HomeDie Horen1796 - Stück 8I. Theoderich, König der Ostgothen. [K.L. von Woltmann]

I. Theoderich, König der Ostgothen. [K.L. von Woltmann]

Bewertung:
(Stimmen: 1 Durchschnitt: 2)

Fortsetzung.

Nun hatte Theoderich die Höhe erreicht, wo er seine grosse Kraft auf das mannigfaltigste entwickeln und der Welt zeigen konnte, daß er, wiewol er als Barbar aus den Schulen der gelehrtesten Griechen hervorging, dennoch das Staatsruder führen könne, wie das Schwert, und selbst auf die Kultur der Wissenschaften und Künste bei seinen Ideen über die bürgerliche Verfassung gerechnet habe. Nie riefen Germanen einen Heerführer mit einem solchen Jubel zum König eines eroberten Landes aus, als jetzt die Gothen ihren Theoderich zum König von Italien; und dieses ist glücklicher unter seiner Herrschaft gewesen, als irgend ein Theil des römischen Reichs unter dem Scepter eines Barbaren, obgleich der Kaiser Anastasius, welcher auf Zeno gefolgt war, zauderte, den neuen Beherrscher Italiens anzuerkennen. Immer ist auch das Verhältniß zwischen ihnen unbestimmt geblieben, und es läßt sich nicht leugnen, daß der griechische Hof, in dessen Dienste Theoderich stand, und welcher den nächsten Anspruch auf das eroberte Land hatte, einigermassen berechtigt war, ihn auch noch auf seinem Thron zu Ravenna als einen Fürsten zu betrachten, der ihm auf gewisse Weise unterthan seyn mußte. Übrigens regierte Theoderich so unumschränkt, und die Gränzen seines Reichs wurden so erweitert, daß er nur den kaiserlichen Titel hätte anzunehmen brauchen, um in seiner Person das abendländische Kaiserthum wieder hergestellt zu haben.

Wenn er einen Blick auf die Germanen warf, die sich bisher in römischen Provinzen niedergelassen hatten, so fand er den Keim von dem Verderben ihrer Staaten in ihrer Vermischung mit den alten Einwohnern. Mit dem Schimmer von Bildung, welchen sie durch diese erhalten hatten, war zugleich Zügellosigkeit der Sitten unter sie gekommen; mit den Tugenden, welche sie einst in den Wäldern der Heimath und auf ihren Zügen kannten, war auch die germanische Kraft entwichen, und so wurden sie entweder ein Spiel der Provinzialen, oder die Beute neuer, ungeschwächter Horden. Vor einem ähnlichen Schicksal wollte er sein Gothen so gern sichern; aber wie war dies möglich, wenn er nicht Italien zur Wüste machte, und gerade das Land, welches voll war von Denkmalen des menschlichen Geistes, so mit Trümmern bedeckte, daß kein Saamenkorn der Kultur in seinem Boden wieder aufkeimen konnte? Allein dazu dachte er viel zu groß und menschlich; noch ehe er das Gewand des Barbarn mit römischer Kleidung verwechselte, hatte er die Denkart desselben abgelegt.

Indem er so auf jeder Seite Klippen sah, welche er vermeiden wollte, gerieth er auf die Grundidee, nach welcher er sechs und dreissig Jahre hindurch regierte. Die Gothen sollten die rüstigen Krieger bleiben, welche sie waren, und mitten in den italiänischen Gefilden wie unter den pannonischen Zelten leben; die Italiäner sollten dagegen mit gleichem Eifer alle Künste des Friedens treiben, und der Herrscher, welcher sei beide mit starkem Arm empor hielt, mußte sie auch so von einander halten, daß sie sich nicht einander befeindeten und nicht Freunde wurden. Es war ein erhabener Gedanke, vom Stande der Rohheit und der Kultur nur die Vortheile in seinem Staat vereinigen zu wollen, und es greift tief in die Seele, wenn man Theoderich, welcher ihn ohne Eitelkeit und mit Glück sein langes Leben hindurch verfolgte, klagen hört, daß man seinen sinn nicht fasse, und der hülfsbedürftige Römer den Gothen, so wie dieser, auf welchem der Staat ruhe, den Römer nachahme.

