HomeDie Horen1795 - Stück 3IV. Über die männliche und weibliche Form. [Wilhelm von Humboldt]

IV. Über die männliche und weibliche Form. [Wilhelm von Humboldt]

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Die Einheit der Gattung abgerechnet, welche sich in der männlichen und weiblichen Bildung gemeinschaftlich ausdrückt, stehen selbst die Geschlechtsverschiedenheiten beider in einer so vollkommenen Übereinstimmung mit einander, daß sie dadurch zu einem Ganzen zusammenschmelzen. Man abstrahire nun entweder von dem Geschlechtscharakter oder man vereinige denselben, so erhält man in beiden Fällen ein Bild des Menschen in seiner allgemeinen Natur, Die Züge beider Gestalten beziehen sich daher wechselsweis auf einander; der Ausdruck der Kraft in der einen wird durch den Ausdruck von Schwäche in der andern gemildert, und die weibliche Zartheit richtet sich an der männlichen Festigkeit auf. So wendet sich das Auge von jeder einzelnen unbefriedigt zur andern, und jede wird nur durch die andere ergänzt. Und eben so wie das Ideal der menschlichen Schönheit unter beiden auf solche Art vertheilt, daß wir von den zwei verschiedenen Principien, deren Vereinigung die Schönheit ausmacht, in jedem Geschlecht ein anderes überwiegen sehen. Unverkennbar wird bei der Schönheit des Mannes mehr der Verstand durch die Oberherrschaft der Form (Formositas) und durch die kunstmäßige Bestimmtheit der Züge, bey der Schönheit des Weibes mehr das Gefühl durch die freye Fülle des Stoffes und durch die liebliche Anmuth der Züge (venustas) befriedigt; obgleich keine von beyden auf den Nahmen der Schönheit Anspruch machen könnte, wenn sie nicht beyde Eigenschaften in sich vereinigte. Aber die höchste und vollendete Schönheit erfordert nicht bloß Vereinigung, sondern das genaueste Gleichgewicht der Form und des Stoffes, der Kunstmässigkeit und der Freyheit, der geistigen und sinnlichen Einheit, und dieses erhält man nur, wenn man das Charakteristische beyder Geschlechter in Gedanken zusammenschmelzt, und aus dem innigsten Bunde der reinen Männlichkeit und der reinen Weiblichkeit die Menschlichkeit bildet.

Aber eine solche reine Männlichkeit und Weiblichkeit auch nur aufzufinden, ist unendlich schwer, und in der Erfahrung schlechterdings unmöglich. In der Erfahrung kommt immer der eigenthümliche Charakter des Individuums dazwischen, der den allgemeinen Geschlechtscharakter in demselben theils durch Einmischung fremder Züge entstellt, theils durch Mittheilung seiner eigenen zufälligen Schranken ihn hindert, seine höchste Vollendung zu erreichen. Jenes Fremdartige muß also durch den Verstand davon abgesondert, diese Schranken des Individuums müssen entfernt werden, wenn der reine Geschlechtscharakter zur Darstellung kommen soll. Der Verstand aber kann nur dürftige Abstractionen liefern, und hier ist es uns gerade um ein vollständiges sinnliches Bild zu thun, weil der wahre Geist der Geschlechtseigenthümlichkeit nur in dem lebendigen Zusammenwirken aller einzelnen Züge sich ausdrücken kann.

Aus dieser Verlegenheit nun werden wir durch die productive Einbildungskraft gerissen, welche aus dem Gebiet der Erfahrung in ein idealisches übergeht, allen zufälligen Überfluß und alle zufällige Schranken von ihrem Gegenstand absondert, und das Unendliche der Vernunft in eben so bestimmte Formen einkleidet, als sonst nur die zufällige und beschränkte Geburt der Zeit, das wirkliche Individuum, zeigt. Mit diesem wunderbaren Vermögen vorzugsweise von der Natur ausgestattet, bevölkerte der Grieche seinen Olymp mit idealistischen Gestalten. Wenn er nun reine Eigenthümlichkeit und Schönheit suchte, wandte er sich zum Kreise der Götter, und fand da, was er auf der Erde vermißte. Niemand in den folgenden Jahrhunderten hat dies Volk in der Kunst übertroffen, den verborgensten Charakter eines Wesens in seiner noch unentfalteten Knospe zu pflücken, und in dieser Zartheit mit einer bestimmten Gestalt zu umgeben. Nur dem Griechischen Künstler gelang es, das Ideal selbst zu einem Individuum zu machen, und bey ihm werden wir auch den befriedigendsten Aufschluß über den vorliegenden Gegenstand schöpfen.

In dem Kreise der Göttinnen begegnet uns das Ideal der Weiblichkeit zuerst in Dionens Tochter. Der kleine und zarte Gliederbau, welcher jeden schmeichelnden Liebreitz vereint, der üppige Wuchs, das schmachtend feuchte Auge, der sehnsuchtsvoll geöfnete Mund, die holde Sittsamkeit, welche mehr jungfräuliche Schüchternheit als entfernende Strenge verräth, und die himmlische Anmuth, die, glich einem Hauche, über ihre ganze Gestalt ausgegossen ist, kündigen ein Geschlecht an, da auf seine Schwäche selbst seine Macht gründet. Was sich ihrem Kreise naht, athmet Liebe und Genuß, und ihr Blick selbst ladet freundlich dazu ein. Es war eine große und weitumfassende Idee, welche die Venus des Griechen darstellte: die alles hervorbringende, und alles Lebendige durchströmende Kraft. Zu dieser Idee konnten sie kein glücklicheres Sinnbild wählen als die aufblühende Idealgestalt des Weibes, des schönsten aller hervorbringenden Wesen, und keinen glücklichern Moment als denjenigen, wo das erste, noch unbestimmte, Verlangen den Busen schwellt.

