HomeDie Horen1796 - Stück 12III. Agnes von Lilien. [Caroline von Wolzogen]

III. Agnes von Lilien. [Caroline von Wolzogen]

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Fortsetzung.

Es war ein heitrer Morgen. Ich genoß mit Elisen auf einem der öffentlichen Spatziergänge die lang entbehrten freundlichen Sonnenstrahlen. Unter mehreren bekannten und unbekannten Gestalten, die an unsrer Seite vorübergiengen, erblickte ich den Mahler, dem ich auf meiner Reise begegnete. Er gieng ein paar Mal an uns vorbei, ohne zu grüßen, blieb aber an der Barriere der Allee stehen, wo wir nothwendig vorbei mußten. Ich war im Begriff, ihn als einen Bekannten anzureden, und ihm für sein Gemälde zu danken; aber er fiel mir ins Wort, und überrechte mir ein kleines zierliches Portefeuille, mit diesen Worten: Ich bin ein reisender Künstler, liebes Fräulein. Sehen Sie diese Blätter durch, sie haben die Güte, mir sie Morgen um dieselbe Stunde auf diesen Platz wiederzuschicken, meine Adresse ist Johannes Charles. Er war uns aus den Augen, eh’ ich ihm antworten konnte. Und das Portefeuille blieb in meinen Händen. Wir sahen es auf einer Bank in der Promenade durch; es enthielt einige fein ausgeführte Landschaften und viele Skizzen, meistens Schweizeraussichten. Unter diesen fand ich einen Brief an Agnes Lilien überschrieben, mit Bitte, ihn allein zu eröfnen. Elise scherzte über diesen Vorfall und verlangte den Brief zu sehen. Ich will keines Menschen Vertrauen beleidigen, sagte ich halb ernsthaft und steckte ihn ein in der Vermuthung, daß er vielleicht ein aufrichtiges Geständnis seiner Bedürfnisse enthielte, welches er mir lieber abzulegen wage, als einer ganz Unbekannten. Ich eilte in mein Zimmer, das Blatt zu eröfnen. Es enthielt folgende Zeilen von einer kleinen, weiblich zarten Handschrift.

„Meine theure Agnes, deine Mutter schreibt diese Worte; ach schwere Verhältnisse hielten mich bis jetzt gebunden! – Ich konnte mich dieses Namens nicht wehrt machen – noch immer liegen sie auf mir, und nur unter der Decke des tiefsten Geheimnisses kann ich das Glück genießen, das was mir auf der Welt am theuersten ist, zu sehen. Johannes Charles wird dich Morgen Abend gegen sechs Uhr zu mir bringen. Niemand darf um diese Zeilen und deinen Besuch wissen, suche einen Vorwand, um dich zu entfernen. Ist es dir für Morgen unmöglich einen zu finden, so komme einen andern Abend. Aber eile, ich bin krank, schmachte nach deinem Anschaun und darf mich auch nur kurze Zeit an dem Ort, wo ich dich sehen kann, aufhalten. Auf Johannes Charles kannst du dich ganz verlassen, er ist mein Freund.“

Meine Mutter – meine Mutter! rief ich aus, und die Gewalt des neuen süssen Gefühls machte sich durch einen Thränenstrom Luft, Mit glühender Ungeduld erwartete ich den andern Morgen, um Charles zu sprechen. Die Winterlustbarkeiten waren ihrem Ende nahe, und wurden darum noch eifriger besucht. Den nächsten Abend war Ball en masque und dieser erleichterte den Plan zu meinem Verschwinden im Hause. Ich legte in Charles Portefeuille aus Vorsicht, im Fall ich ihn nicht unbeobachtet sprechen könnte, ein Billet mit den Worten: „Ich komme zur bestimmten Stunde, holen Sie mich um neun Uhr an der Gartenthüre ab; ich bin bereit Ihnen überal zu folgen.“ Zum ersten Mal mußte ich Umwege brauchen, um mir den einsamen Morgenspatziergang zu verschaffen. Meine Lage, und das Vertrauen meines Vaters hatten mich vor allen kleinen Unwahrheiten, zu denen die Tyrannei des Scheins zwingt, bewahrt; mit widerstrebenden Herzen nahm ich meine Zuflucht zur List. Eine widrige Empfindung zieht meistens Reflexionen nach sich. Wie wär’ es, raunte mir ein böser Dämon ins Ohr, als ich statt zu Elisen zu gehen, wie ich gesagt hatte, die Straße nach der Promenade einschlug, wie wär es; wenn man sich deiner Unerfahrenheit bediente, um dir Fallstricke zu legen? Ist es nicht eine Unbesonnenheit zu kommen? Aber der theure, theure Mann – und sie ist krank! „Eh’ ich mich bey meinem Vater in Hohenfels Raths erhohlen kann, müßte ich sie in der Ungewißheit lassen, könnte sie vielleicht verliehren – sie niemals sehen.

Charles stand vor mir. Ich komme, ja ich komme sagte ich bei mir selbst, mein Herz fodert es, mag mich die Welt auch verkennen. Charles gerades, edles Gesicht gab mir meine Ruhe wieder. So erscheint oft im Moment der Noth ein Genius, wie mir Treue und Wahrheit jetzt in seinen Zügen aufgieng und allen Schatten von Betrug verbannte. Er war sauber gekleidet, seine braunen sonst wild fliegenden Haare lagen natürlich, doch wohl geordnet, um Stirn und Wangen, und in seinem Benehmen war etwas feierlich stilles. „Sie finden meine Antwort in dem Portefeuille. Wie geht es meiner theuren Mutter?“ flüsterte ich ihm ins Ohr, indem ich ihm das Portefeuille überab, denn mehrere meiner Bekannten näherten sich mir. „Ihre Mutter ist glücklich in der Hofnung, ihr geliebtes Kind zu sehen, erwiederte er; Ich hoffe ihre Unpäßlichkeit entstand nur durch die weite und schnelle Reise. Sie kommen heut, ich lese es in Ihren Mienen.“ Ich winkte Ja, und entfernte mich schnell.

Die Gräfin fuhr um fünf Uhr in eine Assemblee, von der sie dann gleich auf den Ball gehen wollte. Unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit erhielt ich, wie wohl ungern, die Erlaubniß zu Hause zu bleiben. Um allen Nachforschungen und allem Geschwätz der Bedienten auszuweichen, kleidete ich mich an, als wollte ich heimlich auf den Ball gehen, um die Gräfin und meine Bekannten zu überraschen. Die Gräfin liebte solche Auftritte, höchstens konnte sie diesen Schritt nur jugendlich unbesonnen und bei meinem Mangel an Weltkenntnis natürlich und verzeihlich finden. In einer weisen griechischen Kleidung, umhüllt mit einem langen Schleier, eilte ich um sechs Uhr in den Garten, und verbat alle Bekleitung, weil Niemand außer meinem Kammermädchen wissen sollte, wie ich angekleidet sey. Charles erwartete mich schon, und führte mich schweigend durch die am wenigsten besuchten Straßen der Stadt, bis zu einem Thore, wo ein Wagen unser wartete. Er half mir einsteigen, und setzte sich neben mich. Die Nacht war sehr finster, und ich konnte weder Weg noch Gegend erkennen. Ich mußte ihm sagen, welche Maßregeln ich im Hause der Gräfin über meine Entfernung genommen hatte. Er lobte meine Vorsicht, und sagte: Nun so mögen die Schellen der Thorheit auch einmal den ächten Gefühlen der Natur dienen, die sie sonst mit ihrem Geklingel so oft übertäuben helfen! Er war sonst still und in sich gekehrt, seine Stimme war sanfter, als suchte er meine bewegte Seele in Gleichmuth zu wiegen. Wir waren, so dünkte es mir, schon eine Stunde weit gefahren, und ein ängstigender Zweifel flog durch meine Brust. Charles schien ihn im Augenblick zu ahnen. Liebes, liebes Mädchen, haben Sie keine Angst, wir sind bald an dem Ort unsrer Bestimmung. Ach könnte ich jeden Zweifel … er stockte, seine Stimme bebte, er nahm meine Hand zwischen seine beiden Hände, drückte sie an seien Lippen, ich fühlte daß er weinte. Sein Schmerz lag mit solcher Gewalt auf meinem Herzen, als wäre ich die Ursache desselben. Die Zukunft erklärte mir diese sonderbare Ahnung nur allzu gut.

Ein großes erleuchtetes Haus glänzte mir aus der finstern Nacht entgegen, es lag einsam und war nur von einigen Nebengebäuden umgeben. Hier werden Sie Ihre Mutter sehen, sagte mir Charles. Wir fuhren an einer langen Gartenmauer hin, und der Wagen hielt an einer kleinen Thüre. Ein Schauer fasste mich beim Aussteigen. Die Nähe eines unaussprechlichen Glücks – die Frucht vor einem unbekannten Übel, preßten meine Brust bis zum ersticken. Meine Unschuld und Unerfahrenheit über die Sitten in D… verbargen mir was ich hätte fürchten können. Jetzt erhielt mich die Nothwendigkeit, weiter zu gehen, bei klaren Sinnen, und mein Herz sammelte seine Kräfte, um jeder Begebenheit zu begegnen. Die kleine Thüre führte zu einem langen schmalen Gang, den eine Lampe nur sparsam erleuchtete. Charles öfnete eine Seitenthüre und hieß mich hineingehen. Ich trat in ein dunkles Zimmer, Charles schloß die Thüre hinter mir ab, und befahl mir auf dieser Stelle zu warten. Nach wenigen Augenblicken öfnete sich eine Thüre mir gegenüber, aus welcher ein mattes Licht drang, und eine sanfte Stimme rief – „Komme herein, meine Agnes, deine Mutter erwartet dich mit Ungeduld.“ Ich folgte dem Ton dieser Stimme, und bei dem trüben Schimmer einer einzigen Wachskerze, die im Hintergrunde des Zimmers brannte, erblickte ich eine Gestalt in einem weisen Gewand, die auf einem Sofa lag, und ihre Arme nach mir ausstreckte. O mein Kind! mein Kind! rief sie aus, endlich mein nach so langer Sehnsucht! sie drückte mich fest an ihre Brust, und die sanftesten Wallungen der Natur und Liebe bewegten mein Wesen. Meine Mutter weinte heftig – Ach daß ich dich so lang entbehren mußte, daß alle meine Liebe für dich, sich nur in fruchtlosen Seufzern der Sehnsucht aushauchen konnte! – Aber Gott sey Dank! jetzt habe ich dich! – Sie sank ermattet auf den Sofa zurück, ihre Augen schlossen sich, und wenn sie zuweilen sich gegen mich öfneten, brannte das feinste Feuer eines liebenden Geistes in ihnen, der gleichsam seine ganze Kraft durch sie auszudrücken strebte, da seine übrigen Organe durch die Gewalt der Krankheit gebunden waren. Ich suchte auf einem Nachttisch, der vor uns stand, krampfstillende Esenzen, und wollte das Licht aus dem Hintergrunde des Zimmers herbei holen – Um Gotteswillen rühre das Licht nicht an, rief meine Mutter mit Heftigkeit, wir sehen uns nie wieder! Diese sonderbaren Worte füllten mich mit Schrecken, ob sie gleich nur einen unverständlichen Sinn für mich enthielten. Ich reichte ihr die Arzneigläser, um sie nach dem Gefühl wählen zu lassen. Ich mußte ihr einige Tropfen eingeben. Nun setzte ich mich zu ihren Füssen und versuchte durch ein stilleres Gespräch ihr Gemüth zu beruhigen.

Wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig, meine theure Mutter, für die Erziehung, die Sie mir durch den ehrwürdigen Pfarrer von Hohenfels geben ließen! Mit der väterlichsten Zärtlichkeit pflegte er meiner Kindheit. Ich weiß es, meine Agnes, unterbrach sie mich. Wie freut es mich, diesen Gleichmuth in deinem Wesen wahrzunehmen, diese Mäßigkeit in deinem Empfinden, die deiner Mutter zu ihrem Unglück fehlten. Mein theures Kind, mein Leben war ein Gewebe von Leiden, meine Gesundheit ist zerrüttet und ich bin erst in meinem vierzigsten Jahre, könnte mich noch lang mit dir des irdischen Daseins erfreuen. Mein tiefstes Leiden ist, daß ich den Zeitpunkt noch nicht bestimmen kann, in dem ich offen und frei vor den Augen der Welt dich als Tochter anerkennen werde. Bist du recht vorsichtig und verschwiegen, so können wir öfters in geheim zusammen kommen, aber die geringste Unvorsichtigkeit – und dieses Glück wäre für immer verlohren. Deiner Geburt ist rechtmäßig, du bist von einem vornehmen Geschlecht. Wen es dir nöthig ist, will ich dich in Stand setzen, es zu beweisen, nach meinem Tode wirst du die Papiere, die dazu dienen, erhalten. Du wirst einmal meine Geschichte erfahren, und wirst mit mir die unglückliche Stellung der Umstände beweinen, die mich des süssesten Glückes beraubten, die Sorge für deine Erziehung selbst zu übernehmen. In diesem Portefeuille sind zwanzigtausend Thaler in Banknoten enthalten, die dir eine unabhängige Existenz versichern, wenn du mit einer mäßigen Einrichtung zufrieden seyn kannst. Ich hoffe dieses von deiner Erziehung. Da ich nicht wußte, ob ich dir so viel Vermögen hinterlassen könnte, so ließ ich diese so einfach und sparsam als möglich einrichten, dein Vater in Hohenfels selbst soll erst jezt erfahren, daß du ein anständiges Einkommen besitzest. Auf die Frage, ob ich letzterem das Glück schreiben dürfte, sie gefunden zu haben? sagte sie: Nein, er soll es nächstens durch eine sichre Gelegenheit erfahren.