Den dritten Theil aller Ländereien, welchen schon Odoacers Krieger besessen hatte, räumte er seinem Volk ein, einer Masse von mehr als fünfmal hunderttausend Menschen; und man kann ihn nicht besser loben, als die Italiäner, welche dies Handlung die einzige Ungerechtigkeit des Eroberers nannten; niemand on ihnen ward sonst an seinem Eigenthum gekränkt. Durch das ganze Reich auf ihren Ländereien zerstreut, welche im Verhältniß mit der Stärke ihrer Familie, der Zahl ihrer Sklaven und Heerden und ihrem verschiedenen Rang unter sie vertheilt waren, lebten alle Gothen als freie Männer, und wurden nur nach ihren alten Gesetzen gerichtet. Ein Graf übte die Gerechtigkeit über sie aus; aber sobald ein Gothe und ein Römer Streit bekamen, mußte er einen rechtserfahrnen Provinzialen zu seinem Beisitzer wählen. Auch der Herzog, welcher der Statthalter in seinem Distrikt war, hatte als solcher Einfluß auf die ganze Staatsverwaltung innerhalb seiner Amtsphäre; aber vornehmlich betraf seine Oberaufsicht alle kriegerische Angelegenheiten.

Weil Theodorich seiner Grundidee gemäß oft äusserte, daß ein Knabe, welcher in der Schule vor der Ruthe gezittert hätte, nie dahin kommen werde, ein Schwert, einen Speer ohne Bewegung anzublicken: so folgten die Gothen ganz ihrem Hange zum blos kriegerischen Leben. Allenthaben erblickte man in Italien Schaaren von ihren kraftvollen Jünglingen, welche mitten unter den Werken des Friedens, ohne ihnen zu schaden, sich in kriegerischen Spielen umhertummeten. Sie liessen ihre Wurfspiesse sausen, spannten ihren ungeheuren Bogen, rüsteten sich zum Zweikampf, welchen vielleicht die Gothen allein unter den germanischen Völkern in ihren Gerichten nicht duldeten, begannen eine förmliche Schlacht; und selbst der entnervte Römer, dem allenthalben das Bild des Krieges entgegentrat, zitterte vor dem wirklichen nicht mehr. So wie durch den Trompetenschall das Zeichen gegeben ward, daß es gegen den Feind gehen solle, zogen von allen Seiten die Schaaren frohlockend unter ihren Anführern zusammen. Ihr beständiger Sold waren ihre Ländereyen, welche sie frei von allen Auflagen besassen, ausserdem erhielten sie ein jährliches Geschenk an Gelde; wenn sie aber zu ungewöhnlichen Unternehmungen geführt wurden, so bekamen sie noch ausserordentliche Gaben.

Ausser dem grosen Gewinn, daß eine solche Masse von kräftigen Menschen die verödeten Gefilde wieder bevölkert hatte, ausser der Ruhe, mit welcher unter dem Schutz der Gothen so lange Theoderich lebte, die alten Bewohner Italiens jeder Gefahr in diesem stürmischen Zeitraum entgegenschauen konnten, hatten sie noch die Freude, ihre bisherige bürgerliche Verfassung nicht nur erhalten, sondern noch verbessert zu sehen. Nach ihren Gesetzen wurden sie gerichtet und nur von ihrer alten Obrigkeit; in Sicherheit konnten sie alle Werke ihres Kunstfleisses aufstellen, ihren Handel treiben, ihre Gefilde bearbeiten. Auf nichts sah Theoderich mit einer solchen Ängstlichkeit, als daß sie niemals von einem Gothen beleidigt wurden; und war ihr Eigenthum auch nur durch irgend eine kriegerische Bewegung, die zum Besten des Staats geschah, verletzt worden: so hielt er es für seine Pflicht, ihnen den Schaden sogleich zu vergüten. Die Städte prangten von dem Wohlleben ihrer Bürger, die italiänischen Fluren blühten wie niemals und waren von neuem, wie zu den besten Zeiten der römischen Herrschaft, mit Denkmalen des Luxus und des Geschmacks bedeckt. Wo es eine Anstalt für Gelehrsamkeit gab, ward sie von der Regierung mit Sorgfalt unterhalten, und Künste und Wissenschaften wählten mit Freude und von einem so reinen Geschmack begleitet, als überhaupt in diesen Jahrhunderten möglich war, ein Land zu ihrem Aufenthalt, wo eine solche Sicherheit herrschte, daß ein ununterbrochner freier Verkehr zwischen allen Provinzen war, daß zur Nachtzeit die Thore keiner Stadt verschlossen wurden, daß man sprüchwörtlich sagte, auf die Felder könnte man sein Geld hinlegen, ohne daß es gestohlen würde.

