HomeDie Horen1795 - Stück 4III. Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. Fortsetzung. [Johann Wolfgang von Goethe]

III. Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. Fortsetzung. [Johann Wolfgang von Goethe]

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Fortsetzung.

Die Familie hatte zusammen, wie gewöhnlich, das Frühstück eingenommen und die Baronesse saß wieder an ihrem Stickrahmen. Nach einem kurzen allgemeinen Stillschweigen begann der geistliche Hausfreund mit einigem Lächeln: es ist zwar selten, daß Sänger, Dichter und Erzähler, die eine Gesellschaft zu unterhalten versprechen, es zur rechten Zeit thun, vielmehr lassen sie sich gewöhnlich, wo sie willig seyn sollten, sehr dringend bitten, und sind zudringlich, wenn man ihren Vortrag gern ablehnen möchte. Ich hoffe daher, eine Ausnahme zu machen, wenn ich anfrage, ob Ihnen in diesem Augenblicke gelegen sey irgend eine Geschichte anzuhören?

Recht gerne, versetzte die Baronesse, und ich glaube, es werden alle übrige mit mir übereinstimmen. Doch wenn Sie uns eine Geschichte zur Probe geben wollen, so muß ich Ihnen sagen, welche Art ich nicht liebe. Jene Erzählungen machen mir keine Freude, bey welchen, nach Weise der Tausend und Einen Nacht, Eine Begebenheit in die andere eingeschachtelt, Ein Interesse durch das andere verdrängt wird, wo sich der Erzähler genöthigt sieht, die Neugierde, die er auf eine leichtsinnige Weise erregt hat, durch Unterbrechung zu reizen, und die Aufmerksamkeit, anstatt sie durch eine vernünftige Folge zu befriedigen, nur durch seltsame und keineswegs lobenswürdige Kunstgriffe aufzuspannen. Ich tadle das Bestreben, aus Geschichten, die sich der Einheit des Gedichts nähern sollen, rhapsodische Räthsel zu machen und den Geschmack immer tiefer zu verderben. Die Gegenstände Ihrer Erzählungen gebe ich Ihnen ganz frey, aber lassen Sie uns wenigstens an der Form sehen, daß wir in guter Gesellschaft sind. Geben Sie uns zum Anfang eine Geschichte von wenig Personen und Begebenheiten, die gut erfunden und gedacht sey, wahr, natürlich und nicht gemein, so viel Handlung als unentbehrlich und so viel Gesinnung als nöthig ist, die nicht still stehe, sich nicht auf Einem Flecke zu langsam bewege, sich aber auch nicht übereile, in der die Menschen erscheinen wie man sie gern mag, nicht vollkommen, aber gut, nicht außerordentlich, aber interessant und liebenswürdig. Ihre Geschichte sey unterhaltend, so lange wir sie hören, befriedigend, wenn sie zu Ende ist und hinterlasse uns einen stillen Reitz weiter nachzudenken.

Kennte ich Sie nicht besser, gnädige Frau, versetzte der Geistliche, so würde ich glauben, Ihre Absicht sey mein Waarenlager, noch eh’ ich irgend etwas davon ausgekramt habe, durch diese hohen und strengen Forderungen völlig in Mißkredit zu setzen. Wie selten möchte man Ihnen nach Ihrem Maßstab Genüge leisten können. Selbst in diesem Augenblicke, fuhr er fort, als er ein wenig nachgedacht, nöthigen Sie mich die Erzählung die ich im Sinne hatte, zurück zu stellen und auf eine andere Zeit zu verlegen, und ich weiß wirklich nicht, ob ich mich in der Eile vergreife, wenn ich eine alte Geschichte, an die ich aber immer mit einiger Vorliebe gedacht habe, sogleich aus dem Stegreife vorzutragen anfange.

In einer italiänischen Seestadt lebte vor Zeiten ein Handelsmann, der sich von Jugend auf durch Thätigkeit und Klugheit auszeichnete. Er war dabey ein guter Seemann und hatte grosse Reichthümer erworben, indem er selbst nach Alexandria zu schiffen, kostbare Waaren zu erkaufen oder einzutauschen pflegte, die er alsdann zu Hause wieder abzusetzen oder in die nördlichen Gegenden Europens zu versenden wußte. Sein Vermögen wuchs von Jahr zu Jahr um so mehr, als er in seiner Geschäftigkeit selbst das größte Vergnügen fand, und ihm keine Zeit zu kostspieligen Zerstreuungen übrig blieb.

Bis in sein funfzigstes Jahr hatte er sich auf diese Weise emsig fortbeschäftigt und ihm war von den geselligen Vergnügungen wenig bekannt worden, mit welchen ruhige Bürger ihr Leben zu würzen verstehen; eben so wenig hatte das schöne Geschlecht, bei allen Vorzügen seiner Landsmänninnen, seine Aufmerksamkeit weiter erregt, als insofern er ihre Begierde nach Schmuck und Kostbarkeiten sehr wohl kannte, und sie gelegentlich zu nutzen wußte.

Wie wenig versah er sich daher auf die Veränderung, die in seinem Gemüthe vorgehen sollte, als eines Tags sein reich beladen Schiff in den Hafen seiner Vaterstadt einlief, eben an einem jährlichen Feste, das besonders der Kinder wegen gefeyert wurde. Knaben und Mädchen pflegten nach dem Gottesdienste in allerley Verkleidungen sich zu zeigen, bald in Prozessionen, bald in Schaaren durch die Stadt zu scherzen, und sodann im Felde auf einem großen freyen Platz allerhand Spiele zu treiben, Kunststücke und Geschicklichkeiten zu zeigen, und in artigem Wettstreit ausgesetzte kleine Preise zu gewinnen.

Anfangs wohnte unser Seemann dieser Feyer mit Vergnügen bey; als er aber die Lebenslust der Kinder und die Freude der Eltern daran lange betrachtet und so viele Menschen im Genuß einer gegenwärtigen Freude und der angenehmsten aller Hoffnungen gefunden hatte, mußte ihm bey einer Rückkehr auf sich selbst, sein einsamer Zustand äußerst auffallen. Sein leeres Haus fing zum erstenmal an, ihm ängstlich zu werden, und er klagte sich selbst in seinen Gedanken an.