Sie sprach noch manches über meine Bildung: und schien sehr zufrieden mit dem Gang der Erziehung, welchen mein Vater eingeschlagen hatte. Beinahe sagte sie, mit einem muntern Ton, möchte ich der Vorsicht danken, daß sie mich zwang, dich von dem Kreise entfernt zu halten, in welchem ich unglücklich wurde. Eine ernste, feste Bildung des Geistes ist selten im Zirkel der großen Welt möglich. Du wärest vielleicht ein Püppchen geworden, das am Seile der Meinung hin- und her getanzt hätte – und so bist du ein selbstständiges Wesen, das in der Fluth des Lebens sein besseres Selbst bewahren kann. Wie freue ich mich der Zeit, wenn du als Freundinn mit mir leben kannst. Tausendmal muß ich mir es sagen, daß ich um deines eigenen besten willen dieses Glück noch entbehren muß. – Meine theure Mutter! rief ich aus, mein größtes Glück wäre mit Ihnen zu leben, ach und zumal jezt, da ich hoffen könnte, Ihnen durch meine Pflege einige Erleichterung zu verschaffen. Welches Auge kann treuer wachen, aufmerksamer Ihren Bedürfnissen zuvorkommen, als das Ihrer Agnes! Und glauben Sie, daß ich ruhig seyn kann, wenn ich entfernt von Ihnen in Ungewissheit über Ihre Gesundheit bleiben muß? Was nennen Sie mein Beßtes, wenn es nicht die Befreiung aus diesem angstvollen zustand ist? – Stille! verführerisches Mädchen, sagte sie, und lege ihren Finger auf meinen Mund, stille! Du mußt dich den Maßregeln, die ich jezt für uns beide nehmen muß, unterwerfen. Ja wenn es für Sie ist, rief ich schmerzlich aus! – Du wirst täglich Nachricht von mir erhalten, mein bestes Kind! sagte meine Mutter sanft, sie hatte eine der reinen sonoren Stimmen, die immer zum Herzen sprechen, und sie wußte ihr die mannigfaltigsten Beugungen zu geben; für jeden Affekt der Seele hatte sie einen Ton. Überhaupt schien sie mir eines der zärtesten, feinsinnigsten Geschöpfe, bei denen jedes Wort, jede leise Bewegung bedeutungsvoll ist, als Theil eines harmoniereichen Ganzen. Ihre Füsse ruhten unter eine Decke, ihr Nachtgewand war dicht und voller Falten, aber da es von einem weißen Zeuge war, erblickte ich bei dem Schimmer des trüben Lichtes doch die schöne Umrisse und das richtige Verhältniß ihrer Gestalt. Die Hände waren zart, und hatten die feinsten Formen. Eine tiefe Haube bedeckte ihr Gesicht. Stirn, Wangen und Kinn waren ganz verstekt, und von den übrigen Zügen konnte ich in dem düsternen Zimmer nur einen höchst schwankenden Umriß wahrnehmen. Nur an der lieben sanften Stimme dünkte mir, würde ich meine Mutter unter tausend fremden Gestalten erkennen können. Sobald ich bemerkte, daß sie vermied, von mir gesehen zu werden, mußte ich meiner Neugier Gewalt anthun und wagte nur flüchtige Blicke auf sie. Unter tausend zärtlichen Äußerungen, unter den gefälligsten Hofnungen für die Zukunft, sagte meine Mutter kein Wort über ihre äusere Verhältnisse, erst da ich wieder von ihr entfernt war, dachte ich darüber nach. Sie empfahl mir mehrmalen dringend die größte Vorsichtigkeit. Verbirg auch, sagte sie, dein Vermögen. Charles wird dir die Einnahme der Zinsen besorgen, und bald werde ich eine Zusammenkunft mit deinem Vater von Hohenfels veranstalten, in welcher du dich mit ihm verabreden kannst, wie dein Kapital auf eine vortheilhafte Art anzulegen ist. Dein Aufenthalt bei der Gräfin ist für jezt unsern Zusammenkünften dienlich. Eine Wanduhr schlug Neune. Meine Agnes, ach da schlägt die Glocke des Abschieds! Diese Stunde des Genusses war die Frucht thränenvoller Jahre, aber ich habe sie nun auch rein genossen, rein wie den Sterblichen ein Genuß vergönnt ist! So ein liebes Geschöpf in der Blüthe seiner Schönheit und Unschuld vor sich zu erblicken, und der Natur danken zu können, daß ich das innigste zärteste Verhältniß zu ihm habe. – Ich hoffe, meine Agnes soll ein glückliches Geschöpf werden, ein ruhiges weises Gemüth, das das Leben mit freyer Kraft ergreift, statt sich von dem schnellen Strom fortreissen zu lassen; möge es dein Loos seyn! Möge dich eine glückliche Natur in früher Jugend schon lehren, was wir in dieser Welt sind und können. Mir lehrten es schmerzliche Erfahrungen! Sage mir Liebe, hat dein Herz schon eine heftige Neigung… Charles erschien unter der Thüre, wo ich hereingekommen war. Ach es ist Zeit! rief meine Mutter und die Wallungen, die bei ihrer Frage mein Herz bewegten, vereinigten sich mit den Thränen des Abschieds. Ihre Arme hielten mich fest umschlossen und mit lautem Weinen und Stöhnen ließ sie mich los. Charles riß mich mit Gewalt von ihrem Bette, und als ich laut über Grausamkeit klagte, meine Mutter in diesem Zustand zu verlassen, rief sie mir selbst noch zu: gehe, gehe mein Kind! Eile! Charles zog die Schelle, ehe wir das Zimmer verliessen und sprach mir zu, ruhig zu seyn, meine Mutter sey jezt in den Händen ihrer Kammerfrauen, die ihr innigst ergeben seyen, und von welchen sie mit der zärtlichsten Sorgfalt behandelt werde.

Wir verabredeten während unserer Rückfahrt noch die Art, wie wir uns künftig sehen wollten und wie ich alle Tage Nachricht von meiner Mutter empfangen könnte. Charles sollte als Zeichenmeister im Hause erscheinen, und so auf die natürlichste Art, die Gelegenheit gewinnen, jeden Tag eine Stunde um mich zu seyn. Mein Herz war voll überwallender Freude, mich in so glücklichen Verhältnissen zu befinden. Vermögen, Stand, eine liebende Mutter, Unabhängigkeit und die Hofnung meinem Vater in Hohenfels ein sorgenfreies Alter zu verschaffen! Wie viel reines Glück schenkst du mir ewige Vorsicht! rief ich aus, und fasste Charles Hand, um dem nächsten vernünftigen Geschöpf mein frohes Daseyn mitzutheilen. Charles drückte meine Hand und sagte, welcher Genuß ist es, eine freudenwallende Seele zu sehen, die in der Fülle ihres Herzens sich zu den ewigen lebendigen über den Wolken kehrt! Dank war gewiss das erste Opfer, welches ein edles Gemüth dem Unsterblichen brachte. Die Bitte ist ein Zeichen der Schwachheit, das gepreßte Herz seufzet nach Hülfe. Ich ehre den, der im Unglück sich auf seine eigne Kraft zurückstemmt und keinen Laut des Schmerzens zum Himmel schickt; aber ein Gemüth, dem die irrdischen Bande der Sorge gelößt sind, in dem das Leben rein und frey auf und ab fluthet, muß sich in Dank und Liebe der Gottheit verwandt fühlen.

Die Wolken hatten sich zerstreut und die Sterne glänzten hell. Charles fuhr fort: Sieh wie der Himmel seine tausend Augen öfnet, um in dein freudiges Herz zu blicken und ihm eine ewig fröhliche Zukunft zuzulächeln! Das Glück der Menschen ist wie eine hochgetriebne Woge, die nothwendig wieder zur Tiefe muß; aber die Erinnerung der Herzensfülle bleibt dem, der es als eine Erscheinung einer bessern Welt aufnahm und sich durch keinen Genuß zum Übermuth versuchen ließ!

Am Komödienhause mußten wir uns trennen, so gern ich auch Charles länger angehört hätte. Seine sinnvollen Reden brachten Licht in meine Seele; gleichwie eine schöne Dichtung, der Musik dunkle Empfindungen entwickelt. Mein Innres wurde klärer und mir selbst ein Gegenstand der Beobachtung, Entschlüsse und Regeln für mein künftiges Leben reihten sich in dieser Stimmung aneinander.

Ich suchte die Thüre des Ballsaals, um mich unter dem Gewühl der Masken unbemerkt mit einzudrängen, aber aus Versehen gerieth ich in ein Nebenzimmer, welches noch durch einige andere Zimmer vom Saale getrennt war. Neben der Seitenthüre durch welche ich eintrat, befand sich ein Alkove mit einem Vorhang drappiert; dieser war halb heruntergezogen. Ich hörte ein paar leise flüsternde Stimmen hinter dem Vorhange. Ich glaubte den Ton der Gräfin zu vernehmen, und wollte deutlicher hören, ob ich nicht irre und sie dann, nach meinem Plan, durch meine Erscheinung überraschen. Ich hofte, so jede Spur meiner Entfernung aus dem Hause zu vertilgen. Ich blieb einige Momente in der Ecke des Zimmers stehen, die Stimmen sprachen immer leiser. Schon näherte ich mich der Thüre, welche ins Nebenzimmer führte, als meine Augen auf einen Spiegel fielen, in dem ich die verborgenen Gestalten des Alkovens erblickte. Ich erkannte die Gräfin von den Armen eines Mannes umschlungen. Das Gesicht des Mannes war abgewendet, aber die große edle Gestalt erinnerte mich sogleich an das geliebte Bild, welches so klar in meiner Seele lag. Von bangen Zweifel ergriffen blieb ich wie an den Boden gekettet stehen. Jezt richtete er sich auf, und ich erkannte wirklich die Gesichtszüge meines Geliebten. Laß mich Beßte, sprach er, und wickelte sich aus ihren Armen los – Sehen wir uns Morgen? sagte sie, und zog seine Hand an ihre Lippen – ich konnte seine Antwort nicht verstehen. Er umarmte sie noch einmal, und beide näherten sich der Thüre. Betäubt floh ich in das nächste Zimmer, und sank auf einen Stuhl. Mein Herz arbeitete in gewaltigen Schlägen gegen meine Brust, und meine Sinne drohten zu erlöschen. Dir Gräfin gieng, auf den Arm meines Freundes gestüzt, dicht an mir vorbey. Ich hatte weder Bewegung noch Stimme, und zitterte vor Furcht, daß sie mich erkennen möchte. In diesem Zustande war ich unfähig, das Anschaun des geliebten Mannes zu ertragen, auch wollte ich vor ihm nicht jugendlich unbesonnen erscheinen.

Diese ängstigenden Vorstellungen vermehrten mein Übelseyn. Ich war nahe an der Ohnmacht, und da ich keine bekannte Gestalt in meiner Nähe erblickte, blieb ich starr und fühllos auf meinem Stuhl gelehnt, in der Furcht, jeden Moment herabzusinken. Julius erschien mir als ein guter Genius. Er hatte mich erkannt, und kam auf mich zu, ich bat ihn, mich sogleich in ein andres Zimmer zu führen, wo ich freie Luft schöpfen könnte. Die Entfernung von der betäubenden Musik und einige Erfrischungen brachten mich wieder zu mir selbst, doch fühlte ich mich unfähig länger in dem Getümmel zu blieben, und am unfähigsten, Nordheim mit der Fassung und würde zu begegnen, wie ich wünschte. Ich bat Julius mir einen Wagen, in dem ich nach Hause fahren könnte, zu verschaffen. Er drang in mich noch wenige Momente auszuruhen! Seine zarte Sorge, in der der Antheil des Herzens so unverkennbar war, rührte mich innig, dankbar drückte ich seine Hand. Meine theure Agnes, ich bin neu beseelt! rief er aus. Mir dieses Glück! Es war das erste sinnliche Zeichen einer zarten Neigung, welches er von mir empfieng, ich hatte es ihm mit dem unbefangensten Herzen gegeben, nur als ich fühlte, wie hoch er es empfand, bereuete ich, es gethan zu haben. Er eilte auf meine wiederholte bitte, nach einem Wagen. Mit der Unbedachtsamkeit, die einem reinen Herzen und ländlich einfachen Sitten so natürlich ist, verschloß ich die Thüren des Zimmers, um nicht weniger gesehen zu werden. Ein Fenster gieng auf den Vorplatz, und hinter diesem wartete ich Julius Zurückkunft ab. Man machte verschiedne Versuche die Thüren, welche in die Nebenzimmer führten zu öffnen, und eine Gesellschaft entfernte sich nach ihrer fehlgeschlagnen Mühe mit einem unbescheidenen Gelächter. Julius kam bald zurück und führte mich zum Wagen, er war etwas verlegen, als er die verschloßne Thüre wahrnahm und meine Erzählung über die Versuche, sie zu öfnen hörte. Ich bat ihn, der Gräfin zu sagen, daß ich auf dem Ball gewesen sey, aber daß mich ein schneller Anfall von Übelseyn gezwungen hätte, sogleich wieder nach Hause zu gehen. Kaum waren wir zur Thüre hinaus, und auf einer engen Gallerie, als uns Nordheim entgegen kam. Es war unmöglich, ihm auszuweichen, ich hatte unterlassen meine Maske wieder vorzunehmen, weil mir Julius gesagt, daß er mich eine Seitentreppe hinunter führen würde, wo uns Niemand begegnen werde. Ich hielt mich mit Mühe an Julius Arm aufrecht, so gewaltig wirkte jene geliebte Erscheinung auf mich. Wir standen unter einem Wandleuchter, und Nordheims Gesicht war in vollem Licht. Wie finde ich Sie hier wieder? sagte er mit sanfter Stimme, indem sein scharfer Blick Julius maß. Meine Stimme zitterte, ich stammelte einige verwirrte Laute: Ich wollte die Gräfin überraschen… Ich wurde nicht wohl… Herr von Alban will die Güte haben, mich nach Hause zu begleiten. Ein Blick auf Julius machte meinen Zustand noch schmerzlicher. Eine glühende Röthe flammte über seine Wangen, er wagte nicht, die Augen aufzuschlagen, und ich fühlte, daß er meine Verwirrung theilte. Ich will Sie hier nicht länger aufhalten, sagte Nordheim und verließ uns nach einer steifen Verbeugung.

Ich Unbedachtsamer, was habe ich gethan! rief Julius, als wir wieder allein waren. Erst nach mehreren Wochen erfuhr ich durch Elisen bey einer andern Veranlassung den Grund dieses sonderbaren Ausrufes, über den mir Julius keine Erklärung geben wollte.

Julius hatte mich in der dringenden Verlegenheit über meine Krankheit, unachtsamer Weise in ein Zimmer geführt, welches die jungen Herren einer gewissen Klasse nicht in den beßten Ruf gesetzt hatten. In Nordheims schwankendem Betragen und forschenden Blick nahm er zuerst seinen ganzen Irrthum wahr, und meine kindische Unbedachtsamkeit die Thüren zu verschließen, machten den Vorfall noch zweideutiger. Er wollte mir diese unangenehme Entdeckung ersparen und behielt sich vor, Nordheim, dessen nähere Bekanntschaft er zu suchen gedachte, die nöthige Aufklärung über diesen Zufall zu geben. Wie viel mußte ich durch diese in Julius Lage so natürliche Delikatesse leiden!

