erkenntniß, an die Stelle des Glückes die Glückseligkeit zu setzen, ist das Geschäft der physischen und moralischen Bildung; aus Schönheiten Schönheit zu machen, ist die Aufgabe der ästhetischen.

Die energische Schönheit kann den Menschen eben so wenig vor einem gewissen Überrest von Wildheit und Härte bewahren, als ihn die schmelzende vor einem gewissen Grade der Weichlichkeit und Entnervung schützt. Denn da die Wirkung der erstern ist, das Gemüth sowohl im physischen als moralischen anzuspannen und seine Schnellkraft zu vermehren, so geschieht es nur gar zu leicht, daß der Widerstand des Temperaments und Charakters die Empfänglichkeit für Eindrücke mindert, daß auch die zartere Humanität eine Unterdrückung erfährt, die nur die rohe Natur treffen sollte, und daß die rohe Natur an einem Kraftgewinn Theil nimmt, der nur der freyen Person gelten sollte; daher findet man in den Zeitaltern der Kraft und der Fülle das wahrhaft Große der Vorstellung mit dem Gigantesken und Abentheuerlichen und das Erhabene der Gesinnung mit den schauderhaftesten Ausbrüchen der Leidenschaft gepaart; daher wird man in den Zeitaltern der Regel und der Form die Natur eben so oft unterdrückt als beherrscht, eben so oft beleidigt als übertroffen finden. Und weil die Wirkung der schmelzenden Schönheit ist, das Gemüth im moralischen wie im physischen aufzulösen, so begegnet es eben so leicht, daß mit der Gewalt der Begierden auch Energie der Gefühle erstickt wird, und daß auch der Charakter einen Kraftverlust theilt, der nur die Leidenschaft treffen sollte: daher wird man in den sogenannten verfeinerten Weltaltern Weichheit nicht selten in Weichlichkeit, Fläche in Flachheit, Korrektheit in Leerheit, Liberalität in Willkührlichkeit, Leichtigkeit in Frivolität, Ruhe in Apathie ausarten, und die verächtlichste Karrikatur zunächst an die herrlichste Menschlichkeit grenzen sehen. Für den Menschen unter dem Zwange entweder der Materie oder der Formen ist also die schmelzende Schönheit Bedürfniß, denn von Größe und Kraft ist er längst gerührt, ehe er für Harmonie und Grazie anfängt empfindlich zu werden. Für den Menschen unter der Indulgenz des Geschmacks ist die energische Schönheit Bedürfniß, denn nur allzugern verscherzt er im Stand der Verfeinerung eine Kraft, die er aus dem Stand der Wildheit herüberbrachte.

Und nunmehr, glaube ich, wird jener Widerspruch erklärt und beantwortet seyn, den man in den Urtheilen der Menschen über den Einfluß des Schönen, und in Würdigung der ästhetischen Kultur anzutreffen pflegt. Er ist erklärt, dieser Widerspruch, sobald man sich erinnert, daß es in der Erfahrung eine zweyfache Schönheit giebt, und daß beyde Theile von der ganzen Gattung behaupten, was jeder nur von einer besondern Art derselben zu beweisen im Stande ist. Er ist gehoben, dieser Widerspruch, sobald man das doppelte Bedürfniß der Menschheit unterscheidet, dem jene doppelte Schönheit entspricht. Beyde Theile werden also wahrscheinlich Recht behalten, wenn sie nur erst miteinander verständigt sind, welche Art der Schönheit und welche Form der Menschheit sie in Gedanken haben.

Ich werde daher im Fortgange meiner Untersuchungen den Weg, den die Natur in ästhetischer Hinsicht mit dem Menschen einschlägt, auch zu dem meinigen machen, und mich von den Arten der Schönheit zu dem Gattungsbegriff derselben erheben. Ich werde die Wirkungen der schmelzenden Schönheit an dem angespannten Menschen, und die Wirkungen der energischen an dem abgespannten prüfen, um zulezt beyde entgegen gesetzte Arten der Schönheit in der Einheit des Ideal-Schönen auszulöschen, so wie jene zwey entgegengesetzten Formen der Menschheit in der Einheit des Ideal-Menschen untergehn.