Der Hof Theoderichs war gleichsam ein Bild im Kleinen von dem Reiche. Neben den Stellen, die man am Hofe der Kaiser kannte, fand man das Amt eines Majordomus und eines Waffenträgers, neben dem königlichen Diadem das gothische Schwert, die lateinische Sprache wurde als die Staatssprache betrachtet; aber die gothische ward von den Kindern der vornehmsten Römer gelernt, ausgezeichnete Gelehrte spielten die erste Rolle in Ravenna, aber Theoderich verbarg nie seine Maxime, bis zu welchem Grade man wissenschaftliche Bildung schätzen müsse. Nur die Musik scheint er ohne alle Einschränkung geduldet zu haben; sie begeisterte bei seinen Gastmalen die rohen Gothen und gab selbst dem Römer einen höhern Schwung. Auch ward sein Hof durch sie so berühmt, daß sich fremde Könige on ihm Sänger und Harfenschläger ausbaten.

Ferner behielt Theoderich selbst mitten unter der orientalischen Pracht, mit welcher seine Person umgeben ward, Einfalt der germanischen Sitten, und zu ihm sahn die Römer, wie die Gothen mit Bewunderung hinauf. Schon in seinem Äussern vereinigte er die Vorzüge, welche der gebildete Mensch schätzt, und die ausserordentich Stärke, welche der Barbar preiset. Er hatte die schneeweise Haut, die blühende Gesichtsfarbe, welche als charakteristisch bei den Germanen bemerkt werden, seine Augen glänzten stets von Heiterkeit, aber er war schrecklich, wenn er zürnte und hatte einen eisernen Arm. Im Gespräch war er oft geschmeidig;, doch vergaß er nie eine gewisse Besonnenheit, die am meisten Eindruck machte wenn er einige Sätze sagte die sein eindringender Geist von der Erfahrung sich abgezogen hatte. Gewöhnlich war ihnen eine solche eherne Wahrheit aufgedrückt, daß man sie nie wieder vergaß; schon durch seine Reden war es unvergeßlich geworden, an welcher Stäte er sich verweilt hatte.

Von Tugend und Größe, wo er sie finden mochte, ward immer seine ganze Seele erfüllt. So belohnte er diejenigen, welche dem unglücklichen Odoacer unerschütterliche Treue, die sie schwuren, bewiesen hatten, und nie fühlte er sich selbst erhabener als wie er unter den Denkmalen der alten Römergröße in Rom wandelte. Der Senat und das Volk zogen ihm feierlich entgegen, da er im siebenten Jahr seiner Regierung (500) der Stadt nahte, und nannten ihn einen zweiten Trajan Er redete öffentlich mit Würde zu ihnen, und ließ es zu, daß die Verheissungen, welche er ihnen gethan hatte, in eine Tafel von Erz gegraben wurden; aber bald entriß er sich der öffentlichen Bewunderung, um die Denkmale des Altersthums zu betrachten. Keines von ihnen zog seine Seele so an als die Säule Trajans. Überhaupt aber bewogen ihn die jetzt erhaltenen Eindrücke zu dem festen Entschluß, alles aufzubieten, um diese kostbaren Überreste den folgenden Zeitaltern aufzubewahren.