Julius verließ mich auf mein dringendes Bitten am Wagen. Mein Gemüth war verwirrt durch die Gewalt der süssen und schmerzlichen Eindrücke, die ich in dieser Nacht empfangen hatte. Mein Schlaf war nur eine fieberhafte Ermattung und meine Träume wiederholten die empfundnen Scenen in den sonderbarsten Zusammenstellungen. Mit den Morgenstralen gieng mir die Wirklichkeit in ihrem lieblichen Schimmer auf, der Gedanke an meine Mutter, der Blick auf meine so glücklich verwandelte Lage, die Ahnung einer schönern Zukunft beruhigten mein Herz über den Verlust des Geliebten. Aber was soll ich hier, hier in diesem Hause, wenn mich seine Liebe nicht hieher rief? Warum traute ich auch Rosinens Geschwäz, und nahm das bedeutungsvolle Schweigen meines Vaters nicht einzig zum Leitstern meiner Gefühle. Er liebt ja diese Amalie… warum hörte ich nicht auf den Namen, der mir in der ersten Viertelstunde warnend von seinem Ringe entgegen rief? der sich als ein unglückweißagender Dämon zwischen die ersten Wallungen meines Herzens für ihn drängte?

Die Gräfin kam in einer ungewöhnlich zierlichen Morgenkleidung mich zu besuchen. Ein freundlicher Schimmer ergoß sich um ihre ganze Gestalt, ihre Bewegungen waren leichter und der Ton ihrer Stimme sanfter. Seine Küsse schienen mir von ihren Lippen entgegen zu schweben. Nach zärtlichen Fragen über mein Übelbefinden, von welchem sie durch Julius unterrichtet war, fragte sie, ob sie das Frühstück in mein Zimmer dürfe bringen lassen? Aber sie müssen sich etwas ankleiden! rief sie mir zu, als sie schon halb zur Thüre hinaus war, denn ich bringe noch einen Fremden mit. Ich darf doch? – Sie eilte hinweg ohne meine Antwort abzuwarten. Ihr Betragen schien mir Spott in meinen Verhältnissen; ich war schmerzlich bewegt, aber seit ich aus meines Vaters Hause war, hatte ich die so nöthige Kunst, Meister meiner äusern Bewegungen zu werden, genugsam erlernt.

Ich will mich nicht ankleiden, beschloß ich in einem Ausbruch kranker Empfindlichkeit, ich will Amalien zeigen daß ich nicht mir ihr über die Vorzüge der Gestalt und des Schmuckes wetteifere! Ein blau seidnes Tuch war nachlässig um meine Haare geknüpft, und über mein alltägliches weißes Morgengewand warf ich nur ein Schaal um; wahr ist’s, ich legte es o, daß es den Leib eng umschloß, und die Brust und Arme nur leicht und in malerischen Falten drappierte. Du willst kalt und zurückhaltend seyn, nahm ich mir vor, aber kaum war der geliebte Mann zum Zimmer hereingetreten, und hatte mich sanft und freundschaftlich gegrüßt, so sagte ich mir: nein, du willst wahr und einfach seyn! Eine herzliche Frage nach dem Befinden meines Vaters verbannte bald allen Zwang. Bei diesem theuren Namen verschwand alle Verwirrung und ich fühlte mich in der fröhlichen Unbefangenheit meiner ersten Jugend.

Sonderbar dünkte es mir, daß er es ganz vergessen zu haben schien, wie wir uns gestern gesehen hatten. Ich mußte viel sprechen und die Gräfin spielte ganz die Rolle einer gefälligen Freundin, sie gab mir Anlaß meine Ideen auf die beste Art zu entwickeln und wußte den Faden der Unterhaltung so kunstreich fortzuspinnen, daß ich meine geringe Kenntnisse auf die natürlichste Art einflechten mußten.

Wissen Sie wohl, Nordheim, sagte sie bei einem Stillstand des Gesprächs, daß die liebe Kleine, und ich, uns noch sehr wenig kennen? Wir waren vielleicht nicht zwei ruhige Stunden ununterbrochen beisammen. Auch sehen ich mich aus dem Kreis der Karten und Würfel so herzlich hinaus, wie ein Kind aus der engen dumpfigen Schule sich nach der freien Himmelsluft sehnen mag. Wäre es nicht für Sie gewesen, so hätte ich es schwerlich so lang aushalten können. „Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundschaftliche Aufopferung, meine beste Freundinn, erwiederte Nordheim. Durch Ihre Bemerkungen bin ich kein Fremdling mehr auf dem Boden den ich anbauen soll. Mein Hauptzweck dem künftigen Fürsten seien Residenz angenehmer zu machen, wird sicher durch Ihr Bemühen erreicht. Der durch Sie umgestimmte Ton giebt der Masse der Gesellschaft einen modernen Anstrich, und der Prinz wird sie der B…schen, die ihn bisher so sehr anzog, weniger unähnlich finden. Ich wünschte gefällige Eindrücke fesselten seine Neigung an sein Land. Ich habe das Vertrauen des Prinzen nicht gesucht, aber da ich es gewonnen habe, so will ich es ehren, und keine Aufopferung scheuen, um ein edles Gemüth, durch erfüllte Pflicht im Frieden mit sich selbst zu erhalten.“

„Ihre Bemerkungen über die Menschen in D.. sind so fein, so treffend, so im einfachen Sinn der Wahrheit dargestellt. daß ich sie unsrer Agnes einmal als ein Muster in dieser Art vorlesen werde. Entfernt von der Sucht zu spotten, die lieber das Böse wahrnimmt, weil Witz und Laune besser damit spielen können, und gleichweit entfernt von der schwachsinnigen Gutmüthigkeit, die nicht durch den äusern Firniß eines Karakters hindurchzuschauen vermag, erscheint Ihrem reinen, festen Blick immer die Linie der Wahrheit. In ihrem gesellschaftlichen Benehmen, in Ihren Erholungsstunden entschleiern die Menschen ihre Individualität am leichtesten, und am allerwichtigsten ist es den Grundton eines Jeden zu kennen, ob Liebe, ob Egoismus das Übergewicht in seinem Handeln hat! Es freut mich, daß Sie einige Menschen von Gehalt unter den Geschäftsleuten fanden, auf die ich bei meiner Prüfung doppelt aufmerksam seyn werde.“

„Die beiden Albans nennen Sie mir? – Es scheinen mir Menschen von vorzüglichem Werth zu seyn, erwiederte die Gräfinn. Unsre Agnes ist zu meinem Vergnügen sehr genau mit ihnen bekannt geworden, ich freute mich schweigend dieser verständigen Wahl. Was denken Sie von ihnen, beste Agnes, und da Sie sich noch genauer als ich kennen, welchem geben Sie den Vorzug unter den beyden Brüdern?“ Ich erwiederte: dem Karakter nach wären sie beyde gleich achtungswürdig. Beyde hätten den reinsten Willen. Über ihre Talente wage ich nicht zu entschieden. Mir schien der älteste einen sicherern Blick, der jüngste hingegen einen schnelleren zu haben. Er übersähe immer ein weiteres Feld als sein Bruder. Der älteste kombinire in seinem engern Zirkel meist immer richtig, der zweyte in seinen weitern freilich manchmal falsch, aber er ehre die Wahrheit über alles und sey immer geneigt jede fremde Meinung gegen die seine zu prüfen. Übrigens könne ich nicht ganz richtig urtheilen, weil ich mit Julius näher bekannt sey, als mit seinem Bruder. Ich hatte dieses mit der größten Unbefangenheit gesagt, aber ein schlauer Blick der Gräfinn brachte mich bei Julius Lobe ausser Fassung, und beinahe gerieht ich in’s Stocken, weil mir die Folgerungen durch den Sinn flogen, die Nordheim über ein zärtliches Verhältniß unter uns daraus ziehen könnte. Ich schämte mich dieser egoistischen Ansicht, und nahm mir vor, da wo es den Vortheil eines Freundes gälte, alle Launen der Liebe außer Spiel zu setzen. Mit glühenden Wangen und bebender Stimme fuhr ich fort: Julius schiene mir ganz gemacht durch die rastlose Thätigkeit seines Geistes, und edle Wärme seine Herzens, einen großen Kreis der Wirksamkeit würdig zu durchlaufen. Nordheim saß mit niedergeschlagenen Augen und nur dann und wann traf mich ein Blick von ihm. Er antwortete nicht auf meine Äuserungen, sprach wieder von mir, sah meine Malereien durch, und wunderte sich, daß ich die Portraitmalerei nur allein übe, und die Landschaft ganz vernachlässige. Ich sagte ihm offenherzig meine Gedanken dabei, daß ich diesen Zweig der Kunst nur in Rücksicht auf meine, und meines Vaters in Hohenfels, ökonomische Lage erwählt hätte. O liebe Seele! … sagte er, und legte seine Hand sanft auf meinen Arm. Ich fühlte daß er ein großmüthiges Anerbieten aus Feinheit zurückhielt. Ich war bewegt, und fasste den Augenblick, um auch der Gräfinn in seinen Augen über ihr Benehmen gegen mich, Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Ich fühlte es, sagte ich, an der großmüthigen Sorgfalt, mit welcher man in diesem Hause allen meinen Wünschen zuvorkommt, daß ich auch der Sorge für die Zukunft überhoben seyn könnte, aber ich läugne nicht, es schien mir Pflicht, und meinem innigsten Empfinden angemessener, mich durch eignen Fleiß zu erhalten, und die Wohlthaten gutmüthiger Menschen, Unbemittelten zu überlassen, die sich durch kein Talent forthelfen können. Liebes Kind, o schweig mir davon! rief die Gräfinn, und schloß mich in ihre Arme. Es war der erste Ausdruck einer lebhafteren Empfindung, den ich an ihr wahrnahm; sie erschien mir in erhöhter Liebenswürdigkeit. Thränen glänzten in ihren Augen, als sich ihr Haupt aus meiner Umarmung wieder erhob, und mit einer ganz eignen Grazie lächelte sie unter den Thränen hervor. Die Kleine ist fürwahr recht eigensinnig, Nordheim, sagte sie, meinen Sie, daß Sie mir erlaubte mich nur im geringsten in ihre Gaderobe zu mischen! Ich spreche von den ersten Kleinigkeiten. Schmälen Sie mit ihr! Lieber verdirbt sie ihre schöne kostbare Zeit damit, einer alten Haube eine neue Form zu geben, einen verwaschnen Zeug aufzufärben, ehe sie mir erlaubte ihr für ein paar Dukaten solchen Plunder zu kaufen. Wir haben schon manchen Streit darüber gehabt. Nordheim sah uns mit stillem Wohlgefallen zu, gieng in meinem Zimmer auf und ab, und verweilte vorzüglich bei meinem Bücherschrank. Er nahm meinen griechischen Homer, in welchem einige Blätter von meinen Übersetzungen lagen. – Darf ich, liebe Agnes? fragte er, indem er eines derselben herauszog – ich antwortete etwas verwirrt, es sey eine Arbeit, die ich noch bei meinem Vater in Hohenfels, und mit seiner Hülfe unternommen hätte. Es freut mich, liebes Mädchen, erwiederte Nordheim, daß Sie die griechische Sprache treiben, ich hoffe nicht, daß Sie mich für einen der Männer ansehen, die die Krücken der weiblichen Unwissenheit, gern zu ihrem eignen Fortkommen brauchen. Schon längst hielt ich es für ein schädliches Vorurtheil, daß man den Weibern in unsern höhern Ständen nicht durch eine sorgfältigere Erziehung die Bekanntschaft mit der alten Litteratur erleichtert, die die Blüte ächter Kultur für Geist und Herz so glücklich entfaltet, Die Gräfinn bat mich, Nordheimen ihr, von mir angefangenes, Portrait zu zeigen, ich holte es aus dem Nebenzimmer, und als ich an der Thüre war, hörte ich Nordheimen folgende Worte aussprechen: – Nein es ist unmöglich bei solcher Wahrheit und solchem Geist! sie waren mir räthselhaft, und nur durch Elisens Entdeckung über das unglückliche Zimmer im Komödienhausse wurden sie mir in der Folge verständlich.

Elise kam, sich nach meiner Gesundheit zu erkundigen, und sprach mit der natürlichsten Unbefangenheit von meinem Übelbefinden auf dem Ball. Nordheims ganze Aufmerksamkeit war bei unserm Gespräch, ob er gleich nur mit meinem Gemälde beschäftigt zu seyn schien.

Aber nicht wahr Fr. R. sagte die Gräfinn scherzhaft, die Kleine soll uns nicht mehr aus den Augen! Scheues Vögelchen, wo in aller Welt hast du nur das Herz hergenommen, dich unter solch ein Gewühl von Menschen allein zu verlieren?

Schon schwebte mir eine feine Antwort auf den Lippen, die mich durch einen Scherz aus der Schlinge gezogen hätte, als Nordheims Blick fest und fragend auf mich fiel. Meine Kraft versagte mir; diesem gegenüber etwas unwahres zu sagen, dünkte mir unmöglich. Mein Athem war gepresst, meine Stimme erlosch, und die glühende Verlegenheit preßte Thränen aus meinen Augen.

Elise welche glaubte, ich fände eine Art Vorwurf in den Worten der Gräfinn, suchte mich aus der Verlegenheit zu reißen.

Machen sie mich zur Hofmeisterinn unsrer Agnes, gnädige Frau, sagte sie zur Gräfinn, über alles was die Etiquette betrifft. Ich werde stolz seyn, sie auch nur von dieser armseligen Seite zu übertreffen, da es mir auf jeder andern doch missglücken müßte.

Ich konnte die Augen wieder aufschlagen. Nordheim stand mir sehr ernsthaft gegenüber.

Ich fürchte, meine Freundinn, sagte ich Elisen, Sie würden eine zu ungelehrige Schülerinn an mir finden. Ich fühle zu sehr, daß ich nicht fürs höhere Leben gemacht bin, und die süsse Freiheit meiner Kindheit in Hohenfels wird es mir immer schwer machen, mich mit Leichtigkeit in die künstlichen Schranken der Gesellschaft zu fügen.

Sie sind zu ernsthaft liebste Agnes, sagte die Gräfinn. Wollen sie nicht eine Spatzierfahrt machen? sagte Nordheim. Freie Luft und Bewegung ist die beste Arznei für unsere Freundinn. Elise war zugesagt zum Mittagsessen, und konnte nicht mit von der Gesellschaft seyn. Die Gräfinn und ich nahmen den Vorschlag mit Vergnügen an.

