HomeDie Horen1796 - Stück 7II. Ekloge. [L. G. Kosegarten]

II. Ekloge. [L. G. Kosegarten]

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Wie ich lebe, mein Lieber, in dieser äussersten Thule,
Wie am Gestade des wogenden Meers, wie so fern von der Städte
Flitterndem Tand, von den Freuden des Klubs, von den zirkeln der Weisen,
Und von der Freund’ erquikkendem Umgang? wie mir des Tages
Zögernde Stunden entfliehn, und die einsamen Stunden des Abends?
Dieses alles begehrst du von mir ausführlich zu wissen.
Wiss’ es dann, mein Guter, und neide den glüklichen Siedler!

Zwischen wallenden Saaten, und zwischen den Pappeln des Kirchhofs,
Rechts und links umgürtet mit labyrinthischen Gärten,
Von Sturmweiden bekränzt und hundertjährigen Eschen,
Ruht mein stilles Gehöfft am Saume des ländlichen Flekkens.
Trokken und rein ist der räumige Hof. In des Hofes Vorgrund
Wohnt im bescheidenem Häuschen mein wohlbeleibter Colonus.
Manche zog er der rüstigen Söhne, der blühenden Töchter,
Deren die Einen am Pflug, an der Sens’, in der Scheun’ und der Wiese,
Diese mit hochgeschürztem Gewand in der Küch, und im Kuhstall,
Auf der Bleich und am Webstuhl die alternden Eltern erleichtern.
Reges Leben und fröhlicher Fleiß, unendlicher Jubel
Schrillt um mich her in die sinkende Nacht vom dämmernden Morgen.
Horch, es pfeift in der Buß der Hechselschneider. Es flöthen
Auf dem Holzhof die sägenden Bursche. Die munteren Dirnen
Säubern dahlend den Stall, und bleichen jachternd die Leinwand.
Siehe, wie brausen die dampfenden Pferd’ im Weiher des Hofes!
Siehe den breitgestirnten Stier, die hüpfende Starke,
Und die ehrbarwandelnde Kuh mit strozzendem Euter.
Brüllend kommen sie, schlürfen des trüben Teiches. Die Enten
Lärmen dazwischen, es schnattern die Gäns’. Es kollert der Truthahn.
Lauter denn all’ erjauchzt der schwemmende Junge. Das Mägdlein
Kauert indessen am Eymer, und singt sich ein lustiges Stükchen.

Aber ein wenig zurükgerükt von Lärmen der Wirthschaft
Ruht an des Hofes fernstem Saume mein ländliches Wohnhaus.
Finsterbelaubte Kastanien schirmen die Stuffen des Eingangs
Vor der Sonne mittäglichem Brand. Ein lachender Rasen
Dienet zum Tummelplazze, zum fröhlichen, weichen, den Kleinen,
Welche das rothe Staket vor des Teichs Gefahren beschüzzet.
Einfach Freund, ist mein ländliches Haus. Nicht Pfannen noch Zungen
Dekken es, sondern nur Stroh, und seine Wände sind leimern.
Aber es ist so vertraulich darinnen; man fühlt sich einander
Drinnen so nah, und doch wieder so einsam. Ich möcht es nicht tauschen
Gegen Potemkins Eisenpallast, mein freundliches Zimmer
Nicht um den Bernsteinsaal der grosen Frauen in Osten.

Wie ich verlebe den zögernden Tag, wie des einsamen Abends
Langsam gleitende Stunden mir fliehen, begehrst du zu wissen?
Wiß’ es dann, Lobredner der Stadt, und neide den Kläußner!

Dämmernd erwacht im Osten der Tag. Die Blume des Morgens
Öfnet die tausendblättrige Knospe. Die Rosen, die Krokos
Regnen bis in mein Lager herein. Die wachsende Helle
Reget mir leise die Wimper, und sanft erwach ich ins Leben.
Angelächelt vom werdenden Tag entschlüpf ich dem Lager,
Lehn’ ins offene Fenster hinaus, und Augen und Seele
Weiden sich, wiedergebohrne Natur, an deiner Verjüngung.

Dieses lautere Blau, und diese lebendige Kühle,
Diese duftende Frisch’, und dieses wogende Lichtmeer
Quellen sie, rieseln sie nicht aus des Ewigen strömender Urne!
Heben sie nicht den ermatteten Geist zu dämonischem Leben,
Blähen mit Äther die Lung’, und schwellen die Adern mit Ichor?