In diesem ersten Jugendalter erscheint die Weiblichkeit reiner, und läßt sich eben deswegen, weil sie sich der übrigen Natur noch nicht ganz angeeignet hat, mehr vereinzelt wahrnehmen; sie ist weniger Charakter als Stimmung des Moments und der Neigung. In der seelenvollsten Miene, in dem lebendigsten Ausdruck des moralischen und sogar des intellectuellen Charakters kann zwar die weibliche Eigenthümlichkeit sichtbar seyn; aber am treuesten offenbart sie sich in der physischen Gestalt und dem sinnlichen Ausdruck, und gerade dieß, zum Ideale erhoben, strahlt aus der Göttinn der Schönheit hervor. Was unser dunkles Gefühl von weiblicher Bildung erwartet, finden wir darum in ihr am leichtesten wieder, und wenn wir den Eindruck prüfen, den ihr Anblick in uns erregt, so fühlen wir uns von einer üppigen Fülle des Reitzes durchdrungen, die von wundervoller Schönheit des Baues gehalten, und von feiner Grazie gemäßigt wird. Darum erscheint sie uns menschlicher, und obgleich sie auf keine Weise die Gottheit verleugnet, so nahen wir ihr dennoch mit vertrauender Hofnung.

Was aus der Göttinn der Liebe laut und unverkennbar spricht, das ruht in Dianens Gestalt noch schlummernd und unentfaltet. Mit jedem Reitz ihres Geschlechts geschmückt, verschmäht sie die süssen Freuden der Liebe, und ergötzt sich nur an männlichen Beschäftigungen. Mitten unter einer Schaar gleichgesinnter Gespielinnen, verfolgt sie in den Tiefen der Wälder das Wild mit grausamen Bogen, und bestraft mit Strenge den Frevler, der sich ihr mit unkeuschen Augen naht. Durch diese jungfräuliche Sitte ist sie mit Minerven verwandt; aber der Charakter beyder Göttinnen ist dennoch wesentlich unterschieden. In Jupiters furchtbarer Tochter hat der Ernst der Weisheit jede weibliche Schwäche vertilgt; das zeigt der ruhige, nachdenkend niedergeschlagene Blick. Dianens Auge hängt mit lebhafter Begierde an dem Gegenstand ihres Strebens; sie hat nur Neigung mit Neigung vertauscht. Die Weiblichkeit ist ihr nicht fremd, vielmehr zeigt sie nirgends männliche Kraft; in fröhlicher Unbefangenheit ist sie sich ihrer nur selbst nicht bewußt. Überhaupt ist sie kein Ideal einer Gattung, vielmehr einer individuellen Stimmung, oder bestimmter, einer gewissen Stufe des Alters. Die zarte Sehnsucht, welche ein Geschlecht an das andere knüpft, braucht zu ihrer Entwicklung den ruhigen Einfluß eines in sich gekehrten Sinnes. Aber die ersten Aufwallungen des jugendlichen Gefühls schweifen, wie Dianens Blick, in die Ferne. Daher ist das früheste jungfräuliche Alter nicht selten von einer gewissen Gefühllosigkeit, ja sogar, da ein großer Theil der weiblichen Milde von der Entwicklung jener Empfindungen abhängt, von einer gewissen Härte begleitet. Nur schlüpfen einige Charaktere so schnell über diese Periode hinweg, daß sie kaum noch bemerkbar ist, indeß sie sich in andern länger erhält. Dieser Zustand bringt die eigenthümliche Bildung hervor, welche Latonens Tochter aus der Hand des Künstlers empfieng. Der weibliche Reitz strömt nicht in schmelzender Schönheit von ihr aus, sondern ist noch verschlossen ins ich, und sich selbst verborgen. Der Bau der Glieder hat mehr Festigkeit und schlanke Behendigkeit, und der ganze Ausdruck sagt, daß die Seele nicht in sich zurücksinkt, sondern auswärts nach fremden Gegenständen strebt. Dabey aber stellt sich der Hauptcharakter der göttlichen Weiblichkeit, Anmuth von Würde getragen, in so hohem Grade dar, daß er nur desto mächtiger erscheint, je mehr er zurücktritt. Dianens Strenge hat auch schon die Phantasie der Dichter gemildert. Wenn die nächtliche Einsamkeit und das Schweigen der tosenden Jagd die Göttinn mehr in sich selbst zurückführen, wird sie von Endymions Reitzen gerührt, indeß man die ernste Pallas keiner Schwachheit zu zeihen vermag.