Wir fuhren in der Mittagsstunde weg, Nordheim war uns zu Pferde vorausgeeilt. Die ganze Gegend glänzte im Sonnenlicht, und mein Auge spähte sehnsuchtsvoll in der weiten Fläche umher, um nur eine Spur des Hauses wieder zu finden, in dem ich gestern das reinste Glück genossen. Mein Bemühen blieb fruchtlos, die Gegend war mit Dörfern und Landhäusern so reichlich übersäet, und von so vielen Straßen durchschnitten, daß es mir unmöglich war, den Weg welchen ich gemacht hatte, wieder zu erkennen. In einem alten, majestätischen Tannenwald, durch welchen die Straße führte, fanden wir Nordheim wieder. Er ritt ein wildes, muthiges Pferd, mit großer Geschicklichkeit, oft warf er einen freundlichen Blick in den Wagen. Sahen Sie je einen schönern Mann, liebe Agnes? sagte mir die Gräfinn, je einen, dessen ganzes Wesen solchen Adel, solche Grazie zeigt. Und welch eine himmlische Einheit ist in seinem ganzen Wirken und Leben! Schweigend stimmte mein Herz in ihre Gefühle ein, sie verstand es, und schaute Gedankenvoll vor sich hin.

Jetzt öfnete sich der dicht verwachsene Wald, und die reizendste Landschaft lag vor uns. Gegen Osten ergoß sich ein breiter Fluß durch eine unabsehbare Fläche, und gegen Westen drängten sich seine Ufer durch zwei Gebirgketten, die die sonderbarsten Formen bildeten. Drohende Felsen neigten sich über den Spiegel des Flusses, wechselnd mit freundlichen Wiesenflächen, an denen einfache doch reinliche Häuser regellos hingestreut waren. Auf einem dieser Felsen lag ein Schloß, dessen graue Mauern im ernsten Charakter der Festigkeit emporragten.

Wo führen Sie uns hin, Nordheim? rief die Gräfinn, ist das nicht Ihr Landgut? Ja, erwiederte er, und ich hoffe Sie nehmen mit der geringen Bewirthung vorlieb, die Ihnen für heute anbieten kann. Der Wald war durch ein liebliches Wiesenthal, mit den Felsen, auf welchen das Schloß lag, verbunden; wir wünschten dieses ganz zu genießen, und beschlossen, es zu Fuße zu durchwandern.

Der junge Rasen unter unsern Füßen, war von klaren Bächen durchschnitten, die sich aus den Felsen ergossen und mit frischem Grün umkränzt, in sanften Linien durch das Thal rieselten. Die Pappeln und anderes Gesträuche, trugen schon zarte Blätter, und der Hagedorn stand in voller Blüthe. Nur an den reinlich gehaltenen Wegen, bemerkte man die Hand der Kultur in diesem Thal, in dem sonst die liebliche Freiheit der Natur herrschte.

Unser Weg führte uns an einigen zierlichen Häusern vorbei, wo Obst und Gemüsepflanzungen angelegt waren. Ein alter Mann von ehrwürdigem Ansehen, war in dem einen Garten beschäftigt, die Rebengeländer zu ordnen. Sorgfältigere Kultur rief hier die Erscheinungen eines mildern Himmelsstriches hervor. Die Weinranken wanden sich von Baum zu Baum, und bildeten zierliche Bogen. Der Alte grüßte uns schweigend, und fuhr in seiner Arbeit fort. Aus dem zweiten Haus kam ein Mädchen und ein Knabe herausgesprungen, der Größe nach schienen sie beide zwischen vierzehn und sechzehn Jahren. Beide waren von schöner Bildung. Ihre lebhaften schwarzen Augen und dunklen Haare, das warme Colorit ihrer Gesichtsfarbe, und ihre sprechenden Geberden, gaben ihnen einen unter unserm Himmel fremden Anstrich. Warten Sie ein wenig! rief der Knabe Nordheimen auf italiänisch zu, meine Schwester bringt Ihnen Veilchen. Das Mädchen nahte sich bescheiden, und die zurückgehaltene Lebhaftigkeit gab ihrem ganzen Wesen ein reizendes Spiel. Mit einer angenehmen Verbeugung gab sie Nordheimen einen Veilchenstrauß, und sprang schnell wieder fort. Während dem Laufen rief sie uns zu, sie eile, um den Damen auch Blumen zu hohlen. Nein, das will ich thun! rief der Bube, und sprang ihr nach. Auf halbem Weg wendete er wieder um, und fragte Nordheimen: ob er seine Flöte mitbringen dürfe und seiner Schwester Guittare, um den Damen eine Musik zu machen? Das bitten wir uns einmal in meinem Hause aus, Battista, die Damen sind jetzt ermüdet, erwiederte Nordheim, ohnerachtet die Gräfin bat, den Kindern die Freude nicht zu verderben. Als sich der Kleine entfernt hatte, sagte uns Nordheim, er habe Battistas Gesuch aus Schonung für die Mutter abgewiesen, die durch sonderbare Schicksale verstimmt, das Anschaun jedes Fremden fliehe, oder nur zuweilen aus Gefälligkeit, mit schmerzlichen innrem Kampf aushalte. Die Schwester eilte mit ihren Veilchen herbei, Battista nahm ihr den einen Strauß ab, und überreichte ihn mir mit einer natürlichen Feinheit, während seine Schwester den ihren der Gräfin gab. Nordheim reichte ihr seine Hand zum Abschied, die sie mit Heftigkeit an ihre Lippen drückte. Die Mutter sahen wir nur auf einen Blick durchs Fenster, ein edler ausdruckvoller Kopf einer hinwelkenden Schönheit. Sie bevölkern ihren englischen Garten mit lebendigen Bewohnern, sagte die Gräfin, und das ist freilich interessanter, als die ausgestopften Einsiedler, welche man jetzt überall findet, und die leeren Bauernhäuser, die ein wohlwollendes Herz, nur mit den Gedanken ansehen kann, hier sollten glückliche Menschen wohnen!

Es ist vielleicht mehr Zufall als Plan in diesen Anlagen, erwiederte Nordheim lächelnd. Wenn es unser Genius gut mit uns meint, so hält er uns eine Pflicht vor, indem wir eben eine Thorheit begehen wollten. Sie haben es errathen, der Plan war schon gemacht, dieses Thal zum Park umzuschaffen, das eine Haus sollte ein Gothische Kapelle, und das andere ein Griechischer Tempel werden. Ein Freund mit dem ich seit vielen Jahren in inniger Vertraulichkeit lebte, empfahl mir auf seinem Sterbebette eine Sängerin, die er unterhalten hatte, und die bei der Geburth seines zweiten Kindes, durch eine heftige Krankheit ihre sehr schöne Stimme verlohren hatte. Sie und ihre Kinder wurden hülflos durch den Tod meines Freundes, und ich ließ meine Gothische Kapelle zum einfachen Wohnhauß für sie einrichten. Die Kinder wuchsen heran, verriethen Talent, und ich war eben um ihre Erziehung verlegen, da ich sie ungern von der Mutter trennen wollte, als eines Morgens ein alter Hofmeister von mir ankam, der mir in meiner Jugend einen wichtigen Dienst geleistet hatte, und sich jetzt nach vielen vergeblichen Kämpfen mit dem Schicksal nach einem Zufluchtsort umsah. Er besizt mannichfaltige und gründliche Kenntnisse und eine gute Art sie mitzutheilen. Er soll deinen griechischen Tempel bewohnen, dachte ich, bot ihm einen kleinen Jahrgehalt an, den er mit Vergnügen annahm, und von dem er bei seiner ächt philosophischen Simplicität, und in der grösten Unabhängigkeit, sehr glücklich lebt. Die Kinder sind ihm lieb geworden, und er verwendet sich mit Treue und Fleiß auf ihre Bildung. Mir ist wohl, auf dem kleinen Pläzchen einen Zirkel ruhig lebender Menschen vereint zu sehen; und wenn ich hier bin, verlebe ich manchen vergnügten Abend unter ihnen.

Ein bequemer Weg mit Bäumen besetzt, führte von der einen Seite über den Felsenrücken bis an eine Zugbrücke. Mannichfache anmuthige Anlagen schmücken den Fels, und nur von einer Seite war er ganz unangebaut, und neigte seine formlosen Massen, zwischen denen wildes Gesträuch hervorwuchs, drohend über den Fluß. Wir giengen über die Zugbrücke in den geräumigen Hof, um das Innere des Gebäudes zu sehen. Die Thore waren mit zwei Wappen geschmückt, und alle Verzierungen waren im alten Geschmack in Stein, rein gezeichnet und gearbeitet, und auf das beste unterhalten.

Ich habe mich sehr gehütet, sagte Nordheim, den alten Charakter dieses Gebäudes durch modernes Flickwerk zu verfälschen. Mir dünket oft, die Sprache der alten Zeit in diesen fest gewölbten Hallen zu vernehmen. Aus der glatten, neuern Welt, flüchte ich mich gern in diese rauhen Mauern, wo lauter feste und starke, wenn gleich etwas grelle Formen, mich umgeben. Wir giengen durch einen großen Saal, dessen Hauptverzierung aus Familienportraits in Lebensgröße bestand, von denen die Stärke der hervorstechendste Ausdruck war. Wappen und Titel fanden zu ihren Füssen, und die mehresten hatten in den ersten Fürstenhäusern Deutschlands, ansehnliche Ämter begleitet, bis auf Nordheims Vater und Grosvater, die gar keine Titel hatten.

Die Gräfin bemerkte es, und Nordheim sagte lächlend: die Talente zum HofGlück verlöschten hier in unserer Familie, oder die Verfassungen änderten sich, und foderten andere Talente, als die wir von unsern redlichen Vorfahren ererben konnten. Was sollten die stolzen ehrlichen Ritter bei den französischen Kabinetsfürsten? Und die braven und geistvollen verachteten den müßigen Hofdienst. Mein Grosvater merkte, wo der Wind der Zeit herwehte, und zog sich auf seine Güter zurück, nachdem er die Welt durch Reisen hatte kennen lernen. Er kaufte diese zwei Dörfer, die Sie hier längst des Flusses sehen, wieder an sich. Seit langen Jahren hatten sie der Familie zugehört und nur unter den letzten Besitzern giengen sie verlohren, weil diese lieber den großen Diener in der Stadt spielten als den Herrn in ihrem Hause. Mein Grosvater war ein verständiger Landwirth und ein sorgsamer Vater seiner Unterthanen.

Ununterbrochen arbeitete er daran, seinen Nachkommen ein unabhängiges Vermögen zu verschaffen, und da seine Vorfahren oft wenig an die Nachkommen gedacht hatten, so mußte er oft zu seiner Unbequemlichkeit an sie denken. Er hatte große Neigungen zur Pracht, sein Geschmack hatte sich in den Hauptstädten Europens ausgebildet, aber er ordnete alle Liebhabereien den Grundsätzen einer weisen Sparsamkeit unter. Er lebte bequem, aber sehr einfach und verbrannte allen Luxus, der nur der Meinung fröhnt, ohne einen reellen Lebensgenuß zu verschaffen. Seine Freunde waren ihm alle Tage an seiner Tafel willkommen, aber nie wurde diese mit Überfluß besetzt. Jeden Fremden war wohl in seinem Hause; weil er allen zwang des eitlen Scheins abgeworfen hatte, stöhrte selten etwas seine gute Laune, und ich entsinne mich noch, daß ich mich als Kind immer in des Grosvaters Hause frey fühlte, wie ein Vogel, den man des Käfigs entlassen hat.

Mein Vater lebte auch in demselben Sinne wie mein Grosvater und hielt sich nur oft in S* auf, weil er mit dem Fürsten in freundschaftlichen Verhältnissen stand. Und sollte ein so biederes blühendes Geschlecht verlöschen, liebster Freund! sagte die Gräfin indem sie ihre Hand auf Nordheims Arm legte. Möchte ein edler Sohn, fuhr sie fort – aber ihre Stimme bebte und verlöschte, eine sonderbare Bewegung war in ihrem ganzen Wesen sichtbar, ihre Wangen glühten und in ihren Augen zitterten Thränen. Nordheims Blicke fielen auf mich, wie in jenem Moment in Hohenfels, als er meinem Vater sagte: mir fehlt auch nur eines und sie könnten mir’s vielleicht geben! Er nahm die Hand der Gräfin und die meine zusammen und sagte: überlassen wir das der Zukunft, meine Besten! Die Bewegung der Gräfin stieg immer höher, und Nordheim führte mich gegen die andere Seite des Saals, als wollte er ihr Zeit lassen sich zu sammeln. Unsere Agnes muß auch meine Eltermutter kennen lernen, sagte er. Scheinen Sie nicht sanfte stillthätige Seelen gewesen zu seyn, deren Blick gewohnt sich in einen engen Zirkel zu beschränken, tief und scharf auf das ihnen zu nächst liegende sieht?

Das Blumensträus’chen in ihrer Hand, oder der goldene Trauring an ihrem Finger, scheint ihre Gedanken zu beschäftigen, und eine süsse Erinnerung ihres Brauttages vor ihrer reinen Fantasie zu schweben. Die Grosmutter blickt schon freier um sich her, aber ein edles Selbstgefühl thronet auf den offnen Stirn. Auch war sie ein braves, kluges Weib, das während der Minderjährigkeit meines Vaters die Güter beinahe ohne männliche Beihülfe einige Jahre hindurch ganz nach dem Sinn ihres Mannes verwaltete. Alles hatte Gedeihen und glücklichen Fortgang unter ihrer Aufsicht.

Meine Mutter fehlt hier, Sie werden sie in meinem Zimmer sehen, ich bin gerne unter ihren Augen. Auch sie hatte, wie wir es unbilligerweise ausdrücken, einen männlichen Geist. Die schöne Fähigkeit des weiblichen Gemüths, in einer neuen fremden Lage, gleichsam in seinem Innern ein neues Ressort aufzufinden, sollte von uns mehr als eine dem Geschlecht innwohnende Kraft angesehen werden, anstatt daß wir sie nur für eine Ausnahme anerkennen wollen. Wir sind um so unbilliger in diesem Urtheil, da wir positive Vortheile gegen die Frauen haben und mit manchen Federn geschmückt sind, die wir am Ende doch nur unsern stärkern Klauen verdanken. Die Vortheile einer frühern wissenschaftlichen Bildung und mannichfacher Lebensverhältnisse mußten für Kraft des Characters, für Besonnenheit in schweren Lagen auf unserer Seite entscheidend seyn, wenn nicht wirklich zuweilen ein innrer Reichthum der Natur die Weiber entschädigte. Aber nicht alle hat die Natur so begünstigt; wenige nur widerstehen durch eine glückliche Anlage der Gewalt, welche eine falsche Erziehung schon von der frühesten Jugend an ihnen ausübt. Die Unwissenheit und Characterlosigkeit, zu denen sie meistens ihre Verhältnisse verdammen, tragen die bittersten Früchte für ihr ganzes Leben, und wer hat diese zu genießen als wir selbst? Der Ruin vieler Familien entsteht größtentheils aus Schwachheit und Kurzsichtigkeit der Weiber. Störriger Eigensinn ist die Folge eines beschränkten Geistes, und existirt meist neben kindischer Furchtsamkeit. Die unterdrückte Natur rächt sich; wir sind die Betrogenen, weil wir es seyn wollen. Weil die meisten unter uns Stärke an den Weibern nicht zu tragen und nicht zu lieben vermögen, so suchen sie nur die über alles gepreisene Sanftheit, und nehmen sie ohne Untersuchung hin. O wie ist die ächte Sanftmuth, die das Leben jedes dauernden Verhältnisses ist, so unverkennbar in der Grazie ihrer Äuserungen! Glücklich wer sie besitzt und wer sie genießt. Nur von solchen Gemüthern haben wir Schonung zu erwarten, wenn sich die Erbsünde des Übermuths in uns regt; ungebildete Seelen brauchen die rohen Naturwaffen gegen uns, Verschlagenheit und List.

