HomeDie Horen1796 - Stück 10II. Agnes von Lilien. [Caroline von Wolzogen]

II. Agnes von Lilien. [Caroline von Wolzogen]

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Ich wurde in dem Hause des Pfarrers von Hohenfels, als seines Bruders Tochter erzogen. Sobald ich es verstehen konnte, sagte mir der Pfarrer, meine Eltern wären während meiner ersten Kindheit gestorben, aber ich sollte ihn als meinen Vater ansehen. Ich erfüllte dieses Verlangen in seinem vollen Sinn, denn ich fühlte nie, daß meine Eltern mir fehlten. Er war ein seltener Mann, und ich werde in der Geschichte meiner Erziehung ausführlicher seyn, als ich vielleicht sollte, weil sich sein Character in derselben am besten darstellt. Sein Gemüth war eine reine Harmonie, der sich jeder mit Vergnügen näherte, und ohne es zu suchen, wirkte er auf einen grosen Cirkel. Er ließ sich gern und leicht in ein Gespräch ein, und wußte das gemeinste an die wichtigsten Gegenstände so natürlich und leicht anzuknüpfen, daß er das innere Wesen der Menschen aufschloß.

Als mein Verstand reif genug war, um die Menschen gegen einander zu vergleichen, sagte ich oft meinem Vater, wie hoch über alle andere erhaben er mir erschiene. Mit einem milden Ernst in seinem Blick erwiederte er dann: Wenige zwang das Schicksal mit so freundlicher Gewalt auf der Bahn des Rechten zu bleiben, als mich. Manche Kraft wird zerstöhrt, ehe sie ihre wahre Richtung empfängt. Ich hatte hohen Genuß und tiefes Leiden, aber die Flamme der reinen Liebe erhielt mein besseres Leben. Eine Welt von Erinnerungen schien sich bey solchen Äusserungen in seinem Innern zu entwickeln; sein Auge war gesenkt, er war in sich selbst versunken, aber schnell als von einem neuen Feuer belebt, kehrten sich dann seine Blicke nach mir, er sagte mir ein freundliches Wort, gab mir einen kleinen Auftrag, welchen ich vorzüglich gern befolgte, ich fühlte, daß irgend ein Gefühl seinen Busen drängte, welchem er Gewalt anthat, und es war mir als schwebte auf seinen Lippen: „Du bist doch mein Liebstes in der Welt!“ Über meine Erziehung wachte er mit der Sorgfalt, mit der er jede einmal übernommene Pflicht beobachtete. Er beschäftigte sich mit mir in seinen ernsten Stunden, aber ich war auch sein liebstes Spiel in den wenig geschäftlosen Augenblicken, die er sich vergönnte. Ich entsinne mich, daß er mich früh gewöhnte, die Begriffe der Arbeit und Ordnung mit meinen Spielen zu verbinden, das geringste einmal angefangene Geschäft mußte ich vollenden. Ich war weich und liebend gebildet und konnte auch keine leise Äusserung der Unzufriedenheit von meinem Vater ertragen. Am tiefsten schmerzte mich, wenn er nach einer begangenen Unart mich wenige Stunden von sich entfernte. Das Einkommen, von welchem das Hauswesen bestritten wurde, war sehr mäßig, aber eine weise Einrichtung verbannte mit aller unnützen Verschwendung auf der einen Seite, auch allen Geitz auf der andern. Nichts gieng verlohren, also war genug da, um ein reines ordentliches Leben zu führen, und meine Jugend war reich an allen kleinen Freuden, die der Wohlstand erzeugt.

Diese einfachen Verhältnisse, durch die Kunst meines Vaters geleitete, dienten mir zur Schule des Betragens für das künftige Leben. „Du sollst herrschen und dienen lernen, mein liebes Kind, sagte er mir zuweilen: Wenn man beides mit Einsicht und mit Achtung für sich selbst zu thun versteht, so ist eins so leicht als das andere, aber sicher ist es Quelle mannichfaltiger Schiefheit und Verworrenheit in vielen Verhältnissen, wenn unsere Fähigkeit ausschliessend für das eine, oder für das andere entwickelt wurde. Die Ungeschicklichkeit, sich in irgend einer Lage zu betragen, zieht ein Heer kleiner Übel um uns her, die endlich den Blick in die äussere Welt und in unser Inneres umdämmern. Darum übe dich in allen Formen des Umgangs, und lerne jeden Menschen nach seinem individuellsten Daseyn behandeln, und dich selbst in jedem Verhältniß auf die freieste und für andere am wenigsten drückende Art stellen.“ Sein Beispiel, sein stillwirkendes Leben erklärte mir den tiefen Sinn dieser Rede. Wenn mich nicht häusliche Geschäfte abriefen, war ich größtentheils in einem Cabinet, welches an meines Vaters Zimmer stieß. Ich fühlte mich in voller Freiheit, und war doch in immerwährender Aufsicht. Da mein Vater selbst nie in eine gewisse Leere und Unbedeutenheit des Daseyns versank, so lernte ich sie auch nicht kennen; ich lebte in einem Cirkel stiller Geschäftigkeit, und mein jugendlicher Frohsinn entwickelte sich mit einigen Gespielen meines Alters. Die Kinder unserer Guthsherrschaft und ein paar Bauerkinder aus der Nachbarschaft lockten mich zu allen kindischen Spielen, und mein Vater sah es gern, wenn ich in körperlicher Behendigkeit die andern übertraf, selbst Rosine durfte kein schiefes Gesicht machen, wenn ich mit zerrissener Schürze und Halstuch zurückkam, aber ich selbst mußte auch alles wieder in guten Stand bringen, und wenn sie dazu helfen wollte, so war es nur Gefälligkeit. Ich hatte einige Lehrstunden, um mich an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen, aber mir damals unbemerkbar war mein Vater, während dem ganzen Lauf des Tages, mit meiner Bildung beschäftigt.

Wir lebten in einer lieblichen Gegend, und die mannigfaltigen und grossen Naturgestalten um mich her nährten meinen Schönheitssinn. Das geheimnißvolle Leben der Natur ergriff mich früh, und die sanften Schauer der Bewunderung dehnten meinen Busen in erhabenen Gefühlen aus. Freundlich gesinnte Geister, schien mirs, wandelten im wechselnden Spiel des Lichtes um die Häupter der Berge, und in den buschigten Ufern des Flusses; ich empfand jenen namenlosen Zauber, in den der Genuß der Schönheit uns wiegt, in vollem Maaße. Mein Vater ergriff diese reinsten aller Lebensmomente, um mein tiefstes Daseyn mit dem Gefühl Gottes und der Unsterblichkeit zu beleben, das gleich einem himmlischen Hauch in unserm Innern wohnet, und das ganze Leben gleich einem reinern Element durchdringt. Die christliche Religion lehrte mich mein Vater in ihrem wahren Sinn, kindlich und einfach, als das Resultat der reinsten menschlichen Natur, der wir streben müssen, uns zu nähern, und sie in unserm innern und äussern Leben herzustellen. Mein glückliches Gedächtniß und mein leiser Sinn für die Schönheit brachte meinen Vater auf den Gedanken, mich die alten Sprachen zu lehren, die er enthusiastisch liebte. Die langen Winter-Abende hinter den Spinnroken oder am Strikzeug vergiengen uns so, daß er mir Stellen aus den Alten vorsagte, die ich auswendig lernen und übersetzen muste. Die Kunstgestalten der alten Welt sollten meine Einbildungskraft zum Gesetz der Schönheit stimmen, und mich lehren meine Sinne für den Eindruck des Gemeinen und Unwürdigen zu verwahren. Durch den Reitz der Neuheit dringt oft ein gemeiner Gegenstand an unser Gemüth, und aus Mangel an schönern Bildern, die ihn verdrängen könnten, umfangen wir ihn mit leidenschaftlichem Begehren. Ich war immer beschäftigt, und durch einen wichtigen Gegenstand interessirt. Dieses erhielt meinem Vater die Zügel meiner Einbildungskraft in Händen. Freie Luft und Bewegung stärkten meinen Körper. Ich lernte den Feldbau in allen Details kennen, legte im Obst- und Küchengarten wohl selbst Hand an. Mein Sprach-Studium, Übungen des Stils im Deutschen und Französischen, Geographie, Naturlehre füllten die Morgenstunden, die von häuslichen Geschäften übrig blieben. Des Nachmittags lehrte er mich Clavierspielen, und ließ mich nach einer Sammlung guter Kupferstiche und Gypsabgüsse, die er besaß, zeichnen, um meiner Hand einige Fertgkeit zu geben, und mein Auge über die Richtigkeit der Verhältnisse zu üben. Sorglos und unbefangen flossen meine Tage dahin, die Liebe meines Vaters erfüllte sie mit fröhlichem Wechsel. Jede ländliche Beschäftigung war uns ein kleines Fest, welches die gewohnte Lebensweise unterbrach, und der Fleiß wurde mir wieder zum Genuß, wenn ich meines Vaters Freude an meinen Fortschritten wahrnahm. Die Gesellschaft der Salmschen Familie, unserer Guthsherrschaft, wurde mir uninteressanter, jemehr sich mein Geschmack bildete. Aber mein Vater hieß mich oft sie besuchen, um daß ich meine Eigenheiten der Gesellschaft sollte anschmiegen lernen, und um von der Äusserung einer gewissen Sonderbarkeit befreyt zu bleiben, die man leicht in der Einsamkeit gewinnt. Durch natürliche Gutmüthigkeit, die gern jeden glücklich und frei in seiner eigenen Sphäre sich bewegen sieht, lernte ich leicht den Ton der Unterhaltung treffen, der für die Familie passend war, und die Seiten meines Wesens verbergen, die sie nicht fassen mochte. Die Fräuleins liebten meinen Umgang, weil ich weder in Kleiderpracht noch in sogenannten feinen Manieren mit ihnen rivalisierte, und wenn mein natürlicher Anstand, und mein reinliches einfaches Hauskleid, ein Lob von ihren Eltern, oder einem Fremden, welcher zum Besuch bey ihnen war, erhielt, so waren die Eigenschaften einer Pfarrers Tochter doch so ganz unter der Sphäre ihrer Prätensionen, daß keine Aufwallung des Neides ihr Wohlwollen gegen mich unterbrach. Ich fühlte mich, ohnerachtet ihres guten Betragens gegen mich, dennoch fremd in ihrem Hause, und wenn ich dann mit dem Ausdruck herzlicher Sehnsucht wieder zu meinem Vater kam, sagte er mir mit einem tiefsinnigen Blicke: Mädchen, Mädchen! Du gewöhnst dich so ganz nur im Odem der Liebe zu leben, ich fürchte, du wirst sonst nirgends zu Hause seyn. So erreichte ich mein achtzehntes Jahr.

Es war einer der ersten schaurigten Herbstabende. Ein dichter Nebel lag in den Thälern, der Wind trieb stürmisch graue Wolken über den östlichen Himmel, und der West flammte in tiefem Purpurroth. Gelbe Blätter flogen aus den schon halbnakten Wipfeln der Bäume und flatterten an den Fenstern vorbei. Das Knistern des Feuers im Kamin versammlete den ganzen kleinen Haushalt. Alle Bilder des herannahenden Winters spielten in der ersten erwärmenden Flamme empor, und jedes Mitglied der Familie durchflog in Gedanken den Kreis seiner Geschäfte, die Freuden und Leiden, denen es in diesem Zeitraum entgegen sah.

Mein Vater saß mit jener weisen Ruhe, die des Wechsels gewohnt ist, und Jahre wie Tage gleichmüthig vor sich hinziehen sieht, in seinem Lehensessel. Er legte den Plutarch aufgeschlagen aus der Hand, weil es finster wurde, und nahm die großgedruckte Bibel vor sich, um einen Text für die nächste Sonntags-Predigt zu wählen. Rosine gieng im Zimmer auf und ab, das blank gescheuerte Geräthe aus der Küche herbeizuholen, welches ich mit zierlicher Ordnung in den Wandschrank im Hintergrunde des Zimmers aufstellte. Man zog die Thürschelle, und mein Vater rief: Agnes, mein Kind! schon war ich an der Hausthüre. Es war halb finster, doch konnt ich noch bemerken, daß eine fremde Gestalt hereintrat. Was wünschen Sie, mein Herr? fragte ich, und er erwiederte: „ich bin ein Reisender und sehr ermüdet, man kann mich im Gasthof nicht aufnehmen, darf ich hoffen, daß der Herr Pfarrer es verzeihen wird, wenn ich ihn um ein Nachtlager bitte?“

Die Stimme war einnehmend, und erregte einen sonderbaren Antheil in meinem Herzen, so daß ich die gewohnte Gastfreiheit meines Vaters, mit lebhafterm Ausdruck als gewöhnlich, verkündigte. Das wird Ihnen mein Vater mit Vergnügen geben, sagte ich, treten Sie herein. Er trug seine Bitte meinem Vater nochmals vor, dieser hieß ihn freundlich willkommen, und setzte sich wieder an seinen Tisch bei dem Fenster, um einige Gedanken aufzuzeichnen, die ihm für seine Predigt eingefallen waren. Der Fremde war ein grosser schöner Mann, seine Kleidung war sehr einfach, und deutete weder Armuth noch Reichthum an. Ich trug ihm einen Stuhl zum Kamin, und setzte mich mit meinem Strickzeug ihm gegen über. Die Flamme im Kamin warf einen hellen Schimmer auf sein Gesicht, und ich nahm feste und anmuthige Züge wahr, aus denen nicht mehr die erste Fülle der Jugend leuchtete. Rosine hatte unterdessen Licht herbeigeholt, mein Vater schrieb fort und alles war still. Ich suchte vergebens nach ein paar Worten, um eine Unterhaltung anzuknüpfen, aber nichts war mir gut genug von allem, was mir einfiel, und nie scheuete ich mich mehr, etwas unbedeutendes zu sagen, als in diesem Augenblick. Die Furcht, er möchte mein Schweigen für Unaufmerksamkeit oder für Mangel an feiner Sitte halten, machte mir es gleichwohl peinlich. Er schien keinen Anspruch auf Unterhaltung zu machen, und sah still nach dem Feuer. Zuweilen streifte sein Blick im Zimmer umher, und nur einmal ruhte er auf mir. Es war etwas unaussprechlich anziehendes in seinem dunkelbraunen Auge, mild und still fasste es die Gegenstände, aber zugleich so tiefeindringend, als möchte es das verborgenste im Herzen erspähen. Mein Strickgarn fiel zu Boden, er hob es auf und gab es mir mit gerader gutmühtiger Höflichkeit. Der Faden hatte sich um seine Hand geschlungen, sie ruhete einige Sekunden in der meinen, und ein Ring fiel von seinem Finger. Während ich den Ring aus dem Faden loswickelte, hatte ich Zeit, auf dem blauen Emaille den Nahmen Amalie zu lesen.