Wenn man Cytherens Anmuth mit der Würde der Juno vergleicht, so sieht man die Weiblichkeit in eine neue und erweiterte Sphäre versetzt. In der ersteren ist sie rege und thätig; bey der letzteren ergießt sie sich ruhig durch das ganze Wesen, und erscheint weder allein, noch in einem einzelnen Moment der Neigung oder des Affects, sondern ist, auf sinnigste in die göttliche Persönlichkeit verwebt, zum Charakter geworden. Zwar muß es dem Leser der Dichter schwer werden, diese Züge in derjenigen Gottheit zu finden, die mit Rache athmender Eifersucht ihre Feinde verfolgt, und an den Trümmern des rauchenden Iliums sich weidet. Aber man muß den allgemeinen Charakter der Götter von den Fabeln unterscheiden, womit die spielende Phantasie eines sinnlichen Volks denselben verunstaltet hat. Denn so wenig Jupiters Lüsternheit dem Vater der Götter wesentlich ist, so wenig ist es Juno’s Eifersucht und Rachgier der Königin des Himmels. Doch selbst in den Fabeln der Dichter verläugnet die Göttinn weder den Charakter der Erhabenheit noch der Milde, und nur auf Augenblicke kann ihn die Macht der Affekte verdunkeln. Allein in die höchste weibliche Anmuth und Würde gekleidet, erscheint sie aus der Hand des bildenden Künstlers, der seiner Phantasie aus leicht begreiflichen Gründen weniger Willkührlichkeit als der Dichter verstattete. Zwar zieht auch hier ehrwürdige Hoheit einen heiligen Kreis um die Göttinn. Aber ist es dem stillen Verehrer gelungen, sich ihr mit geweihtem Herzen zu nahen, so umstrahlt ihn nun auf einmal ihre holdselige Schönheit. Die Ungleichheit, mit welcher der bildende Künstler und der Dichter dieselbe Gottheit behandelten, beruht offenbar auf der ungleichen Entwicklung der Begriffe von der moralischen und physischen Bildung des Geschlechts; denn nothwendig mußte der Künstler, der sich auf den Ausdruck der letztern einschränkte, es dem Dichter eben so weit zuvorthun, als das Ideal der äussern Gestalt mehr geläutert und ausgebildet war. Das Bild hingegen, welches der Dichter von der Göttinn entwarf, richtete sich nach den eingeschränkten Begriffen, die man sich von der moralischen Bestimmung des Geschlechts bilden mochte; sein Muster war die züchtige Gattin, die Freundin der Ordnung und Häuslichkeit, aber zugleich auch die eifrige Beschützerin ihrer Rechte, und diese idealisirte er in der Königin der Götter.

Haben wir indeß unsre Phantasie von diesen Nebenbegriffen gereinigt, so stellt sich uns in dieser Gottheit das Bild wahrer Weiblichkeit nur auf einer erhabenen Stufe dar. In keinem einzelnen Zuge dringt sie sich vor, sondern wirft um die ganze Gestalt einen zarten Schleier, durch welchen die Gottheit frey und ungehindert durchblickt. Sie zeigt sich daher auch nicht in der Beschränkung, welche ein bestimmter einzelner Zustand allemal mit sich führt; sondern umschließt vielmehr jede noch unentwickelte Anlage, und giebt dem Verstande und der Phantasie ein unbegränztes Feld zu verfolgen. Denn nicht, wie die Göttinn der Liebe, durch einladende Sehnsucht, noch, wie Latonens Tochter, durch jugendliche Unbefangenheit verräth Juno das Weib, sondern durch eine ruhige, über das ganze Wesen verbreitete Fülle. Auch der Schatten der Begierde verschwindet, und innre Selbstgenügsamkeit hebt sie aus dem Kreise irrdischer Beschränktheit hinweg. Ihre hehre Gestalt, ihr weites rundgewölbtes Auge, und der Ausdruck der Hoheit in ihrem Munde geben ihr eine Würde, welche jede Spur der Bedürftigkeit vertilgt. Indem sie aber hierin die Weiblichkeit gleichsam verleugnet, dankt sie derselben ihre ganze übrige Schönheit. Weiblich ist die Fülle ihres Wesens, eine weibliche, langsam ausströmende Kraft ihre wohlthätige Macht, und zugleich ist beydes mit lieblicher Anmuth und allen Reitzen der Jugend geschmückt. Denn wie sich jede Gottheit des Vorrechts erfreut, alles Menschliche zu genießen und zu leiden, ohne über den Augenblick der Gegenwart hinaus, den Sterblichen gleich, beschränkende Folgen zu erfahren, so kehrt auch Juno ewig als jungfräuliche Braut in Zevs Umarmung zurück.

Dennoch erscheint die Weiblichkeit nicht in ihrer ursprünglichen Beschaffenheit in ihr, nicht wie sie, noch unverändert durch die Persönlichkeit, aus der Hand der Natur kommt. Vielmehr mit der Gottheit vereint, wird sie von dieser empor getragen. Kühner erhebt sich daher die Gestalt der Göttinn, freyer wölbt sich das Auge, stolzer gebietet der Mund, und frey von der Schranken des Geschlechts, ist sie allein mit den Vorzügen desselben begabt. Der Ausdruck der göttlichen und weiblichen Natur verliert sich sanft in einander, und jeder wird durch den andern gegenseitig erhöht oder gemäßigt. Die üppige Fülle der Weiblichkeit, der es leicht an Haltung gebricht, wird in einen sich selbst beherrschenden Reichthum verwandelt, und die weibliche Kraft, die von äußrer Nothwendigkeit abhängt, erscheint mehr durch eine innre gebunden. Wo hingegen die furchtbare Größe der Gottheit Schrecken erregen könnte, da verbannt ihn die Sanftmuth des Weibes. Durch sie erscheint der feste Rathschluß, den die Götter Stirn verkündet, nicht von der Willkühr der Lauen abhängig, sondern an die hohe Ordnung der Dinge geknüpft, und der feierliche Ernst, welcher die Göttinn umgiebt, verliert jeden Anschein der Härte, da er aus weiblicher Zucht und Sittsamkeit hervorgeht.