Die Gräfin näherte sich uns, sie wünschte noch einen Gang durch die übrigen Zimmer zu machen. An beiden Seiten des Saals waren zwey runde Thürme durch wenige Verzierungen in sehr freundliche Zimmer verwandelt. Das eine diente zum Gesellschafts-Saal, das andere zu Bibliothek. Aus der Bibliothek gieng man in eine Reihe zierlich eingerichteter Zimmer, deren einige trefliche Kupferstich-Sammlungen und wenige, aber vorzügliche Gemählde enthielten. Zuletzt sah man sich in einer kleinen Rotunde, die das Licht von oben empfieng, und worinn Abgüsse der vorzüglichsten Antiken aufgestellt waren. Zum erstenmal sah ich in solcher Vollkommenheit diese unsterblichen Werke, in denen der reinste Geist der Kunst ewig fortlebt.

Fräulein R* mit ihrer alten Tante und die beiden Albans kamen gegen Abend. Nordheim hatte sie eingeladen. Julius begrüßte mich mit seiner gewohnten Unbefangenheit, aber ein Blick Nordheims, der auf uns fiel, ließ mich in seinem Benehmen gegen mich etwas zu freies finden. Aus Dankbarkeit für die zarte Sorgfalt mit der er mich gestern gepflegt hatte, zwang ich mich alle Zurückhaltung gegen ihn aus meinem Betragen zu verbannen. Mit Schmerz bemerkte ich, daß Nordheim mich und Julius bei allen Gelegenheiten zusammen zu bringen suchte, wie zwei Liebende deren zärtliches Verhältniß allgemein anerkannt ist. Er sprach viel mit Julius, bezeigte Gefallen an seinen Kenntnissen und an dem geistvollen Ausdruck, den er seinen sehr eigenthümlichen Vorstellungsarten zu geben wußte.

Welch schönes Leben erwartet uns, beste Agnes! sagte Elise, als wir uns auf unserm Zimmer allein befanden. Mehr als jemals hoffe ich mit meiner Agnes, eine Familie, ein Haus auszumachen. Julius ist hofnungsvoller seit gestern; seine Liebe ist treu und zart. Sie werden glücklich mit ihm seyn, so wie er und wir alles unaussprechlich durch Sie seyn werden. Wenn ich könnte, Elise, wenn ich Julius lieben könnte, wie er es verdient! Erwiederte ich – Wir sprachen oft darüber, sagte Elise nach einigem Nachdenken. Ihre Kälte bei allem was auf Liebe deutet, schien uns ein Phänomen in einem so weichen liebenden Herzen. Julius behauptet, Sie wären von zu reicher hoher Natur, um eine Leidenschaft zu haben, und diese Stille des Gemüths, die nicht aus Mangel an Kraft, sondern aus hoher Richtung derselben entstünde, würde sein Glück eher vermehren als vermindern. Ich glaube dennoch, fuhr sie lächelnd fort, der Drache der Eifersucht würde diese goldene Früchte der Weisheit mit immer offenen Augen bewachen. Ich verstehe Sie nicht Elise, versetzte ich etwas empfindlich.

Ich kenne das heilige Herz meiner Agnes, sagte Elise, und weiß, daß es unfähig ist, Vertrauen und Liebe zu beleidigen. Ich wäre der Glückseligkeit unsers Julius an Ihrer Seite gewiss. Es war ein Scherz unter uns, der zu dem gesagten Anlaß gab. Julius war diesen ganzen Abend hindurch sehr gespannt auf die Aufmerksamkeit und Achtung, die Nordheim für Sie bezeugte. Als Alban und ich es ihm im Scherz vorwarfen, sagte er: dieser wäre ein gefährlicher Nebenbuhler, oder vielmehr gegen einen Mann von solchen Vorzügen, finde gar keine Rivalität statt. Alban tröstete Julius mit dem allgemein bekannten Verhältniß Nordheims mit der Gräfin.

Und welches? fragte ich mit erzwungener Kälte. Die Welt sagt, sie seyen heimlich verheurathet. Die Welt sagt freilich viel falsches, aber da die Gräfin schon seit zehen Jahren Wittwe ist, und während dieser Zeit mit Nordheim in der größten Vertraulichkeit lebte, auch seit dem Tod ihres Gemahls keinen andern Liebhaber hatte, so ist freilich hinlänglicher Grund zu dergleichen Vermuthungen vorhanden. Sie sind nicht wohl, liebes Mädchen, rief Elise lebhaft aus; Ihre Gesichtsfarbe wechselt so schnell! Oder hätte ich Sie durch meine Äuserungen über die Gräfin beleidigt? Verzeihen Sie, aber Ihre Kälte gegen diese Dame, die mir oft auffiel, da sie wirklich sehr liebenswürdig ist, diese verleitete mich jetzt so treuherzig alles über sie herauszusagen.

Meine wechselnde Farbe hatte einen tiefern Grund, als meine gute Elise wähnte. Ich beruhigte sie, und sie überließ mich bald der Einsamkeit und meinen Betrachtungen.

Alle jene freundlichen Zauberfarben, mit denen die Liebe und die Zukunft erhellt, verlöschten durch den Zweifel an Nordheims Neigung. Ich sah nur eine licht- und formlose Dämmerung vor mir, und die Mühe mich hindurch zu arbeiten, war das einzige was ich bestimmt erkannte. Das nöthigste für den Moment war mir, Julius aus seiner Täuschung zu reissen. Ich will ihm meine Liebe, und meinen Schmerz gestehen, und eine beinahe gleiche Lage wird uns in fester Freundschaft verbinden. Julius selbst, vielleicht durch einen Zweifel über Nordheim angetrieben, bot mir den nächsten Morgen die Gelegenheit dazu.

Nach eingenommenem Frühstück zerstreute sich die Gesellschaft. Die Gräfin gieng auf ihr Freunde in dem großen Saal auf und ab, und ich blieb allein beim Clavier mit Julius. Er spielte mit großer Fertigkeit einige meiner Lieblings Sonaten, und sprach dann von seiner Liebe und seinen Wünschen, für immer mit mir vereinigt zu seyn.

Sein Gesicht war so rein, so gut, so bescheiden hoffend, daß ich ihm meine Hand, die er zwischen den seinigen hielt, nicht entziehen konnte – Ach, wenn sie in meine Wünsche einstimmen könnten, beste Agnes, rief er uns, welche glückliche Familie würden wir ausmachen! Mein Bruder und Elise, unsere besten nächsten Freunde, die so harmonisch mit uns denken und empfinden, würden vereint mit uns leben. Auch ihr Vater würde mit uns leben, nicht wahr? Alles Leere und Unbedeutende würden Sie aus meinem Leben verbannen. Ihr großer Sinn würde mich in allem meinem Wirken zum Schönsten und Edelsten leiten. Sie selbst sollten so frey, so sorgenlos leben, ganz nach der Wahrheit Ihrer schönen Natur. Könnten Sie nicht auch glücklich seyn, wenn wir alle es durch Sie sind? Ach Sie müßten es seyn! Sprechen Sie bestes Mädchen.

Das redliche Bemühen der gutmüthigen feinen Seele rührte mich innig, aber je zärter ich diese Seele empfand, je mehr fühlte ch, daß ich ihr nicht alles geben könnte, und nichts halbes geben dürfe.

O beste Agnes Sie sind bewegt, rief Julius. Reden Sie! – Aber Sie schweigen; o ich verstand Sie unrecht, ich habe Sie beleidigt! Rief er schmerzlich aus, und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. – Nein, beste Seele, sagte ich, nein, wie wäre es möglich! – Julius – wenn ich könnte – Ach wenn ich Sie so über alles lieben könnte, wie Sie es verdienen.

Über alles? meine Agnes, wie könnte ich das verlangen! Täuschen wir uns nicht, meine Beste, ein Herz wie das Ihrige, in dem sich so mannichfache Kräfte früh entwickelten, dieses kann keinen Mann über alles lieben.

Seyn Sie mir nur gut; lassen Sie mich Sie so glücklich machen, als ich kann. Ihr Gutseyn ist tausendmal mehr, ist inniger, zärter, als das was andere Frauen Liebe nennen.

Es war ein entscheidender Augenblick; das schwankende, vielleicht einzig in meiner Einbildung gewebte Verhältniß mit Nordheim, schwebte mir vor, Julius reine zarte Liebe drang zu meinem Herzen, ich drückte seine Hand fester, und mein thränenschweres Auge verbarg sich an seinen Arm. Ein Geräusch unterbrach uns, ich erhob meine Augen. Nordheim stand unter der Thüre, aber zog sich augenblicklich zurück. Werde ich nicht das Bild dieses einzig Liebenswürdigen immer mit verlangender Sehnsucht umfassen, selbst an Julius treuem Herzen? Diese Frage bewegte meine ganze Seele. Meine Lippen zitterten, und ich hatte keine Worte, so wie keine klare Empfindung.

Julius saß mit dem Rücken gegen die Thüre, und hatte Nordheim nicht gesehen, er wähnte Liebe für ihn, bewege mein Herz so heftig. O beste Agnes fuhr er fort, nur ein holdes Wort von Ihren Lippen, welches die süßen Ahnungen, die ich aus diesem Schweigen nehme, zur Hofnung erhebt! Nie sah ich Sie so bewegt – ist’s für mich? – Ja es ist ein sanftes Neigen Ihrer Seele gegen die meine.

Der Wahn, in dem Julius meine verwirrte Empfindungen zu seinem Vortheil auslegte, war mir innig schmerzlich. Ich fühlte, daß ich ihm ganz wahr seyn, ihm mit Aufopferung aller Weiblichkeit den Zustand meines Gemüths rein darlegen müsse. Er hielt noch immer meine Hand, und sagte sanft: Warum wenden Sie Ihr liebes Auge von mir? O Agnes können Sie mich lieben? – Liebte ich nicht schon, so könnte ichs, erwiederte ich mit weggewendetem Gesicht, während meine Hand die seine drückte. Ach Gott, rief er mit einem Ton des innigen Schmerzens. Nicht für mich! Nach einigen Momenten der lebhaftesten Bewegung, wo seine Brust einen tiefen Kummer zu verarbeiten schien, und sein Auge mit hervorstürzenden Thränen kämpfte, wendete er sich wieder gegen mich, indem er ausrief: Und doch für mich! Wer kann mir die zarte Neigung rauben, die mich belebt? Wer die innige treue Sorge, die mit meinem ganzen Daseyn verwebt ist? Fühlte ich nicht erst die ganze Tiefe meines Wesens, seit die Gewalt dieser Liebe deiner allbesiegenden Schönheit, alle Kräfte in mir aufregte! Ja für dich will ich leben, du sollst meine zärteste Sorge seyn, wie du meine süßeste Freude hättest werden können.

Sie sollen alles wissen, mein werther Freund, sagte ich ihm, meine Liebe, meinen Schmerz. Ach Julius! Warum mußte ein früherer Eindruck mein Herz für Ihre Neigung verschließen! – ein Eindruck, der mich schwerlich zur Glückseligkeit leiten wird.

Als mich Julius entschlossen sah, ihn zum Vertrauten zu machen, half er mir mit jener schonenden Feinheit ihm mein Geständniß abzulegen, welches die Gedanken erräth, bevor sei sich noch Worte gebildet haben. Da ich endlich Nordheims Nahmen aussprechen mußte, erschrak er, als hätte er etwas ganz unerwartetes vernommen.

Ihre Liebe, meine Agnes, wird mit Leiden verbunden seyn, sagte er. Die Hülfe der Freundschaft kann vielleicht den Kummer ihres Herzens erleichtern. Heilig gelobe ich, ihr Freund, und nur Ihr Freund zu seyn. Ich verspreche nicht wenig, aber ich will und werde es halten.

Wie werth war mir Julius in diesem Moment! Ich gelobte mir selbst im Stillen sein Glück an meinem Herzen zu tragen, und ihm immer mit unverbrüchlicher Treue und Wahrheit zu begegnen.

Wir müssen jetzt zur Gesellschaft, sagte Julius, ich sehe, man versammelt sich im Garten. Wenn Sie nicht Mein werden können, beste Agnes, so muß ich künftig vorsichtiger in meinem Betragen seyn, um die Welt in keiner Täuschung über unser Verhältniß zu lassen. Verzeihen Sie, daß ich meine Empfindungen bis jetzt zu laut sprechen ließ, es soll nicht mehr geschehen. Nur wenn wir allein sind, werden Sie immer mein offenes, ganz von Ihnen erfülltes Herz auf meinen Lippen finden.

Die Gesellschaft war in einem kleinen Pavillon versammelt. Nordheim sah mich nur flüchtig an, als ich mich ihm näherte, gleich als wollte er meiner Verlegenheit schonen. Er begegnete mir mit derselben feinen Achtung als zuvor, aber doch hatte sich eine gewisse kalte Höflichkeit als eine fremde Farbe in sein Betragen gemischt, und die sanfte Vertraulichkeit war verschwunden. Mein Herz war gepresst. Er schien mir unaussprechlich liebenswürdig. Selbst die Entfernung, welche er gegen mich beobachtete, deutete auf einen zärteren Antheil seines Herzens an mir, der durch die Situation, in welcher er mich mit Julius gefunden, nothwendig beleidigt werden mußte. Wie gern hätte ich meine ganze Seele offen vor ihm dargelegt! Battista und seine Schwester waren eingeladen, uns mit ihrer versprochenen Musik zu ergötzen. Beide waren zierlich gekleidet und die blühenden Gestalten voll jugendlichen Lebens, die unter einem Blüthenbaume sassen, und den Zauber ihrer einfachen herzlichen Melodien um sich her verbreiteten, theilten uns allen eine beinahe idealische Stimmung mit. Die Kinder spielten ein welsches Lied’chen, und das Mädchen legte den ganzen Sinn hinschmelzender Zärtlichkeit in die süsse Melodie. Unter dem Schatten der beiden Augenlieder und der langen Wimpern blizte zuweilen ein feuriger Blick hervor, immer traf er auf denselben Gegenstand, auf Nordheim.