Nicht weniger als von seinen Unterthanen ward Theoderich von den Völkern geachtet, welche in den römischen Provinzen Staaten errichtet hatten, und wenn man ihn toben muß, daß er in der Blüthe seiner Jahre und seines kriegerischen Ruhms nach nichts so sehr strebte, als Frieden zu stiften, so muß man seinen denkenden Kopf in dem System bewundern, das er unter den abendländischen Reichen hervorzubringen suchte. Durch Familienbande vereinigte er sein Haus mit den Königen der Franken, der Burgunder, Thüringer, Vandalen und Westgothen, vorzüglich sann er auf eine enge Vereinigung mit diesen lezten, welche schon wegen der gleichen ursprünglichen Abstammung leichter mit den Ostgothen sich befreunden mußte. Das Ansehen, welches er dadurch erheilt und das Übergewicht, welches ihm seine großen Eigenschaften gaben, benutzte er nicht, um sein Reich zu vergrößern, sondern um eine Republik von germanischen Staaten zu errichten, welche sich dem orientalischen Kaiserthum kühn entgegenstellen könnte. Dem griechischen Hof entging dieser Plan nicht, und Anastasius that alles, um Chlodowig den König der Franken gegen ihn zu heben. Nie war das Gleichgewicht mehr in Gefahr, und nie ward es mit so vieler Klugheit geschützt, als jetzt von Theoderich. Wären ihm Herrscher gefolgt, die seinen politischen Scharfblick besaßen, so wären Justinians Feldherrn nie so siegreich gegen die germanischen Mächte gewesen.

Nicht allein durch dieses System und durch den kriegerischen Sinn der Gothen wollte der König sein Italien schützen, denn trotz denselben ward ihm bei einem Blick nach Norden oft bange! wie gefahrvoll waren für die italiänischen Gränzen die benachbarten Schwärme, selbst wenn es schien, als wären sie günstig gegen das ostgothische Reich gesinnt. So oft es Unruhen unter ihnen gab, verlegte er sogleich seinen Hof in ihre Nähe nach Verona. Nach und nach unterwarf er seiner wohlgeordneten Regierung einen Strich der Provence, Rhätien, Vindelicien, Norikum und einen beträchtlichen Theil von Pannonien und Dalmatien. So umgab er sein Italien gleichsam mit einer Verschanzung von Ländern, da zugleich Ästyer von den Küsten der Ostsee her ihm Geschenke brachten, und man von Schweden her, welches die Wiege der gothischen Nation genannt wurde, Bande mit ihm anknüpfte. In den Sagen Skandinaviens arbeitete man seine Thaten in das romantische über; als Theoderich von Verona oder Dieterich von Bern ward er im Norden das Ideal eines Helden.

Alle Pracht, allen Nachdruck der Sprache wandte er auf, um mit Anastasius im Frieden verharren zu können; es wäre nicht gut, äusserte er, wenn Länder Kriege gegen einander führen sollten, die einst unter Einem Beherrscher glücklich waren; aber seine Plane waren zu umfassend für den griechischen Hof, der Veranlassungen zu mancherlei, als daß sein Wunsch erfüllt werden konnte. An der dazischen Gränze kam es zum Kriege, in welchem Theoderich der Beschützer eines Nachkommen von Attila wurde. Die Niederlage des griechischen Heers war ein Triumph für die gothische Tapferkeit; aber daß die Leichname auf dem Schlachtfelde nicht beraubt wurden, weil der Anführer nicht das Zeichen zum Plündern gegeben hatte, zeigte, mit welcher Kraft Theoderich seine strenge Ordnung durchgeführt hatte. Unmittelbar nachher landeten die Griechen und verheerten die Künste von Kalabrien und Apulien. Wie durch einen Zauberschlag hatte der König eine Flotte geschaffen und dann erhielt er endlich einen festern Frieden mit dem griechischen Hofe, welchen er so lange gewünscht hatte.

Bis nah an das Ende Theoderichs ist sein Leben ein glänzendes Gemälde von seinem Ruhm und seinem Glück, und man kann mit Wahrheit sagen, daß dieses letzte ganz sein eignes Werk war, da die Zeitverhältnisse jeden Augenblick ein Gewitter, dessen Blitze er ableitete, gegen seinen Thron heraufführten. Nur in seinen letzten Jahren überlässt er sich ein einziges mal seinem beleidigten Herzen und der Leidenschaft; aber daß er unsere Bewunderung, nur mit Mitleiden vermischt, auch da noch verdient, zeigt er, indem er unmittelbar nach seinem Fehltritt vor Schmerz in die Gruft sinkt. Erschütternd ist der Anblick, wenn ein großer und ungebildeter Herrscher dem rohen Geist seines Zeitalters am Ende eines glorreichen Lebens zum erstenmal den Tribut der Schwäche zahlt, und dann in dem erhabenen Gram, welcher ihn deshalb ergreift, dem Anblick einer langen Reihe von errungenen Palmen keinen Trost abgewinnet.