Hier also tritt die Weiblichkeit in einer neuen Gestalt auf. Es ist nicht das eigene Ideal derselben, welches wir sehen, nicht eine Gestalt, welche ihre Vorzüge, wie ihre nothwendigen Schranken, zu zeigen bestimmt wäre; es ist das Ideal einer geistigen Natur überhaupt, welche um einen Körper anzunehmen, sich nothwendig zu einem Geschlechte bekennen mußte, und nun das weibliche wählte. Denn unabhängig von der Form der Geschlechter, muß es noch eine andere mittlere geben, die ein reiner Abdruck der Menschlichkeit, oder wenn wir uns diese idealisch erhöht denken, der Göttlichkeit im Sinne der Alten ist, und zu welcher jedes einzelne Geschlecht emporstreben sollte. Die Schwierigkeit ist nur, bei diesem Übertritt in ein fremdes Gebiet, doch gleichsam das eigne nicht zu verlassen; sondern es vielmehr idealisch zu erweitern. Gerade die Forderung aber ist hier erfüllt, da die Göttlichkeit den Charakter der Weiblichkeit als Naturcharakter vertilgt, und als Willenscharakter dargestellt, ihm eine unendliche Fläche eingeräumt, und indem sie seine Schranken entfernte, seinen Vorzügen selbst einen neuen Glanz mitgetheilt hat. Jeder Zug der erhabenen Bildung ist weiblich; unverkennbar aber spricht zugleich aus jedem die Gottheit; und so gewinnt bey Weibern und Göttinnen die Menschlichkeit und Göttlichkeit immer in eben dem Grade, in welchem die Weiblichkeit ihr ganzes Wesen lebendiger beseelt.

Wenn man sich ruhig den Eindrücken überläßt, welche in diesen Idealen, wie in der Wirklichkeit selbst, die weibliche Schönheit in dem Gemüthe hervorbringt, und sie auf einen bestimmten und allgemeinen Begriff zurückzuführen versucht; so sind es Lieblichkeit und Anmuth, welche den Sinnen von allen Seiten entgegenkommen. Ein zarter Gliederbau von verhältnißmäßiger Größe und mit schön wallenden Linien umschlossen, in allen Theilen Fülle und Weichheit, eine sanfte und doch lebhafte Farbenmischung, eine feine und glatte Haut, lange und anmuthig fliessende Locken. Diese und ähnliche Züge sind es, welche in der Phantasie des Betrachters zurück bleiben, und sich in keiner wahrhaft weiblichen Bildung verläugnen, wenn sie gleich in mannigfaltig verschiedenen Gestalten erscheinen. Das charakteristische Merkmal der weiblichen Bildung ist daher die ununterbrochene Stätigkeit der Umrisse, mit welcher ein Theil aus dem andern gleichsam auszufließen scheint. Sie verwandelt die aus der Gestalt hervorleuchtende Kraft in reitzende Fülle, und verbindet alle einzelne Züge in ungezwungener Leichtigkeit zu einem harmonischen Ganzen.

Dieser materielle Reitz, welcher allein den Sinnen schmeichelt, muß, um zur Anmuth zu werden, eine Form annehmen, durch welche er der höheren Forderung des Geistes Genüge leistet. Ohne sie geht er nicht in das Gebiet der Schönheit über, und sie ist es allein, die ihn zur Grazie erhebt. Zwar wird die Kunstmäßigkeit in der Bildung des weiblichen Körpers durch die grössere Weichheit und den sanfteren Fluß der Umrisse versteckt; aber sie darf nicht verschwinden, und in einem wahrhaft schönen weiblichen Bau muß die technische Vollkommenheit ebenso durchschimmern, als sie in einigen übriggebliebenen Kunstwerken des Alterthums dem Auge in der That sichtbar ist, wenigstens wenn dasselbe die Leitung des Gefühlsinns zu Hülfe ruft. Wie aus der sinnlichen Harmonie des Baues die reine Kunstmäßigkeit hervorblicken muß, so wird, wenn die Gestalt vollendet heissen soll, von beyden noch ein Ausdruck der sittlichen Harmonie des Charakters gefordert. Würde und Selbstständigkeit strahlen alsdann aus dem Wuchs und den Gesichtszügen hervor. Ohne ein übermüthiges Streben nach Herrschaft zu verrathen, begnügt sich die aufgerichtete Gestalt, der Fesseln entledigt zu seyn, die sonst alles Lebendige binden. In eigner Kraft erhebt sie sich, und unterwirft sich willig den Gesetzen einer Ordnung, die sich mit ihrer Freyheit vertragen. Also weit entfernt, daß der Ausdruck des Geistes an der weiblichen Bildung vermisst werden sollte, so ordnet sich derselbe vielmehr nur jener gefälligen Grazie freywillig unter.

An diesem Charakter einer grösseren Anmuthigkeit, als man sie von der bloß menschlichen Bildung erwartet, ist die Weiblichkeit überall ohne Mühe erkennbar. Gleich sichtbar muß nun zwar in der hohen männlichen Schönheit der Männlichkeit seyn; nur zeigt sich hier der sehr merkwürdige Unterschied, daß die letztere nicht sowohl, wenn sie da ist, leicht bemerkt, als, wo sie fehlt, vermißt wird. Der eigentliche Geschlechtsausdruck ist in der männlichen Gestalt weniger hervorstechend, und kaum dürfte es möglich seyn, das Ideal reiner Männlichkeit eben so, wie in der Venus das Ideal reiner Weiblichkeit, zu vereinzeln. Schon bei dem ersten Anblick beyder Gestalten wird man gewahr, daß der Geschlechtsbau bey der männlichen bey weitem weniger mit dem ganzen übrigen Körper verbunden ist. Bey der weiblichen hat die Natur mit unverkennbarer Sorgfalt alle Theile, die das Geschlecht bezeichnen, oder nicht bezeichnen, in Eine Form gegossen, und die Schönheit sogar davon abhängig gemacht. Bey jener hat sie sich hierin eine grössere Sorglosigkeit erlaubt; sie verstattet ihr mehr Unabhängigkeit von dem, was nur dem Geschlecht angehört, und ist zufrieden, dieses, unbekummert um die Harmonie mit dem Ganzen, nur angedeutet zu haben. Vielleicht aber verwebte sie auch den männlichen Charakter nur feiner in das übrige Wesen des Mannes, und zeichnete ihn durch den Ausdruck grösserer Kraft, mehr reger und schneller Anstrengung und geringerer Masse. Diese besondere Eigenthümlichkeit aber läßt sich nicht gerade auf die Rechnung seines Geschlechts setzen. Denn da sie von keiner Seite dem Charakter der reinen Menschheit widerspricht, so kann sie der rein menschlichen, so wie die entgegengesezte der weiblichen Form eigenthümlich seyn; und die grössere Unabhängigkeit von dem Geschlechtsunterschied gehört daher unmittelbar mit zu dem Begriff der männlichen Bildung.