O ich Unglückseliger! warum gehn mir so spät die Augen auf? Warum erkenne ich erst im Alter jene Güter, die allein den Menschen glücklich machen. So viel Mühe! so viel Gefahren! was haben sie mir verschafft? Sind gleich meine Gewölbe voll Waaren, meine Kisten voll edler Metalle, und meine Schränke voll Schmuck und Kleinodien; so können doch diese Güter mein Gemüth weder erheitern noch befriedigen. Je mehr ich sie aufhäufe, desto mehr Gesellen scheinen sie zu verlangen; Ein Kleinod fordert das andere, Ein Goldstück das andere. – Sie erkennen mich nicht für den Hausherrn; sie rufen mir ungestüm zu: geh und eile, schaffe noch mehr unseresgleichen herbey! Gold erfreut sich nur des Goldes, das Kleinod des Kleinodes: So gebieten sie mir schon die ganze Zeit meines Lebens, und erst spät fühle ich, daß mir in allem diesem kein Genuß bereitet ist. Leider jetzt, da die Jahre kommen, fange ich an zu denken und sage zu mir: du genießest diese Schätze nicht, und niemand wird sie nach dir genießen! Hast du jemals eine geliebte Frau damit geschmückt? hast du eine Tochter damit ausgestattet? Hast du einen Sohn in den Stand gesetzt, sich die Neigung eines guten Mädchens zu gewinnen und zu befestigen? Niemals! Von allen deinen Besitzthümern hast du, hat niemand der Deinigen etwas besessen, und was du mühsam zusammengebracht hast, wird nach deinem Tode ein Fremder leichtfertig verprassen.

O wie anders werden heute Abend jene glücklichen Eltern ihre Kinder um den Tisch versammlen, ihre Geschicklichkeit preißen, und sie zu guten Thaten aufmuntern! Welche Lust glänzte aus ihren Augen, und welche Hoffnung schien aus dem Gegenwärtigen zu entspringen! Solltest du denn aber selbst gar keine Hoffnung fassen können? Bist du denn schon ein Greis? Ist es nicht genug, die Versäumniß einzusehen, jetzt, da noch nicht aller Tage Abend gekommen ist? Nein, in deinem Alter ist es noch nicht thörigt, ans Freyen zu denken; mit deinen Gütern wirst du ein braves Weib erwerben und glücklich machen; und siehst du noch Kinder in deinem Hause, so werden dir diese spätern Früchte den größten Genuß geben, anstatt daß sie oft denen, die sie zu früh vom Himmel erhalten, zur Last werden und zur Verwirrung gereichen.

Als er durch dieses Selbstgespräch seinen Vorsatz bey sich befestigt hatte, rief er zwey Schiffsgesellen zu sich und eröffnete ihnen seine Gedanken. Sie, die gewohnt waren, in allen Fällen willig und bereit zu seyn, fehlten auch dießmal nicht, und eilten, sich in der Stadt nach den jüngsten und schönsten Mädchen zu erkundigen; denn ihr Patron, da er einmal nach dieser Waare lüstern ward, sollte auch die beste finden und besitzen.

Er selbst feyerte so wenig, als seine Abgesandten. Er gieng, fragte, sah und hörte, und fand bald, was er suchte, in einem Frauenzimmer, das in diesem Augenblick das Schönste der ganzen Stadt genannt zu werden verdiente, ohngefähr sechzehn Jahr alt, wohlgebildet und gut erzogen, deren Gestalt und Wesen das Angenehmste zeigte, und das Beste versprach.

Nach einer kurzen Unterhandlung, durch welche der vortheilhafteste Zustand, sowohl bey Lebzeiten als nach dem Tode des Mannes, der Schönen versichert war, vollzog man die Heirath mit großer Pracht und Lust, und von diesem Tage an fühlte sich unser Handelsmann zum erstenmal im wirklichen Besitz und Genuß seiner Reichthümer. Nun verwandte er mit Freuden die schönsten und reichsten Stoffe zur Bekleidung des schönen Körpers, die Juwelen glänzten ganz anders an der Brust und in den Haaren seiner Geliebten, als ehemals im Schmuckkästchen, und die Ringe erhielten einen unendlichen Werth von der Hand, die sie trug.

So fühlte er sich nicht allein so reich, sondern reicher als bisher, indem seine Güter sich durch Theilnehmung und Anwendung zu vermehren schienen. Auf diese Weise lebte das Paar fast ein Jahr lang in der größten Zufriedenheit, und er schien seine Liebe zu einem thätigen und herumstreifenden Leben gegen das Gefühl häuslicher Glückseligkeit gänzlich vertauscht zu haben. Aber eine alte Gewohnheit legt sich so leicht nicht ab, und eine Richtung, die wir früh genommen, kann wohl einige Zeit abgelenkt, aber nie ganz unterbrochen werden.

So hatte auch unser Handelsmann oft, wenn er andere sich einschiffen oder glücklich in den Hafen zurückkehren sah, wieder die Regungen seiner alten Leidenschaft gefühlt, ja er hatte selbst in seinem Hause, an der Seite seiner Gattin, manchmal Unruhe und Unzufriedenheit empfunden. Dieses Verlangen vermehrte sich mit der Zeit und verwandelte sich zuletzt in eine solche Sehnsucht, daß er sich äußerst unglücklich fühlen mußte, und zuletzt wirklich krank ward.