Der Fremde nahm ihn mit einem flüchtigen Erröthen zurück. Ob seine gebückte Stellung oder die Nähe des Feuers es verursacht hatten? oder ob der Ring lebhaftere Gefühle in ihm erregte? oder ob er den Nahmen seiner Schwester, seiner Freundin, oder seiner Frau am Finger trug? diese Fragen kreuzten sich in meinem Kopf, und neben dem bemerkte ich die feingeformte Hand, die so eben in der meinen gelegen hatte. Nun legte mein Vater ein Zeichen in seine Bibel, und nahte sich dem Kamin. Freundlich zog er mit der linken Hand sein ledernes Käpp’chen vom Haupt, reichte die Rechte dem Fremden, und hieß ihn nochmals willkommen. Sie rauchen vielleicht eine Pfeife Taback in der kalten Herbstluft? fragte mein Vater. Der Fremde winkte Beifall. Ich trug nun auch den Theetisch zum Feuer, so kam alles in Ordnung, und der kleine Zirkel näherte sich einander vertraulicher, als der blaue Dampf in leichten Gewölken umherzog, und der gute Thee balsamisch duftete. Nach ächt griechischer Sitte schritt man erst zum Gespräch, nachdem der Gast gespeist worden war.

Wahrscheinlich kommen Sie heute von A.? sagte mein Vater, Sie hatten dann eine schlimme Tagreise, es ist eine von unsern schlechtesten Strassen im Lande – „So unwegsam und holpericht die Strasse ist, erwiederte der Fremde, so mild und freundlich schienen mir die Menschen, die daran wohnen, und mit dem Tausche wäre man wohl gern zufrieden, wenn man es überall so haben könnte.“

Mein Vater. Ja brave gute Leute giebt es hier, und gibt’s überall, hoffe ich. Seit fünf und zwanzig Jahren liegt meine Welt in dem engen Zirkel von wenigen Stunden beschränkt, und wenn es mir in diesen dunkel und verwirrt scheint, so habe ich doch immer ein sicheres Mittel, wieder ins Klare zu kommen.

Der Fremde. Und welches?

Mein Vater. Ich suche mir die individuellsten Verhältnisse des Menschen, der mir grundschief und verdorben scheint, ganz bekannt zu machen. Sein Alter, Stand, Erziehung, Temperament, Vermögen, Freundschaften u. s. w. dann greife ich in meinen eigenen Busen und fürwahr vieles, vieles in seiner Handlungsweise wird mir da leichter erklärlich, was mir ausser jenen Beziehungen ungeheuer dünkte.

Der Fremde. Glauben Sie an den Saamen des Bösen in der Menschennatur?

Mein Vater. (Lächelnd.) Nicht in dem Sinn, wie Sie vielleicht meynen, mein Herr; aber ich glaube, und fühle den Saamen der Schwachheit in jeder menschlichen Brust – glaube, daß nicht jeder sich halten kann, in der schönen Freiheit der Liebe, daß er oft das begehrt, was er nicht sollte, und dadurch zum Sclaven wird, weil er aus dem Gleichgewicht seines innren Wesens heraustritt, wo der König und Herr seyn könnte.

Der Fremde. So sind wir eins! O wie freut es mich, wenn ich ein Gemüth finde, das seine Einheit bewahrte, das seine Wahrheit und Liebe lebendig erhielt! Wer in diesem schönen Kreise der Menschheit zu bleiben strebt, kann nicht irren, denn Wahrheit und Liebe sind das Wesen der Religion und Philosophie, und erhalten das Leben der gesunden starken Natur im regen Gefühl der Schönheit. Ihr seyd nun einmal die privilegirten Seelenärzte – fuhr er freundlich lächelnd fort – und mich dünkt, ich sey bey einem der bescheidensten, mithin der erfahrensten. Wie bewahrt sich die Seele am freiesten im Kampf mit dem heterogenen Stoff der Sinne, und der Verdorbenheit um sich her?

Mein Vater. Freund, vor allem möcht ich Ihnen sagen: Alle gute Gabe kommt von oben herab, vom Vater des Lichts!

Der Fremde. Und wenn es Seelen gibt, die nur die Richtung gegen das Licht kennen? – Es windet sich die eingeschlossene Blume nach der Seite, wo ihr der Lichtstrahl entgegen dringt, aber die dunklen Schranken weichen nicht, und ihre Farben bleiben matt und bleich. Was sollen diese thun?

Mein Vater. Sich des geahneten Lichtes freuen, bis das Schicksal, oder eine bis jezt ungeahnete neue Kraft in ihrem Gemüth die Schranken zerbricht. Jedes wahre innige Verlangen deutet auf die anziehende Kraft eines fernen Gegenstandes.

Der Fremde stand lebhaft von seinem Sitze auf, stellte sich dicht vor meinen Vater, sah ihm fest, aber mit unaussprechlicher Freundlichkeit ins Auge. Über meine Wangen flog eine glühende Röthe. Du wahrer Jünger deines Herrn, sagte er mit sanftgehobener Stimme, indem er meines Vaters beide Hände fasste; Du besitzest seine Milde und seinen grossen Sinn, wie lange suchte ich vergebens eine Seele, wie die Deine? Mein Vater sah innig zufrieden aus, und es war seit diesem Augenblick ein herzlicheres Verständniß zwischen uns dreyen. Welcher fein fühlende Mensch hatte nicht solche Momente, in welchen die Seele gleichsam als in ein feineres Element versezt, zärtere, innigere Beziehungen wahrnimmt, und sich leichter und fester an eine andere anzuschliessen vermag, deren Schönheit sie im reinern, erhöhteren Licht erblickt!

Rosine hatte den Tisch gedeckt, und das Abendbrod aufgetragen, welches aus unsern gewöhnlichen zwei Schüsseln bestand, und wegen des Gastes nur durch einen kleinen Nachtisch vermehrt wurde.

Mein Vater hatte die Gewohnheit in seinem Hause, daß immer ein kleiner Vorrath vorhanden seyn mußte, um einen guten Freund bewirthen zu können. Tractirt wurde nie, und kein Fremder konnte an einem ungewöhnlichen Treiben und Lärmen in Küche und Keller wahrnehmen, daß er Ungelegenheit verursachte. Ich bat mit der geringen Bewirthung vorlieb zu nehmen, und der Fremde erwiederte freundlich, es seye nichts gering, was mit solcher Güte und Anmuth gereicht werde, er habe nie einen bessern Reisbrey gegessen, und wirklich ließ er sich ihn treflich schmecken. Das Einfache, Edle in seinem Betragen rührte mich sonderbar, und ich hatte es an keinem andern Mann meiner Bekanntschaft noch bemerkt. Sein Schweigen gegen mich gefiel mir vorzüglich; mir schien es, als läge eine Art von Achtung darinnen, und als hielte er mich für eine gewöhnliche unbedeutende Unterhaltung zu gut. Oft fand ich seine Augen auf mich gerichtet, und der stille Antheil, den ich an seiner Unterhaltung mit meinem Vater nahm, schien ihm nicht zu entgehen. Das Gespräch begann sich wieder anzuknüpfen, als der junge Herr v. Salm, der Sohn unsers Guthsherrn, hereintrat. Er war eben von der Universität gekommen, um seine Eltern während den Ferien zu besuchen. So vorlaut der junge Herr auch sonst seyn mochte, so still war er in der Gesellschaft meines Vaters, der keine Plattheit, welche sich mit Prätension äuserte, ungerügt hingehen ließ. Er sah den Fremden aufmerksam an, der ihm ohngeachtet seines einfachen Anzugs zu imponiren schien. Lang trug er sich mit einer Frage, die er endlich bey einem Stillstand des Gespräches herauspolterte; denn wenn er nicht ungestraft vorlaut seyn durfte, so war er schüchtern. Auch wollte er nicht gern Fremden eine geringe Meinung von sich geben, und hub darum immer mit etwas Gelehrtem an. Darf ich fragen, mein Herr, ob Sie gute Lateiner in Ihrer Stadt an der Schule haben? Für diesesmal war ich mit seiner Frage sehr wohl zufrieden, denn ich hoffte etwas von unsers Gastes Wohnort durch sie zu erfahren. Die Antwort befriedigte mich nur halb. Ich war seit drey Jahren ausser Deutschalnd auf Reisen, Herr von Salm, und kenne also den gegenwärtigen Zustand der Schulen nicht. Er sprach nach diesem mit meinem Vater über den Nutzen, die alten Sprachen gründlich in der Jugend erlernt zu haben, und endlich kamen sie auf ihre Lieblingsschriftsteller. Es freute mich wahrzunehmen, wie sehr mein Vater das Urtheil des Fremden ehrte, und die mannigfaltige Schönheit und Anmuth zu bemerken, die sich bey regerem Interesse des Geistes in seinen Zügen entfaltete. Herr von Salm halb verlegen, und halb unmuthig, keinen Antheil an der Unterredung zu haben, sagte mir halbleise, er gienge, um seine Schwester zu mir abzuholen. Wie gern hätte ich für diesen Abend ihre Gesellschaft entbehrt! Der Fremde wandte sich gegen mich, als uns Herr von Salm verlassen hatte, und fragte mich, ob diese Familie meine einzige Gesellschaft sey, und ob ich vergnügt in dieser Einsamkeit lebte? Ich erwiederte, daß es mir nur selten einfiele, mannichfaltigern Umgang zu wünschen, und daß ich mich nie entschliessen könnte, ihn zu suchen, wenn ich die Gesellschaft meines Vaters dadurch verlieren müßte. Es kommen mir leicht Thränen ins Auge, wenn ich an die Trennung von meinem Vater dachte, weil er selbst oft mit Rührung von der unfehlbaren Trennung sprach, die uns früh oder spät, doch so sicher, drohte. Ich war diesen Abend seit der Erscheinung unsers Gastes so sonderbar gespannt, daß ich mich vergebens bemühte, meine hervordringende Thränen zurückzuhalten. Gutes Kind, sagte der Fremde lebhaft, und sah mir freundlich theilnehmend ins Auge: „halten Sie diese schönen Thränen nicht zurück – Nichts bürgt mir so sicher für die Weisheit der Eltern, und die Güte der Kinder, als wenn diese das väterliche Haus lieben.“ Mein Herz schlug heftig, und ich fühlte einen noch nie empfundenen süssen Schauer durch meine Nerven zittern, wir schwiegen alle einige Minuten, der Fremde sah starr, doch lieblich vor sich hin, endlich wandte er sich zu meinem Vater und sagte mit gemilderter Stimme: Wie glücklich sind Sie durch Ihre Tochter! „Ja ich bin es so sehr durch diese, als wäre sie es durch die Natur.“ – Der Fremde sah den Pfarrer hier fragend an, und ich selbst fühlte zum erstenmal etwas Geheimnißvolles mit meiner Existenz verbunden. Als mein Vater die Augen niederschlug, und schwieg, schlossen sich die schon zu einer Frage geöfneten Lippen des Fremden. Erndten Sie auch sichtbar Segen an Ihrer Gemeinde? Sagte er nach einigen Momenten des Nachdenkens – Ja, Gott sey Dank, antwortete mein Vater, mein Bemühen bleibt nicht fruchtlos. Es war ein wildes Völkchen, als ich herkam. Eigennützig, und diebisch aus Faulheit und Ungeschicklichkeit, und voller Streitsucht aus Unwissenheit und Mistrauen. Aber jetzt fängt es an, sich in die Ordnung zu fügen.

Der Fremde. Welcher Mittel bedienten Sie sich?