Je mehr Kraft und Freyheit auch die Gestalt des Mannes verräth, desto männlicher erklärt ihn selbst das alltägliche Urtheil. Noch mehr, als in der weiblichen Schönheit muß die Kraft die Masse überwunden haben, und wir verzeihen es eher wenn sich jene, selbst mit Verletzung der blossen Anmuth, zu sichtbar hervordrängt, als wenn sie im Gegentheil dieser unterliegt. Daher wird die männliche Schönheit immer in dem Grade erhöht, in welchem die Kraft gestärkt wird, und sinkt immer um so viel herab, als man dem Genuß Übergewicht über die Thätigkeit verstattet. Selbst die Art, wie man das Wachsthum der Kraft befördert, ist nicht gleichgültig, und immer wird sie da weniger männlich erscheinen, wo man sie mehr mit Fülle nährt, als durch Anstrengung übt. So dachten sich die Alten den Bacchus. Reiche Fülle bezeichnet ihn; in fröhlichem Taumel durchzog er die Erde und bezwang entfernte und mächtige Völker mehr durch die üppige Macht seiner Natur, als durch die Anstrengung seines Willens. Seine Bildung ist noch zarter und jugendlicher, als die der übrigen Götter, seine Hüften sind weiblicher ausgeschweift, und der ganze Bau seiner Glieder ist voller und runder. Indeß er, mit der thätigen Kraft des Mannes gerüstet, gerade die Eigenthümlichkeiten des Geschlechts in seinem Charakter ausdrückt, nähert er sich dennoch der Gränze der Weiblichkeit. Wie Venus bezeichnet er eine Naturkraft, und ist überhaupt, eben so wie diese, näher als die höheren Gottheiten, mit der Natur verwandt. Aber gerade wie sie das treuste Bild reiner Weiblichkeit ist, so stellt er eine Abweichung von der Mannheit dar; und überhaupt dar; und überhaupt wird der Mann jederzeit in demselben Grade mehr von seinem Geschlechte ausarten, als er sich von demselben beherrschen läßt. Obgleich dieß im Ganzen auch bei den Weibern der Fall ist, und in der Heftigkeit des Affects die lieblichsten Züge der Weiblichkeit erlöschen, so ist doch hier die Gränze weiter gesteckt, und es ist den Weibern in einem hohen Grade ihrem Geschlecht nachzugeben verstattet, indeß der Mann das seinige fast überall der Menschheit zum Opfer bringen muß. Aber gerade dieß bestätigt aufs neue die grosse Freyheit seiner Gestalt von den Schranken des Geschlechts. Denn ohne an seine ursprüngliche Naturbestimmung zu erinnern, kann er die höchste Männlichkeit verrathen; da hingegen dem genauen Beobachter der weiblichen Schönheit jene allemal sichtbar seyn wird, wie fein auch übrigens die Weiblichkeit über das ganze Wesen mag verbreitet seyn. Schon von selbst stimmt der männliche Körperbau fast durchaus mit den Erwartungen überein, die man sich von dem menschlichen Körper überhaupt bildet, und nicht die Partheilichkeit der Männer allein erhebt ihn gleichsam zur Regel, von welcher die Verschiedenheiten des weiblichen mehr eine Abweichung vorstellen. Auch der partheiloseste Betrachter muß gestehen, daß der letztere mehr den bestimmten, der männliche dagegen den allgemeinen Naturzweck alles Lebendigen ausdrückt, die Masse durch Form zu besiegen.

Aber auch an der männlichen Bildung bleiben noch immer Spuren genug von der Geschlechtseigenthümlichkeit übrig, welche da, wo die höchste Schönheit hervorgehen soll, in der reinen Menschlichkeit sich verlieren müssen. Wenn der Körper des Weibes eine sanfte Fläche, von wellenförmigen Linien begränzt, darbietet, so erhebt die dem Manne eigenthümliche Kraft und Heftigkeit auf dem seinigen hervorragende Sehnen, und sein stärkerer Bau, weniger mit milderndem Fleische bekleidet, deutet alle Umrisse sichtbarer an. Alle Ecken springen schneller und minder vorbereitet hervor, der ganze Körper ist in bestimmtere Abschnitte abgetheilt, und gleicht einer Zeichnung, die eine kühne Hand mit strenger Richtigkeit, aber wenig bekümmert um Grazie, entwirft. Was hier in seinen Extremen geschildert ist, läßt freilich, auch mit genauer Beobachtung der natürlichen Wahrheit, eine grosse Veredlung zu. Aber, selbst bey der höchsten, wird eine Bestimmtheit übrig bleiben, welche sich der Gränze der Härte nähert. Solch ein Ideal ist, noch dem Urtheil der Kunstkenner, der Farnesische Hercules. Nach langer Arbeit ruht er aus, gestützt auf das Werkzeug seiner Kraft. Riesen und Ungeheuer hat er bezwungen, aber nicht mit der leichten Macht der Götter, die mit dem Gebot ihres Mundes und dem Wink ihrer Hand ihrer Gegner vernichten; mit der Anstrengung eines Sterblichen hat er gerungen, mit mühevollem Schweiß den Sieg erkämpft. Zu derselben Gattung gehören auch die Fechterkörper. Arbeit und Kraftübung leuchten aus ihnen hervor, und der Ausdruck des empfangenden Genusses ist überall, selbst da entfernt, wo derselbe die männliche Kraft belohnt. Festigkeit, Bestimmtheit und eine Schärfe der Umrisse, die leicht in Härte auszuarten Gefahr läuft, machen also ein zweites wesentliches Merkmal der Bildung des Mannes aus. Wo nicht schon die Hand der Natur oder die moralische Kultur diese Züge wohlthätig gemildert hat, da rauben sie der männlichen Schönheit wieder etwas von der Freyheit, die sie durch ihre grössere Unabhänkeit von dem Geschlecht gewann.