Bravo Bettina! sagte Nordheim, indem er die Kleine bei der Hand faßte und die schwarzen Locken zurückschlug, die in der Gluth des Gesangs über ihre Stirne herabgefallen waren. Seit wann lehrte dich deine Mutter dieses Lied’chen?

Auf meine Bitte, erwiederte Bettina, lehrte sie michs vor einigen Tagen, da wir hörten, daß Sie zurückkommen würden.

Ich danke dir mein Kind! sagte Nordheim freundlich. Bettina drückte seine Hand an ihre Lippen und eilte hinweg.

Arme Bettina! rief die Gräfin aus, indem sie ihr mit einem traurigen Blick nachsah.

Warum beklagen Sie Bettina, liebe Gräfin? fragte Nordheim. Ich rechne selbst auf Ihre Güte, um dem anmuthsvollen kleinen Geschöpf ein glückliches Schicksal zu bereiten.

Ich dachte nicht an Bettina’s äusere Lage, als ich sie beklagte, sagte die Gräfin. Aber wohl schmerzte es mich, das junge Gemüth schon in der vollen Gluth der Leidenschaft auflodern zu sehen, die sie mit so rührender Wahrheit in ihrem Gesang aushauchte. Nordheim erwiederte: Sollen wir den grossen Anlagen der Natur mistrauen, meine Freundin? An der Gluth der Leidenschaften reift das Edelste in uns. Gewiss mein Freund; sagte die Gräfin. Aber wenn ein hoher stolzer Baum vom Bliz zerschmettert vor unsern Augen hinstürzt, oder ein holdes Gemüth der Gewalt einer Leidenschaft unterliegend, in seinen besten Lebenskräften dahin stirbt, fühlt sich unser Herz nicht von allen Schmerzen der Zerstöhrung ergriffen? Zumal, setzte sie hinzu, wenn ein eigenes schmerzliches Schicksal uns das innere Daseyn des Wesens in seiner geheimsten Tiefe erkennen lehrt?

Die Damen giengen nach ihrem Zimmer, um sich anzukleiden, ich nahm Bettina mit mir. Das holde Geschöpf, voll Jugend und Leben, zog mich an sich, und die innigen wahren Laute der Natur in ihrer Neigung zu Nordheim trugen vielleicht nicht wenig bei, den Reiz zu vermehren, welchen ihr ganzes Wesen für mich hatte.

Anfänglich war sie still und verlegen, aber als sie fühlte, daß ich es wohl und treu mit ihr meynte, schwazte sie lieblich und unbefangen über ihr häußliches Leben, ihre Beschäftigungen und Verhältnisse. Meine Mutter, sagte sie unter anderm, spricht davon, mich in der Stadt in einem guten Hause unterzubringen, wo ich dann vielleicht mit der Zeit einen braven Mann fände und so unserm Wohlthäter die Sorge für uns erleichtert würde. Es sey unbescheiden, sagt sie, ihn mit unsrer ganzen Existenz zu belästigen.

Ich fühle, daß sie Recht hat, aber… die arme Kleine brach in einen Strom von Thränen aus. Ich sprach ihr zu, ruhig zu seyn, Nordheim sey zu gütig, um sie zu irgend einen Schritt zu nöthigen, welcher nicht mit ihrer Neigung geschähe, er selbst würde es nicht zugeben, daß ihre Mutter sich der Freude, sie zu sehen, beraubte. Ach welchen Trost Sie mir geben! rief sie lebhaft aus, ihr schönes schwarzes Auge kehrte sich gen Himmel, sie legte ihre Arme übers Kreuz und drückte sie fest an ihre Brust. Mein ganzes Leben soll im Gebet für das Glück des edelsten liebenswürdigsten Mannes hinfliessen, fuhr sie fort, o ihm verdanke ich ja alles! Was kann ich sonst für ihn thun! Wär’ ich wie mein Bruder, hätte ich Stärke in meinen Armen, um ein Roß zu bändigen, könnte ich schiessen und mit Waffen umgehen, dann wiche ich nie von seiner Seite, ich folgte ihm auf Reisen als Knappe, in allen Gefahren blieb ich bei ihm, und kein Unfall sollte ihm nahen, würd’ er verwundet oder krank, dann wollte ich nicht von seinem Bett gehen, meine Mutter lehrte mich Wunden verbinden und Krankpflegen. Ach und wie vorsichtig wollte ich seyn! Niemand als ich sollte ihn anrühren und niemand sonst an seinem Bette wachen, damit der Schlaf durch keine unvorsichtige Bewegung von den lieben Augenliedern verscheucht würde.

Eine glühende Röthe überzog ihr Gesicht, sie fühlte erst jetzt, daß sie mir ihr innerstes Daseyn enthüllt hatte.

Die schönen Anlagen eines starker tiefer Eindrücken fähigen Gemüths, die sich so lieblich in ihre Rede entfalteten, flößten mir herzliche Zuneigung ein. Ich versprach ihr Liebe und Sorge für ihr künftiges Leben, und sie freute sich der Hofnung, mir oft schreiben zu dürfen.

Durch einen Boten aus der Stadt empfieng ich folgenden Brief: eine Ihnen sehr werthe Person wünscht einige Zeilen von Ihrer Hand, vorzüglich wünscht sie eine Antwort auf die lezte Frage, die sie an Sie gethan, ehe die Glocke des Abschieds schlug. In der Stunde der Mitternacht werden Sie einen treuen Boten bereit finden. Gerade der kleine Pforte, die in den Garten führt, gegenüber, wird er Sie an der Gartenhecke, so lang Sie noch in diesem Aufenthalt sind, alle Nächte hindurch erwarten. Warten Sie Zeit und Umstände wohl ab, bis sich der günstigste Augenblick zeigt.

Johannes Ch.

Ich eilte sogleich meiner Mutter zu schreiben, und benuzte jeden Moment des Tages dazu, wo ich mich unbemerkt von der Gesellschaft hinweg stehlen konnte. Auf die Frage: ob ich schon eine lebhaftere Neigung für irgend einen Mann empfunden? sagte ich ihr: An eine geliebte Gestalt ist die Freude und die Hofnung meines Lebens in der Liebe geheftet, und trennt mich das Schicksal von dieser, so wünsche ich unverheurathet einzig für meine theure Mutter und meinen Vater in Hohenfels zu leben.

Nordheim erhielt einen unerwarteten Besuch des Prinzen, welcher sich wegen einer Zusammenkunft mit seiner Schwester, für einige Tage auf einem Lustschloß in der Gegend aufhielt.

Der Prinz verband eine schöne Gestalt mit einem einnehmenden Betragen. Durch seinen langen Aufenthalt in fremden Ländern hatten sich die scharfen Ecken abgeschliffen, welche Gewalt und Schmeicheley nothwendig in einem Charakter erzeugen. Sein Betragen war einfach und fein, doch zeigte es sich bey manchen kleinen Veranlassungen nur als erworbene Manier. Man näherte sich ihm ohne jenes Vertrauen zu empfinden, welches nur eine schöne Natur, nur eine wohlwollende Seele einzuflößen im Stand ist. Die Neigung des Prinzen für Nordheim äusserte sich lebhaft; man fühlte wie er nach seiner Achtung rang, und Beyfall oder Tadel in seinen Augen zu lesen strebte.

Während die Herren sich in den entfernteren Garten-Anlagen umsahen, gieng die Gräfin auf ihr Zimmer, und bat mich sie zu begleiten. Sobald wir allein waren, sagte sie: liebes Mädchen, unter Menschen, die sich nicht fremdartig, vielmehr durch gleiche Liebe zum Schönen und Guten mit einander verschwistert sind, kommt früh oder spät ein Moment der innigeren Annäherung, wenn sich nicht feindselige Verhältnisse dazwischen legen. Ich wollte jenen Moment unter uns erwarten, denn es ist mit der Neigung wie mit gewissen Früchten, die, wenn sie auf den rechten Punkt der Reife gekommen sind, uns von selbst am schönsten zufallen. Das Gewebe sonderbarer Misverständnisse, welches zwischen uns zu entstehen droht, änderte meinen Entschluß. Ich fühle es, bestes Kind, meine geübtere Hand muß diese verworrne Fäden trennen, und unsern Gemüthern die schöne Lauterkeit und Klarheit erhalten, für die wir beyde gebohren sind. O Agnes, das Leben ist kurz, und wir verlieren den grösen Theil desselben, durch Misverständnisse. Nicht nur wünschte ich mir, jeden Vorwurf über dein Schicksal zu ersparen, holdes Kind, sondern vielmehr die süsse Beruhigung in der Seele zu tragen, daß ich ein liebenswürdiges Gemüth vor dem Unfrieden mit sich selbst bewahrte. Ich forsche nicht nach den Geheimnissen des Herzens, aber von mir nimm die Versicherung, daß ich Nordheim nie besitzen kann.

In ungünstigen Verhältnissen verblühte die Jugend meines Lebens – meines Herzens, ich rettete nur Trümmer, und diese können das volle Glück eines Mannes nicht machen, der selbst die schöne Grazie eines jugendlichen Empfindens bewahrte. Ich läugne es nicht, ich halte es für ein beneidenswerthes Loos, in der innigsten ruhigsten Verbindung mit dem liebenswürdigsten Manne zu leben – aber die Offenherzigkeit dieses Geständnisses kann dir auch, wenn du und ich anders dessen bedürfen sollten, die Wahrheit meiner Zusicherung verbürgen. Liebe Seele, sagte sie sanft und zog mich an ihre Brust, bleibe dir selbst klar, du hast ihn geliebt, und wenn man ihn einmal geliebt hat – kann man sein Herz von ihm wieder losreissen? Meine Lage war unglücklich und sonderbar, und meine Gemüthsstimmung wurde es auch. Der freie schöne Blick ins Leben gieng früh für mich verloren, ich habe meinem eigenen Herzen Schulden abzubüssen, und nur in strenger Wachsamkeit auf mich selbst bewahre ich meinen innren Frieden. Mein Daseyn ist Kampf und Arbeit. Jezt genug, Liebe, verlaß mich, und glaube sicher, daß ich deinem Glücke nicht im Wege stehe.

Ich sank stumm in Amaliens Arme, ihre Worte hatten mein Innres ergriffen, und Achtung und Mitleid füllten meine Brust.

Mehr noch als ihre Worte, hatte ein unaussprechlicher Ausdruck des tiefen Leidens, der mir in ihren Zügen zum erstenmal erschien, meine Seele in inniger Neigung gegen sie eröfnet. Unter der Herrschaft der Weltsitte hatte sie sich gewöhnt, einen Schleier des leichten Muthes um ihren Gram zu ziehen, der in diesem Augenblick der herzlichen Vertraulichkeit entfiel.

Arme Amalia! sagte ich in dem tiefsten Herzen, aus welcher schmerzlichen Verwirrung sich unser Schicksal lösen soll, fasse ich noch nicht!

Die Herren kamen bald von ihrem Spaziergang zurück, und die Gesellschaft versammelte sich zum Thee. Der Prinz sprach mit Offenheit über seine gegenwärtigen und künftigen Verhältnisse. Ich hoffe, sagte er, in solch einem geistvollen Cirkel ein guter Mensch zu blieben, und Erhohlung und Lebensgenuß nach erfülltem Beruf unter Ihnen zu finden. Ich hoffe, fuhr er fort, auch meine Schwester wird von Ihnen werth gefunden werden, das Vergnügen Ihrer Gesellschaft zu theilen. Sie ist ein gutes liebenswürdiges Geschöpf, und mein Hof wird, durch die Grazien ihres Umgangs belebt, eine lieblichere Gestalt gewinnen. Er zeigte der Gräfin ein Portrait der Prinzessin und hernach auch Elisen und mir. Mit welcher Gewalt ergriffen mich diese Züge! Eine dunkle Rückerinnerung an die Gestalt meiner Mutter erwachte in meiner Seele – ich bebte, erröthete, und verbarg meine Bewegung nur mit der grösten Anstrengung vor den Augen der Gesellschaft. Der Prinz, welcher mir am nächsten stand, suchte mich mit seinem forschenden Blick zu durchschauen. Solche sanfte liebliche Formen, wie auf diesem Bildniß der Prinzessin, dichtete sich meine Fantasie zu dem zarten feurigen Blick meiner Mutter, der mir immer vor der Seele schwebte, so wie die reinen Verhältnisse ihrer Gestalt.

Nordheim gab bey seiner jedesmaligen Ankunft den Landleuten ein kleines Fest. Dieser Abend war dazu bestimmt, und der Prinz wünschte ein Zuschauer zu seyn. In der Mitte des Dorfes war ein Rasenplaz für die Tänzer, hohe Linden überschatteten ihn, an beyden Seiten waren Tische mit Speisen und Getränken bereitet, und ringsherum Bänke für die Zuschauer. Die fröhlichen selbstgenugsamen Gesichter der Eltern und die starke markige Jugend, die sich gleichsam der Fülle ihrer Kräfte im raschen Tanz entlastete; alles zeugte von einem sichern ruhigen Wohlstand. Das bescheidne Betragen des größern Theils und seine Mäßigkeit in der Freude, bewieß, daß diese Göttin hier keine seltene Erscheinung seye. Wir mischten uns in den kunstlosen Tanz. Nordheim bot mir die Hand, in welchen süßen einzigen Klang der Liebe löste sich gleichsam mein ganzes Wesen auf, als ich von seinen Armen umschlossen, unter dem klaren weiten Himmel dahin flog! Als der Schwindel des Tanzes meine Sinnen ergrif, und Bäume und Menschen um mich her anfiengen sich zu drehen und zu schwanken, dann war mirs nicht anders als trügen uns die lauen lieblichen Frühlingslüfte empor ins gränzenlose Blau des Himmels, wo irgend eine schöne Insel sich niedersenken und uns aufnehmen werde. Ich bebte als wir aufhörten zu drehen, er sezte sich neben mich, Himmel, Luft und Menschen, alles war so heilig und liebevoll um mich her, und sein Blick so voll göttlicher Reinheit auf mich gerichtet. Keine Spur des Bedürfnisses oder Verlangens war in der lieblichen Klarheit dieses Auges, aber ein Strahl des reinen Wohlwollens, der tragenden und schüzenden Liebe durchdrang mein Wesen mit seiner heiligen Gewalt.