Sieh, wie das springende Licht in immer mächtigern Strahlen
Aufsprüht! Wega erblaßt. Es verbleicht die Wange Selenens.
Phosphoros hängt mit geschorenen Lokken. Im lodernden Frühroth
Siehe, wie funkeln die Gärten! Wie wallen die Wipfel der Esche!
Siehe, wie blizzet die thauende Flur! Der blühende Himmel
Strahlet gemildert zurük aus des Meers geschliffenem Spiegel!

Also entstieg dem Bade des Meeres der Dulder Odüsseus,
Schimmernd von Schönheit und Reiz. Wie die purpurne Blum’ Hyakinthos
Wallte geringeltes Haar um seine blendende Schultern.
Also enttauchet in blendendem Glanze, von brennenden Lokken
Rings umrollt, die Sonne den östlichen Fluthen. Wie glühet
In ihr fliessendes Gold getaucht, des Hütteneylands
Graue Scheitel. Wie flimmern die Wetterahnen der Dörfer,
Wie die Fenster der Burg, darin mein Julius hauset!

Aber schon wird dem Betrachter des unermeßlichen Himmels
Und der lebenernährenden Erde zu enge das Zimmer.
Lechzend den volllebendigen Strom mit lüsternen Zügen
Einzuschlürfen, mich sehnend an deinen wallenden Busen,
Mutter Natur, mich anzuschmiegen mit Inbrunst des Kindes,
Flieg ich die Stuffen hinab, entschlüpfe der Pforten, und schreite
Selig hinaus in den seligen Tag; die Kühle des Morgens
Wehet schauernd mich an, wie Säusel der nahenden Gottheit.

Sinnend wandl’ ich auf und ab auf dem duftendem Rasen
Unter dem fächernden Schirm der Kastanien, erfrische die Glieder
Mit der Kühle des Quells und mit der Kühlung des Morgens,
Mustre die Blumen, die hinter den grünen Staketen am Fenster
Etwa die thauende Nacht erschloß, und die freundliche Frühe,
Breche die blühendste mir, die blätterreichste der Rosen,
Höre der Melkerin Morgengesang, des tränkenden Jungen
Frohes Gejauchz’, und bedenke die Pflichten des eigenen Tagswerks.

Jezzund träget der Diener der gabenreichen Levante
Balsam hauchendes Öl hinan die Stuffen. Nicht ungern
Folg ich dem Knaben. Und während noch säuselt die freundliche Frühe
Während noch schlummern das liebende Weib und die lärmenden Kleinen
Tauch’ ich hinunter in seliger Muss’ in die Wonne des Denkens;
Steige hinab in die Tiefen des Ich, in den Schacht des Bewußtseyns,
Lüpfe den Schleyer des Denkens, und lausch’ am Vorhang des Willens,
Suche das ewig entschlüpfende Band, das mit dem Gedanken
Das Gedachte verknüpft, und mit dem Grunde die Würkung;
Grübl’ über Raum und Zeit, und über das Seyn und das Nichtseyn,
Über die Form und den Stoff, und über das Ich und das Nichtich,
Über den Trieb und die Pflicht, und über das Thun und das Leiden,
Über den schwer zu schlichtenden Zwist der Natur und der Sazzung,
Über den ewigen Kraysgang und den unendlichen Fortschritt,
Über das eiserne Fatum und den anarchischen Zufall,
Über des Weisen tröstende Ahnung, den Glauben der Guten
An moralische Ordnung, und weise Güte des Weltplans –
Über diß alles versteigt sich der Grübler in schaudernde Tiefen,
Thürmet Soriten, und spaltet Begriffe, und spizzet den Ausdruk,
Bis es ihm schwindelt. Der Faden entschlüpft, die Fakkel erlischt ihm.
Undurchdringliche Nacht, und ausganglose Verwirrung
Starren um den Tappenden her. Es retten ihn kaum noch
Des Gemeinsinns leitender Strahl, und der Rufer im Busen.