Was soll nun aus dir werden? sagte er zu sich selbst, du erfährst nun, wie thörigt es ist in späten Jahren eine alte Lebensweise gegen eine neue vertauschen zu wollen. Wie sollen wir das, was wir immer getrieben und gesucht haben, aus unsern Gedanken, ja aus unsern Gliedern wieder heraus bringen, und wie geht es mir nun? der ich bisher wie ein Fisch das Wasser, wie ein Vogel die freye Luft geliebt, da ich mich in einem Gebäude bey allen Schätzen und bey der Blume aller Reichthümer, bey einer schönen jungen Frau eingesperrt habe? Anstatt daß ich dadurch hoffte Zufriedenheit zu gewinnen und meiner Güter zu genießen, so scheint es mir daß ich alles verliere, indem ich nichts weiter erwerbe. Mit Unrecht hält man die Menschen für Thoren, welche in rastloser Thätigkeit Güter auf Güter zu häufen suchen; denn die Thätigkeit ist das Glück, und für den der die Freuden eines ununterbrochenen Bestrebens empfinden kann, ist der erworbene Reichthum ohne Bedeutung. Aus Mangel an Beschäftigung werde ich elend, aus Mangel an Bewegung krank, und wenn ich keinen andern Entschluß fasse, so bin ich in kurzer Zeit dem Tod nahe.

Freylich ist es ein gewagtes Unternehmen, sich von einer jungen liebenswürdigen Frau zu entfernen. Ist es billig, um ein reitzendes und reitzbares Mädchen zu freyen und sie nach einer kurzen Zeit sich selbst, der langen Weile, ihren Empfindungen und Begierden zu überlassen? Spazieren diese jungen seidnen Herren nicht schon jetzt vor meinen Fenstern auf und ab? Suchen sie nicht schon jetzt, in der Kirche und in Gärten, die Aufmerksamkeit meines Weibchens an sich zu ziehen? und was wird erst geschehen, wenn ich weg bin? Soll ich glauben, daß mein Weib durch ein Wunder gerettet werden könnte? Nein, in ihrem Alter, bey ihrer Konstitution wäre es thörigt zu hoffen, daß sie sich der Freuden der Liebe enthalten könnte? Entfernst du dich, so wirst du bey deiner Rückkunft die Neigung deines Weibes, und ihre Treue zugleich mit der Ehre deines Hauses verlohren haben.

Diese Betrachtungen und Zweifel, mit denen er sich eine Zeitlang quälte, verschlimmerten den Zustand, in dem er sich befand, aufs äußerste. Seine Frau, seine Verwandten und Freunde betrübten sich um ihn, ohne daß sie die Ursache seiner Krankheit hätten entdecken können. Endlich ging er nochmals bey sich zu Rathe und rief nach einiger Überlegung aus: Thörigter Mensch! du läßt es dir so sauer werden, ein Weib zu bewahren, das du doch bald, wenn dein Übel fortdauert, sterbend hinter dir und einem andern lassen mußt. Ist es nicht wenigstens klüger und besser, du suchst das Leben zu erhalten, wenn du gleich in Gefahr kommst, an ihr dasjenige zu verlieren, was als das höchste Gut der Frauen geschätzt wird. Wie mancher Mann kann durch seine Gegenwart den Verlust dieses Schatzes nicht hindern, und vermißt geduldig, was er nicht erhalten kann. Warum solltest du nicht den Muth haben, dich eines solchen Gutes zu entschlagen, da von diesem Entschlusse dein Leben abhängt.

Mit diesen Worten ermannte er sich und ließ seine Schiffsgesellen rufen. Er trug ihnen auf nach gewohnter Weise ein Fahrzeug zu befrachten, und alles bereit zu halten, daß sie bei dem ersten günstigen Wind auslaufen könnten. Darauf erklärte er sich gegen seine Frau folgendermaßen:

Laß dich nicht befremden, wenn du in dem Hause eine Bewegung siehst, woraus du schließen kannst, daß ich mich zu einer Abreise anschicke; betrübe dich nicht, wenn ich dir gestehe, daß ich abermals eine Seefahrt zu unternehmen gedenke. Meine Liebe zu dir ist noch immer dieselbe, und sie wird es gewiß in meinem ganzen Leben bleiben. Ich erkenne den Werth des Glücks, das ich bisher an Deiner Seite genoß, und würde ihn noch reiner fühlen, wenn ich mir nicht oft Vorwürfe der Unthätigkeit und Nachlässigkeit im Stillen machen müßte. Meine alte Neigung wacht wieder auf und meine alte Gewohnheit zieht mich wieder an. Erlaube mir, daß ich den Markt von Alexandrien wieder sehe, den ich jetzt mit größerem Eifer besuchen werde, weil ich dort die köstlichsten Stoffe und die edelsten Kostbarkeiten für Dich zu gewinnen denke. Ich lasse Dich im Besitz aller meiner Güter und meines ganzen Vermögens; bediene Dich dessen und vergnüge Dich mit deinen Eltern und Verwandten. Die Zeit der Abwesenheit geht auch vorüber, und mit vielfacher Freude werden wir uns wieder sehen.

Nicht ohne Thränen machte ihm die liebenswürdige Frau die zärtlichsten Vorwürfe, versicherte: daß sie ohne ihn keine fröhliche Stunde hinbringen werde, und bat ihn nur, da sie ihn weder halten könne noch einschränken wolle, daß er ihrer auch in der Abwesenheit zum besten gedenken möge.

Nachdem er darauf verschiedenes mit ihr über einige Geschäfte und häusliche Angelegenheiten gesprochen, sagte er nach einer kleinen Pause: ich habe nun noch etwas auf dem Herzen, davon Du mir frey zu reden erlauben musst, nur bitte ich Dich aufs herzlichste nicht, zu mißdeuten, was ich sage, sondern auch selbst in dieser Besorgnis meine Liebe zu erkennen.

Ich kann es errathen, versetzte die Schöne darauf, Du bist meinetwegen besorgt, indem Du nach Art der Männer unser Geschlecht ein für allemal für schwach hältst. Du hast mich bisher jung und froh gekannt, und nun glaubst Du, daß ich in Deiner Abwesenheit leichtsinnig und verführbar seyn werde. Ich schelte diese Sinnesart nicht, denn sie ist bey euch Männern gewöhnlich; aber wie ich mein Herz kenne, darf ich Dir versichern, daß nichts so leicht Eindruck auf mich machen, und kein möglicher Eindruck so tief wirken soll, um mich von dem Wege abzuleiten, auf dem ich bisher an der Hand der Liebe und Pflicht hinwandelte. Sey ohne Sorgen, Du sollst deine Frau so zärtlich und treu bey Deiner Rückkunft wieder finden, als Du sie Abends fandest, wenn Du nach einer kleinen Abwesenheit in meine Arme zurückkehrtest.