In der Natur des Göttlichen strebt alles der Reinheit des Göttlichen strebt alles der Reinheit und Vollkommenheit des Gattungsbegriffs entgegen. Auch der Charakter der Geschlechter fängt an in demselben zu erlöschen, und in der jugendlichen Gestalt der Götter verliert sich die scharfe Zeichnung des männlichen Körpers in einer milden Grazie, welche die Härte hinwegnimmt, ohne die Bestimmtheit zu vertilgen. Wenn Hercules sich zum Olymp empor geschwungen hat, und in Hebes Umarmung des mühevollen Erdelebens vergißt, so umwallt auch seine körperliche Bildung eine mehr geläuterte Schönheit, und mit jugendlicher Leichtigkeit bewegen sich die entfesselten Glieder. Sich diesem Ideale zu nähern, kann auch der Mensch versuchen, und die Verbindung der menschlichen Schönheit mit der männlichen hilft erst die letztern vollenden. Grossentheils vermag die Seele von innen heraus diesen Vorzug hervorzuschaffen; aber noch mehr ist er, insofern er nicht den Ausdruck des moralischen Charakters verstärken, sondern die eigentliche Schönheit erhöhen soll, eine Gabe der Natur. Vorzüglich ist dieß in der Jugend der Fall, die, wenn die Bildung der Kindheit gewissermassen weiblicher ist, auf der schmalen Gränze zwischen beyden Geschlechtern steht. Alsdann erscheint die eigenthümliche Schönheit des Mannes in ihrem herrlichsten Glanze. Jede einengende Schranke ist entfernt, und alles vereint sich zu dem lebendigsten Ausdruck einer mit Stärke gerüsteten Energie, die durch Anmuth gemäßigt ist. Ein solches Ideal ächter Männlichkeit erblicken wir im Vaticanischen Apoll. Die höchste männliche Kraft und Bestimmtheit ist in ihm in die schönste Götterjugend gekleidet; alle Züge der Bildung sind sanft und oft nur noch dem Gefühle bemerkbar gezeichnet; und wenn uns der Bogen in seiner Hand und der Köcher auf der Schulter in Schrecken setzen, so durchdringt uns die stille Erhabenheit des Gottes mit ruhiger Ehrfurcht.

Wäre unser Sinn genug an Schönheit gewöhnt, um überall auch Schönheit zu fordern; so würden wir die Härte, welche die Gestalt des Mannes so oft begleitet, minder übersehn, und durch sie mehr an das Geschlecht, als an die Gattung erinnert werden. Indeß liegt es doch nicht sowohl an einem Mangel ästhetischer Reitzbarkeit in uns, als vielmehr an dem ganzen Geist seiner Bildung, als es Reitz und Anmuth bey der weiblichen ist; daher man ihm eben so wenig Unbestimmtheit und Leere als dem Weibe Mangel an Grazie verzeiht. Dieß bringt den hohen Ausdruck selbstthätiger Kraft in ihm hervor, und verbindet alle einzelne Theile mehr zu der Einheit des Begriffs eines lebendigen und selbstständigen Wesens, als zu der sinnlichen Einheit der Form, auf der wir so gern in dem weiblichen Körper verweilen.

Nach diesen Merkmalen sollte man indeß in der Gestalt des Mannes nur Vollkommenheit ahnen, und an Schönheit verzweifeln, wenn sich mit jener strengen Richtigkeit des Baues nicht zugleich reitzende Anmuth verbinden könnte. Dieß aber ist bey der männlichen Schönheit in der That der Fall; die abstracte Einheit des Begriffs, welche dem Verstand Genüge leistet, befriedigt durch die lebendige Einheit der Ausführung das Gefühl, und mit der höchsten Bestimmtheit und Mannigfaltigkeit der Umrisse ist der leiseste Übergang einer Form in die andere verträglich. Hat unter uns Mangel an gymnastischen Übungen, harte Arbeit, welche die Bildung entstellt, mindere Freyheit von Sorge und von mechanischer Beschäftigung, und die ganze der Schönheit ungünstige Neigung des Zeitalters es schwieriger gemacht, dieß an dem lebenden männlichen Körper zu bestätigen; so dürfen wir uns nur an die Kunstwerke des Alterthums wenden. Auch der Schatten der Härte ist dort verbannt, und die Umrisse der männlichen Gestalt fliessen gleich sanft, nur mit mehr Sparsamkeit des Stoffs, als in der weiblichen, ineinander. Vorzüglich sichtbar ist dieß in dem höchsten Ideale des Mannes, wo der physischen Eigenthümlichkeit zugleich die intellectuelle und moralische zur Seite steht. Reitz und Anmuth gatten sich also nicht weniger mit der männlichen als mit der weiblichen Form, nur daß sie der letzteren das Gesetz selbst zu geben, bei der ersteren mehr das Gesetz des Verstandes auszuführen scheinen.