Meidend des Grübelns weichenden Sand, und die Syrten der Skepsis
Lausch’ ich ein anderesmahl dem Wink der Erfahrung, durchwandle
In der Geschichte spärlichem Tag die Gefilde der Vorzeit.
Mühsam tapp’ ich den thürmenden Schutt, den rankenden Epheu,
Mühsam die trümmernden Mahle mich durch bis zur Wiege der Menschheit,
Sehe den lallenden Säugling entfaltet zum tändelnden Knaben,
Sehe den Knaben erwachsen zum trozzigen Jüngling, den Jüngling
Reifend zum rüstigen Mann, und bald von der blumigen Feßel
Der Cultur den Starken gebändigt vom Becher des Luxus
Seine Knie ihm gelöst, und den Mann verschrumpfet zum Greyse.
Völker seh ich entblühn auf dem ewigändernden Schauplaz,
Und die Erblühten wieder verwelken, wie Graß auf der Hayde.
Zeugungen seh’ ich gemäht von Einem Schwunge der Sense;
Lese von Tygertoden, von Ländern, welche der Fluthen
Strudel verschlang, von Städten, die hoch ein Stoß in die Luft warf.
Lese von kronentragenden Schlächtern, die Helden sich nannten,
Von Mordbrennern, Erobrer gegrüßt, von Sesostren und Cäsarn,
Tamerlanen und DschinkisKhanen und vierzehnten Ludwigs,
Welche berufen sich wähnend, den Wald der Menschheit zu lichten,
Schwellten die Ströme mit Blut, die Äkker düngten mit Äsern;
Meilenweit die Gefilde besäten mit dorrenden Knochen.
Bürger seh ich das Schwerdt auf den Bürger zukken, den Bruder
Seh ich vom Bruder erdolcht, den Vater verrathen vom Sohne.
Herrscher seh ich, wie schlechtes Gewürm, die Völker zertreten,
Gaukler die blendende Bind’ um die Augen des Glaubenden schnüren,
Priester den mordenden Stahl im Namen schwingen der Gottheit,
Lodern seh ich den Brand des hundertjährigen Krieges,
Bartholomäus Nächte erblik ich, und Pulvercomplotte,
Dragonaden, und Auto da Fe’s, und wende voll Unmuths
Von den Gräueln mich weg. Ein schadenfroher Ariman,
Dünkt mich, führe das Ruder der Welt, kein gütiger Hormuzd.

Aller Würklichkeit satt, und ihrer Thoren und Buben
Schwing ich ein anderesmahl mich auf dem Fittig des Liedes
In der Ideen bezaubertes Land, und das Eden der Fabel.
Euren Entzükkungen lausch ich, ihr Göttlichen, welchen von oben
Aufgeschlossen der Sinn, und die feurige Zunge gelößt ward,
Um die mühebeladenen Brüder zu trösten und lehren;
Die ihr das Thier durch die Kraft des Gesanges zum Menschen erzoget
Durch das seeleschmelzende Lied den rauhen Natursohn
Für die Schönheit gewannt, und izt in strafenden Tönen
An der Cultur entartetem Sohn die verschmähte Natur rächt;
Die ihr sanget am stillen Ilyß, an der geblichen Tyber,
An den Gestaden des Ionischen Meers, auf den Bergen von Lochlin;
Die ihr sanget in späterer Zeit am Quell der Vaucluse,
An des Thames hallendem Strand, und am friedlichen Avon;
Die ihr singet noch jetzt am siebenarmigen Ister
An der Elb’, an der Saal’, an der hochbegnadigten Ilme –
Edle theure unsterbliche Sänger, ihr strömet dem Lauscher
Flammen ins Herz und Thränen ins Auge. Das Licht des Gesanges
Fühl ich erwachen in mir. Des Dichtens heiliger Wahnsinn
Wehet mich an, und reisset mich hin. Die Zukunft enthüllt sich.
Siehe ein neues Geschlecht, ein bessres entsteiget dem Himmel.
Dice waltet, die Hehre; es waltet Irene; erhaben
Schlichtet Eunomia jeglichen Zwist. In seeligem Bunde
Gatten sich Neigung und Pflicht; es huldigt der Trieb dem Gedanken;
Und zur Nothwendigkeit klimmt der gezeitigte Mensch durch die Freyheit.