Diese Gesinnungen traue ich Dir zu, versetzte der Gemahl, und bitte Dich darinn zu verharren. Laß uns aber an die äußersten Fälle denken, warum soll man sich nicht auch darauf vorsehen? Du weißt, wie sehr deine schöne und reitzende Gestalt die Augen unserer jungen Mitbürger auf sich zieht; sie werden sich in meiner Abwesenheit noch mehr als bisher um Dich bemühen; sie werden sich Dir auf alle Weise zu nähern, ja zu gefallen suchen. Nicht immer wird das Bild Deines Gemahls, wie jetzt seine Gegenwart, sie von deiner Thüre und deinem Herzen verscheuchen. Du bist ein edles und gutes Kind, aber die Forderungen der Natur sind rechtmäßig und gewaltsam; sie stehen mit unserer Vernunft beständig im Streite und tragen gewöhnlich den Sieg davon. Unterbrich mich nicht. Du wirst gewiß in meiner Abwesenheit selbst bey dem pflichtmäßigen Andenken an mich das Verlangen empfinden, wodurch das Weib den Mann anzieht, und von ihm angezogen wird. Ich werde eine Zeitlang der Gegenstand deiner Wünsche seyn; aber wer weiß, was für Umstände zusammentreffen, was für Gelegenheiten sich finden, und ein anderer wird in der Wirklichkeit erndten was die Einbildungskraft mir zugedacht hatte. Werde nicht ungeduldig, ich bitte Dich, höre mich aus.

Sollte der Fall kommen, dessen Möglichkeit Du leugnest, und den ich auch nicht zu beschleunigen wünsche, daß Du ohne die Gesellschaft eines Mannes nicht länger bleiben, die Freuden der Liebe nicht wohl entbehren könntest, so versprich mir nur, an meine Stelle keinen von den leichtsinnigen Knaben zu wählen, die, so artig sie auch aussehen mögen, der Ehre noch mehr als der Tugend einer Frau gefährlich sind. Mehr durch Eitelkeit als durch Begierde beherrscht, bemühen sie sich um eine jede, und sie finden nichts natürlicher, als eine der andern aufzuopfern. Fühlst Du dich geneigt, dich nach einem Freunde umzusehen, so forsche nach einem, der diesen Nahmen verdient, der bescheiden und verschwiegen die Freuden der Liebe noch durch die Wohlthat des Geheimnisses zu erheben weiß.

Hier verbarg die schöne Frau ihren Schmerz nicht länger und die Thränen, die sie bisher zurückgehalten hatte, stürzten reichlich aus ihren Augen. Was Du auch von mir denken magst, rief sie nach einer leidenschaftlichen Umarmung aus, so ist doch nichts entfernter von mir, als das Verbrechen, das Du gewissermaßen für unvermeidlich hältst. Möge, wenn jemals auch nur ein solcher Gedanke in mir entsteht, die Erde sich aufthun, und mich verschlingen, und möge alle Hoffnung der Seeligkeit mir entrissen werden, die uns eine so reitzende Fortdauer unsers Daseyns verspricht. Entferne das Mißtrauen aus Deiner Brust, und laß mir die ganze reine Hoffnung, Dich bald wieder in meinen Armen zu sehen.

Nachdem er auf alle Weise seine Gattin zu beruhigen gesucht, schiffte er sich den andern Morgen ein, seine Fahrt war glücklich, und er gelangte bald nach Alexandrien.

Indessen lebte seine Gattin in dem ruhigen Besitz eines großen Vermögens nach aller Lust und Bequemlichkeit, jedoch eingezogen, und pflegte außer ihren Eltern und Verwandten niemand zu sehen; und indem die Geschäfte ihres Mannes durch getreue Diener fortgeführt wurden, bewohnte sie ein grosses Haus, in dessen prächtigen Zimmern sie mit Vergnügen täglich das Andenken ihres Gemahls erneuerte.

So sehr sie aber auch sich stille hielt und eingezogen lebte, waren doch die jungen Leute der Stadt nicht unthätig geblieben. Sie versäumten nicht, häufig vor ihrem Fenster vorbey zu gehen, und suchten des Abends durch Musik und Gesänge ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die schöne Einsame fand Anfangs diese Bemühungen unbequem und lästig, doch gewöhnte sie sich bald daran, und ließ an den langen Abenden, ohne sich zu bekümmern, woher sie kämen, die Serenaden als eine angenehme Unterhaltung sich gefallen, und konnte dabey manchen Seufzer, der ihrem Abwesenden galt, nicht zurückhalten.

Anstatt daß ihre unbekannten Verehrer, wie sie hoffte, nach und nach müde geworden wären, schienen sich ihre Bemühungen noch zu vermehren und zu einer beständigen Dauer anzulassen. Sie konnte nun die wiederkehrenden Instrumente und Stimmen, die wiederholten Melodien schon unterscheiden, und bald sich die Neugierde nicht mehr versagen, zu wissen, wer die Unbekannten, und besonders wer die Beharrlichen seyn möchten? Sie durfte sich zum Zeitvertreib eine solche Theilnahme wohl erlauben.

Sie fing daher an, von Zeit zu Zeit durch ihre Vorhänge und Halbläden nach der Straße zu sehen, auf die Vorbeygehenden zu merken, und besonders die Männer zu unterscheiden, die ihre Fenster am längsten im Auge behielten. Es waren meist schöne wohlgekleidete junge Leute, die aber freylich in Gebärden sowohl als in ihrem ganzen Äußern eben soviel Leichtsinn als Eitelkeit sehen liessen. Sie schienen mehr durch ihre Aufmerksamkeit auf das Haus der Schönen sich merkwürdig machen, als iener eine Art von Verehrung beweisen zu wollen.