Mein Vater. Mein Herr, ich fieng es von der umgekehrten Seite an, als man es gewöhnlich treibt. Mir scheint es ein Irrthum, wenn man wähnt, man müsse mit aller Cultur sogleich beim Geistigen anfangen – ich meyne, man kommt immer zu früh daran, ehe das Leibliche in Ordnung ist, und sogenannte aufgeklärte Gesinnungen seyen nur taube Blüthen, wenn sie nicht aus dem gesunden Stamm eines ordentlichen reinlichen Lebens Nahrungssaft einsaugen. Wenn das Volk durch Arbeitsamkeit sichern Unterhalt findet, so kommt Ordnung und Sitte von selbst. Wirkliche Noth hebt alle moralische Bande auf, der Mensch, den sie drückt, ist im Zustande des Kriegs gegen die Gesellschaft. Wenn die physischen Bedürfnisse mäßig befriedigt sind, sproßt die menschliche Seele aus eigener Kraft in Gedanken auf, und die Gefühle des Rechten und Guten, des Glaubens und der Hofnung entkeimen ihren mütterlichen Boden, als starke, gesunde Gewächse. Die Erfahrungen, die ich in meinem kleinen Kreise machte, scheinen mir beweisend. Ich war so glücklich durch die Hülfe meiner vorigen Guthsherrschaft vieles für den Wohlstand dieses Dörf’chens thun zu können. Unser voriger Herr war nicht allein ein vortreflicher Landwirth, sondern er kannte auch alle Produkte und Bedürfnisse der umliegenden Gegend auf das genaueste, verstand in hohem Grad die Kunst, die Menschen zu behandeln, und sie zu seinen guten Zwecken zu lenken. Er richtete den Feldbau und alle Arbeiten seiner Unterthanen nach den Bedürfnissen der benachbarten Orte ein, so sehr es die Eigenthümlichkeiten des Bodens gestatteten. Da er das Zutrauen Aller besaß, so verband sein Geist das Ganze, und jeder Einzelne fand irgend einen Vortheil in seiner Haushaltung dadurch. Überall wußte unser Herr Zugang zur vortheilhaftesten Absetzung der überflüssigen Produkte, und so entstand nach und nach durch die Sicherheit des Erwerbs der Geist der Arbeitsamkeit und stillen Ordnung. Wenig Müssiggänger blieben in der Gemeinde, und die Gemüther bildeten sich gesund und sittlich. Im Anfang wurde der Geldbeutel ihres Herrn mehr in Anspruch genommen, als meine Seelenarzneien. Jetzt bey einem ruhigen und arbeitsamen Leben, und nach den Eindrücken, die die Jugend, mit welcher ich mich gleich anfänglich beschäftigte, empfieng – jetzt nahet sich mir der größte Theil meiner Gemeinde im ächten Gefühl edler Bedürfnisse. Die Jugend wünscht Aufklärung über manche Gegenstände des Denkens, und oft Regeln für das Leben von mir, und das Alter spricht gern von seinen Hofnungen nach dem Tode. O warum mußte uns unser treflicher Herr sobald entrissen werden – durch das traurigste Schicksal so schnell von der Segen-blühenden Saat seines wohlwollenden Herzens entrissen! Seit wann ist er gestorben? fragte der Fremde mit sichtbarer Bewegung. Ich habe nicht einmal den Trost, erwiederte mein Vater, zu wissen, daß seine Seele in ein besseres Leben hinüber gegangen ist – er lebt vielleicht noch im Elend, in trauriger Gemüthsverwirrung, in Gefangenschaft; nur Gewalt kann ihn von uns trennen, wenn er noch am Leben ist, und dieses bange Schweigen des Todes gegen Herzen, die ihn so innig liebten, verursachen. Er lebte so ganz mit seinem beßten Wesen in diesem Dörfchen, dem Kreiß seiner Wohlthätigkeit – willig hat er es nicht verlassen, es liegt eine uns undurchdringliche Nacht auf seinem Schicksal!

Die Gemüthsbewegung des Fremden stieg immer höher, und er fragte mit zitternder Stimme: Auf welche Art verschwand er? Es sind achtzehn Jahr, als unser Herr eines Morgens befahl, sein schnellstes Pferd zu satteln, er zog seine Jagdkleidung an, ritt an meinem Hause vorbey, und rief mir zu, an die Gartenthür, die etwas entfernter von der Strasse ist, zu kommen. Er reichte mir einen Beutel, und sagte: hier haben Sie einen kleinen Fond zu unsern Einrichtungen für meine Unterthanen. Es möchten vielleicht Hindernisse für unsere Plane in den nächsten Zeiten entstehen, diese Summe denke ich, soll hinreichen, sie fürs erste sicher zu stellen. – Leben Sie wohl, mein bester Freund – Er wandte das Gesicht von mir ab, aber ich hatte eine ungewöhnliche Spannung in seinem Wesen wahrgenommen, seine Hand schien zu zittern, als er mir den Beutel reichte. Die Ahnung eines Unglücks flog durch meine Seele, und als ich meine Arme nach ihm erhob, um seine Hand zu drücken, und noch ein Wort von ihm zu vernehmen, gab er dem Pferde die Sporen, und war mir Pfeilschnell aus den Augen. Noch einmal sah er sich nach mir um, und seitdem sah ich ihn nie wieder. Es sind achtzehn Jahr verstrichen, aber noch liegt jener Augenblick als gegenwärtig in meiner Seele, und nie sehe ich den kleinen Fußsteig, der in den Wald führt, ohne daß alle Schrecken seines Abschieds mich überfallen. Dort ritt er hin, und warf den lezten, gewiss schmerzlichen Blick, auf sein Eigenthum. Alle Herzen waren sein, und er in dem blühenden Mannsalter von dreyßig Jahren, mit einer Fülle der Thaten und der reinsten Liebe im Busen, mußte das alles verlassen! Die Unruhe jener ersten bangen Tage seines Verschwindens ist unaussprechlich. Ich fand die Summe von zweitausend Thalern in dem Beutel, und dieses vermehrte meine Besorgnisse, als seyen sie ein Vermächtniß, wenigstens deuteten sie eine lange Abwesenheit an. Ich kannte seine Vermögensumstände, seine Güter waren nicht Schuldenfrey, und nur durch eine sehr strenge Ökonomie in allen Ausgaben für seine Person gewann er den Überschuß, den er zum Besten seiner Unterthanen verwendete. Seit fünf Jahren, die er hier verlebte, sah ich ihn immer nach dem festen Plan handeln, seine Güter von Schulden zu befreyen, und sich durch kluge Wirthschaft eines unabhängigen Einkommens zu versichern. Die Summe von zweitausend Thalern konnte er nicht erübrigt haben, und es mußte eine fremde, gewaltsame Lage ihn nöthigen, von seinem Plan abzugehen. Oft hatte er mir gesagt, wie glücklich er durch das Gefühl sey, frey und unabhängig auf seinen Gütern zu leben, und wie kein anderes Verhältniß ihn anziehen könnte, weil ihm keines so natürlich und ehrwürdig schiene.

Die Unterthanen, welche gewohnt waren, ihren Herrn alle Sonntage bei ihren Vergnügungen zu sehen, bestürmten mich mit Fragen nach ihm, und ich mußte suchen, meine quälende Unruhe zu verbergen. Seinem Jäger und Verwalter hatte er gleichsam im Scherz, weil er eben überflüßig Geld habe, ihren Lohn auf drey Jahre voraus bezahlt. Ich schickte sie und einige meiner zuverlässigsten Bauern in der Gegend umher, aber keiner konnte ein Spur von dieses geliebten Herrn Aufenthalt entdecken. So vergiengen mehrere Wochen, die Bauern wurden immer unruhiger und drangen mit Fragen in mich. Als ich endlich sagen mußte, ich wisse eben so wenig als sie, und theile ihre Besorgnisse, entstand ein allgemeiner Jammer. Sie liefen stürmend im ganzen Schlosse umher, noch an selbigem Abend durchsuchten sie das ganze JagdRevier und alle Wälder der Gegend mit Fackeln, und behaupteten, man habe ihren geliebten Herrn ermordet, und sie müßten die Mörder ausfündig machen. Keiner wollte an seine Arbeit, biß sie ihn gefunden hätten; es war in der Erndtezeit, aber sie liefen lieber Gefahr ihren Unterhalt für das ganze Jahr zu verlieren, ehe sie sich vorwerfen wollten, nicht alles für ihren Herrn gethan zu haben. Nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen hörten sie endlich auf meine Ermahnungen, ihr Schmerz wurde stiller, und sie giengen wieder an ihre gewohnte Arbeit. Die Hofnung, welche ich ihnen machte, daß die Entfernung ihres Herrn von kurzer Dauer und freiwillig seye, weil er für sie bey seiner Abreise gesorgt habe, stellte am besten Ruhe und Ordnung wieder her. Ich selbst nährte diese süsse Täuschung, bis ich eine Reise nach S. unternahm, wo ein vertrauter Freund meines Herrn sich aufhielt. Dieser bat mich alle Nachforschungen einzustellen, er schien mit dem traurigen Geheimniß seiner Flucht bekannt zu seyn. „Sehen Sie unsern Freund als einen Todten an, er kann uns nur durch ein Wunder wiedergegeben werden, meine Pflicht erlaubt mir nicht, Ihnen mehr zu sagen.“ Diese Worte schlugen alle meine Hofnungen danieder.

Der Herr von Salm, wußte es bey der Ritterschaft durchzusetzen, daß er, als Mitbelehnter, auch die Administration des Guths erhielt; er zog nach einem Jahre ein, man fand alles im besten Stand, und keine neue Schuld im Verzeichniß angezeigt. Den Schreibtisch in unsers Herrn Kabinet fand man ganz leer, und der Jäger sagte: er habe in den lezten Tagen viele Papiere verbrannt. Nirgends konnte ich seitdem eine Spur seines Aufenthalts entdecken. Vor zwei Jahren starb sein Freund in S. und mit ihm ist meine letzte Hofnung verschwunden.

Der Fremde wurde immer bewegter, und drückte meinen Vater mit feuchten Augen die Hand, sah dann lange stumm vor sich hin, und als die Thränen von neuem seine Augen schwellten, verbarg er sein Gesicht in seinen gefalteten Händen.

So oft ich diese Geschichte auch schon gehört hatte, so hörte ich sie doch immer mit gleichem Interesse, und von Kindheit an, war es meine liebste Unterhaltung gewesen, meinem Vater von seinem verschwundenen Freund erzählen zu hören. Wenn die Ältesten des Dorfes an schönen SommerAbenden unter den Linden versammelt waren, und ich mit meinem Vater vom Spaziergang zurückkommend bey ihnen ausruhete, kam wohl einer, legte ihm traulich die Hand auf den Arm, und flüsterte ihm ins Ohr; ja unser Herr sollte wiederkommen! Mehrere kamen herbey, und man sprach von seiner Regierung und sehnte sich nach ihr zurück, wie nach der goldenen Zeit. Der lebhafte Eindruck, den diese Geschichte auf unsern Gast machte, freute mich innig. Mir war es als machte ihn dieser Antheil an einen so oft wiederkehrenden Gegenstand unserer Gespräche noch heimischer in der Familie; auch ergriff mich eine dunkle Ahnung, er seye in das geheimnißvolle Schicksal jenes so geliebten Mannes enger verflochten, als er es äussere. Es war ein bedeutendes Schweigen in dem kleinen Zirkel, unsere Herzen näherten sich einander, ohne Worte; die junge Familie von Salm unterbrach es zu meinem Verdruß. Die Fräuleins hatten ihren Sonntagsstaat angelegt, da sie von einem Fremden gehört hatten, und kamen mit zierlichen Verbeugungen und einer französischen Exklamation zur Thüre herein. Nachdem sie den Fremden steif und vornehm gegrüßt hatten, musterten sie ihn von Kopf zu Fuß mit neugierigen Augen, und flüsterten dann zusammen: ob gleich seine Kleidung nicht nach dem neuesten Schnitt sey, so habe er doch einen vornehmen Anstand. Er hatte für die Verbeugung höflich gedankt, und nach einigen flüchtigen Blicken auf die Damen, zog er sich mit meinen Vater in ein Fenster zurück. Die Fräuleins sprachen viel über ihre Reise nach S., von den vornehmen Familien mit denen sie dort Bekanntschaft zu machen dächten, und von ihrer Verwandschaft mit ihnen. Sie sprachen von diesen allen mit ungewöhnlich lauter Stimme, aber da alle Versuche, die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich zu ziehen, fehl schlugen, so flüsterten sie wieder heimlich zusammen: Es sey schwerlich ein Mann von Stande, da er keine der guten Familien dieser Gegend zu kennen schiene. Das Geflüster, welches sich die jungen Damen oft biß zu einer beleidigenden Art über einen dritten erlaubten, den sie für unbedeutend hielten, war mir unerträglich; ich schlug ein Spiel vor. Die Fräuleins, die nun einmal die Hofnung aufgegeben hatten, durch ihre glänzende Unterhaltung die Aufmerksamkeit unsers Gastes zu fesseln, überließen sich nunmehr auch ganz ihrer ungebundensten Laune, und wählten die blinde Kuh. Das nächste Zimmer wurde geöfnet, und der junge Salm mußte sich die Augen verbinden. Er that es nur nach wiederhohlten Neckereyen seiner Schwestern, da er doch noch immer eine hohe Meynung von dem Fremden hegte, und noch hoffte, seine Gelehrsamkeit in einer Lücke des Gesprächs einzuschieben. Endlich kam das Spiel in Gang, und ob ich gleich immer mit der halben Seele bey meinem Vater und dem Fremden war, so konnte ich doch nur abgetrennte Worte vernehmen. Ich hörte meinen Nahmen wiederhohlt nennen, sie sprachen eifrig, die Augen des Fremden suchten mich oft, und leuchteten mir wie ein Bliz in die Seele; bey jedem Stillstand des Gesprächs nahte er sich unserm Spiel immer mehr, und schien es mit Antheil anzusehen. Die Fräuleins blieben mit ihren hohen Absätzen, und langen Schleppen überal hängen, und liefen so ungeschickt, daß sie oft hinfielen, während ich in meinem leichten Hausanzuge, und platten Schuhen leicht forthüpfte. Es freute mich nicht wenig zu fühlen, daß die Augen unsers Gastes nur mir folgten, und zum erstenmal bemerkte ich mit Vergnügen, wenn unsere Schatten auf der weißen Wand durch einander hüpften, daß ich eine schlankere Gestalt hatte, als meine Gespielinnen. Endlich kam die Reihe an mich, die Augen zu verbinden. Ich lief ein paar Minuten im Zimmer umher, dann nach der Thür, wo mein Vater und der Fremde standen, und faßte den Lezten beym Arm, um ihn in unser Spiel zu ziehen. Ich that dieses in einem Ausbruch fröhlicher Jugendlaune, die mich leicht bey solchen Spielen ergreift, selbst meine Vater neckte ich oft so. Als ich schon des Fremden Arm gefaßt hatte, fiel mir erst ein, mich zu fragen, ob ich dieses auch hätte thun sollen? Und mein unbefangenes Gemüth wunderte sich wieder über diese Frage, da es ihren Geheimnißvollen Sinn noch nicht verstand. In dieser Verwirrung hielt ich immer den Arm fest, biß er sich von meiner Hand los machte, und meinen Leib umfaßte. Süsser Moment des Lebens, wo Sinn und Geist zuerst in der holden Himmelanstrebenden Flamme empor fliegen, wie allgegenwärtig bleibst du einem zartfühlenden Gemüth! Ich war anständig erzogen, in der höchsten Reinheit und Keuschheit des Sinns und der Einbildung; dieß war der erste Mann, gegen den ich meine volle Weiblichkeit empfand. Ich fühlte mich seit seiner Gegenwart von jenem süßen magischen Gewebe umsponnen, daß die Blicke der Liebe zu erzeugen scheinen, und in dem all unser Thun zärter, feiner und bedeutender wird. Bey seiner Berührung bebten meine Nerven, und eine hohe Heiligkeit schwebte um sein Wesen, die schauernd meinen Busen beklemmte. In diesem namenlosen süßen Gemisch der ersten Regungen des Herzens, stand ich sprachlos, und versuchte nicht der süßen Gewalt, die mich umwand, zu entfliehen. Fallen Sie nicht, liebes Kind, sagte er sanft, als ich endlich seinen Arm leise wegrückte, und umfaßte mich von neuem. Ich suchte meine tiefe Bewegung durch einen Scherz zu verbergen, und verlangte, er sollte an meine Stelle ins Spiel. Er lößte mir das Tuch um die Augen ab. Als ich ihn ansah, waren seine Blicke fest auf mich gerichtet, und eine unaussprechliche Lieblichkeit milderte ihren Ernst. Sie haben mich also gefangen Liebe; wollen Sie mich auch festhalten? sagte er mit dem zärtesten, doch halb ernsten Ton, der in der Modulation seiner klangvollen Stimme meine tiefste Seele ergriff. Er mischte sich nun auf eine lichte, fröhliche Art für einige Momente in unser Spiel, seine schöne Gestalt und die große Leichtigkeit und Grazie seiner Bewegungen entfaltete sich in vollem Reitz. Als er sich zurückzog, gab er mir die Binde zurück, und sagte: ich hätte ihn um zwanzig Jahre verjüngt, eigentlich dürfe man Amors Binde im vierzigsten nicht mehr tragen.