Julius näherte sich uns, und er stieg auf, um ihm Plaz zu machen. Ein Schatten der Trauer schien über das himmlische Bild zu schweben, während sein Blick mit einem Ausdruck süsser Neigung sich von mir losriß, als wollte er mir sagen: „und du willst nicht die Freude deines Lebens an meinem Herzen suchen?“ Mir dünkte, ich könne dem Drang meines Herzens nicht mehr widerstehen, müßte dem Geliebten nacheilen, und ihm sagen: „du bist meine süsseste heiligste Liebe!“ Als ich mich durch Schaam und Anstand gebunden fühlte, zuckte ein verwundender Schmerz gleich einem schneidenden Stahl durch meinen Busen.

Ich mußte mit dem Prinzen walzen, und es war mir erwünscht, meine Gefühle im Tanz zu zerstreuen, wenigstens zu verbergen. Ich gerieth in eine andere Verlegenheit. Als wir einigemal rasch um die Linden herum geflogen waren, und in dem Zirkel der Tänzer nun langsam mit fortgiengen, faßte der Prinz meine Hand, die in der seinen lag, fester, und sagte: darf ich eine Frage an Sie thun, liebes Mädchen? Woher entstand die sonderbare Bewegung, mit welcher Sie heute das Portrait meiner Schwester betrachteten?

Ich war in quälender Verlegenheit, und suchte vergebens nach einer passenden Antwort.

Der Prinz fühlte es, und fuhr fort: Ich schweige, meine Beste, ich habe Ihr Vertrauen noch nicht verdient, und war unbescheiden mit meiner Zudränglichkeit. Verzeihen sie, ich hoffe wir lernen uns besser kennen.

In Wahrheit, Gnädigster Herr, sagte ich etwas gefaßt, es gibt so manche Dinge, die wichtig für ein Mädchen wie mich sind, und die nur Kleinigkeiten für Sie seyn könnten, daß ich mich schämen würde Sie damit zu belästigen.

Alles, was in so einem holden guten Herzen vorgeht, wird nie unbedeutend für mich seyn, sagte der Prinz lebhaft. Glücklich wäre der Bruder, wenn der zarte Antheil, welchen Sie der Schwester schenkten, auch auf eine günstige Stimmung für ihn deutete!

Wir wurden aufs neue in den Wirbel des Tanzes mit fortgerissen, und ich konnte nichts antworten. Ich fühlte, daß er meine Bewegung beym Anblick des Bildes für sich auslegte. Durch meine einfache Erziehung, und durch frühe ernste Geistes-Beschäftigungen war ich beynahe ganz unbekannt mit dem System der weiblichen Eroberungssucht geblieben, und der Ausdruck des Wohlwollens für Männer und Weiber hatte bey mir dieselbe Farbe, um so mehr seit meine zärtliche Neigung ausschließend für eine Einzigen sprach.

Ich dachte mir also keinen andern Sinn in den Worten des Prinzen, als daß er mir wohl wolle, und meine Freundschaft wünsche.

Während des Tanzes fiel mir die große Ähnlichkeit seiner eignen Züge mit dem Bildnis seiner Schwester erst recht auf, und das Andenken meiner geliebten Mutter, welches sich auf eine sonderbare geheimnisvolle Art mit jenem Bildnis verwebt hatte, gab meinem ganzen Wesen eine Stimmung zur Zärtlichkeit, welche den Prinzen in seinem Irrthum unterhielt. Er schloß mich während des Tanzes fest an seine Brust, seine Augen, und sein ganzes Betragen verriethen eine Gluth der aufgeregten Sinne, die mich scheu und verschlossen machte, und mein Gemüth endlich in Widerwillen von ihm abwendete.

Das Nachtessen wurde in einer Laube von frischen Tannenzweigen aufgetragen, welche zierlich erleuchtet war. Die Tafel war mit den schönsten Blumen des Frühjahrs geschmückt. Der Abend war lieblich. In dem ganzen Ton des kleinen Festes herrschte eine schöne Einfalt. Die ländliche Musik, oft von den frohen Jubeltönen kunstloser Freude begleitet, stimmte das Herz zu reiner Fröhlichkeit, weil es rings um sich her mitgenießende Wesen wahrnahm.

In allen Anordnungen fand ich das wohlwollende Herz meines Geliebten. Es selbst war nicht heiter. Der Prinz gieng den ganzen Abend hindurch nicht von meiner Seite, und mir dünkte Nordheim vermied, sich uns zu nähern, aber er beobachtete mich von fern, und selten wenn meine Augen ihn suchten, fehlte mir sein lieber Blick.

Auch Julius war still und traurig. Ich konnte in dieser Situation nicht ruhig bleiben. Die leiseste schmerzliche Empfindung, die meine Freunde durch mein Betragen erfahren konnten, fiel auf mein eignes Herz zurück.

Mit Vergnügen sah ich die Pferde des Prinzen vorführen. Die Gräfin und die ganze Gesellschaft mußten dem Prinzen versprechen, in den nächsten Tagen in D. gegenwärtig zu seyn, um ihm die Langeweile des Hofes erträglich zu machen. Beym Abschied führte er mich, so sehr es der Anstand litt, bey Seite, und flüsterte mir ins Ohr: Wenden Sie sich nicht von mir, süsses Mädchen, und verzeihen Sie es meiner angebohrnen Raschheit, wenn ich die schöne Blüthe im Sturm zu erobern wähnte, die, ich fühl es, nur durch süße Sorge und Treue zu gewinnen ist.

Es war eine schöne Mondhelle Nacht, die Herrn begleiteten den Prinzen. Nach einem kleinen Spaziergang mit Elisen und Bettinen, den ich dazu anwendete um die von Charles bestimmte Gartenhecke genau zu bemerken, eilten wir in unsere Zimmer. Als ich Bettina gute Nacht gab, sagte sie mit einem sanft schwärmenden Ton: zum erstenmal sieht mich der Mond und die Sterne als deine Freundin und sie sollen mich immer so sehen, so lang ich unter ihrem glänzenden Angesicht wandle! Die Neigung des guten Geschöpfes hatte ganz das Mädchenhaftscheue und Geheimnisvolle der ersten Liebe. Ein heftiges, lang verhaltenes Gefühl ihres Wesens fand auf einmal in der Freundschaft für mich einen Ausdruck, in welchem es die ganze Kraft seines ahnungsvollen Verlangens auszuhauchen vermochte.

Unter dem Vorwand, daß ich sehr ermüdet wäre, und mich schlafen zu legen wünsche, hatte ich Elisen aus meinem Zimmer entfernt, um mich zu meiner nächtlichen Wanderschaft vorzubereiten. Die Herrn waren gegen eilf Uhr zurückgekommen, im ganzen Schloß herrschte tiefe Stille, und ich erwartete die Stunde der Mitternacht, um in den Garten zu eilen.

Unter allen Szenen des vergangenen Tages hatte die Erklärung der Gräfin am tiefsten auf mich gewirkt. Die erste Jugendliebe will ein Ganzes besitzen, wie sie ein Ganzes giebt; sie versteht es nicht, sich mit Verhältnissen abzufinden, die nur einen einseitigen Genuß gewähren. Die Liebe der Gräfin für Nordheim, das Mitleid für sie, und die Unfähigkeit meines Gemüths, durch den Verlust eines andern zu genießen, dieses alles brachte mich in eine verwirrtere Stimmung, als ich noch je gekannt hatte. Das ununterbrochene Zusammenseyn mit Nordheim nährte auf der andern Seite die Lebhaftigkeit meiner Neigung. Die Liebenswürdigkeit seines Wesens zeigte sich in jeder veränderten Stellung der äussern Lage, in immer neuer Grazie, und mein ganzes Daseyn war Liebe für ihn.

Als die Glocke zwölf schlug, nah mich eine kleine Handlaterne und eilte zu der bestimmten Gartenhecke. Ich hatte meine Gestalt so sehr als möglich verhüllt, und hoffte unerkannt zu bleiben, im Fall mir jemand begegnen sollte. Mit Mühe fand ich durch die verworrene Gänge des alten Gebäudes den Weg zur Gartenthüre. Charles erwartete mich schon, nahm meinen Brief in Empfang, und verließ mich schnell, weil er befürchtete überrascht zu werden. Dringend empfahl er mir noch beym Abschied die gröste Vorsichtigkeit im Namen meiner Mutter. Der leiseste Verdacht auf unser Verhältniß, sagte er, könnte uns aller Freuden der Zukunft berauben, und meine Mutter selbst lege sich die schmerzliche Trennung von mir auf, um unserer künftigen Zufriedenheit willen. Beym Rückwege durch den Garten verlöschte der Wind mein Licht. Mühsam schlich ich mich durch die unerleuchteten Gänge, und suchte die Treppe, welche zu meinem Zimmer führte. Ich half mir mit den Händen an einer Wand fort, und glaubte am Ende der Gallerie die Treppe zu finden. Ich fühlte daß ich an mehreren Thüren vorbey kam, und die Furcht mich durch irgend ein Geräusch zu verrathen, brachte mich in die peinlichste Lage. Innerhalb der Zimmer vernahm ich jedoch keine Bewegungen, und tröstete mich mit dem Gedanken sie seyen unbewohnt, oder ihre Bewohner liegen im tiefen Schlafe. Eben schlich ich an einer Thüre vorbey, als sie sich heftig gegen mich öfnete und mich zu Boden schlug. Der Schrecken des Falles und der gefürchteten Entdeckung nahm mir die Besinnungskraft. Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich auf einem Lehnsessel, und Julius mit einem Licht in der Hand, neben mir stehend.

Wie ist Ihnen meine Agnes? fragte er besorgt – O, daß ich die Thüre so ungestüm öfnen mußte! Aber wer konnte auch denken, Sie hier zu finden! Die Furcht in Julius Zimmer angetroffen zu werden, gab mir schnell meine Kräfte wieder. Ich verirrte mich… es war ein Irrthum… stammelte ich, verlegen und ungeschickt, zündete meine Laterne an, und eilte mich zu entfernen. Lassen Sie mich Sie nur die Treppe hinauf begleiten, ich fürchte Sie haben durch den Fall gelitten, sagte Julius. Zum erstenmal sah ich in seinem so reinen liebenden Blick eine Spur des Mistrauens, und fürchtete meine Weigerungen möchten eine noch schlimmere Wirkung auf ihn haben. Ich duldete also schweigend seine Begleitung, weil die Furcht einen Freund zu beleidigen, alle andern Rücksichten verdrängte. Eilen Sie Julius, ich beschwöre Sie, bat ich, daß wir nicht gesehen werden.

Mein geheimnisvolles Wesen schien ihm unbegreiflich, doch erfüllte er meine Bitte, ließ sein Licht zurück und faßte mich unter dem Arm, mich zu unterstützen. Kaum waren wir einige Schritte von Julius Zimmer entfernt, als Nordheim dicht vor uns stand. Er war die Treppe heraufgekommen, und es war unmöglich ihm auszuweichen, er hielt ein Licht, trat ein paar Schritte zurück als er mich erblickte, und nie erschütterte ein Blick so meine Seele als der seine in diesem Moment. Gern wäre ich zu seinen Füssen gesunken, aber weibliche Verlegenheit hielt mich starr und bewegungslos am Boden gekettet.

Die Furcht verkannt zu werden, und Stolz der es seiner unwerth fand, sich zu entschuldigen, fesselten alle meine Gedanken und Bewegungen. Ich hatte in diesem Moment eine Ahnung des Zustandes jener Wesen aus der Fabelwelt, die ihre Lebenskraft in einer Felsenmasse erstarren fühlen.

Nordheim hatte schnell seine Besonnenheit wieder, gieng an mir vorbey, als bemerkte er mich gar nicht, und sagte zu Julius: Erlauben Sie mir einen Augenblick in Ihrem Zimmer zu verweilen. Es geschieht um Ihnen die Freiheit zu lassen mit dieser Dame durch mein Kabinet zu gehen, aus welchem Sie sogleich auf den grossen Saal kommen, und schneller und unbemerkter zu ihrem Zimmer gelangen können. Verweilen Sie nur wenige Minuten in meinem Kabinet, um meinem Kammerdiener nicht auf der Gallerie zu begegnen.

Ich war auf das schmerzlichste bewegt, und konnte Nordheim nichts sagen; er war eilends in Julius Zimmer gegangen und hatte die Thüre hinter sich zugemacht. Lassen Sie mich allein gehen! rief ich schmerzlich. Ach Julius lassen Sie mich, wie kann ich solche Kränkungen ertragen! – Julius selbst schien verwirrt und nachdenklich, aber seine zarte Liebe verläugnete sich keinen Augenblick.

Ich verlasse Sie, sagte er sanft, weil Sie es wollen. Beruhigen Sie sich, beste Agnes, Nordheim soll in keinem Zweifel über Sie bleiben. Seyn Sie ruhig und geniessen des Schlafes. Er drückte meinem Arm sanft an seine Brust, und küßte meine Locken, die über das Gewand zerstreut lagen. Ich eilte davon, so sehr es mir der Schmerz an meinem Fuß erlaubte, der durch den Fall gelitten hatte. Ich war in Nordheims Kabinet, Liebe durchdrang mein ganzes Wesen, goldne Bilder webten sich vor meinen Sinn. Hier wird er ruhen, sagte ich mir. Eine Lampe brannte, mir dünkte die Harmonien unsichtbarer Genien um seine Lagerstatt zu vernehmen – O möchte ihm ein Traum das reine unentweihte Bild der armen Agnes zeigen! Mit Gewalt mußte ich mich dieser Zauberluft entreissen, sie hatte mit einer freundlichen Magie alle Verwirrung in meinem Busen aufgelößt, die in der Einsamkeit meines Zimmers aufs neue erwachte, und den Schlaf von meinen Sinnen verscheuchte. Ich habe die Achtung des edelsten, geliebten Mannes verlohren, er muß mich für ein leichtsinniges Geschöpf halten, das sich selbst vergessend, die zarten Verhältnisse überschreitet… das von Leidenschaft hingerissen… ich wagte es nicht auszudenken, nicht mich selbst anzuschauen mit diesen quälenden Vorstellungen.

Wird nicht jede Ausrede, die ich nehmen könnte, Nordheimen auch nur eine Ausrede dünken? und muß ich nicht die Wahrheit verschwiegen, muß ein Opfer der unglücklichen Stellung der Umstände werden, die die Reinheit meines Charakters in seinen Augen beflecken!

Es wird eine Zeit kommen, sagte mir ein milder tröstender Genius, wo du dein Innres entschleyern darfst, wo du von jedem Schatten des Verdachtes gereinigt, vor Nordheim erscheinen wirst.