Wahrlich, sagte die Dame manchmal scherzend zu sich selbst, mein Mann hat einen klugen Einfall gehabt! Durch die Bedingung, unter der er mir einen Liebhaber zugesteht, schließt er alle diejenigen aus, die sich um mich bemühen, und die mir allenfalls gefallen könnten. Er weiß wohl, daß Klugheit, Bescheidenheit und Verschwiegenheit Eigenschaften eines ruhigen Alters sind, die zwar unser Verstand schätzt, die aber unsre Einbildungskraft keineswegs aufzuregen, noch unsre Neigung anzureitzen im Stande sind. Vor diesen, die mein Haus mit ihren Artigkeiten belagern, bin ich sicher, daß sie kein Vertrauen erwecken, und die, denen ich mein Vertrauen schenken könnte, finde ich nicht im mindesten liebenswürdig.

In der Sicherheit dieser Gedanken erlaubte sie sich immer mehr, dem Vergnügen an der Musik und an der Gestalt der vorbeygehenden Jünglinge nachzuhängen; und ohne daß sie es merkte, wuchs nach und nach ein unruhiges Verlangen in ihrem Busen, dem sie nur zu spät zu widerstreben gedachte. Die Einsamkeit und der Müßiggang, das bequeme, gute und reichliche Leben waren ein Element, in welchem sich eine unregelmäßige Begierde früher, als das gute Kind dachte, entwickeln mußte.

Sie fing nun an, jedoch mit stillen Seufzern, unter den Vorzügen ihres Gemahls auch seine Welt- und Menschenkenntniß, besonders die Kenntniß des weiblichen Herzens, zu bewundern. So war es also doch möglich, was ich ihm so lebhaft abstritt, sagte sie zu sich selbst, und so war es also doch nöthig, in einem solchen Falle mir Vorsicht und Klugheit anzurathen. Doch was können Vorsicht und Klugheit, da wo der unbarmherzige Zufall nur mit einem unbestimmten Verlangen zu spielen scheint. Wie soll ich den wählen, den ich nicht kenne, und bleibt bey näherer Bekanntschaft noch eine Wahl übrig?

Mit solchen und hundert andern Gedanken vermehrte die schöne Frau das Übel, das bey ihr schon weit genug um sich gegriffen hatte. Vergebens suchte sie sich zu zerstreuen; jeder angenehme Gegenstand machte ihre Empfindung rege, und ihre Empfindung brachte, auch in der tiefsten Einsamkeit, angenehme Bilder in ihrer Einbildungskraft hervor.

In solchem Zustande befand sie sich, als sie unter andern Stadtneuigkeiten von ihren Verwandten vernahm, es sey ein junger Rechtsgelehrter, der zu Bologna studiert habe, so eben in seine Vaterstadt zurückgekommen. Man wußte nicht genug zu seinem Lobe zu sagen. Bey außerordentlichen Kenntnissen zeigte er eine Klugheit und Gewandtheit die sonst Jünglingen nicht eigen ist, und bey einer sehr reitzenden Gestalt die größte Bescheidenheit. Als Procurator hatte er bald das Zutrauen der Bürger und die Achtung der Richter gewonnen. Täglich fand er sich auf dem Rathhause ein, um daselbst seine Geschäfte zu besorgen und zu betreiben.

Die Schöne hörte die Schilderung eines so vollkommenen Mannes nicht ohne Verlangen, ihn näher kennen zu lernen, und nicht ohne stillen Wunsch, in ihm denjenigen zu finden, dem sie ihr Herz, selbst nach der Vorschrift ihres Mannes übergeben könnte. Wie aufmerksam ward sie daher, als sie vernahm, daß er täglich vor ihrem Hause vorbeygehe; wie sorgfältig beobachtete sie die Stunde, in der man auf dem Rathhause sich zu versammeln pflegte. Nicht ohne Bewegung sah sie ihn endlich vorbey gehen, und wenn seine schöne Gestalt und seine Jugend für sie nothwendig reitzend seyn mußten, so war seine Bescheidenheit von der andern Seite dasjenige was sie in Sorgen versetzte.

Einige Tage hatte sie ihn heimlich beobachtet und konnte nun dem Wunsche nicht länger widerstehen, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie kleidete sich mit Sorgfalt, trat auf den Balkon, und das Herz schlug ihr, als sie ihn die Straße herkommen sah. Allein wie betrübt, ja beschämt war sie, als er wie gewöhnlich mit bedächtigen Schritten, in sich gekehrt und mit niedergeschlagenen Augen, ohne sie auch nur zu bemerken, auf das zierlichste seines Weges vorbey ging.

Vergebens versuchte sie mehrere Tage hintereinander auf eben diese Weise von ihm bemerkt zu werden. Immer ging er seinen gewöhnlichen Schritt, ohne die Augen aufzuschlagen oder da und dorthin zu wenden. Je mehr sie ihn aber ansah, destomehr schien er ihr derjenige zu seyn, dessen sie so sehr bedurfte. Ihre Neigung ward täglich lebhafter, und, da sie ihr nicht widerstand, endlich ganz und gar gewaltsam. Wie! sagte sie zu sich selbst, nachdem dein edler, verständiger Mann den Zustand vorausgesehen, in dem du dich in seiner Abwesenheit befinden würdest, da seine Weissagung eintrifft, daß du ohne Freund und Günstling nicht leben kannst, sollst du dich nun verzehren und abhärmen zu der Zeit, da dir das Glück einen Jüngling zeigt, völlig nach deinem Sinne, nach dem Sinne deines Gatten, einen Jüngling, mit dem du die Freuden der Liebe in einem undurchdringlichen Geheimniß genießen kannst. Thörigt, wer die Gelegenheit versäumt, thörigt, wer der gewaltsamen Liebe widerstehen will!