Er sah mich bey den letzten Worten scharf an; mir war als suchte er eine Widerlegung in meinen Blicken. Bald hernach bat er meinen Vater um die Erlaubniß, sich zur Ruhe zu legen, indem er sehr ermüdet sey, und morgen eine starke Tagreise vor sich habe. Er gieng sachte aus dem Zimmer, ohne weder mich noch die andere Gesellschaft zu grüßen.

Mein Vater folgte ihm; als er zur Thür hinaus war, ergossen sich die Fräuleins mit ihrem Bruder in tausendfache Vermuthungen und Fragen über die Erscheinung dieses Fremden. Nicht weniger drangen sie in mich, alle kleinen Umstände seiner Ankunft zu erfahren. Die Gegenwart meines Vaters machte sie etwas zurückhaltender. Er hatte einen edlen Ton in seinem Hause eingeführt, und alles unnöthige leere Geschwätz wurde so viel als möglich verbannt, weil es nur aus kleinen Gesinnungen entsteht, und sie auch wieder nährt. Der junge Selm, der doch den Werth des Geistes und der Kultur genug erkennen konnte, um große Achtung dafür zu äusern, ergoß sich in Lobeserhebungen über den Fremden. Ein vortreflicher Mann! rief er, mit jenem prätensionirten Enthusiasmus, in den Seelen von geringen Fähigkeiten leicht verfallen; in Wahrheit ein vortreflicher Mann! begann er von neuem, wie er schön und bieder spricht, welch ein Feuer in seinem Auge, und wie etwas großes und vornehmes in seinem ganzen Benehmen liegt, als stehe ihm alles an, was er zu thun gedenkt, und als sey er überal der Herr. Und durch Simplicität und Verstand Herr, sagte mein Vater, welches die beste Herrschaft ist. Die Fräuleins fielen auch ein und fanden, er habe gute Facons, und einen Tadel, der schon auf den Lippen schwebte, schienen sie nur aus Furcht vor meinem Vater zu unterdrücken. Im Ganzen schien es ihnen doch aufgefallen zu seyn, daß die wenige Aufmerksamkeit, die er der ganzen jungen Gesellschaft bezeigt hatte, nur einzig auf mich gerichtet war. Wie froh war ich, als die Gesellschaft endlich Abschied nahm, und mich meinem Herzen überließ! Mein Vater gab mir sogleich gute Nacht, und hieß mich das Frühstück gegen sieben Uhr bereiten.

Selbst meinen Vater verließ ich gern, zum erstenmal in meinem Leben. Ich ordnete das nöthigste für den morgenden Tag, und gieng in mein Zimmer. Ich sank auf einen Stuhl neben dem Bette, und überließ mich den lieblichen Bildern, die allgewaltig auf meine Seele eindrangen.

Nur der vergangene Abend lag mir vor den Sinnen, aber in welchen Zauberfarben, die mein ganzes Daseyn überglänzten, wie eine neu hervorbrechende Sonne! Mein Wesen gieng mir in einer nie empfundenen erhöhten Kraft auf, eine Welt süsser Ahnungen umfaßte mich, und statt in flacher Dämmerung, lag das Leben mit seinen Höhen und Tiefen vor meinem geistigen Auge. Ich fühlte den Kreis meines Daseyns erweitert, und ein ewig frisches, jugendlich sproßendes Leben, das alles zu besiegen vermag, erfüllte mein Herz. An die eine holde Gestalt schloß sich das alles an. Immer fühlte ich den Druck seiner Hand aufs Neue wieder, kindisch legte ich die meine auf die Gegend des Armes, die er berührt hatte, um gleichsam den Eindruck fest zu halten, und ihn in allen meinen Nerven wiedertönen zu lassen. Holdes ZauberGefühl der Liebe, wo Sinn und Geist sich in einem allgewaltigen Klang vermählen! Ich genoß diese einzigen Momente, voll und rein in allem Reiz der süssen mystischen Dämmerung, die die Freuden der Liebe im Busen eines sittsam erzogenen Mädchens umschleiert. Mich hinzugeben dem unaussprechlichen, hohen und schönen, der mir als eine Göttergestalt erschien, in ihm, durch ihn nur zu leben, zu empfinden, und das ganze Leben mit allen Blüthen des Geistes und Herzens von ihm nur zu empfangen, – alles dieses gieng mir in der Seele auf und unter, und mein Inneres zerfloß in der Gewalt und im Wechsel dieser seligen Bilder. Die Stunde der Mitternacht gieng so vorüber, und vergebens legte ich mich zum Schlummer, nachdem ich mir ein nettes, weißes Morgenkleid zurecht gelegt hatte. Holde Träume umfingen mich, und der Geliebte erschien mir in tausend Gestalten, und unter tausend verschiedenen Situationen.

Der Morgen begann – In wenigen Stunden wirst du ihn sehen, sagte ich mir – und die sonderbare Furcht, mit welcher der Mensch allem hoch und heilig geachteten begegnet, ergriff mich. Die schlaflose Nacht bewirkte auch noch physische Ermattung, mit zitternder Hand kleidete ich mich an, und schlich leise durch Rosinens Zimmer, um sie noch eine Stunde Schlaf genießen zu lassen. Kaum wagte ich zu athmen, als ich auf dem Vorsaal an der Thür des Geliebten vorbei kam. Aufs neue ergriff mich das Bild des vergangenen Abends, als ich in das Wohnzimmer trat; die Magd war noch nicht aufgestanden, es zu reinigen, und es lag und stand noch alles umher, wie ich es am Abend verlassen hatte. Ich setzte mich auf den Stuhl, wo der geliebte Mann gestern gesessen hatte. Das Morgenroth flammte in Osten, die Häupter der Berge waren verklärt, und bald von Strahlen übergoldet. Die ferne GebirgKette, und die niedern Hügel, die unser Thal eingeschlossen, schwammen im blauen Dufte des Herbstes, und das harmoniereichste Farbenspiel, belebte die liebliche Landschaft. Silbern glänzte der Fluß aus den Schatten des Ufers, die sich allgemach zerstreuten. Wie neu erschien mir diese liebe, so bekannt gewordene Gegend – Sein Bild war gemischt mit allem was mir erschien, und alles Schöne schien mir nur ein Theil seines Wesens. Die Magd trat herein, um das Zimmer zu reinigen, und nur um die Sonderbarkeit meines frühern Erwachens zu entschuldigen, berief ich sie über ihr spätes Aufstehen. Es ist so spät noch nicht, erwiederte sie, und der Fremde wird auch gerne ausruhen wollen.

Diese Worte, die ersten die ich an diesem Tage vernahm, – sie trennten mich auf einmal von meiner innern Welt freundlicher Bilder, wie die feindliche Scheere der Parzen das Leben von dem goldenen Lichte des Tages. Der Fremde! wiederholte ich bey mir selbst; das ist er, und wird es vielleicht immer für dich bleiben, und du räumtest ihm dein ganzes Herz so leicht ein. Die Thränen stürzten aus meinen Augen, und ich eilte ins Kabinet meines Vaters, welches ich alle Morgen selbst mit leisen Schritten aufräumte, um durch kein unzeitiges Geräusch seinen Morgenschlummer zu unterbrechen.

Der Vorhang innerhalb der Glasthür war verschoben, und ich sah sein Gesicht gegen die Thür gewendet. Welche Würde und heitere Stille schwebte über der reinen Stirn, deren Falten nur ruhiges Denken gezeichnet hatte – welche Lieblichkeit athmete der sanft geöfnete Mund, um den Antheil, Mitleid und sorgliche Liebe sanfte Linien gezogen! Die milde segnende Hand lag auf der Decke, und drückte sanft auf die leis athmende Brust. Diese Stille umfieng mich, und mein Busen wallte leichter und stiller. Ach für diese Beide zu leben! sagt’ ich bey mir selbst, keiner ohne den andern kann mich ganz glücklich machen! Ich vollführte mein gewöhnliches Geschäft, und gieng dann in die Küche, um das Frühstück anzuordnen.

Nachdem alle häuslichen Geschäfte geordnet waren, setzte ich mich an das Piano forte, um das Erwachen meines Vaters zu erwarten. Kaum hatte ich Naumanns Kora aufgeschlagen, und ein paar herzerhebende Akkorde aus dem schönen Chor, Geist aller Welten etc. gegriffen, so hörte ich die Thür sich hinter mir öfnen. Mein Herz schlug hoch und die Noten verwirrten sich vor meinen Augen. Es war der geliebte Mann und aller Zauber meiner Träume schwebte um seine Gestalt. Die Furcht, meine Empfindungen möchten auf meinem Gesicht ausgedrückt seyn, brachte mich in beynahe schmerzliche Verwirrung. Er grüßte mich sanft, seine Stimme schien mir noch rührender, als am vergangenen Abend. Er ließ mich nicht vom Clavier aufstehen und begleitete meine zitternden Noten mit dem reinsten vollkommensten Gesang. Ruhe strömte durch mein Wesen, die Morgenröthe flammte um uns her, und der erhabene Sinn dieser Musik füllte meine Seele, ich konnte ihn bald mit meiner Stimme begleiten, und unser Gesang floß so rein in einander, wie der Odem der Liebe. Mein Vater kam noch während des Gesangs aus seinem Kabinet, und blieb still hinter uns stehen. Als ich ausgespielt hatte, gieng der Fremde freundlich auf meinen Vater zu und fasste seine Hände. „Wir hielten unser Morgengebet; lieber Vater, möchte ich jeden Tag mit so reiner Andacht beginnen. Der stille Geist eures Hauses hat mich ergriffen, ihr seyd glücklich, euch fehlt nichts, mir fehlt auch nur eines – und vielleicht könnten Sie mirs geben – Er drückte hier des Alten Hände heftiger an seine Brust, und seine Augen fielen auf mich; ich stand bebend auf, den Stuhl ans Clavier gelehnt. Mein Vater sah ihm heiter ins Auge, und als er seine Hände nicht los ließ, sagte er sanft: „Gern, gern, wenn ichs kann!“ – Ich konnte mich nicht länger halten, schlich mich an dem Fremden vorbey, und eilte an ein Fenster auf den Vorplatz, die Thränen stürzten aus meinen Augen. Als ich mit dem Frühstük zurück kam, schien mir’s, als hätte ich die Unterredung gestöhrt, mein Vater schien sehr ernsthaft, der Fremde bewegt, und es schien eine Wolke vor seiner Stirn zu liegen. Der Ring blickte mir wieder ins Auge, indem er nachdenklich seine Tasse Caffee ausleerte, und der Name zog wie eine Last mein Herz aus der goldenen Zauberwelt zurück. Der Name ist nicht unbedeutend, sagte ich bey mir selbst, ein so feinsinniger Mann trägt kein Zeichen des Andenkens, als wenn es ihm herzlich werth ist. Ob er nur eine Schwester hat? Als er bey einer kleinen Abwesenheit meines Vaters sich mir näherte, sanft die Locken berührte, die über meine Schultern wallten, und dann mit bewegter, leiser Stimme sprach: Gutes, liebes Kind, o möcht eich etwas für Ihre Glückseligkeit thun können! dann schwoll mein Herz wieder in freundlichen Hofnungen, und der Name war vergessen. Er machte sich reisefertig, ein Schauer faßte mich, als er Hut und Stock ergriff – vielleicht seh ich ihn zum letzten Mal, sagte mir eine Unglück weissagende Stimme in meinem Innern, denn er hatte nichts geäusert über seinen Aufenthalt, noch seine übrigen Verhältnisse. Bebend stand ich, und hielt mich am Fenstergesimms, denn meine Knie fingen an zu wanken, während er von meinem Vater mit einer treuherzigen Umarmung Abschied nahm. Nun nahte er sich mir, schlang sanft den einen Arm um meinen Leib, und drückte seine Lippen auf meine glühende Wange – vergessen Sie mich nicht – sprach er mit holder Stimme, und kaum konnte ich die hervorstürzende Thränen zurückhalten. Schon war er an der Thür, und sah noch einmal auf mich zurück, als wir das Rollen eines ankommenden Wagens vernahmen. Er warf einen Blick aus dem Fenster, und befahl dem Kutscher zu halten, er würde augenblicklich einsteigen, aber eine Dame rief ihm aus dem Kutschenfenster zu, sie wünsche hier eine halbe Stunde auszuruhn. Er erwiederte, sie hätten wenig Zeit zu verlieren, aber sie war schon beym Aussteigen, ehe sie seine Antwort ganz vernommen hatte, und mein Vater war an die Thür geeilt, sie zu empfangen.