Theoderich war in dem Glauben der Arianer erzogen worden, aber weit davon entfernt, sich um die Streitigkeiten zu bekümmern, welche in der christlichen Kirche herrschten, hatte er es sich zum Gesetz gemacht, den katholischen Glauben im Besitz aller seiner Rechte in Italien zu lassen und jeden Lehrer desselben, sobald er ausgezeichnete Verdienste besaß, durch seine Wohlthaten zu ehren. Nur wollte er dagegen auch, daß die Religion seiner Sekte und alle übrige gedultet würden; konnte man doch auch nicht ein einziges Beispiel anführen, daß ein Katholik während seiner Regierung irgend veranlaßt wäre, zu dem arianischen Glauben überzutreten.

Nach diesem Geiste der Duldung mußte ihn die Verfolgung der Juden sehr kränken, welche zu Ravenna begann, wo die katholischen Christen, indem er zu Verona abwesend war, die Güter dieses fleißigen Volks plünderten und seine Synagogen aus religiösem Haß in Brand steckten. Mochten immerhin die Juden einigermaaßen zu solchen Mißhandlungen gereitzt haben: so durfte die Regierung diesem Unfug schon deßhalb nicht nachsehen, weil für die wichtigsten Städte des Reichs, welche der israelitische Fleiß belebte, großer Schaden aus einer solchen Nachsicht entstehen konnte. Uiberdies wurde der Aufruhr zu Ravenna, auf welchen ein ähnlicher zu Rom gefolgt war, dem König so geschildert, daß die Christen in noch einem gehässigern Licht, als sie es vielleicht verdienten, erschienen. Wahrscheinlich konnte man unter der Menge die eigentlichen Thäter nicht finden, wenigstens gab man sich Mühe genug sie zu entdecken; auch fand es sich bald, daß die katholische Christenheit in Italien allgemein jenes Verbrechen billigte: daß auf Kosten derselben die Synagogen wieder erbaut werden sollten, war eine gelinde Strafe, und daß diejenigen, welche sich weigerten das ihrige dazu beizutragen, durch die Straßen mit Stockschlägen geführt wurden, war keine Ungerechtigkeit; aber der religiöse Eifer ihrer Glaubensgenossen nennte sie Märtyrer.

Hier war eigentlich der gefahrvolle Punkt, wo von Theoderich sein guter Geist entwich. Was hatte er nicht sein ganzes Leben hindurch gethan, vorzüglich wenn er sich mit andern germanischen Herrschern verglich, um sich die Liebe der Italiäner zu erwerben? Von ihrer elenden religiösen Wuth konnte er sich gar keinen Begriff machen; wie geringfügig mußte ihm nun gar die Veranlaßung erscheinen, welche ihre Stimmen gegen ihn erhob? Man brandmarkte ihn mit dem Namen eines Ketzers, wodurch seine ganze Seele mußte empört werden, weil er in ihm die Verachtung wahrzunehmen glaubte, mit welcher der kultivirtere Mensch auf den weniger gebildeten herabsieht, und wofür dieser, wenn er eine große Denkart besitzt, ein stets wundes Gefühl hat. Aus Uibereilung ließ er, sich zu rächen, die Stephanskirche in Verona niederreissen. Nun sahen die katholischen Geiste schon Wunderzeichen und erzählten abentheuerliche Geschichten, deren Deutung nur zu leicht gefunden werden konnte. Ein gothisches Weib sollte nicht weit vom königlichen Pallast in Ravenna mit Drachen niedergekommen seyn, welche sich vom Occident nach dem Orient in Wolken erhoben, aber ins Meer hinabgestürzt wurden. Man äußerte in solchen Mährchen den Wunsch, daß das gothische Reich durch die griechische Macht möge zertrümmert werden.