Also verwehn wie Minuten die Stunden mir. Gänzlich vergeß ich
Über des Denkens Genuß, und über des Dichtens Entzücken
Meiner wunden Brust, und des menschenfreundlichen Arztes
Weiser Warnung. Mich würd’ am Pulte der Mittag ereilen,
Träte nicht dieser und jener herein, der den Sinnenden störte,
Jzt die liebende Gattin, zu fragen nach diesem und jenem,
Dann der rüstige Großknecht, um für die Geschäfte des Tages
Sich die Befehle zu hohlen; dann mein süßschmeichelndes Wienchen,
Um zu warten der Puppen, der Niedlichen, welche sie sorgsam
Vor des Bruders zerstörendem Grimm auf mein Zimmer geflüchtet,
Wo sie mit Plato und Kant und Gibbon sich friedlich betragen.
Doch es dauert nicht lange, so kömmt der zerstöhrende Gottfried
Selber heraufgepoltert, und heischet das Buch mit den Hunden
Oder den theuren Borowsky (wie theuer, kümmert ihn wenig)
Oder die Reisen zu Wasser und zu Land mit den prächtigen Schlössern,
Porzellanenen Thürmen, und glozzenden Menschengesichtern.
Mächtig heischt er die Bücher, und Vater muß sie schon geben.
Jene nun dahlt mit dem niedlichen Püppchen, und lullt es in Schlummer.
Dieser durchtobet das stiebende Buch, und: Vater, was ist das?
Fragt er bey jeglichem Blatt. Fürwahr da dichtets sich herrlich!
Immer noch such’ ich zu fahen den oft entschlüpfenden Faden.
Siehe da tritt vor der ehrbaren Mutter mein züchtiges Julchen
Trippelnd herein, und zupfet den schreibenden Vater beym Ermel.
Nieder schau ich zu schmälen. Des Mägdleins rollendes Auge
Trift mir das Herz. Mir entsinket die Feder. Nicht länger mich haltend
Spring ich auf von dem wehenden Blatt, und drükke mit Inbrunst
Mein süßlallendes Kind an den schlagenden Busen. Hinunter
Stürmen nun Groß und Klein in den blüthenduftenden Garten.

Vieles wird hier geschmählt, wenn der kunstverständige Gärtner
Etwa die schwebende Nelke zu fest an das Stäbchen geschnüret,
Oder den Bux und den Tax mir zu unbarmherzig gestuzt hat;
Aber auch vieles gerühmt, wenn nun auf zierlichen Beeten
Prangend die Pflanzungen stehn, und schwellend in üppiger Fülle.
Höchlich erfreut mich der fröhliche Wuchs der süßen Laktuke,
Höchlich die wuchernde Möhr, und die hochaufrankende Erbse,
Höchlich die brennende Blüthenguirlande der indischen Bohne.
Jedes Beet wird gemustert, und jede Pflanze beschauet,
Jede Blume beäugelt, die etwa der freundliche Morgen
Oder die thauende Nacht erschloß. Mit inniger Wonne
Häng’ ich wohl ganze Minuten am Kelche der keuschen Narcisse,
Oder der eben aufbrechenden Rose. Diß ruhige Leben,
Diese kindliche Stille, diß nimmerändernde Daseyn,
Diese ewige Einheit mit sich entlokket dem freyen
Aber der Freyheit nicht mächtigen Geist ein Seufzer der Wehmuth.

Aber mir naschen die Kleinen indeß von des Stacheldornes
Halbgezeitigter Frucht, und von der Johannisbeerstaude
Kaum erst röthelnden Träubchen. Hinweg von den lokkenden Sträuchen
Führ’ ich sie eilends zur schwanken Wipp’ im Schatten des Birnbaums,
Oder schleudre sie hoch in die Luft in der schwebenden Schaukel.

Und nun flammet die Sonn in sengendem Mittag. Der Diener
Kommt und ladet zum ländlichen Mahle. Wir schmausen vertraulich
Von der köstlichen Milch der eigenen Kühe, vom Brode,
Das wir bauten auf eigener Flur, vom Gemüse des Gartens,
Und von des eigenen Teichs Karauschen. Es trinken die Kindlein
Von dem lebendigen Quell. Es trinket der schwächliche Vater,
Eingedenk der Vermahnung des heiligen Paul und des Arztes,
Wenige Gläser des röthlichen Medok. Der schelmische Gottfried
Lauschet genau auf die Neig’ und schlürfet sie lüstern hinunter.

Eingenommen ist nun das Mahl. Die gesättigten Kindlein
Haben nachahmend die Hände gefaltet, und haben den Eltern
Eine gesegnete Mahlzeit gewünscht. Der schläfernde Vater,
Von der Schwüle des Tages erschöpft, und der geistigen Arbeit,
Wanket hinauf in sein einsam Gemach, im schwellenden Polster
Wenige stille Minuten zu ruhn. Um den ruhenden gaukeln
Leicht und luftig unzählige Bilder, gleich stöbernden Schlossen,
Wirbeln und tummeln sie bunt durcheinander, verschmelzen allmählich
In Ein grosses dämmerndes Ganzes. In süsser Betäubung
Sink ich zusammen, erwach’ aus luftigem Schlummer, und fühle
Jeden Nerv gestrafft, und jede ermattete Fiber.