Der Empfang der Dame ließ mir keine Zeit, mich meinen Empfindungen zu überlassen, aber ich war in der disharmonischsten Stimmung. Freude über die aufgeschobene Abreise, und diese neue Erscheinung, die sich so schnell zwischen meinen Freund und mich drängte, kämpften in meinem Busen. Sein Betragen schien mir gezwungener, seit sie unter uns war, und sein ganzes Wesen drückte doch Achtung und Neigung für sie aus. Ihre Züge waren schön, aber sie versprachen mehr Verstand, als Gefühl. Der Firniß der feinen Welt, der über ihr Betragen gezogen war, entfernte mich, ohne mir zu misfallen. Sie begegnete mir auch nur mit jener, Menschen von feinen Sitten mechanisch gewordenen Gefälligkeit. Ihre Entfernung, mein liebster Freund, hat mir Sorgen gemacht, sagte sie halb laut in französischer Sprache, ich fürchtete, es wäre Ihnen ein Unfall begegnet. Er dankte mit einer Beugung des Kopfes für ihre Theilnahme und wandte sich dann gegen uns. – Ich habe in dieser liebenswürdigen Gesellschaft einen der glücklichsten Abende meines Lebens zugebracht, und wünschte, Sie hätten ihn mit mir genossen. Die Dame sah mich scharf an, und zeigte mir nach dieser Äuserung mehr Aufmerksamkeit. Nicht ein Wort entfiel, aus welchem mir ihr gegenseitiges Verhältniß hätte klar werden können. Es schien mir grosse Vertraulichkeit zwischen ihnen zu herrschen, vergebens wünschte ich den Namen Schwester zu hören, und ich wagte es nicht, auszudenken, daß sie vielleicht verheurathet seyn könnten. Als ich nach einem kleinen Geschäft ins Zimmer zurückkam, fühlte ich, daß man von mir gesprochen hatte. Die Dame bat mich, neben ihr zu sitzen, nahm meine Hand, freute sich, mich so unvermuthet kennen zu lernen, und hoffte, wir würden uns bald und öfters wiedersehen, um uns näher zu kennen. Sein Auge war mit innigem Wohlgefallen auf uns geheftet. Ich fing an die Dame als ein Band zwischen ihm und mir anzusehen, dieses gab vielleicht meinem Betragen gegen sie die Farbe der Neigung. Ach, ihn zu sehen, in seinem Kreise zu athmen, wie viel schien mir dieses in dem Augenblick der Trennung! Die Dame sprach viel und scharfsinnig mit meinem Vater über Literatur, fremde Länder und Sitten. Wie interessant könnte mir ihr Umgang seyn, wenn sie die Schwester des geliebten Mannes wäre! Zum zweitenmal kam der Moment des Abschiedes, aber die Lage war verändert. Die Reinheit der ersten ungemischten Empfindung war durch die Dazwischenkunft der Dame mit mehreren kleinen Leidenschaften gefärbt. Am mächtigsten wirkte der Stolz, die tiefen Bewegungen meines Herzens den Augen eines scharfbeobachtenden Weibes verbergen zu wollen. Ich folgte der Gesellschaft mit einer sonderbaren Dumpfheit des Sinnes an den Wagen. Wir werden uns wieder sehen, mein bestes Kind, sagte die Dame, als sie ich beym Abschied umarmte; Ihr guter Vater hat es mir zugesagt. Der Geliebte drückte noch einmal schweigend meine Hand an seine Lippen, er sagte kein Wort, das Hofnung des nahen Wiedersehens zeigte. Lieber Vater, sagte er noch mit einem Blick stiller Liebe zu uns, man steigt vom Himmel auf die Erde, wenn man von Ihnen scheidet, geben sie mir Ihren Segen! Aber wie schmerzlich bebte mein Busen, als er sich gegen die Dame mit den Worten wendete: „liebe Amalie, nicht wahr, Sie fühlten es mit mir, daß man dieses Gastfreundliche Haus nur ungern verlassen kann?“ Das ist also diese Amalie, sagte ich bey mir selbst. Ach ein glückliches, glückliches Weib, so an der Seite des liebenswürdigsten Mannes durch die offene schöne Welt zu fliegen! Süstes Geschäft für ihn zu sorgen, und wieder die zarte Sorge seiner Liebe zu seyn! Mein Vater blieb Gedankenvoll neben mir stehen, bis das Rasseln des Wagens in der weiten Ferne verstummte, fasste dann meine Hand und hieß mich einige Stunden ruhen. Ich zitterte bey seiner Berührung. Der Gedanke, mit ihm allein zu seyn, mit ihm, in dessen Gegenwart kein Geheimniß in meiner Seele bleiben konnte, ergriff mich, und in schmerzlicher Bewegung sank ich weinend an seine Brust. Mein gutes, gutes Kind, sagte er mit tröstender, weicher Stimme, du bedarfst der Ruhe sehr, suche einige Stunden Schlummer zu finden, deine Nerven sind verspannt; du findest mich im Garten. Vergebens suchte ich dem Rath meines Vaters zu folgen; der Schlaf floh mein bewegtes Gemüth. Ich gieng an meine Hausgeschäfte, und das liebste war mir, das Zimmer des Fremden wieder in Ordnung zu bringen. Mein Vater war still und nachdenkend beym Mittagessen, aber voll zarter Theilnahme gegen mich. Als ich mich nach Tische wieder entfernen wollte, hieß er mich ihn in den Garten begleiten.

Wir sassen an einem kleinen Hügel, von dem wir die freie Aussicht in ein enges Thal hatten, wo zwischen dunkeln Fichten ein Waldstrom hinbraußte. Er zog seinen Homer aus der Tasche und las die rührende Klage Andromache’s. Das Gefühl meines eigenen Leidens floh, mein ganzes Wesen war von Andromaches Schmerz durchwühlt, und als der Zauber der hohen Dichtung von mir wich, war meine Seele wie rein gebadet durch einen Strom des erhöheten Lebens.

Ich liebte, aber ich liebte reiner, meine Sehnsucht war still und lieblich. Das Bild des Geliebten lag in meiner ruhigen Brust in all seiner Schönheit einfach und groß, wie der Mond auf der Fläche des ruhigen Sees. So hörte die Liebe auf, eine Krankheit für mich zu seyn. Die Tage der Woche giengen in dem gewohnten Zirkel einfacher Beschäftigungen hin. Alles hatte seine Zeit und Stunde, aber alles war so weise vertheilt, daß jedes pedantisch lästige Ansehn dabey vermieden war. Wer die Wohlthat des einförmigen Lebens nie empfunden hat, der sieht nur Langeweile dabey, aber wer es gekannt hat, wie die Seele nach Zerstreuungen und Weltgefühl ihr besseres Ich in einer thätigen Einsamkeit wieder findet, wie sie sich endlich der äusern Stille und Ordnung anschmiegt, und sie in sich einsaugt, der wird vielleicht diese Lebensweise die glücklichste nennen.

So verwebte sich das Bild meines Freundes mit allen meinen Beschäftigungen, aber sanft waren die Wallungen des Verlangens in meinem Busen, und zart die Sehnsucht. Mein Vater war noch sorgsamer und zärtlicher gegen mich als gewöhnlich, wenigstens schien seine Aufmerksamkeit noch ununterbrochener auf mich gerichtet zu seyn. Rührend war mir sein Schweigen über die neuen Bewegungen meines Herzens. Er fühlte sie tief, aber mit zarter Schonung vermied er jedes Wort, das eine Erklärung hätte herbeyführen können. Solche Momente des Schweigens erzeugen Jahre der Freundschaft, die Seelen scheinen sich inniger zu nähern, als bedürften sie schon der Worte nicht mehr. Aber dieses Schweigen, von der einen Seite so werth und meinem wunden Gemüth so wohlthätig, dünkte mir von der andern auch ein Beweiß zu seyn, daß meine Liebe hofnungslos sey.

Ach diese Amalie ist sein Weib! sagte mir oft eine Stimme im Innern, aber eine andere widerlegte die erste. Nein er würde sich nicht erlaubt haben, dir mit solcher Herzlichkeit zu begegnen. Lag nicht in seiner Rede der ganze Sinn, daß er mich zu besitzen wünsche? So gern gab mein hoffendes Herz der zweiten Gehör!

In Rosinens Betragen war eine sonderbare Feierlichkeit. Nach meines Vaters Beispiel war auch zwischen ihr und mir alles unnütze Geschwätz verbannt, und wir respectirten uns gegenseitig zu sehr, um daß wir nicht hätten wünschen sollen, uns immer nur etwas Passendes und Vernünftiges zu sagen. Rosine, die noch mit der alten Gewohnheit der Schwatzhaftigkeit zu kämpfen hatte, und die sich überdem bey mir, ihrem Zögling, der dankbarsten Achtung so gewiß hielt, überließ sich doch zuweilen in der Abwesenheit meines Vaters ihrer geschwätzigen Laune. Jezt wartete ich seit mehrern Tagen vergebens auf ein Wort über die neue Begebenheit, die sie in einem so einförmigen Leben nothwendig frappirt haben mußte. So gern hätte ich den geliebten Namen von irgend einem lebendigen Wesen aussprechen hören. Es wäre mir ein Zeugniß der Wirklichkeit für die ganze Scene gewesen, die oft als ein leichter Traum aus meiner Seele zu entfliehen drohte.

Mehrere Tage verstrichen ohne Nachricht von dem Fremden. Mit neugieriger Eile nahm ich alle ankommende Briefe in Empfang, und besahe alle Aufschriften und Siegel genau, denn ich kannte den ganzen CorrespondentenCirkel meines Vaters. Am fünften Posttage endlich erschien ein Brief mit grossem unbekannten Siegel, mit zitternder Hand reichte ich ihn meinem Vater beym Aufstehen, und vergaß vor glühender Ungeduld das Frühstück herbeyzuholen. Der Alte besah Aufschrift und Siegel, legte den Brief langsam auseinander, und setzte sich zum ruhigen Lesen. Ich kannte alle feinen Falten auf dem stillen Gesicht meines Vaters, mit Zittern nahm ich die Wirkung wahr, welche der Innhalt dieser Zeilen auf ihn machte, ein gewisses Staunen, in dem noch etwas Freudiges lag, das aber bald in eine Wolke des Schmerzens vor seiner Stirne verschwand. Meine Unruhe wuchs, als er den Brief hastig einsteckte, und mit einer ruhig seyn sollenden Miene nach dem Frühstück fragte. Der Tag verstrich, als wenn eine Gewitterschwere Luft den Athem presst; die gewohnten Geschäfte wurden gethan, aber die Gedankenschwere Stirn des Hausvaters verbreitete Düsterheit über alles.

Nach einem einsamen Spatziergang fand mich mein Vater bey seiner Zurückkunft allein im Zimmer, ich fühlte mich gedrückt, da er den ganzen Tag vermieden hatte, mit mir allein zu seyn, und hielt schon die Thürklinge in der Hand, mich zu entfernen. Bleib mein Kind! rief er mir zu, ich habe dir sehr wichtige Dinge zu sagen, die mir das Herz pressen, und die ich nur mit Geduld und Glauben an die ewige Güte mit Ruhe ertragen werde – die Zeit ist gekommen, wir müssen uns trennen. Ich flog mit einem lauten Schrey an seinen Hals, seine Thränen träufelten auf meine Wangen, und wir hielten uns sprachlos umschlossen. Nachdem unser Schmerz sich gemildert hatte, fuhr er mit zitternder Stimme fort: Die Vorsicht hat mir deine Bildung anvertraut, mein bestes einziges Kind, und ich fand das süsseste Geschäft meines Lebens darinnen. Gott hat mich nicht reich gemacht, aber ich machte mir es zur Pflicht, von meinem kleinen Einkommen jährlich so viel zurückzulegen, daß du nach meinem Tod für Mangel und Abhängigkeit sicher seyn könntest. Meine einzige Sorge war, wo du leben würdest? Unter dem Zirkel unserer bisherigen Bekannten war niemand, dem ich dich mit ruhigem Gemüth hätte anvertrauen können. Meine Freunde sind zu weit entfernt, und alle in Familienverhältnissen, die für dich nicht taugen. Wir müssen uns nach einem Zufluchtsort für dich nach meinem Tode umsehen – Stille deine Thränen – einem siebenzigjährigen Mann muß der Tod so bekannt seyn, als der Schlaf, und wir finden uns ja wieder beym Erwachen! Ein heiterer Strahl fiel aus seinem Auge in meine Seele, und das Leben schwand vor mir hin als eine Wolke, mit seinen Freuden und seiner Noth; ich blickte gelassen zu meinem Vater und zum Himmel auf.