Die glückliche Spannkraft des Gemüths in der Jugend, wo das volle rege Leben der Einbildungskraft die Bilder der Zukunft mit der Gegenwart leicht und vielfach vermischt, half mir jenen bittern Schmerz, von meinem Geliebten verkannt zu seyn, nicht besiegen, aber wohl ertragen. Gleichwohl fühlte ich, es seye etwas in meiner innern Existenz zerrissen, da ich die erste Ungerechtigkeit des Schicksals erfuhr, indem ich unschuldig litt. Ich scheute mich, mich selbst anzusehen, als der Tag anbrach, mein unbefangenes frohes Daseyn fand ich nicht wieder, aber eine Kraft zu leiden durchrang meinen Busen, die ich noch nicht geahnet hatte. Ich schien mir um zehn Jahre älter an Erfahrung und ein concentrirtes Daseyn schien mein Wesen auf der einen Seite zu umschränken, auf der andern es in seinem Innern fester und sicherer zu gründen.

Elise kam zu mir zum Frühstück, aber ihre Augen, sonst so lieb und traulich, schienen mir von meinem eigenen Mistrauen gefärbt, nur forschend, sogar beleidigend.

Ach so gewiß entflieht die Liebe mit der Unschuld, da sie schon vor einem täuschenden Schatten der Schuld entweicht! Ich schüzte Geschäfte vor, um allein zu bleiben, und las in einem meiner Lieblingsschriftsteller. Es war mir beruhigend, mich in die Gedankenwelt zu flüchten, da die Welt der Empfindungen mein Herz so tief verwundete! Die ruhige Geschäftigkeit unsrer Denkkraft ist dem leidenden Gemüthe, was ein stärkendes Bad dem ermüdeten Körper ist. Ein labender Quell spühlet alles Beängstigende aus unsern Vorstellungen hinweg, und wir empfangen uns selbst unbewusst, mit dieser Stärkung des geistigen Vermögens, auch eine freyere Ansicht unserer äusern Lebensverhältnisse.

Elise kam nach einigen Stunden mit verweinten Augen in mein Zimmer. Sie schloß mich mit ungewohnter Heftigkeit in ihre Arme, und rief mit einem süssen Ausdruck der Liebe und Unschuld aus: Nein, das wird mir Niemand auf der Welt überreden, daß meine Agnes so fehlen kann! Guter lieber Engel, sagte sie, indem sie ihre Hand sanft an meine Wangen legte, du dich verstellen können, du unwahr und falsch seyn! Aber welche fatalen Umstände zwangen dich – Was redest du, liebes Mädchen, fragte ich bewegt, wer beschuldigt mich der Falschheit? – Ich sollte dir schweigen, mußte selbst meinem Alban versprechen, daß ich es wollte, fuhr sie fort, aber ich vermag es nicht, und ich will es nicht vermögen! Als ich von dir gieng, wollte ich auf den Balkon im grossen Saal der Morgenluft geniessen, und fand die beyden Albans im heftigen Wortwechsel auf und abgehen. Beyde grüßten mich mit so verstörten Gesichtern, daß ich meinen Alban fragte, was geschehen sey.

Wir streiten über Agnes, sagte er mir, und ihre sonderbare geheimnisvolle Aufführung – Die wir, eben weil sie geheimnisvoll ist, nicht tadeln können, erwiederte Julius – Aber die wir auch nicht ehren sollen, bis wir sie kennen, sagte mein Alban mit grosser Heftigkeit, nicht mit einem unauflöslichen Band in unsere eignen Verhältnisse verflechten und zu unserer eignen Schande machen müssen – Bruder, nur du darfst mir dieses ungestraft sagen, rief Julius, und verbiß seinen glühenden Unmuth. Ich bat um Erläuterung über den Anlaß zu diesem Streit, und Julius erzählte mir den Vorfall der gestrigen Nacht. Und bemerken Sie, Elise, sagte mein Alban, daß ich um dieselbige Stunde aus meinen Fenstern, die auf den Garten gehen, eine vermummte weibliche Gestalt durch denselben hereinkommen sah, die ihr Licht auslöschte, als sie sich dem Schloß näherte. Wenige Minuten nach ihr kam aus einem kleinen Pavillon am Ende des Gartens Herr von Nordheim, den ich ganz deutlich erkennen konnte, weil er ein Licht trug.

Erzähle nun weiter, Nordheims Anmuthung – Das ist alles nichts beweisend, fiel Julius ein, gegen Personen, für die man langverdiente Achtung hegte – Das ist der Fall bey Agnes, aber Nordheim kennen wir persönlich seit wenigen Tagen, und können über seine Sitten nicht urtheilen, fiel Alban ein. Männer von so entschiedenen Verdiensten haben eine Toleranz vom Publikum zu erwarten, die sie selten vergessen in Anschlag zu nehmen. Über das Betragen gegen die Weiber herrschen sehr schwankende Maximen in der Welt, und daß Nordheim nicht unter diejenigen gehört, die sich streng an die einmal eingeführte Regel binden, das zeigt er durch sein Verhältniß mit der Gräfin. Er ist zartfühlend, und das Mitleid für ein liebenswürdiges Mädchen wie Agnes, könnte ihn leicht bewegen, sie auf deine Unkosten aus einer Verlegenheit zu ziehen, da er deine Liebe für sie kennt. Undenkbar ist es wenigstens nicht. Menschen, die viel Verkehr mit der politischen Welt haben, gewöhnen sich leicht, alles was sie umgiebt für Schachsteine anzusehen, die sie nach ihren Bedürfnissen hin und wieder schieben können. Nun bat er Julius, mir den Vorgang mit Nordheim zu erzählen, um mich selbst urtheilen zu lassen.

Als ich in mein Zimmer zurückkam, begann Julius, kam mir Nordheim mit ernster Meine entgegen und sagte: Herr von Alban, ohne meine Erinnerung werden Sie wissen, was ein Mann von Ehre zu thun hat, wenn er ein liebenswürdiges Mädchen in den Fall setze, Schwachheiten für ihn zu zeigen. Ich traue Ihnen zu viel Charakter zu, um zu befürchten, daß Sie sich durch eine Laune des Herzens berechtigt hielten, Opfer anzunehmen, die ein weibliches Herz nur der treuen festen Neigung ohne Schaden bringen kann. Wenn Sie wahrhaft lieben, bedürfen Sie keiner Erinnerung, aber sollten Sie derselben bedürfen, so bin ich nicht der Mann, in dessen Angesicht man die sanfte Hingebung eines weichen Herzens ungerügt misbraucht.

Julius sagte ihm, daß er sich irre, daß er aus eurem ganz unvermutheten Zusammentreffen falsche Folgerungen ziehe, daß du, meine Agnes, einer leichtsinnigen Schwachheit so unfähig seyst, als er selbst der Verführung. Die Unbesonnenheit, die er mit dem verrufenen Zimmer im Comödienhause begangen, und über die er seit einigen Tagen Gelegenheit gesucht, sich gegen ihn zu erklären, mit dem Zufall in dieser Nacht zusammen genommen, könnten natürlich Verdacht bey Nordheim erregen – aber daß er ungegründet sey, versichere er ihn bey seiner Ehre, und hoffe es zu beweisen.

Elise gab mir hier zuerst Nachricht von jenem Vorfall, welchen ich früher anführte, der mich in nicht geringe Verlegenheit brachte, aber auf der andern Seite doch auch über Nordheims ungleiches Betragen beruhigte.

Nordheim sey unüberzeugt geblieben, sagte mir Elise ferner. Mit Augen voll flammenden Unwillens, und mit verbissenen Lippen habe er lang geschwiegen, und dann zu Julius gesagt: Was soll ich von Ihnen denken? Ich hoffe nur aus jener, der wahren Liebe so natürlichen Feinheit wünschen Sie Ihr Glück profanen Augen zu verbergen. Aber Sie thun mir Unrecht. Ich habe kein gefühlloses Herz für die Verirrungen einer jugendlichen Neigung. Es hängt nur von Ihrem fernern Betragen ab, ob ich Sie tadeln, oder Ihnen aufrichtig Glück wünschen soll. Das Glück muß den Blüthen des Genusses folgen, sonst fällt mit diesen Blüthen die beste Kraft unsers Wesens ab. Was bleibt, bey den einmal festgestellten Verhältnissen, einem armen Mädchen, die mehr Zärtlichkeit als Klugheit besaß, anders, als bittre Reue? Und wenn wir nicht entartet sind, was kann uns blieben, als der Unfrieden eines Räubers.

Julius wiederholte ihm vom neuem, daß sein Verhältniß mit dir ganz und gar nicht von der Art seye, wie er es wähne.

Herr von Alban, Sie werden wissen, und fühlen, was Sie zu thun haben, erwiederte Nordheim mit Heftigkeit. Nur noch eins erlauben Sie mir zu sagen, da ich Ihre Familienverhältnisse ganz und gar nicht kenne, und nicht weiß, wie sehr Sie darauf Rücksicht zu nehmen haben. Als ein vertrauter Freund des Pflegevaters Ihrer Geliebten, verspreche ich Ihnen, daß sie über Ihre Geburt, wenn es möglich ist, Aufklärung erhalten sollen. Sollte es unmöglich seyn, Ihre Wünsche über diesen Punkt zu befriedigen, so nehmen Sie von mir die Versicherung an, daß Agnes in einen Stand erhoben werden soll, der ihre Existenz in D. glänzend machen wird. Auch soll sie ihrer Familie ein Vermögen hinterlassen, das ihren Enkeln den Verlust der Ahnen ersetzen kann.

Julius antwortete, wenn er dich glücklich machen könnte, so bedürfe er keines fremden Motivs, dich zu heirathen, als seiner Liebe. Aber er sey nie gewohnt, nach andern Gesetzen zu handeln, als nach denen, die ihm sein eigenes Herz vorschriebe. Für heute nichts mehr, sagte Nordheim mit unterdrücktem Unwillen. Ich hoffe, Sie sind morgen einig mit mir, dem lieben Mädchen alles Erröthen zu ersparen. Wo nicht – so kenne ich meine Pflicht, die Unschuld in meinem Hause vor jeder Beleidigung zu beschützen.

Ich vermuthe, es fielen noch mehrere Anzüglichkeiten unter ihnen vor. Julius hat nach der Stadt geschickt, um seine Pferde kommen zu lassen; sein Reitknecht hält am Schlosthor, auch höre ich, daß er ein Billet für Nordheim zurückzulassen gedenkt.

Julius ist voll Liebe für meine Agnes, voll Glauben an ihre reine Sitten, und wünschte nichts eifriger, als dir seine Hand zu geben, nachdem er Nordheim überzeugt haben würde, daß einzig der Wunsch seines Herzens eine Verbindung zwischen euch schliesse. Mein Alban ist heftig dagegen, bis du dich über die Geschichte der vergangenen Nacht gerechtfertiget hättest. Er fürchtet, Nordheim liebe dich selbst, wolle aber wegen seine Verhältnisses mit der Gräfin nicht heurathen, und wünsche dir durch eine Verbindung mit Julius ein bleibendes Etablissement in D. zu verschaffen. Auch die Neigung des Prinzen für dich, die sich gestern Abend so lebhaft äuserte, erregte Verdacht bey ihm. O was für unselige Umstände mußten zusammentreffen, um dieses Mistrauen in dem edlen Herzen meines Albans zu erzeugen! Elise sank an meine Brust und weinte heftig. Beste Agnes! rief sie aus, ich beschwöre dich, löse diese schmerzliche Verwirrung durch ein offenherziges Geständniß. Du kannst keine Schuld haben! und ach! die halbe Freude meines Lebens ist dahin, wenn ich der Argwohn Albans von dir trennt.

Die treue Liebe des guten Mädchens stillte gleich einem labenden Thau die Gluth der Verwirrung in meinem Innern. Wie friedebringend und wie achtungswerth ist der stille Sinn, der die Gestalten seiner LIebe fest, und rein zu bewahren vermag, in jedem Gewirre ungünstiger Verhältnisse!

Du vertraust meiner Unschuld mit Recht, liebstes Kind, sagte ich Elisen. Ich verdiene deine Freundschaft, und du sollst ewig die meinige besitzen. Aber wir müssen jezt vor allen Dingen suchen, den Irrthum zwischen den zwey lieben Männern aufzuklären. Sage Julius, daß ich ihn vor seiner Abreise zu sprechen wünsche, und ich will Nordheim bitten lassen, auf einen Augenblick in mein Zimmer zu kommen.

In kurzem erschienen sie beyde zugleich und waren etwas verwundert einander anzutreffen. Ich suchte alle Verlegenheit zu überwinden, nahm Nordheims und Julius Hand, und sagte: Da ich die unglückliche Ursache eines Misverständnisses zwischen zwey edlen Gemüthern bin, so wünsche ich, sie auch wieder zu vereinen.

Sie thun mir Unrecht, Herr von Nordheim, wenn Sie an meinen Sitten zweifeln – ich mus, und will es ohne Vertheidigung dulden, aber wenn Sie auch keinen Glauben an mich fassen konnten, hätten Sie nicht das Andenken an meinen Vater in Hohenfels zu Hülfe rufen können? Sollte die Kraft zum Rechen und Guten so schnell in einem Gemüthe verblühen, das durch seine Pflege gebildet wurde? Herr von Alban hat sich immer als ein edler grosmüthiger Freund gegen mich betragen, und eben darum könnte ich seine Hand nicht annehmen, da ich keinem Freunde eine Frau zu geben wünschte, deren Verhältnisse sie vielleicht zuweilen nöthigen könnten, den Anstand der Pflicht aufzuopfern. Auch ich, für mich, bin ganz und gar nicht in der Lage, für jetzt an eine solche Verbindung zu denken. –

Und nun, meine theuren Freunde, geben sie mir die Ruhe wieder durch die Gewißheit, daß kein Zweifel mehr zwischen ihnen Statt haben kann. Das Schicksal eines unbedeutenden Mädchens soll nicht edle Männer entzweyen, die bestimmt sind, sich zu schönen Thaten zu vereinigen.

Nordheim und Julius waren bewegt. O wer, rief Nordheim aus, wer würde nicht von dieser Sprache der Unschuld und Wahrheit, selbst gegen das Zeugniß seiner eigenen Sinne hingerissen! Herr von Alban, sagte er, indem er Julius die Hand zur Versöhnung bot, wenn ich Sie durch Mistrauen beleidigte, so verzeihen Sie es der Sorge für dieses liebenswürdige Kind, und helfen Sie mir auch von ihr Verzeihung erbitten! Julius faßte Nordheims Hand, und ich drückte die beyden lieben vereinten Hände herzlich an meine Brust. Meine Thränen flossen unaufhaltsam, mein tiefstes Wesen war aufgeregt von süssen, von schmerzlichen Empfindungen, ich mußte mich entfernen.

(Die Fortsezung folgt.)

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