Heiter sez’ ich mich dann zum schöngeformeten Schreibtisch,
Welchen zum lezten heiligen Christ mir mein Julius schenkte,
Sich erbarmend der Noth des geplagten Autors, den vormal
Auf dem engeren Pult, ein unentwirrbares Chaos,
Rechts und links die Papier umstarrten, seit Wochen und Monden
Übereinandergeschichtet; dem rechts und links die Quartanten
Und die gewaltigen Foliobände vom staubigen Estrich
Bis zum Kinn’ ihm thürmend, die Luft und die Sonne verbauten,
Solcher Noth sich erbarmend verehrte der Schöne und Gute
Mir zum jüngsten heiligen Christ den staatlichen Schreibtisch,
Welchen, von ihm belehrt, der kunstverständige Schreiner
Tüchtig und zierlich erbaut und mit schimmerndem Weiß bemahlt hat.
Mit Auszügen ist er versehn, und unzählichen Fächern,
Mit geräumiger Platte zu faßen der Bücher wol funfzig,
Mit schief liegender Schreibefläche, zur Schonung des Auges
Sorgsam mit grünem Tuche bekleidet. Zur Rechten und Linken
Thürmen auf künstlich durchbrochnen Gerüsten die Globen von Akrell.
Drüber prangen im zierlichen Schreine Britanniens Weise,
Galliens Lehrer, und ihr, der heiligen Hellas Heroen.
Solche Männer im Auge, von solchem Mustern entflammet,
Sez’ ich mich heiteren Muthes, versuche das Blatt zu vollenden,
Was ich am Morgen begann; und wenn es der Genius wehret,
Wähl’ ich mir flugs ein andres Geschäft. Denn hadern zu wollen
Mit dem Genius, frommt nicht. Er nahet und flieht nach Belieben.

Wieder vertief ich mich nun in die Freuden und Mühen der Arbeit,
Doch nur wenige Stunden. Denn schon den Westen beschreitend
Sendet die Sonne mir blendendes Licht, unerträgliche Gluthen
In das Gemach. Ihr wehret vergebens der wehende Vorhang.
Willig räum’ ich der Wüthenden dann den dampfenden Wahlplatz,
Flüchte das Buch in der Hand in eine der Lauben des Gartens,
Unter dem fächernden Schirm der breiten Kastanien Wipfel,
Oder ins nordliche kühle Gemach, wo in schimmernden Reihen
Hangen die Weste, die Reynolds, die Raphael, Guido, Correggio,
Nachgebildet in sprödes Kupfer vom Griffel der Meister.

Aber schon toset vom morschen Thurme, den Jüngern der Fibel
Und des Valentin Heyn willkommen die brummende Beglok.
Fröhlichen Muthes entwimmeln die Kleinen der schmoorenden Stube,
Nach dem Vesperbrod lüsternd, und nach der seeligen Freyheit.
Auch mein Töchterchen hüpfet herbey, bey Küsters Luise,
Hat sie genäht und gestrikt, und im Campe gelesen und Salzmann.
„Väterchen, ruft sie, das Wetter ist schön, auch wird es schon kühler;
„Wollen wir nicht ein wenig spazzieren fahren ans Wasser,
„Etwa nach Goor, oder Vite, oder nach der schönen Arkona?“
„Nicht nach Arkona, mein Kind. Arkona ist weit, und die Sonne
„Neiget mit Macht. Doch wollen wir fahren ans kühle Gestade.“

Christian wird nun entboten, der rüstige Kutscher. Es wird ihm
Angedeutet, in Eil den grossen hollsteinischen Wagen
Anzuspannen. Nicht ungern gehorchet der rüstige Kutscher.
„Aber, so ruft noch dem Eilenden nach die sorgende Hausfrau,
„Aber bey Leibe nur nicht den scharrenden Rappen genommen
„Oder den brausenden Wittfoth! Die Thiere gebährden sich gräulich!“
Freundlich nikket der Schalk’ und thut nach eignem Belieben.