So sehr ich durch deine Entfernung leiden werde, mein bestes Kind, fuhr mein Vater fort, so danke ich doch der Vorsicht für den Wink zu einem künftigen Aufenthalt für dich. Bey Menschen, die meine Achtung verdienen, und die durch Geisteskultur und feine Sitten dein Leben anmuthig und glücklich machen können. Die Dame, welche jüngst bey uns war, ist die Gräfin von Wildenfels. Ihr Äuseres verspricht Feinheit und Bildung, aber ich kenne auch ihren Character durch einen meiner vertrauten Freunde, und ich kann dich ohne Sorge ihrer Führung anvertrauen. Sie wünscht dich für den nächsten Winter zu ihrer Gesellschafterin, und will aus besonderm Antheil, welchen sie an dir nimmt, noch einige kleine Talente dir erwerben helfen, die du an unserm einsamen Aufenthalt entbehren würdest. Bist du mit der Gräfin und der neuen Lebensart zufrieden, so wird sie dich gern immer um sich haben. Sie wohnt für jetzt in D**. „Ich werde ihn wiedersehen!“ war mein erstes Gefühl bey den Worten meines Vaters, aber die lieblichen Hofnungen, welche bey diesem Gedanken meinen Busen füllten, wurden bald von dem schmerzlichen Gefühl der Trennung verscheucht. „Du versuchst die neue Lage für ein halbes Jahr, sagte mir mein Vater, als er meinen tiefen Schmerz wahrnahm, misfällt sie dir ganz, so kehrst du zu mir zurück, schliessest meine Augen, und ich empfehle dich unserm himmlischen Vater. Aber ich kann nicht wünschen, den Sonnenschein weniger Tage für mich durch den Frieden deines künftigen Lebens zu erkaufen. Wende alles an, um dein Gemüth zu der neuen Welt gefällig zu stimmen, in welche du eintreten wirst.“ Schon in drey Tagen wollte mich die Gräfin durch ihre Kammerfrau abholen lassen. Meine Seele zerfloß in schmerzlichen Gefühlen. Alle Freuden einer glücklichen Kindheit, alle einsam genossene Stunden der erwachenden Jugendfantasie giengen in den Tagen der Trennung wieder auf, und drängten sich fester an mein Gemüth. Ich gieng durch das Dorf und empfieng mit gerührtem Herzen den treugemeinten Segenswunsch der guten Landleute; mein Vater, welcher den Verständigsten unter seiner Gemeinde gern Rechenschaft von seinem Thun und Lassen gab, hatte auch über meine Reise mit ihnen gesprochen, und ihnen gesagt, daß er sich um einen Aufenthalt für mich nach seinem Tode umsehen müßte. Einige der Wohlhabendsten drangen mit Bitten in ihn, für die Zukunft nicht zu sorgen, und wollten mich durchaus zwingen, Geschenke anzunehmen, die für ihre Umstände ansehnlich waren. In jedem Abschied, den ich nehmen mußte, fühlte ich schon den allerschmerzlichsten, den von meinem Vater.

Die Salmische Familie empfing meinen AbschiedsBesuch mit ungewöhnlicher Feierlichkeit. Ich umarme Sie vielleicht als eine große Dame, wenn wir uns wieder sehen, sagte mir die älteste Fräulein beym Abschied. Ich achtete nicht mehr auf ihre Rede, als wie auf einen gewöhnlichen Mädchenscherz, und erzählte sie in diesem Tone Rosine. Die gute Alte sah mich einige Minuten lang forschend an, führte mich mit geheimnißvollen Schweigen in ihr Kabinet, und verschloß die Thüre hinter uns. Sie drückte mich an ihre Brust, bedeckte mein Gesicht mit Küssen und Thränen, und rief aus „du bist unschuldig bestes Kind, Gott sey Dank, du bist unschuldig – Ach ich war so traurig, ich wähnte, du wüsstest um den HeurathsAntrag des Fremden, und fürchtete deine Liebe und dein Vertrauen verlohren zu haben, weil du mir nicht ein Wort darüber sagtest. Jetzt sehe ich, daß ich dir Unrecht that. Schweigen könntest du gegen mich, aber Dich verstellen und die Unwissende spielen, das kann mein aufrichtiges gutes Mädchen nicht.“ Von was schwazest du Mütterchen? erwiederte ich, indem ich sie mit großen Augen anstarrte. Liebes Kind, du sollst alles wissen, aber schweigen mußt du, selbst gegen deinen Vater, so hart es dir auch ankommen mag. Nein, ich begreife deinen Vater nicht, so sehr ich auch sonst alles recht gethan finde, was er thut – mir mag ers verzeihen, daß ich meiner Agnes alles entdecke. Entsinnest du dich jenes Morgens, Liebe, als jener fremde schöne Mann bey uns war? Du verliessest einmal schnell das Zimmer, und er blieb allein mit deinem Vater, da war ich in dem Seitenkabinet. Du weißt, es ist nur durch eine Bretterwand von dem großen Zimmer geschieden, und ich verstand alle Worte die gesprochen wurden. Da die Rede von dir war, half mein Herz meinem Gedächtniß, mir entfiel nicht eine Silbe der Unterredung. Liebliches Geschöpf! rief der Fremde aus, als du die Thür geschlossen hattest – O daß diese Wahrheit und Reinheit in deinem Wesen nie verfälscht werden möchte, ich wäre dann der glücklichste Mann, dich gefunden zu haben! Mein Vater, unsere Gemüther sind eins in der Liebe der Wahrheit, unter uns braucht es keine Umschweife, Sie sollen mich ganz kennen, ich will Ihre Tochter ganz kennen, und ist alles, wie ich mirs denke, wie Sie es wünschen, dann bitte ich aus voller Seele, Vater gieb sie mir zum Weibe! und ich gelobe es Ihnen, sie soll ein glückliches Weib werden.

Sie kann sich nur selbst geben, sagte der Pfarrer. Du seyest seine Tochter nicht. Wessen Tochter sie ist, gilt mir gleich, erwiederte der Fremde. Ich besitze die Eigenschaften, die die Väter meist bey einer Heurath für ihre Töchter suchen, ich bin reich, und von hoher Geburt. Aber wenn der Vater ihres Geistes mich werth findet, durch das holde Wesen glücklich zu werden, dann werde ich dreyfach glücklich seyn. Ich frage nach nichts was ihr äuseres Verhältniß betrift, weil ich unabhängig bin, aber Sie werden einen sonderbaren Mann finden, der Ihnen seine Seel öfnen wird – ich schreibe Ihnen. Meine Adresse ist: Baron von Nordheim in D**. Über die äusere Existenz des lieben Kindes haben Sie keine Sorge von heut an. Kann sie mein Weib nicht werden, so schenk ich ihr ein Vermögen, das sie unabhängig macht; aber sie muß kein Wort von meinem Plane wissen. Ihre Güte rührt mich tief, sagte dein Vater. Tröstend wäre es mir, meine Agnes als Weib eines edlen Mannes auf der Welt zurück zulassen; ihre Geburt ist mir selbst noch ein unergründliches Geheimniß, und selbst meine Ahnungen darüber muß ich in meinen Busen verschließen. Alles was ich sagen kann, ist …“ – Du tratest wieder herein mein Kind. Wunderbar, klar und leicht wurde mir bey dieser Erzählung. Sein Weib, das liebenswürdigen Mannes nächstes innigstes Verhältniß! ich dachte es mit stillem Entzücken. Doch schämte ich mich beinahe bei meinem Vater, etwas gegen seinen Willen erfahren zu haben, und die peinliche Empfindung, ihm etwas verbergen zu müssen, ließ mich mit mehrerer Ruhe an die Trennung von ihm denken.

Der Tag des Abschieds brach an, alle namenlose Liebe, die ich empfangen hatte, füllte einzig meine Seele, sprachlos lag ich zu den Füssen meines Vaters, als der Wagen vorfuhr. Er wollte mich trösten, aber Thränen erstickten seine Worte, Gott segne dich in Zeit und Ewigkeit meine Tochter! rief er mit zitternder Stimme. Endlich schieden wir beide in jener stillen Erhebung der Seele, welche nur der tiefern Empfindung eigen ist.

Meine Begleiterin war ein gutes harmloses Geschöpf, das mir meine neue Lage mit den glänzendsten Farben vorzumahlen strebte. Zum erstenmal dachte ich jetzt über meine Geburt und den Stand meiner Eltern nach. Ich fand mich fremd und allein in der Welt, da ich aus den Augen meines Vaters war. Das Gefühl war mir schmerzlich, und ich ermunterte mein Gemüth nur in dem Bestreben, sich selbst gleich zu bleiben, und keiner äusern Lage Gewalt über mich einzuräumen. Ernstlich nahm ich mir vor meinen ganzen Sinn nur auf die Ausbildung der Talente zu richten, die ich jetzt erwerben könnte, und die meine Einsamkeit beschäftigen, und meine Unabhängigkeit in jeder Periode des Lebens mir versichern sollten. Reizend dachte ich mir es, durch eine feine Malerey eine Summe zu erwerben, und dann meinen Vater unvermuthet mit einem Buche, welches er sich längst gewünscht hatte, zu überraschen. Ach ich wußte daß er sich manches versagte, um mir irgend ein kleines Geschenk zu machen!

Die Neigung welche mein Herz füllte, war zu rein, als daß ich sie mit einer Aussicht auf äuseres Glück hätte verknüpfen sollen. Wenn ich den geliebten Mann dachte, lagen alle Verhältniße unter mir, so wie einer gläubigen Seele in dem Gedanken des Himmels alles irrdische entschwindet.

Den zweiten Tag meiner Reise hielt ich Mittag in N**. Die Kälte nöthigte uns in der Wirthsstube zu bleiben, bis ein besonders Zimmer erwärmt wurde. Mehrere Reisende befanden sich darinnen. Auser den gewöhnlichen Fragen und Gesprächen, nahm niemand aus der Gesellschaft besondern Antheil an mir. Ein Mann saß nachdenklich am Feuer; als er mich erblickte, stand er auf und sah mich einige Minuten hindurch scharf an. Wohin geht Ihre Reise, mein schönes Kind? redete er mich an, und als ich erwiederte „nach D**“ schüttelte er den Kopf einigemal bedeutend, und murmelte: so jung, so schön! zwischen den Zähnen. Er war ein Mann von mehr als mittlerer Größe, er trug einen dunkelblauen abgetragenen Überrock, seine schwarzen Haare hingen zerstreut ums Haupt, und seine düstern Augen blickten scharf unter der hochgewölbten Stirne hervor. Seine Wäsche war sehr fein und reinlich. Er zog eine Schreibtafel hervor, bat mich um meinen Namen und um den Ort meines Aufenthalts. Dann bat er mich, mich in ein günstiges Licht zu setzen, weil er mein Portrait zu zeichnen wünsche.

Sein Benehmen dünkte mir sonderbar, aber es war von solch einer Unbefangenheit begleitet, daß man ihm seine Bitten nicht wohl versagen konnte. Sie sind unter einem glücklichen Zeichen gebohren, rief er aus, nachdem er einige Linien gezogen hatte. Es ist nichts Streitendes in den Elementen deines Wesens, holdes Geschöpf! O ermüde nicht, diese holde Einheit durch das innigste Streben deines Gemüthes zu erhalten! Deine ganze Tugend ist das zu bleiben, wozu die Natur dich machte. Dieses klare, blaue Auge, vermag die Wahrheit vom Irrthum zu scheiden, und unter dem freien Gewölbe dieser Stirn entwickeln sich die Gedanken rein und zart. Wie fein ründet sich das Näschen, noch schwankend, ob es sich mehr zur Vorsichtigkeit und Klugheit, oder zur gutmüthigen, beynahe leichtsinnigen Hingebung formen wird. Aber den Übergang von der Nase zur Lippe, den hat ein guter Engel mit dem Finger der Liebe gezeichnet. Der Mund ist fest und unverstellt; er sprach nur Wahrheit und Liebe. Gutes Mädchen, o laß diene unentweihte Lippen nie etwas anders reden! Gott gebe dir eine glückliche Liebe, und du kannst ein vollkommenes Weib werden. Er arbeitete während dieser Rede, die er ganz als einen Monolog zu betrachten schien, an seiner Zeichnung fort. Als er die Hauptzüge entworfen hatte, hielt er mir das Blatt vor die Augen, und sagte mit einem feierlichen Ton: „So sind Sie jetzt, die Fülle Der Jugend muß von der Zeit verweht werden, aber möge nach dreyßig Jahren derselbe reine Geist diese Formen durchathmen. Sähe ich Sie wieder und zum gemeinen Weibe gesunken, dann soll dieses Blatt Ihr strafender Richter seyn. Sollte in diesen geradblickenden treuen Augen je Koquetterie spielen, der Liebeathmende Mund sich flach und falsch hin und her ziehen – O ich sah schon mehr solche gefallene Engel! Wie ein armer Landmann auf einem vom Hagel zerschlagenen Acker, den vor wenig Stunden noch eine blühende Saat schmückte, so gieng ich oft unter den Ruinen der Menschheit. Mädchen, rief er aus, indem er mir freundlich die Hand bot, mache mir die Freude, ein reines einfaches Weib zu bleiben, dem Wahrheit und Liebe über alles geht.