Die Fortsetzung folgt.

 

1 Ich trage kein Bedenken, diesen Ausdruck sowohl von demjenigen, was nach Befolgung eines Gesetzes als von dem, was nach Befriedigung eines Bedürfnißes strebt, gemeinschaftlich zu gebrauchen, wiewohl man ihn sonst nur auf das letztere einzuschränken pflegt. So wie nehmlich Vernunftideen zu Imperativen oder Pflichten werden, sobald man sie überhaupt in die Schranken der Zeit setzt, so werden aus diesen Pflichten Triebe, sobald sie auf etwas bestimmtes und wirkliches bezogen werden. Die Wahrhaftigkeit z. B. als ein absolutes und nothwendiges, welches die Vernunft allen Intelligenzen vorschreibt, ist in dem höchsten Wesen wirklich, weil sie möglich ist; denn dieß folgt aus dem Begriff eines nothwendigen Wesens. Eben diese Idee, in die Schranken der Menschheit gesetzt, ist zwar noch immer, aber nur moralischer weise, nothwendig, und soll erst wirklich gemacht werden, weil bey einem zufälligen Wesen durch die Möglichkeit allein die Wirklichkeit noch nicht gesetzt ist. Liefert nun die Erfahrung einen Fall, auf den dieser Imperativ der Wahrhaftigkeit sich beziehen lässt, so erweckt er einen Trieb, ein Streben nehmlich, jenes Gesetz in Ausübung zu bringen, und die durch Vernunft vorgeschriebene Übereinstimmung mit sich selbst zu bewirken. Dieser Trieb entsteht nothwendig, und fehlt auch bey demjenigen nicht, der ihm gerade entgegen handelt. Ohne ihn würde es keinen moralisch bösen, folglich auch keinen moralisch guten Willen geben.

2 Die Sprache hat für diesen Zustand der Selbstlosigkeit unter der Herrschaft der Empfindung den sehr treffenden Ausdruck: ausser sich seyn, das heißt, außer seinem Ich seyn. Obgleich diese Redensart nur da statt findet, wo die Empfindung zum Affect, und dieser Zustand durch seine längere Dauer mehr bemerkbar wird, so ist doch jeder ausser sich, solange er nur empfindet. Von diesem Zustande zur Besonnenheit zurückkehren, nennt man eben so richtig: in sich gehen, das heißt, in sein Ich zurückkehren, seine Person wieder herstellen. Von einem, der in Ohnmacht liegt, sagt man nicht: er ist ausser sich, sondern: er ist von sich, d. h. er ist seinem Ich geraubt, da jener nur nicht in demselben ist. Daher ist derjenige, der aus einer Ohnmacht zurückkehrte, bloß bey sich, welches sehr gut mit dem Außer sich seyn bestehen kann.