Mit solchen und vielen andern Gedanken suchte sich die schöne Frau in ihrem Vorsatze zu stärken, und nur kurze Zeit ward sie noch von Ungewißheit hin und her getrieben. Endlich aber wie es begegnet, daß eine Leidenschaft, welcher wir lange widerstehen, uns endlich auf einmal dahin reißt, und unser Gemüth dergestalt erhöht, daß wir auf Besorgniß und Furcht, Zurückhaltung und Schaam, Verhältnisse und Pflichten mit Verachtung als auf kleinliche Hindernisse zurücksehen; so faßte sie auf einmal den raschen Entschluß, ein junges Mädchen, das ihr diente, zu dem geliebten Manne zu schicken, und es koste nun was es wolle, zu seinem Besitze zu gelangen.

Das Mädchen eilte und fand ihn, als er eben mit vielen Freunden zu Tische saß, und richtete ihren Gruß, den ihre Frau sie gelehrt hatte, pünktlich aus. Der junge Procurator wunderte sich nicht über diese Botschaft; er hatte den Handelsmann in seiner Jugend gekannt, er wusste, daß er gegenwärtig abwesend war, und ob er gleich von seiner Heirath nur von weitem gehört hatte, vermuthete er doch, daß die zurückgelassene Frau, in der Abwesenheit ihres Mannes, wahrscheinlich in einer wichtigen Sache seines rechtlichen Beistandes bedürfe. Er antwortete deswegen dem Mädchen auf das Verbindlichste und versicherte, daß er, sobald man von der Tafel aufgestanden, nicht säumen würde, ihrer Gebieterin aufzuwarten. Mit unaussprechlicher Freude vernahm die schöne Frau, daß sie den Geliebten nun bald sehen und sprechen sollte. Sie eilte sich aufs beste anzuziehen und ließ geschwind ihr Haus und ihre Zimmer auf das reinlichste ausputzen. Orangenblätter und Blumen wurden gestreut, der Sopha mit den köstlichsten Teppichen bedeckt. So ging die kurze Zeit, die er ausblieb, beschäftigt hin, die ihr sonst unerträglich lang geworden wäre.

Mit welcher Bewegung ging sie ihm entgegen, als er endlich ankam, mit welcher Verwirrung hieß sie ihn, indem sie sich auf das Ruhebett niederließ, auf ein Tabouret setzen, das zunächst dabey stand. Sie verstummte in seiner so erwünschten Nähe, sie hatte nicht bedacht, was sie ihm sagen wollte; auch er war still und saß bescheiden vor ihr. Endlich ermannte sie sich und sagte nicht ohne Sorge und Beklommenheit:

Sie sind noch nicht lange in Ihrer Vaterstadt wieder angekommen, mein Herr, und schon sind Sie allenthalben für einen talentreichen und zuverläßigen Mann bekannt. Auch ich setze mein Vertrauen auf Sie in einer wichtigen und sonderbaren Angelegenheit, die, wenn ich es recht bedenke, eher für den Beichtvater als für den Sachwalter gehört. Seit einem Jahr bin ich an einen würdigen und reichen Mann verheirathet, der so lange wir zusammen lebten, die größte Aufmerksamkeit für mich hatte, und über den ich mich nicht beklagen würde, wenn nicht ein unruhiges Verlangen zu reisen und zu handeln ihn seit einiger Zeit aus meinen Armen gerissen hätte.

Als ein verständiger und gerechter Mann fühlte er wohl das Unrecht, das er mir durch seine Entfernung anthat; er begrif, daß ein junges Weib nicht wie Juwelen und Perlen verwahrt werden könne. Er wußte, daß sie vielmehr einem Garten voll schöner Früchte gleicht, die für jedermann, so wie für den Herrn verloren wären, wenn er eigensinnig die Thüre auf einige Jahre verschließen wollte. Er sprach mir daher vor seiner Abreise sehr ernstlich zu, er versicherte mich, daß ich ohne Freund nicht würde leben können, er gab mir dazu nicht allein die Erlaubniß, sondern er drang in mich und nöthigte mir gleichsam das Versprechen ab, daß ich der Neigung, die sich in meinem Herzen finden würde, frey und ohne Anstand folgen wollte.

Sie hielt einen Augenblick inne, aber bald gab ihr ein vielversprechender Blick des jungen Mannes Mut genug, in ihrem Bekenntniß fortzufahren.

Eine einzige Bedingung fügte mein Gemahl zu seiner übrigens so nachsichtigen Erlaubniß. Er empfahl mir die äußerste Vorsicht und verlangte ausdrücklich, daß ich mir einen gesetzten, zuverlässigen, klugen und verschwiegenen Freund wählen sollte. Ersparen Sie mir das übrige zu sagen, mein Herr, ersparen Sie mir die Verwirrung, mit der ich Ihnen bekennen würde, wie sehr ich für Sie eingenommen bin, und errathen Sie aus diesem Zutrauen meine Hoffnungen und meine Wünsche.

Nach einer kurzen Pause versetzte der junge liebenswürdige Mann mit gutem Bedachte: wie sehr bin ich Ihnen für das Vertrauen verbunden, durch welches Sie mich in einem so hohen Grade ehren und glücklich machen. Ich wünsche nur lebhaft, Sie zu überzeugen, daß Sie sich an keinen Unwürdigen gewendet haben. Lassen Sie mich Ihnen zuerst als Rechtsgelehrter antworten; und als ein solcher gesteh ich Ihnen, daß ich Ihren Gemahl bewundere, der sein Unrecht so deutlich gefühlt und eingesehen hat: denn es ist gewiß, daß ein solcher, der ein junges Weib zurück läßt um ferne Weltgegenden zu besuchen, als ein solcher anzusehen ist, der irgend ein anderes Besitzthum völlig derelinquiert und durch die deutlichste Handlung auf alles Recht daran Verzicht thut. Wie es nun dem ersten Besten erlaubt ist eine solche völlig ins Freye gefallene Sache wieder zu ergreifen; so find ich es um so mehr für natürlich und billig, daß eine junge Frau, die sich in diesem Zustande befindet, ihre Neigung abermals verschenke, und sich einem Freunde, der ihr angenehm und zuverläßig scheint, ohne Bedenken überlasse.