Hurtig nun werden die Hüthe, die Mäntel, die Flore gesammelt.
Mütterchen hat noch vieles zu rüsten, der emsigen Köchin
Vieles noch auszugeben, dem durstenden Witte das Schlückchen
Zuzuspenden, dem flinken Georg, dem muthigen Buslaff,
Und dem vielerfindenden Jochen das Brod mit dem Schaafkäß.
Angesprengt kömmt Christel indeß, es stieben die Funken,
Und das schütternde Pflaster erdröhnt. Die sorgende Hausfrau
Reicht ihm den stärkenden Schluk, und die mächtige Butterschnitte,
Vieles noch mahnend und flehend, doch ehrbar zu fahren und langsam.
Freundlich nikket der Schalk, und thut nach eignem Belieben.

Eingestiegen wird jetzt. Im Hintergrunde des Wagens
Sizzen die liebenden Eltern. Auf wohlgepolsterter Ruhbank
Sizzen behaglich die Kleinen. Und nun liegt prasselnd und schmetternd
Christian mit uns im Sturmwind dahin. Ein wakkerer Kutscher
Muß ja zeigen den Leuten, daß er sein Handwerk verstehe.
Ängstlich dukt an den Boden des Wagens die zitternde Mutter,
Ängstlich schmiegt sich Allwina an sie. Dem schelmischen Gottfried
Lachet indeß im Leibe das Herz, und das liebliche Julchen
Nichts befahrend ergözt sich am raschen Schwunge der Räder.

Also stäuben wir hin durch die Gasse des ländlichen Flekkens
Wie im Gewitter. Es rollen zur Rechten und Linken die Häuser
Hinter uns weg. Wir vermögen den freundlich nikkenden Nachbarn
Kaum den vertraulichen Gruß zu erwiedern. Es geht wie im Fluge,
Bis wir das Blachfeld draussen erreichen. Von nun an beliebt es,
Im behaglichen Trott uns ehrbarlich weiter zu führen.

Welche Wonne nunmehr zu schaun auf den wechselnden Fluren.
Des Getraides üppige Pracht, zu schauen der Gerste
Grünlich schimmernde Fluth, und den weislich wogenden Roggen,
Und den lichtblau blühenden Flachs, und die Fülle des Waizens!
Welche mächtigre Wonne, so bald wir die Höhe gewonnen
Anzuschauen des heiligen Meeres lebendige Bläue.
O du heiliges Meer, ein Emblem des Erhabenen, ein Spiegel
Unausschöpflicher Kraft und unauslöschlicher Milde!
Nimmer zu schauen vermag’ ich dein majestätisches Ruhen,
Nimmer zu hören das Grollen der fernherwälzenden Fülle,
Ohne daß mir das Herz erschwillt, daß Schauder mich anwehn,
Und der Unendlichkeit Riesengefühl die Seele mir ausfüllt.

Rechts ab lenken wir nun aus der dörfergattenden Strasse
An das Gestade des heiligen Meers. Da thürmt schon der Vorzeit
Hehrer Ruin, das Hünenmahl, geründet aus Steinen,
Welche beschämen den Fels, auf welchen der eherne Zaar steht.
„Kindlein, steigen wir ab, und wandeln ein wenig.“ Behende
Werden die Kleinen vom Wagen gehoben. Wir wandeln am hohen
Ufer entlang, und schauen mit schauernder Wonn’ in die Tiefe,
Schauen hinübe, o Jasmund, nach deinen Riesengestaden,
Klimmen sodann vorsichtig auf schmalen geschlängelten Pfade
Eine der Lithen hinab zum kieselgepflasterten Meerstrand.
Höchlich ergözzet die Kleinen das schimmernde glatte Gerölle.
Sieh, wie sie sammeln die blankesten Kieseln, wie gierig! wie lüstern!
Nicht zu fassen vermögen die Schäzze die strozzenden Taschen.
Mütterchen sizt indeß auf einem gewaltigen Quarzblok
Welchen der wühlende Schnee dem mürben Gestad’ entspühlte;
Während der Vater mit Hülfe des hohlgeschliffenen Glases
Mühsam späht nach des Steinreichs Wundern, nach deinen Gebilden,
Unergründliche Kraft, die du izt den Quarz und den Feldspath
Innigst zum Ganzen vereinst, und izt das gediegene Ganze
Launisch wieder zerreibest zum stiebenden Sande her Dünen;
Die du Länder bewölkst mit undurchdringlichen Wäldern
Dann den verschlemmten Wald verkohlest im Bette des Meeres;
Die du den fallenden Tropfen zum Stalaktiten verdichtest,
Und des Schaalthiers Gallert zum funkenstiebenden Kiesel;
Die du wölbest im Schoose der Berger krystallene Grotten,
Kunstreich dann den Basalt zu Rotunden thürmest und Domen;
Solcher Wunder denkend durchspäh’ ich das bunte Geschiebe.
Manchen Zeugen ertapp ich des umgewälzten Planeten,
Manchen Fremdling, herein von den Antipoden gewandert,
Manchen Ruin aus des Erdballs Kindheit. Ich freue nicht minder
Meines Fundes mich, als meine Kleinen des Ihren.