Bey dieser Schilderung der Gestalt beyder Geschlechter ist es unmöglich, nicht zugleich auch an ihre innere Eigenthümlichkeiten erinnert zu werden. Wie sehr der Betrachter vermeiden möchte, eine Vergleichung mit denselben anzustellen, um nicht dadurch die Lauterkeit der Beobachtung zu stören, so muß sich die Ähnlichkeit, selbst wider seinen Willlen, ihm aufdringen. Denn überhaupt ist keine Gestalt eines organischen Wesens rein, nur von sich selbst abhängig, sondern jede wird durch den Begriff desselben und die ihm inwohnende Kraft bestimmt. In der unorganischen Natur ist alle Gestalt blosse Masse, wenn nicht willlkührlich, doch wenigstens nicht nach innren Gesetzen, sondern durch äußre Einwirkungen an einander gehäuft. Von Kraft ist keine Spur, als von derjenigen, durch welche die Masse mächtig ist; und daher sind Formen dieser Art keiner andern Bedeutung fähig, als welche die Phantasie ihnen willkührlich nach unbestimmten Ähnlichkeiten beylegen will. Ganz anders ist es schon in dem Reiche, welches zunächst an dieses gränzt. Die Pflanze strebt mit eignem Leben empor, und streckt vielfach getheilte Wurzeln und Zweige aus, um fremden Stoff aufzunehmen und eignen abzusondern. Hier ist nicht mehr, wie dort, wo eine rohe ungeschiedene Masse auf einem sichren Grunde ruhte, die Gestalt blos nach mechanischen Gesetzen begreiflich; es offenbart sich in ihr eine innre formende Kraft. Dieser strebt indeß die Materie entgegen, und daher stellt jeder organische Körper das Bild eines Kampfes dar, in welchem bald der eine, bald der andere Theil die Oberhand behält. Wenn die Materie aufhört Widerstand zu leisten, so begünstigt sie die Kraft, indem sie derselben, gerade wie in dem innren Wesen die Empfänglichkeit der Selbstthätigkeit, einen körperlichen Stoff leiht, und sie durch Leichtigkeit mildert. Die Beschaffenheit und das Verhältniß dieser beiden Elemente, der Umfang der Kraft, und die Art, wie die Materie sie verkörpert, bestimmen eine Stufenfolge mehr oder weniger edler Bildungen, nach welcher sich jeder Naturgestalt ihr Rang anweisen ließe. Bei diesem Geschäft müßte man sich aber hüten, über die äußre Bildung hinaus zu gehen. Unmittelbar die Gestalt muß die Kraft ankündigen, auf die es hier ankommt, und thut dieß auch in der That. Wo die ganze Masse, in mehrere einzelne Glieder vertheilt, Leichtigkeit und Beweglichkeit gewinnt, wo in dieser Vertheilung, wie in den Umrissen überhaupt, Ebenmaaß und Regel herrscht, da ist eine bildende Kraft sichtbar, welche diese, aus den Gesetzen der blossen Materie unerklärbare Erscheinungen hervorbringt, und der Thätigkeit sowohl ihren Umfang als ihre Gränzen bestimmt. Das erstere ist vorzüglich in der menschlichen Gestalt offenbar, die nicht bloß, wie jede organische Bildung, eine bildende Kraft und einen bildsamen Stoff überhaupt zeigt, sondern auch eine unbeschränkte, schlechterdings zu keiner einzelnen Verrichtung ausschließlich bestimmte Kraft, und einen Stoff, der anstatt derselben zu widerstreben, ihr vielmehr entgegen zu kommen scheint.

Durch die ganze übrige thierische Schöpfung sehen wir, daß jedem Wesen eine bestimmte Anzahl von Wegen zu verfolgen angewiesen, alle übrigen hingegen versagt sind. Nicht genug aber daß es die letzteren nicht wirklich einzuschlagen vermag, so ist es nicht einmal im Stande, dieß zu begehren, und seine Neigung ist, wie sein Vermögen gefesselt. Dagegen ist der Thätigkeit des Menschen schlechterdings keine einzelne Richtung ausschließlich vorgeschrieben; was seiner Natur unmittelbar versagt scheint, dazu kann er die innern Schwierigkeiten durch Übung, die äussern durch allerlei Hülfsmittel entfernen, und das gänzlich Unmögliche selbst kann er wenigstens verlangend versuchen. Diese Eigenthümlichkeit nun verräth auch unmittelbar seine Gestalt, und das unterscheidende physiognomische Merkmal derselben ist eine solche Beschaffenheit der Bildung, mit welcher selbst der Gedanke des Zwangs unverträglich, und die nur durch Freyheit erklärbar ist.1 Zwar offenbart sich dieses nicht in irgend einem einzelnen Zuge, sondern in dem ganzen Habitus des Körperbaues und in der freyen Zusammenstimmung aller Theile, daher es auch nur gesehn und empfunden, und nicht mit Worten beschrieben werden kann. Wenn aber gleich der Mensch durch diese ihm eigenthümliche Freyheit über die Schranken der Endlichkeit hinweggerückt scheint, so tritt er darum noch nicht aus den Gränzen der Natur, sondern diese sind in dem menschlichen Bau nur weiter gerückt. Denn indem die Materie die freye Thätigkeit des Geistes durch ihre Schwerfälligkeit und Trägheit beschränkt, so mildert sie auch durch ihre ruhige Stätigkeit die ungestüme Gewalt, mit welcher die Willkühr sich äussert; und indem der Geist durch seine strenge Gesetzmäßigkeit der Materie Zwang anthut, so beschränkt er zugleich ihren Überfluß, der unaufhörlich bestrebt ist, die Form zu vernichten.