3 Sobald man einen ursprünglichen, mithin nothwendigen Antagonism beyder Triebe behauptet, so ist freylich kein anderes Mittel die Einheit im Menschen zu erhalten, als daß man den sinnlichen Trieb dem vernünftigen unbedingt unterordnet. Daraus aber kann bloß Einförmigkeit aber keine Harmonie entstehen, und der Mensch bleibt noch ewig fort getheilt. Die Unterordnung muß allerdings seyn, aber wechselseitig: denn wenn gleich die Schranken nie das absolute begründen können, also die Freyheit nie von der Zeit abhängen kann, so ist es eben so gewiß, daß das absolute durch sich selbst nie die Schranken begründen, daß der Zustand in der Zeit nicht von der Freyheit abhängen kann. Beyde Principien sind einander also zugleich subordiniert und coordiniert, d. h. sie stehen in Wechselwirkung; ohne Form keine Materie, ohne Materie keine Form. (Diesen Begriff der Wechselwirkung und die ganze Wichtigkeit desselben findet man vortrefflich auseinander gesetzt in Fichte’s Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre. Leipzig 1794.) Wie es mit der Person im Reich der Ideen stehe, wissen wir freylich nicht, aber daß sie, ohne Materie zu empfangen, in dem Reiche der Zeit sich nicht offenbaren könne, wissen wir gewiss; in diesem Reiche also wird die Materie nicht bloß unter der Form, sondern auch neben der Form, und unabhängig von derselben etwas zu bestimmen haben. So nothwendig es also ist, daß das Gefühl im Gebiet der Vernunft nichts entscheide, eben so nothwendig ist es daß die Vernunft im Gebiet des Gefühls sich nichts zu bestimmen anmaaße. Schon indem man jedem von beyden ein Gebiet zuspricht, schließt man das andere davon aus, und setzt jedem eine Grenze, die nicht anders als zum Nachtheile beyder überschritten werden kann.
In einer Transcendental-Philosophie, wo alles darauf ankommt, die Form von dem Innhalt zu befreyen, und das Nothwendige von allem Zufälligen rein zu erhalten, gewöhnt man sich gar leicht, das Materielle sich bloß als Hinderniß zu denken, und die Sinnlichkeit, weil sie gerade bey diesem Geschäfte im Wege steht, in einem nothwendigen Widerspruch mit der Vernunft vorzustellen. Eine solche Vorstellungsart liegt zwar auf keine Weise im Geiste des Kantischen Systems, aber im Buchstaben desselben könnte sie gar wohl liegen.

4 Der schlimme Einfluß einer überwiegenden Sensualität auf unser Denken und Handeln fällt jedermann leicht in die Augen; nicht so leicht, ob er gleich eben so häuffig vorkommt und eben so wichtig ist, der nachtheilige Einfluß einer überwiegenden Rationalität auf unsre Erkenntniß und auf unser Betragen. Man erlaube mir daher aus der grossen Menge der hieher gehörenden Fälle nur zwey in Erinnerung zu bringen, welche den Schaden einer, der Anschauung und Empfindung vorgreifenden Denk- und Willenskraft ins Licht setzen können.
Eine der vornehmsten Ursachen, warum unsere Natur-Wissenschaften so langsame Schritte machen, ist offenbar der allgemeine und kaum bezwingbare Hang zu teleologischen Urtheilen, bey denen sich, sobald sie constitutiv gebraucht werden, das bestimmende Vermögen dem empfangenden unterschiebt. Die Natur mag unsre Organe noch so nachdrücklich und noch so vielfach berühren – alle ihre Mannichfaltigkeit ist verloren für uns, weil wir nichts in ihr suchen, als was wir in sie hineingelegt haben, weil wir ihr nicht erlauben, sich gegen uns herein zu bewegen, sondern vielmehr mit ungeduldig vorgreifender Vernunft gegen sie heraus streben. Kommt alsdann in Jahrhunderten einer, der sich ihr mit ruhigen, keuschen und offenen Sinnen naht und deßwegen auf eine Menge von Erscheinungen stößt, die wir bey unserer Prävention übersehen haben, so erstaunen wir höchlich darüber, daß so viele Augen bey so hellem Tag nichts bemerkt haben sollen. Dieses voreilige Streben nach Harmonie, ehe man die einzelnen Laute beysammen hat, die sie ausmachen sollen, diese gewalttätige Usurpation der Denkkraft in einem Gebiete, wo sie durchaus nichts zu sagen hat, ist der Grund der Unfruchtbarkeit so vieler denkenden Köpfe für das Beste der Wissenschaft, und es ist schwer zu sagen, ob die Sinnlichkeit, welche keine Form annimmt, oder die Vernunft, welche keinen Innhalt abwartet, der Erweiterung unserer Kenntnisse mehr geschadet haben.
Eben so schwer dürfte es zu bestimmen seyn, ob unsre praktische Philanthropie mehr durch die Heftigkeit unsrer Begierden, oder durch die Rigidität unsrer Grundsätze, mehr durch den Egoism unserer Sinne, oder durch den Egoism unserer Vernunft gestört und erkältet wird. Um uns zu theilnehmenden, hülfreichen, thätigen Menschen zu machen, müssen sich Gefühl und Charakter miteinander vereinigen, so wie, um uns Erfahrung zu verschaffen, Offenheit des Sinnes mit Energie des Verstandes zusammentreffen muß. Wie können wir bey noch so lobenswürdigen Maximen, billig, gütig und menschlich gegen andere seyn, wenn uns das Vermögen fehlt, fremde Natur treu und wahr in uns aufzunehmen, fremde Situationen uns anzueignen, fremde Gefühle zu den unsrigen zu machen? Dieses Vermögen aber wird, sowohl in der Erziehung, die wir empfangen, als in der, die wir selbst uns geben, in demselben Maße unterdrückt, als man die Macht der Begierden zu brechen und den Charakter durch Grundsätze zu bevestigen sucht. Weil es Schwierigkeit kostet, bey aller Regsamkeit des Gefühls seinen Grundsätzen treu zu bleiben, so ergreift man das bequemere Mittel, durch Abstumpfung der Gefühle den Charakter sicher zu stellen; denn freylich ist es unendlich leichter, vor einem entwaffneten Gegner Ruhe zu haben, als einen muthigen und rüstigen Feind zu beherrschen. In dieser Operation besteht dann auch größtentheils das, was man einen Menschen formieren nennt; und zwar im beßten Sinn des Worts, wo es Bearbeitung des innern, nicht bloß des äußern Menschen bedeutet. Ein so formierter Mensch wird freylich davor gesichert seyn, rohe Natur zu seyn und als solche zu erscheinen; er wird aber zugleich gegen alle Empfindungen der Natur durch Grundsätze geharnischt seyn, und die Menschheit von außen wird ihm eben so wenig als die Menschheit von innen beykommen können.
Es ist ein sehr verderblicher Mißbrauch, der von dem Ideal der Vollkommenheit gemacht wird, wenn man es bey der Beurtheilung anderer Menschen, und in den Fällen, wo man für sie wirken soll, in seiner ganzen Strenge zum Grund legt. Jenes wird zur Schwärmerey, dieses zur Härte und zur Kaltsinnigkeit führen. Man macht sich freylich seine gesellschaftlichen Pflichten ungemein leicht, wenn man dem wirklichen Menschen, der unsre Hülfe auffordert, in Gedanken den Ideal-Menschen unterschiebt, der sich wahrscheinlich selbst helfen könnte. Strenge gegen sich selbst mit Weichheit gegen andre verbunden, macht den wahrhaft vortrefflichen Charakter aus. Aber meistens wird der gegen andere weiche Mensch es auch gegen sich selbst, und der gegen sich selbst strenge es auch gegen andere seyn; weich gegen sich und streng gegen andre ist der verächtlichste Charakter.