Schneller schon eilet die Sonne hinab zu den westlichen Fluthen.
Und wir verlassen den Strand. Hinan das schroffe Gestade
Klimmen wir tiefaufstöhnend. – Am Saume des kreidigen Ufers
Sezzen wir uns ein Weilchen, und staunen die Fluthen hinüber,
Sehen auf breitem Gestein sich sonnen den zottigen Seehund,
Sehen das fröhliche Volk der Mäwen die Wogen beschiffen,
Sehen im leichten Kahne sich schaukeln den Fischer der Vitte,
Sehn an des Horizonts duftigen Saum manch weißliches Seegel.
Hurtiger eilet indeß die Sonne den Bogen hinunter.
Feuernd vor Ungeduld scharret der Rapp und wiehert der Adler.
Manches Pfeifchen bereit erlosch dem rüstigen Christel.
Izzund werden die Kiesel und Fleiß in den Wagen gepakket,
Izzund die Kleinen. – Wir rollen dahin – Im Golde des Abends,
Siehe wie lodert die Fluth, wie brennen die hüglichten Dünen.

Bald vollbracht ist die fröhliche Fahrt. Der ländliche Flekken
Nimmt uns schon auf. Uns empfängt das vertraute Gehöffte. Gar freundlich
Harren unser an knarrendem Heck die fromme Sophie
Nebst dem flinken Georg, und dem lustigwedelnden Dachshund.
Siehe der Tisch ist gedekt. Das Mahl ist bereitet. Die Seeluft
Reizt die Begier. Wie mundet den Heimgekomnen die Nachtkost,
Wie den Kleinen die köstliche Milch, dem Vater der Spargel
Nebst dem geräucherten Lachs, den ihm die Vitter verehrten.

Nun ist die Sonne zu Gott gegangen. Die wirbelnden Vögel
Gingen zu Neste, zu Neste die jüngsten und zärtesten Kindlein.
Julie ligt schon die Holde, und schlummert im schwebenden Bettchen.
Niedergebeugt hat des Schlaffes Gewalt den wakkeren Gottfried
Auf den Polstern des Sopha. Noch sizt in der Kühle des Abends
Meine Allwine bey mir und plaudert von diesem und jenem.
„Vätterchen, spricht sie, die Milch ist geseihet, gesahnt sind die Schaalen.
„Mutter ist fertig. Wie wenn wir izt noch ein wenig spazzierten
„Zwischen den Häusern des Dorfs. Es spazziert sich so traulich im Dunklen.“
Und wir thun ihr den Willen. Den doppelbeschatteten Kirchhof
Wallen wir schauernd entlang. Es thauet der Rasen der Gräber.
Über den tükkischen Rost wird sorglich die Kleine gehoben.
Und nun wandern wir auf und ab in den Gassen des Flekkens
Mancher ehrliche Nachbar, der treulich die Schweisse des Tags trug,
Sizt in der Thür, und freut sich des Pfeifchens, und freut sich der Kleinen,
Welche rastloß noch schnellen den Ball, und jagen den Dritten.
Rechts und links wird jeder gar freundlich gegrüsset. Mit jedem
Wird zur Rechten und Linken ein freundliches Wörtchen gegrüsset.
Manche friedliche Schwell wird beschritten. Die schlummernden Kindlein
Werden beschauet und höchlich gelobet. Des winzigen Gärtchens
Pflanzungen werden besehn, und über die Massen gerühmet.
Aber wenn brauner nun werden die Schatten, und stiller die Hütten,
Wenn die schmällende Mutter die tummelnden Kleinen nun heimruft,
Und nach erloschenem Pfeifchen der schläfernde Vater ins Haus wankt;
Gerne sizzen wir dann an dem Weiher des Dorfs auf den Blökken,
Welche der emsige Wagner zu Axen und Felgen zersagte,
Sehen den Himmel sich spiegeln im stillen Wasser des Teiches,
Sehen die Lampen erlöschen, vernehmen das Lullen der Mütter,
Und den klagenden Abendgesang der einsamen Wittwe.
Dunkler wird es, und stiller um uns, und stiller im Busen.
Endlich beginnt es Allwinen zu grauen. „Es wird schon so dunkel.
„Väterchen, gehen wir bald!“ Wir thun ihr den Willen, und gehen.
„Väterchen, Siehe es brennt!“ ruft Wine, indem wir des Kirchhofs
Düstre Schatten beschreiten – und siehe der heilige Vollmond
Wallt, eine lodernde Welt, aus dem Osten herauf, und Geflitter
Sendet er durch das säuselnde Laub der Esp’ und der Pappel.