Da der Mensch als ein gemischtes Wesen Freyheit mit Naturnothwendigkeit verknüpft, so erreicht er nur durch das vollkommenste Gleichgewicht beyder das Ideal reiner Menschheit. Zwar müßte, wenn die moralische Würde behauptet werden sollte, der Wille herrschen, aber nicht über eine widerstrebende, sondern mit ihm übereinstimmende Natur, und eben dieß müßte auch die äußre Bildung verkündigen. Hier aber sieht sich die Einbildungskraft von der Wirklichkeit verlassen, welche ihr nirgends die Gestalt eines solchen reinen, über alle Geschlechtseigenthümlichkeit erhabenen Wesens zeigt, und es wird ihr sogar schwer, auch nur ein Bild davon zu entwerfen. Denn indem sie den Charakter des einen Geschlechts zu verwischen bemüht ist, läuft sie Gefahr, den des andern an die Stelle zu setzen, oder, wenn sie dieß vermeiden will, die übrig bleibenden Merkmale bis zur Unbestimmtheit zu schwächen. Indeß ist es dennoch unläugbar, daß zuweilen selbst in der Wirklichkeit, wenn gleich nur einzelne Züge einer Gestalt durchschimmern, die, als rein menschlich, zwischen der männlichen und weiblichen mitten inne steht, und weil jeder ein dunkles Bild davon in seiner Seele trägt, von niemand verkannt wird. Hie und da findet man etwas Überweibliches, wenn der Ausdruck erlaubt ist, das doch niemand darum unweiblich oder männnlich nennen möchte; und eben so stößt man bey Männern auf Züge, die man nicht auf die Rechnung des Geschlechts zu setzen vermag. Von dieser Art ist z. B. eine gewisse ruhige Grösse, welche nicht durch Natur, sondern durch Willensstärke entsteht, und die in einer weiblichen Gestalt niemals unweiblich erscheinen wird, aber in einer männlichen auch nicht sowohl männlich, als menschlich heissen muß. Sammelte man dieß und ähnliche Merkmale, (die man vielleicht so am richtigsten aufsuchte, daß man sich fragte, was wohl von einer männlichen Bildung, mit Beybehaltung der vollen Weiblichkeit, auf eine weibliche übergetragen werden könnte?) in Ein Bild zusammen; so würde sich eine kunstmäßige Bestimmtheit der Züge zeigen, die aber von Härte und Gewaltthätigkeit gleich weit entfernt wäre, und mit dieser Würde sich eine Anmuth gatten, die ohne sie verdrängen zu wollen, eben so wenig von ihr verdrängt werden dürfte. Indem aber die eine der andern wiche, würde alsdann jede sich schwächen; über dem Bemühen, beyde ganz aufzufassen, würde der Betrachter keine in ihrer Reinheit erblicken, und Vermischung würde an die Stelle der Verknüpfung treten.

Von diesen beyden charakteristischen Merkmalen der menschlichen Gestalt, deren eigenthümliche Verschiedenheit in der Einheit des Ideals verschwindet, herrscht in jedem Geschlecht eins vorzugsweise, indeß das andere nur nicht vermißt wird. Dadurch beziehen sich beyde, wie Hälften eines unsichtbaren Ganzen auf einander, und nöthigen durch ihren gegenseitigen Mangel das Gemüth, sie im Ideal zu ergänzen. In der Gestalt des Mannes offenbart sich durchaus eine strengere, in der Gestalt des Weibes eine liberalere Herrschaft des Geistes; dort spricht der Wille lauter, hier die Natur. So wie grössere Kraft und geringere Abhängigkeit von einzelnen bestimmten Naturzwecken jenen fähiger machen, jede Lage zu ertragen und selbst hervorzubringen, so verräth dieß auch sein höherer Wuchs, seine mehr hervortretende Brust, seine stärkere Knochenmasse, und das minder verdeckte Spiel seiner Muskeln. Kleiner, mit grösserer Fülle begabt und mit stätigeren Umrissen genießt das weibliche Geschlecht einer gleich grossen Beweglichkeit, die aber, von geringerer Kraft begleitet, mehr als Geschmeidigkeit erscheint. In dem Manne hat der Wille den vollkommensten Sieg errungen, und den Stoff, fast bis zur gänzlichen Vertilgung seines Naturcharakters, ausgearbeitet. In dem Weibe hat der Stoff seine Eigenthümlichkeit mehr zu behaupten gewußt, und indem er sich unterwirft, flieht er den Ausdruck seines Unterliegens. Da nun auf diese Art jedes der beyden Geschlechter zwar die ganze Menschheit in allen ihren Eigenthümlichkeiten, aber nach einer mehr einseitigen Richtung zeigt; so muß nothwendig immer das eine zu dem andern leiten. Gerade dadurch daß Eine Seite überwiegend ist, entsteht unvermeidlich das Verlangen, auch einmal die andere herrschen zu sehen, und so, wenn nicht in der Wirklichkeit doch wenigstens in der Phantasie, das gestörte Gleichgewicht wiederum herzustellen.

1 Auf ähnliche Weise, als hier, wenn gleich nur in den ersten Grundzügen, beym Menschen geschehn ist, liesse sich eine Physiognomik aller Thiergattungen entwerfen, bey der nur vorzüglich die beyden Klippen zu vermeiden wären, weder der Willkühr einer spielenden Einbildungskraft, noch dem mit den innren Eigenschaften des Geschöpfs vertrauten Verstande ein einseitiges Übergewicht einzuräumen; folglich 1. nicht blossen Grillen zu folgen, sondern überall, an der Hand der Naturgeschichte, von dem eigentlichen Körperbau, insofern er auf die Gestalt Einfluß hat, auszugehen; 2. dem Begriff der innren Vollkommenheit des Geschöpfs, wie schon oben erinnert ist, auf diese physiognomische Beurtheilung seiner Gestalt keinen Einfluß zu verstatten, und es sich anfangs wenigstens nicht stören zu lassen, wenn auch vollkommnere Thiere in Absicht ihrer Gestalt einen niedrigeren Platz erhielten, oder umgekehrt. Von dem Thierreich dürfte man hernach den Übergang zu den Pflanzen um vieles erleichtert finden.

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