Tritt nun aber gar, wie hier, der Fall ein, daß der Ehemann selbst, seines Unrechts sich bewußt, mit ausdrücklichen Worten seiner hinterlassenen Frau dasjenige erlaubt, was er ihr nicht verbieten kann; so bleibt gar kein Zweifel übrig, um so mehr, da demjenigen kein Unrecht geschieht, der es willig zu ertragen erklärt hat.

Wenn Sie mich nun, fuhr der junge Mann mit ganz andern Blicken und dem lebhaftesten Ausdruck fort, indem er die schöne Freundin bey der Hand nahm, wenn Sie mich zu Ihrem Diener erwählen, so machen Sie mich mit einer Glückseligkeit bekannt, von der ich bisher keinen Begriff hatte. Seyn Sie versichert, rief er aus, indem er die Hand küßte, daß Sie keinen ergebenern, zärtlichern, treuern und verschwiegenern Diener hätten finden können.

Wie beruhigt fühlte sich nach dieser Erklärung die schöne Frau. Sie scheute sich nicht ihm ihre Zärtlichkeit aufs lebhafteste zu zeigen; sie drückte seine Hände, drängte sich näher an ihn und legte ihr Haupt auf seine Schultern. Nicht lange blieben sie in dieser Lage, als er sich auf eine sanfte Weise von ihr zu entfernen suchte, und nicht ohne Betrübniß zu reden begann: Kann sich wohl ein Mensch in einem seltsamern Verhältnisse befinden? ich bin gezwungen, mich von Ihnen zu entfernen und mir die größte Gewalt anzuthun in einem Augenblicke, da ich mich den süßesten Gefühlen überlassen sollte. Ich darf mir das Glück, das mich in Ihren Armen erwartet, gegenwärtig nicht zueignen. Ach! wenn nur der Aufschub mich nicht um meine schönsten Hoffnungen betrügt.

Die Schöne fragte ängstlich nach der Ursache dieser sonderbaren Äußerung.

Eben als ich in Bologna, versetzte er, am Ende meiner Studien war und mich aufs äußerste angriff, mich zu meiner künftigen Bestimmung geschickt zu machen, verfiel ich in eine schwere Krankheit, die, wo nicht mein Leben zu zerstöhren, doch meine körperlichen und Geistes-Kräfte zu zerrütten drohte. In der größten Noth und unter den heftigsten Schmerzen that ich der Mutter Gottes ein Gelübde, daß ich, wenn sie mich genesen ließe, ein Jahr lang in strengem Fasten zubringen und mich alles Genusses, von welcher Art er auch sey, enthalten wolle. Schon zehn Monate habe ich mein Gelübde auf das treulichste erfüllt und sie sind mir in Betrachtung der großen Wohlthat die ich erhalten, keineswegs lang geworden, da es mir nicht beschwerlich ward, manches gewohnte und bekannte Gute zu entbehren. Aber zu welcher Ewigkeit werden mir nun zwey Monate, die noch übrig sind, da mir erst nach Verlauf derselben ein Glück zu Theil werden kann, welches alle Begriffe übersteigt. Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden und entziehen Sie mir Ihre Gunst nicht, die Sie mir so freywillig zugedacht haben.

Die Schöne, mit dieser Erklärung nicht sonderlich zufrieden, faßte doch wieder bessern Muth, als der Freund nach einigem Nachdenken zu reden fortfuhr: Ich wage kaum Ihnen einen Vorschlag zu thun und das Mittel anzuzeigen, wodurch ich früher von meinem Gelübde entbunden werden kann. Wenn ich jemand fände, der so streng und sicher wie ich das Gelübde zu halten übernähme, und die Hälfte der noch übrigen Zeit mit mir theilte; so würde ich um so geschwinder frey sein, und nichts würde sich unsern Wünschen entgegenstellen. Sollten Sie nicht, meine süße Freundin, um unser Glück zu beschleunigen, willig seyn einen Theil des Hindernisses, das uns entgegensieht, hinweg zu räumen. Nur der zuverläßigsten Person kann ich einen Antheil an meinem Gelübde übertragen; es ist streng, denn ich darf des Tages nur zweymal Brod und Wasser geniessen, darf des Nachts nur wenige Stunden auf einem harten Lager zubringen und muß ungeachtet meiner vielen Geschäfte eine große Anzahl Gebete verrichten. Kann ich, wie es mir heute geschehen ist, nicht vermeiden, bei einem Gastmahl zu erscheinen, so darf ich deswegen doch nicht meine Pflicht hintansetzen, vielmehr muß ich den Reitzungen aller Leckerbissen, die an mir vorbey gehen, zu widerstehen suchen. Können Sie sich entschließen einen Monat lang gleichfalls alle diese Gesetze zu befolgen; so werden Sie alsdann sich selbst in dem Besitz eines Freundes desto mehr erfreuen, als Sie ihn durch ein so lobenswürdiges Unternehmen gewissermaßen selbst erworben haben.

Die schöne Dame vernahm ungern die Hindernisse, die sich ihrer Neigung entgegen setzten, doch war ihre Liebe zu dem jungen Manne durch seine Gegenwart dergestalt vermehrt worden, daß ihr keine Prüfung zu streng schien, wenn ihr nur dadurch der Besitz eines so werthen Guts versichert werden konnte. Sie sagte ihm daher mit den gefälligsten Ausdrücken: mein süßer Freund! das Wunder, wodurch Sie Ihre Gesundheit wieder erlangt haben, ist mir selbst so werth und verehrungswürdig, daß ich es mir zur Freude und Pflicht mache, an dem Gelübde Theil zu nehmen, das Sie dagegen zu erfüllen schuldig sind. Ich freue mich, Ihnen einen so sichern Beweis meiner Neigung zu geben; ich will mich auf das genaueste nach Ihrer Vorschrift richten, und ehe Sie mich lossprechen, soll mich nichts von dem Wege entfernen, auf den Sie mich einleiten.