5 Zum bloßen Leben macht die Schönheit Burke in seinen Phil. Untersuchungen über den Ursprung unsrer Begriffe vom Erhabenen und Schönen. Zur blossen Gestalt macht sie, soweit mir bekannt ist, jeder Anhänger des dogmatischen Systems, der über diesem Gegenstand je sein Bekenntniß ablegte: unter den Künstlern Raphael Mengs in seinen Gedanken über den Geschmack in der Mahlerey; anderer nicht zu gedenken. So wie in allem, hat auch in diesem Stück die kritische Philosophie den Weg eröffnet, die Empirie aus Principien, und die Spekulation zur Erfahrung zurück zu führen.

6 Es giebt ein Chartenspiel und giebt ein Trauerspiel; aber offenbar ist das Chartenspiel viel zu ernsthaft für diesen Nahmen.

7 Wenn man (um bey der neuern Welt stehen zu bleiben) die Wettrennen in London, die Stiergefechte in Madrid, die Spectacles in dem ehemaligen Paris, die Gondelrennen in Venedig, die Tierhatzen in Wien, und das frohe schöne Leben des Korso in Rom gegeneinander hält, so kann es nicht schwer seyn, den Geschmack dieser verschiedenen Völker gegeneinander zu nuancieren. Indessen zeigt sich unter den Volksspielen in diesen verschiedenen Ländern weit weniger Einförmigkeit als unter den Spielen der feineren Welt in eben diesen Ländern, welches leicht zu erklären ist.

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