Das ganze eigene Wesen dieses Mannes hatte mich bewegt. Es war eine solche Wahrheit in seinem Ton und seiner Miene, daß alles Karrikaturmäßige aus seinem sonderbaren Benehmen verschwand. Werde ich Sie bald wieder sehen? fragte ich mit einem herzlichen Antheil, der seinem Auge nicht entgieng. Gutes Kind, ich weiß selten, was ich thun werde. Meine Zeit ist nicht mein, und mein Wirken folgt dem grossen Laufe der Begebenheiten, deren tausendfache Räder auch mein Individuum forttreiben. Ich beobachte Sie vielleicht im Stillen und Ihnen unsichtbar, dann, wann Sie es am wenigsten vermuthen. Vielleicht auch verlange ich einmal als Maler Zutritt bey Ihnen. Sie sind der Kunst hold, üben Sie sie fleissig, gleich der Stimme eines treuen weisen Freundes bringt sie Klarheit und Frieden in die Seele. Er führte mich an den Wagen, und legte ein aufgerolltes Gemählde mir gegenüber. „Nehmen Sie dieses als ein kleines Andenken. Es sey ein Talisman, sagte er lächelnd, den Sie in Stunden der Liebe vor Augen haben; dann denken Sie noch liebes Mädchen, daß Sie eine glückliche Mutter werden wollen.“ Ohne meinen Dank anzuhören, war er mir aus den Augen, und ich erstaunte, als ich die Leinwand aufrollte, eine trefliche Kopie von Raphaels Madonna della Sedia zu finden.

Den nächsten Tag kam ich in D** an. Es war Abend, als ich bey dem Hause der Gräfin vorfuhr. Eine lange Reihe von Zimmer war erleuchtet, man sagte mir, eine grosse Gesellschaft sey bey ihr versammelt, und sie habe befohlen, mich in ihr Kabinet zu führen. Nach wenigen Momenten erschien sie selbst, in einem sehr glänzenden Putz, der meinem Willkommen etwas Feierlicheres gab, als ich wollte; da ich mich in die Stimmung, ihr mit Liebe und Offenheit zu begegnen, versetzt hatte. „Ich fühle, wie viel Sie mir durch die Trennung von Ihrem Vater aufopfern, mein bestes Kind, redete sie mich nach einer Umarmung an. Ich werde alles anwenden, Ihren Verlust erträglicher zu machen; wenn Sie mich zufrieden mit sich sehen wollen, so sagen Sie mir mit der Offenherzigkeit einer Freundin alle Ihre Wünsche. Ich muß Sie jezt für ein paar Stunden verlassen, ich konnte die Gesellschaft heute nicht los werden. Sehen Sie sich in meinen Zimmern unter meinen Büchern und Kupferstichen um, wenn es Ihnen Freude macht. Hernach wird meine Kammerfrau Sie ankleiden, und ich hole Sie zum Nachtessen ab. Sie verzeihen, daß ich mir die Freude mache, Sie diesen Abend nach meinem Geschmack gepuzt zu sehen. Ich hatte es schon bemerkt bey unserer ersten momentanen Bekanntschaft, daß Sie von meiner Taille sind, und ließ Ihnen ein Kleid nach dem neusten Schnitt machen. Wir müssen es mit den alten Kindern, die man in den grössern Zirkeln so häufig antrift, nicht verderben, setze sie lächelnd hinzu, und verließ mich.

Ich gieng in den Zimmern umher, und die Geschmackvolle Pracht, die ich überall erblickte, machte einen gefälligen Eindruck auf mich. Meine Fantasie ward reger, und ich dachte mich in den mannichfaltigen Situationen, die mich vielleicht in diesem Hause erwarteten. Das Schlafzimmer der Gräfin war am meisten nach meinem Geschmack. Alle Formen waren angenehm beruhigend, und die hellgrüne Seide der Umhänge, flog als ein leichtes Gewölk in den mahlerischsten Falten um das Ruhebette und die Fenster. Eine schöne antike Lampe war in der Mitte des Platfonds durch goldene Ketten befestigt, und goß ein mildes Licht auf alle Gegenstände umher. Zwischen den Fenstern, gerade dem Ruhebette gegenüber, wallte ein seidener Vorhang herab über ein Gemählde. Ich hob ihn auf und fand – das Bild Nordheims in schöner geistvoller Wahrheit. Ach es schien mir jezt nur ein Augenblick, seit er mich verließ! Der holde Zauber seiner Gegenwart bebte durch meine Sinne, gleich der wiederkehrenden Frühlingssonne durch die Nerven eines Kranken. Alle Nebel waren verschwunden, er war wieder mein, und Sonnenschein und freundliches Daseyn umglänzten mich. Bald schwand die liebliche Magie; ich betrachtete das Bild. Er war in Lebensgrösse gemahlt, vor einer Herme stehend, welche die Büste der Gräfin vorstellte, die eine Hand ruhte auf dem Marmor, und das Haupt war etwas gesenkt, gleich als wär er in Betrachtung verlohren.

Welch ein inniges Verhältniß muß er zu dieser Amalie haben? Sein anders Portrait ist in diesem Zimmer, gleich als sey es ein Heiligthum der Liebe, nur für diesen Einen bereitet! Die Gräfin stand neben mir, ohne daß ich sie wahrgenommen hatte. Ihre grossen forschenden Augen waren fest auf mich gerichtet. Sie schien meine Verlegenheit nicht bemerken zu wollen und sagte mit einem leichten Ton: Sie werden das Bild vortreflich gemahlt und getroffen finden! Ich pflege es sonst immer so für dem Staub zu bewahren, sie drückte an einer Feder, und ein Feld der Tapete bedeckte das Gemählde. Sie schob ein kleines Ruhebette unter die Vorhänge und führte mich aus dem Zimmer. Eine Wolke schien mir vor ihrer Stirn zu schweben, und ihr Betragen etwas minder herzlich zu seyn, doch sagte sie freundlich: „Ich werde Sie nun in die, für Sie bereiteten, Zimmer führen, Sie bewohnen sie, so lang es Ihnen gefällt; ich werde meine liebe kleine Gesellschafterin immer zu früh verliehren, und alle Künste anwenden, um sie zu fesseln. Vielleicht hilft mir ein gewisser Geist, den magischen Kreis um sie zu ziehen.“

Ich hatte ein Besuchzimmer, ein Schlafzimmer und ein Ankleidzimmer, alle drey waren anmuthig geschmückt, und mit allen Bequemlichkeiten versehen. Ich mußte mich ohngeachtet alles Widerstrebens, von der Kammerfrau ankleiden lassen, und als ich fertig war, führte mich die Gräfin zur Gesellschaft. „Sie waren vielleicht noch nie in so einem grossen Zirkel, als der ist, in den ich Sie heut einführe, sagte mir, während wir über die lange Gallerie giengen. Ihr feiner Sinn wird Sie in jeder Lage ein passendes schönes Betragen finden lassen. Die Kunst der grossen Zirkel, liebes Kind, ist übrigens die der Unbedeutenheit.“ Die Gesellschaft saß gröstentheils beym Spiel, die Gräfin präsentirte mich an einigen Tischen unter dem Namen der Fräulein von Lilien. Lilien war der Name meines Vaters, nach welchem ich mich immer mit Freude und Stolz nennen hörte, aber die Fräulein fiel mir auf, es war mir widrig, mich mit fremden Federn zu schmücken, und mein Stolz konnte sich zu keinem Schein bequemen. Für jetzt mußte ichs schon schweigend hingehen lassen. Man that ein paar leere Fragen an mich, auf die ich eben so flache Antworten gab. Die Gräfin hieß mich zu ihrer Parthie hinsitzen, und begegnete mir mit der gefälligsten Achtung, die bald die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich zog. Nach geendigtem Spiel glaubte mir jeder etwas sagen zu müssen, und Fragen nach meinem vorhergehenden Aufenthalt, nach meiner Reise, wechselten mit Schmeicheleyen ab. Die Gräfin wußte auf eine geschickte Art alle Fragen nach meinen vorigen Verhältnissen abzuschneiden, welches mir, da seit Rosinens Entdeckungen das Gefühl einer sonderbaren Geheimnißvollen Existenz drückend auf meinem Herzen lag, zum erstenmal eine dankbare zarte Neigung für sie einflößte. Bey der Abendtafel, wo der grössere Theil der Gesellschaft sich entfernt hatte, wurde die Unterhaltung zusammenhängender, und ich konnte mir den Umriß von einigen Characteren entwerfen. Ich kannte noch wenig vom konventionellen Leben und der Sprache der Weltleute. Meine einfachen Grundsätze fanden so manches paradox, womit der durch Gewohnheit geschmeidige Sinn sich ohne Mühe aussöhnet. Es war mir so natürlich, als daß die Nacht auf den Tag folgt, den Betrogenen zu beklagen, und den Betrüger zu hassen, die Tugend der Ehre, und die Ehre dem eigenen Vortheil vorzuziehen. In den Urtheilen dieser Gesellschaft sah ich alle diese Begriffe umgestossen; selbst die Leidenschaften, die eine ungewöhnliche Kraft des Gemüths erfodern, als die Liebe und den Ehrgeitz dienten vielen Personen aus derselben zum Spott. Mir schien diese Höhe, von der sie alle ächten Verhältnisse unsers Daseyns herabblickten, eine schauervolle Öde zu seyn, nur Dornen und Disteln wachsen auf dem Felsengrund des Egoismus. Die Gräfin gab kein Zeichen weder des Tadels noch der Billigung. Ihr Charakter blieb Fleckenlos für mich, aber warum sind diese Menschen ihre Gesellschaft? Noch eine junge weibliche Gestalt, und zwei junge Männer, die ihr zur Seite fassen, zogen mich durch ein liebenswürdiges einfaches Betragen an. Einer der Männer warf oft verachtende Blicke um sich, wenn eine gemeine niedrige Gesinnung sich äusserte, oder zeigte durch feinen Spott die Nichtigkeit des Gesagten. Die Dame war mir als Fräulein von R** vorgestellt worden, und ich fühlte, daß sie und ihre beiden Nachbarn mich genau beobachteten.

Die Gräfin brachte gewöhnlich einige Abende jeder Woche in der Gesellschaft des Fürsten zu, und ich mußte sie begleiten. Der Fürst war zwischen sechzig und siebenzig Jahren, und belästigte sich und andere noch mit der steifen altfranzösischen Etiquette, die die deutschen Fürsten-Söhne am Hofe der französischen Könige erlernt, und auf ihren Boden freilich in etwas verminderten Dimensionen verpflanzt hatten. Der Fürst hatte durch Alter und Gewohnheit sich beynahe natürlich unter dieser schweren Rüstung des Ceremoniels bewegen lernen. Gegen die Frauen beobachtete er die feine hochgespannte Höflichkeit der alten Chevalierie, so daß sein Äusseres für diese nicht ungefällig war; aber ausser der Sphäre der feinen Manieren durfte er keinen Moment gerathen, um erträglich zu seyn. Seine Kinder suchten so viel wie möglich entfernt von ihm zu leben, weil sie nur den Despoten in dem Vater fanden. Der Sohn blieb auf Reisen, so lang es der Anstand erlaubte, und machte nur seltene Besuche bey seinem Vater; die Prinzessin, von der man als einer der besten sanftesten Seelen sprach, lebte unter dem Vorwand ihrer Gesundheit bey ihrer verheuratheten Schwester.

Die Karrikaturen unter den Hofleuten schienen mir bald lächerlich, bald beweinenswerth. Die Ehrfurcht, die sie sogleich bey der Erscheinung ihres Herrn aus ihrem Herzen in ihre Hände und Füsse rufen konnten; ein gnädiger oder zorniger Blick, der wie ein electrischer Schlag durch ihren Körper fuhr, und seine natürlichen Bewegungen veränderte; das augenblickliche Beugen ihrer Meinung nach der letzten Äusserung der fürstlichen Lippen – dieses alles war mir unbegreiflich, ich stand wie vor einem Puppenkasten, so wenig Menschliches, Wahres, sprach an mein Herz. Der Fürst bezeugte mir viel Aufmerksamkeit, als mich die Gräfin vorstellte, und meine natürliche Unbefangenheit schien ihm als eine ungewöhnliche Erscheinung keinen unangenehmen Eindruck zu machen. Die Gräfin verstand es vortreflich mit dem Fürsten umzugehen und diese schwere Masse alter verrosteter Gefühle und Vorstellungen oft in ein gefälliges Spiel zu setzen. Ich schloß daraus, daß die Geistes-Armuth der Hofleute vielleicht selbst den Fürsten bewog, ihnen nur als Maschinen zu begegnen. Fräulein R**, die beiden Herrn von Alban, und der Arzt des Fürsten, der sich als eine unentbehrliche Person fühlte, diese blieben in ihrem natürlichen Wesen.

Nach der Tafel kam Fräulein R** auf mich zu und stellte mir die beyden Albans vor. Sie hatten Langeweile während der Tafel, sagte mir Fräulein R**, aber wir genossen nicht wenig Vergnügen, indem wir sie beobachteten. Natur und Grazie sind uns hier eine seltene Erscheinung. Ich hoffe, Sie halten sich künftig zu uns. Wie Sie uns hier sehen, fuhr sie lächelnd fort, machen wir drei, die beyden Herrn von Alban und ich, einen kleinen Staat im grossen Staat der Gesellschaft aus. Herr von Alban der jüngere behauptet aus Ihrer Physiognomie zu sehen, daß Sie zu uns gehören müssen, und ich fühle es.