Nachdem der junge Mann mit ihr aufs genaueste diejenigen Bedingungen abgeredet, unter welchen sie ihm die Hälfte seines Gelübdes ersparen konnte, entfernte er sich mit der Versicherung, daß er sie bald wieder besuchen und nach der glücklichen Beharrlichkeit in ihrem Vorsatze fragen würde; und so mußte sie ihn gehen lassen, als er ohne Händedruck, ohne Kuß, mit einem kaum bedeutenden Blick von ihr schied. Ein Glück für sie war die Beschäftigung, die ihr der seltsame Vorsatz gab, denn sie hatte manches zu thun, um ihre Lebensart völlig zu verändern. Zuerst wurden die schönen Blätter und Blumen hinausgekehrt, die sie zu seinem Empfang hatte streuen lassen, dann kam an die Stelle des wohlgepolsterten Ruhebettes ein hartes Lager, auf das sie sich, zum erstenmal in ihrem Leben nur von Wasser und Brod kaum gesättigt, des Abends niederlegte. Des andern Tages war sie beschäftigt Hemden zuzuschneiden und zu nähen, deren sie eine bestimmte Zahl für ein Armen- und Krankenhaus fertig zu machen versprochen hatte. Bey dieser neuen und unbequemen Beschäftigung, unterhielt sie ihre Einbildungskraft immer mit dem Bilde ihres süßen Freundes und mit der Hoffnung künftiger Glückseligkeit; und bey eben diesen Vorstellungen schien ihre schmale Kost ihr eine herzstärkende Nahrung zu gewähren.

So vergieng eine Woche, und schon am Ende derselben fingen die Rosen ihrer Wangen an, einigermaßen zu verbleichen. Kleider, die ihr sonst wohl paßten, waren zu weit und ihre sonst so raschen und muntern Glieder matt und schwach geworden: als der Freund wieder erschien und ihr durch seinen Besuch neue Stärke und Leben gab. Er ermahnte sie in ihrem Vorsatz zu beharren, munterte sie durch sein Beyspiel auf und ließ von weitem die Hoffnung eines ungestöhrten Genusses durchblicken. Nur kurze Zeit hielt er sich auf, und versprach bald wieder zu kommen.

Die wohlthätige Arbeit ging aufs neue muntrer fort, und von der strengen Diät ließ man keineswegs nach. Aber auch leider! hätte sie durch eine grosse Krankheit nicht mehr erschöpft werden können. Ihr Freund, der sie am Ende der Woche abermals besuchte, sah sie mit dem größten Mitleid an, und stärkte sie durch den Gedanken, daß die Hälfte der Prüfung nun schon vorüber sey.

Nun ward ihr das ungewohnte Fasten, Beten und Arbeiten mit jedem Tage lästiger, und die übertriebene Enthaltsamkeit schien den gesunden Zustand eines an Ruhe und reichliche Nahrung gewöhnten Körpers gänzlich zu zerrütten. Die Schöne konnte sich zuletzt nicht mehr auf den Füßen halten, und war genöthigt, ohnerachtet der warmen Jahrszeit sich in doppelte und dreyfache Kleider zu hüllen, um die beynah völlig verschwindende innerliche Wärme einigermaßen zusammen zu halten. Ja sie war nicht länger im Stande aufrecht zu bleiben, und sogar genöthigt in der letzten Zeit das Bette zu hüten.

Welche Betrachtungen mußte sie da über ihren Zustand machen? wie oft ging diese seltsame Begebenheit vor ihrer Seele vorbey, und wie schmerzlich fiel es ihr, als zehn Tage vergiengen, ohne daß der Freund erschienen wäre, der sie diese äußersten Aufopferungen kostete. Dagegen aber bereitete sich in diesen trüben Stunden ihre völlige Genesung vor, ja sie ward entschieden. Denn als bald darauf ihr Freund erschien und sich an ihr Bette auf eben dasselbe Tabourett setzte, auf dem er ihre erste Erklärung vernommen hatte, und ihr freundlich, ja gewissermaßen zärtlich zusprach, die kurze Zeit noch standhaft auszudauern, unterbrach sie ihn mit Lächeln und sagte: es bedarf weiter keines Zuredens, mein werther Freund, und ich werde mein Gelübde diese wenigen Tage mit Geduld und mit der Überzeugung ausdauern, daß Sie es mir zu meinem Besten auferlegt haben. Ich bin jetzt zu schwach, als daß ich Ihnen meinen Dank ausdrücken könnte, wie ich ihn empfinde. Sie haben mich mir selbst erhalten; Sie haben mich mir selbst gegeben, und ich erkenne, daß ich mein ganzes Daseyn von nun an Ihnen schuldig bin.

Wahrlich mein Mann war verständig und klug, und kannte das Herz einer Frau; er war billig genug, sie über eine Neigung nicht zu schelten, die durch seine Schuld in ihrem Busen entstehen konnte, ja er war großmüthig genug, seine Rechte der Foderung der Natur hintan zu setzen. Aber Sie mein Herr, Sie sind vernünftig und gut; Sie haben mich fühlen lassen, daß außer der Neigung noch etwas in uns ist, das ihr das Gleichgewicht halten kann, daß wir fähig sind, jedem gewohnten Gut zu entsagen und selbst unsere heißesten Wünsche von uns zu entfernen. Sie haben mich in diese Schule durch Irrthum und Hoffnung geführt; aber beyde sind nicht mehr nöthig, wenn wir uns erst mit dem guten und mächtigen Ich bekannt gemacht haben, das so still und ruhig in uns wohnt, und so lange biß es die Herrschaft im Hause gewinnt, wenigstens durch zarte Erinnerungen seine Gegenwart unaufhörlich merken läßt. Leben Sie wohl. Ihre Freundinn wird Sie künftig mit Vergnügen sehen; wirken Sie auf Ihre Mitbürger wie auf mich; entwickeln Sie nicht allein die Verwirrungen, die nur zu leicht über Besitzthümer entstehen, sondern zeigen Sie ihnen auch durch sanfte Anleitung und durch Beyspiel, daß in jedem Menschen die Kraft der Tugend im Verborgenen keimt; die allgemeine Achtung wird Ihr Lohn seyn, und Sie werden mehr als der erste Staatsmann und der größte Held den Namen Vater des Vaterlandes verdienen.

Die Fortsetzung folgt

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