Stiller noch wird es um uns, und stiller im Busen. Wir wallen
Zögernden Schrittes zurük in unsre friedliche Wohnung.
Hier herrscht feyrliche Ruh, und leise schauerndes Dunkel
Ausgestorben ist jedes Gemach. Auf der Flur, auf dem Vorsprung,
Rings auf dem räumigen Hof und draussen auf Feldern und Weiden
Waltet die eilige Nacht. Bey der Lampe wankenden Schimmer
Legt Allwinde sich schlaffen. Es legt sich die sorgende Hausfrau
Von der Schwüle des Tages erschöpft, und den Lasten der Wirthschaft.

Aber ich wandle noch lang’ in den Schattengängen des Gartens,
Während der Mond die Bäume versilbert, und fern aus dem Westen
Einer Vergangenheit gleich, das Spatroth blasser heraufstrahlt.
Dann umschatten mich ernst Gedanken; Gedanken der Tage
Welche dahin sind, Gedanken der längst verblüheten Jugend.
Sehnend gedenk ich der guten, die fern aus dem Süd und dem Osten
Nach dem Geliebten die Arm ausstrekken; ich denke der Edlen,
Deren Gräber der Mond versilbert. Dein denk ich vor allen
Treffliche Ida, und dein zunächst, holdselige Rosa.
Edle reine unschuldige Seelen! Ihr Seelen mit Thränen
Und mit Träumen und Flügeln – mit Flügeln, die ach! nur zu frühe,
Viel zu frühe zurük euch trugen zur besseren Heymath.
Ich gedenke, der Zeit, der nahen vielleicht! wo ich selber
Lieg’ und schlafe den eisernen Schlaf, wo die liebende Gattin
Schluchzend des Schläfers Hügel besucht, wo meine Allwina
Jammernd dem Vater ruft, dem nieerwachenden Vater!
Während bestürzt die Unmündigen da stehn, wenig es ahnend
Was dem Schwesterchen sey, und der händeringenden Mutter.
Dieses bedenkend durchwandl’ ich des Gartens schattige Gänge
Dunkler werden die Schatten um mich. Wie Gräbergedüfte
Wehn mich an die Gerüche des blühenden Flieders. Des Rohrspaz
Dumpfes Rufen gemahnt mich wie Todten-Geläute; bis etwa
Sich der thränende Blik erhebt zum ewigen Himmel,
Bis mit der Nacht entschleyertem Glanz, mit dem Schimmer der Sterne
Mit des Arkturus röthlichem Licht, mit dem Funkeln der Wega
Strahlend in mir der Gedank erwacht, das hohe Bewußtseyn:
Daß wir sind, um ewig zu seyn! – Gestärkt und getröstet
Wandl’ ich nun heim au fmein einsam Gemach. Die Wolke des Schlummers
Wallet hernieder und schließt mir leise säuselnd die Augen.

Also verfließt mir das Leben in dieser äussersten Thule.
Also vergleiten in reinen Genüssen und seligen Mühen
Mir die Stunden des Tags, und des Abends einsame Stunden.

Fliehet ihr Horen dahin! und müsse der Fliehenden keine
In den Busen mir weinend drükken den Stachel der Reue!

Fliehet ihr Horen dahin! und müsse die jüngste die schönste
Engelhold und bräutlich geschmükt mit duftender Palme
Kühlung dem Scheidenden wehn, und lächelnd die Augen ihm schliessen!

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