Wenn Sie in Ihren Staat nur stille friedliche Bürger aufnehmen, erwiederte ich, so denke ich Ihr Vertrauen zu verdienen. Zu grossen Geschäften und Negociationen hoffe ich, werden Sie ohnedem ein Landmädchen, das die Welt noch so wenig kennt, nicht brauchen wollen. Wen die Natur so reich machte, fiel der jüngere Alban ein, den kann die Kunst wenig lehren. Übergeben Sie sich uns nur ohne Bedingungen, lassen Sie mich nur Fräulein Lilien mit unserer Verfassung bekannt machen, rief Fräulein R** und führte mich in ein Fenster. Die zwei Herrn und ich, fuhr sie fort, sind von Kindheit an zusammen aufgewachsen. Ein guter Genius bewehrte uns vor einigen Thorheiten der Welt um uns her. Wir haben vielleicht andere dafür, aber wir bleiben dabey doch froh und unschädlich. Wir hassen die Falschheit, wir verachten die Kleinheit, die nur den Schein sucht, fliehen die Leerheit, und suchen unser eigenes Wesen dafür zu bewahren. Da wir nicht alt und vornehm genug sind, um den Ton anzugeben, so helfen wir uns mit dem Pythagoräischen Schweigen so gut durch, als wir können. Wir sind durch unsere Verhältnisse verbunden, einen grossen Theil unsers Lebens in den grossen Zirkeln zu verlieren, wo die Mittelmäßigkeit das Regiment führt, aber wir streben, unser eigenes Selbst unverdorben durch den Strom der Gesellschaft hindurch zu treiben. Aber Sie müssen unsere Art, zu seyn, erst beobachten und prüfen. Ich danke, fuhr sie fort, der Existenz dieser kleinen Gesellschaft vieles von meiner moralischen Bildung. Viele gute Menschen haben stillschweigend unter sich dasselbe Bündniß, aber es schleicht sich nach und nach eine Art von Trägheit unter ihnen ein, die unter dem Namen der Toleranz am Ende alles, und sich selbst mit allem andern hingehen läßt, wie es kann oder will. Wir vermeiden dieses durch ein Gesetz, uns alle acht Tage Rechenschaft von unsern Beobachtungen zu geben. Die Mittheilung unserer Gedanken zwingt uns, unsere Wahrnehmungen aufzuklären. Wir leben glücklich durch diese Verbindung unter den heterogenen Menschen, die uns umgeben. Ich fand auch das Glück meines Herzens in unserm kleinen Zirkel. Der ältere Alban wird mein Gemahl werden, sobald unsere Familienverhältnisse es erlauben. Mein künftiger Schwager ist eigentlich die Seele des ganzen Verhältnisses durch die grosse Lebhaftigkeit seines Verstandes und seiner Einbildungskraft. Der ruhigere aber nicht weniger tiefe Blick meines Albans macht einen angenehmen Kontrast mit der glühenden Fantasie seines Bruders. Oft belehrt uns die Erfahrung, daß Julius, dieses ist der Name meines Schwagers, durch seine Fantasie uns und sich selber getäuscht hat. Wir lachen ihn aus, und glauben ihm doch das nächstemal wieder. Theilen Sie uns Ihre Bemerkungen und Ihre Erfahrungen, wenn Sie wollen, mit, nehmen Sie dagegen das Gelübde der Aufrichtigkeit und Freundschaft von uns an. Julius von Alban trat zu uns, und sagte halb feierlich: Nehmen Sie die Gelübde dreyer Menschen an, die nach dem hohen Sinn der Schönheit streben. Nach rein von jedem verfinsterten Hauche der Weltluft wird uns die himmlische Klarheit Ihrer Seele die Gegenstände im treuesten Spiegel wiederstrahlen. Mit Vergnügen, liebe Fräulein R** antwortete ich, werde ich meine besten Gedanken vor Ihnen und Ihren Freunden darlegen, weil ich Belehrung von Ihnen erwarte. Julius schien mehr Wärme von mir zu erwarten, aber es lag von jeher in meinem Wesen, daß ein exaltirter Ausdruck meine eignen Empfindungen herabstimmte. Mein Vater hatte mich immer gelehrt, grosse Worte nur für wirklich grosse Dinge zu brauchen.

Ich verlebte alle Abende in derselben Gesellschaft in verschiedenen Häusern. Fräulein R** und die beyde Albans waren geistvoll und liebenswürdig. Mein Herz öfnete sich gegen sie, vorzüglich zog mich ihre zarte Neigung für ihren Bräutigam an, der Odem der Liebe ist einer sehnsuchtsvollen Seele so erquickend. Die Gräfin war sehr gefällig gegen mich, aber die glatten Weltsitten, vielleicht noch mehr meine Zweifel über ihr Verhältniß zu meinem Freund, hielten jedes vertrauliche Wort in meinem Busen zurück. Sie schien auch nur auf mein Äusseres wirken zu wollen und sagte mir nach den ersten Tagen: „Ich bin zufrieden mit Ihrem gesellschaftlichen Betragen, und bewundre, wie Ihr Vater auch hier nur die freye schöne Natur in Ihnen entfaltet hat. Sie besitzen die Elemente der feinen Lebensart, sanfte bescheidene Gefälligkeit, und einen heitern Geist, der immer die momentane Lage richtig faßt, und das Passendste, was in ihr zu thun ist, findet.“

Wir sahen uns übrigens sehr selten allein, und ich konnte nicht begreifen, wie die Gräfin mit so viel Geist und Geschmack, und in solch einer freyen Lage, den grösten Theil ihrer Zeit in leeren geistlosen Zirkeln verlor. Ich bewunderte ihr Talent mit dem grossen Haufen zu leben, ohne dabey von ihrer feinern Individualität etwas einzubüssen. Sie wußte die gehörige Entfernung der feinen Lebensart vortreflch zu benutzen, um ihr Verhältniß zu heterogenen Menschen auf die leichteste, beste Art zu stellen, und sich selbst die Äusserung jeder gemeinen Empfindungsart zu ersparen. Da sie selbst bey den Zwisten der kleinen armseligen Eitelkeit immer von Leidenschaft frey blieb, so wurde sie die Vertraute jeder Parthey. Nur selten zeigte sich ein Funke ihres überlegenen Verstandes, vor welchem der Kurzsinn und die elende Egoisterei gleich den lichtscheuen Vögeln, in ihre Dunkelheit zurückflohen. In kleinern gewählteren Zirkeln schien sie mir oft eine Schülerin der Aspasia. Jedes geringe Talent fühlte sich in ihrer Gegenwart erhöht, und jedes edle wahrhaft menschliche Gefühl stärkte sich. Die Unterhaltung war meist nur durch ihren Geist interessant, aber er wirkte in so leisen flüchtigen Zügen, daß man seine Wirksamkeit wie das Element, welches uns immer umgiebt, nur genoß, nicht bemerkte. Ich achtete diese Talente, aber in einem gewissen Alter erwirbt sich Einseitigkeit eher Vertrauen und Liebe, als Vielseitigkeit.

Der theure Name wurde nicht genannt, und meine bebenden Lippen wagten keine Frage. Hat er nicht befohlen, seine Briefe nach D** zu addressiren? Warum wird eines so vorzüglichen Mannes nirgends gedacht? Und vor allen, warum spricht die Gräfin nicht ein Wort von ihm, da sie doch mein Herz bey seinem Bilde überraschte? Das erste leidenschaftliche Begehren weckt in dem jungen Gemüth alle Kräfte zur Tugend und zum Laster. Ein quälender Argwohn füllte meine Seele, die Gräfin habe mich in ihr Haus genommen, um mich von meinem Geliebten zu entfernen, und seine vielleicht flüchtige Neigung für mich durch die Abwesenheit zu unterdrücken. Vielleicht sucht er mich eben jetzt bey meinem Vater auf, findet mich nicht, und das höchste Glück des Lebens, seine Liebe, geht mir für immer verlohren. Diese ganze Lage, nebst der Sehnsucht nach meinem Vater, zog eine schwarze Wolke vor mein Gemüth, die meine neuen Freunde mit Antheil bemerkten und durch eine verdoppelte Gefälligkeit zu zerstreuen suchten. Der Umgang mit den beyden Albans wurde mir immer interessanter, vorzüglich durch die Kenntniß von der politischen Welt, die sie mir mittheilten, sie hatten beyde in den wichtigsten Geschäften gearbeitet und kannten die Menschen, welche die Staatsmaschine dirigirten. Ich las die neuern Geschichten der europäischen Staaten, und lernte die Begebenheiten aneinander reihen, aus denen das Gemählde der gegenwärtigen Welt entstand. Die beyden Brüder freuten sich meines lebhaften Sinnes und Verstandes für diese Verhältnisse, aber mit wundem Herzen fühlte ich, daß Fräulein R** sich von mir entfernte, jemehr sich die Brüder mir näherten; ihre Augen ruhten mit Sorge und Unruhe auf mir, wenn ich mit ihrem Bräutigam sprach, und sie war nie ganz frey und heiter, als wenn sie mich mit Julius allein beschäftigt sah. Julius heftete sich jeden Tag inniger an mich, meine Liebhabereyen wurden die seinen, er bildete sich mit dem zärtesten Sinn nach meinem Geschmack, sein Ausdruck wurde einfacher, da sein Gefühl tiefer wurde, und mein Herz konnte ihm eine zarte Neigung nicht versagen. Da mich Fräulein R** Stimmung nöthigte, seinen Umgang ausschliessend zu suchen, so überließ er sich ganz der Hofnung, geliebt zu werden. Aus Schonung für Elisen von R** konnte ich ihm den Grund meines Betragens nicht entdecken, und ich litt durch die Täuschung, in die ich ihn vielleicht über mein Herz setzte. Julius war ein schöner junger Mann, ein vollkommenes Ebenmaß war in seiner Gestalt und seinen Gesichtszügen, aber es fehlte dem Ganzen jener Ausdruck von Kraft, von ruhigem Bestand auf sich selbst, an den ein weibliches Herz sich so gern anschmiegt. Er hatte poetisches Talent und war oft versunken in seine Dichterwelt, wenn es darauf ankam, Würde und Kraft in der Wirklichkeit zu zeigen. Nur dem ächten Himmelssohn Genie gebührt es, aus der Klarheit seiner innern Welt als ein Fremdling auf die Erde zu schauen. Mein Geschmack war durch die Lektüre der Alten zu sehr gebildet, um Julius Gedichte reitzend zu finden. Aber ich selbst war meist der Gegenstand seiner Lieder, und sie sprachen nicht selten an mein Herz, da er sie mit so reiner Gutmüthigkeit und Anspruchlosigkeit überreichte.

Elisa sagte mir mit klaren Worten, daß sie mich gern als ihre künftige Schwägerin ansähe, und in den bunten Lebensansichten und Planen, in denen wir mit leichter fröhlicher Jugendfantasie umherschwärmten, war immer ein ununterbrochenes Zusammenleben vorausgesetzt.

Ich sehnte mich nach einer unabhängigen Existenz. Die glückliche Unkenntniß der Verhältnisse des Eigenthums war für mich verflohen. Stolz, und eine beynahe kranke Empfindlichkeit trat an die Stelle der Sorglosigkeit; ich empfing das kleinste Geschenk mit einem unaussprechlichen Widerstreben. Nur von meinem Vater empfing ich ohne Widerwillen, aber seine eingeschränkten Umstände schufen mir Leiden einer andern Art. Es ist ein unaussprechlicher, zwischen Wonne und Schmerz schwebender Zustand des Herzens, mit dem wir ein Geschenk von einem armen Freund empfangen.

Als ich meinen Koffre in D** auspackte, fand ich ein Paquet mit funfzig Louisd’ors, mit meines Vaters Hand überschrieben, „für meine Agnes“ und inwendig stand: „Empfange und verbrauche es ohne Sorgen, ich geniesse meine beste Freude in dir.“ Ich nahm es mit dem Gelübde der grösten Sparsamkeit, und, um auch den Geschenken der Gräfin auszuweichen, nahm ich die gröste Simplicität in der Kleidung an. Es kostete mich nicht wenig Erfindungskunst, immer gut und der Mode gemäß gekleidet zu seyn, um die Gräfin nicht aufmerksam zu machen, sonst wurde ich gezwungen, ein neues Kleidungsstück anzunehmen. Die Furcht, meinem Vater, selbst bey den eingeschränktesten Bedürfnissen zur Last zu fallen, umzog mir oft die Aussicht in die Zukunft mit Sorge. Ich übte mein Talent für die Mahlerey und nicht ganz nach meiner Neigung, ausschliessen die Portrait-Mahlerey; diese sah ich als ein Mittel an, die Unabhängigkeit meiner Existenz zu erhalten, und meinem Vater ein gemächlicheres Alter zu verschaffen, indem ich ihn von aller Sorge für mich befreyte. Je mehr wahre treue Neigung ich bey Julius fand, je fester war ich entschlossen, ihm meine Hand zu versagen, da ich mein Herz nicht ihm allein geben konnte. Er war zufrieden in meinem Kreise zu leben, meiner Freundschaft gewiss zu seyn; das Bekenntnis meiner lebhafteren Neigung, welches ich ihm fest versagte, erwartete er von der Zeit und der stillen Kraft seiner treuen Liebe. Der ernstliche Wunsch unsers ganzen kleinen Zirkels, mich in ihre Familie aufzunehmen, rührte mich um so mehr, da ihnen meine Lage ganz unbekannt war. Nie erlaubten sich meine Freunde eine Frage über meine Verhältnisse, nur im Allgemeinen schienen sie zu wissen, daß sie von Seiten des Vermögens nicht glücklich wären. Aus ihrem völligen Schweigen über mein vergangenes Leben konnte ich sogar schliessen, daß sie das Geheimniß meiner Geburt ahneten. Ich schwieg ganz darüber, weil mir die Dunkelheit über meine Existenz immer schmerzlicher wurde; nur in dem Fall, daß Julius dringender mit seinen Anträgen würde, nahm ich mir vor, ihm durch ein offenherziges Geständniß meiner ganzen Situation, die Schwierigkeit einer Verbindung mit mir, vorzustellen.

(Die Fortsetzung folgt.)

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