Indem der König durch diese Begebenheiten schon gereitzt war kam eine Nachricht aus dem Orient, welche bei seiner gegenwärtigen Stimmung äußerst verderblich für ihn ward, der alte schwache Justin, der zuerst als gemeiner Soldat gedient hatte saß jetzt auf dem Kaiserthron und neben ihm herrschte sein Schwestersohn, der nachher so berühmte Justinian dessen Handlungen schon jetzt von der Eitelkeit geleitet wurden, welche mit ihm den Thron bestieg, und deren vorzüglichste Bemühung es war, die Ketzerei allenthalben auszurotten. Plötzlich erschienen die härtesten Befehle gegen die Arianer, um sie zur Rückkehr in den Schooß der rechtgläubigen Kirche zu zwingen. Schien dieß nicht eine höchst undankbare, grausame Verspottung Theoderichs zu seyn?

Nun erst ward er mit Schrecken gewahr, daß der Boden unter ihm hohl sei, nun erst glaubte er Licht über die Plane der katholischen Christen, der alten Bewohner Italiens zu erhalten, und die erste Wirkung davon war; daß er ihnen alle ihre Waffen wegnehmen ließ. Dann warf er seinen Blick auf ihr Haupt, den römischen Bischof, welcher freilich von ihm, nachdem er von den Römern gewählt war, bestätigt wurde, aber schon eine solche Macht besaß, daß er auch einen weniger argwöhnischen König Italiens zur Eifersucht hätte reitzen können. Daher beschloß Theoderich gerade ihn nach Konstantinopel zu Unterhandlungen wegen Aufhebung der Befehle gegen die Ketzer zu senden. Schon der Widerwille, mit welchem Papst Johann diesem Befehl folgte, mußte seinen Verdacht vermehren; er ließ ihn mit andern Bischöffen und einigen Senatoren auf ein Schiff und nach dem Orient bringen. Wie man seinen Auftrag besorgen werde, konnte er vorher sehen; aber die außerordentliche Ehrfurcht und Pracht, womit der Papst am kaiserlichen Hof empfangen wurde, nicht als Gesandter des Königs von Italien, sondern als Repräsentant des Apostels Petrus, war ihm unerwartet, und schien ihm nach seinen Grundsätzen, daß die geistliche Macht der weltlichen gänzlich unterthan seyn müße, eine Verspottung seiner Würde zu seyn. Johann brachte die Antwort zurück, daß diejenigen Arianer, die schon zur katholischen Kirche übergetreten wären, im Schooß derselben bleiben müßten. Sogleich gab Theoderich Befehl, daß an einem bestimmten Tage aller katholische Gottesdienst in seinem Reich aufhören sollte, und behielt den Papst als Gefangenen zurück, der aber nach wenigen Tagen starb. Sein König hatte ihn als einen Verräther betrachtet; und mit welcher Abgötterei folgten die Italiäner der Leiche zur Gruft.

Der innere Gram, sich so in allen seinen Erwartungen von den alten Landeseinwohnern getäuscht zu sehen, nagte an der Wurzel der Kraft des Ostgothen; aber sie fiel nicht, bis ein fürchterlicher Schlag kam, der sie zersplitterte; seine eigne Grösse verließ ihn nur da erst, als er verfolgt von der Undankbarkeit seiner Unterthanen sich gegen fremde Grösse vergangen hatte.

Unter den vortrefflichen Männenr, deren Tugend und Verdienste er zur Zierde seiner Regierung gemacht hatte, war keiner von ihm mit einer solchen Liebe behandelt, als Boethius, dessen ganzes Leben ein glänzendes Gewebe von Glück und Ruhm war, wie das Leben seines Königs. Hand in Hand gehen beide voll Freundschaft, bis ein feindseliges Geschick sie entzweit, daß sie sich einander in den Abgrund stürzen.

In einer der ältesten und reichsten Familie Roms, der amicischen, erzogen, hatte der junge Boethius früh alle Mittel zur Entwicklung ausgezeichneter Talente genossen, und in den Schulen Athens, wo er eine lange Reihe von Jahren dem Geist von Platon und Aristoteles nachforschte, hatte er eine unauslöschliche Liebe zu jener himmlischen Weisheit erhalten, die er in den Tagen des Glückes nicht verließ, und welche ihn in den Kerker des Todes als Freundin begleitete, um in seinen letzten Betrachtungen ihm ein Denkmal, der Unsterblichkeit werth, die es erhielt, zu errichten. Als er nach Rom zurückgekehrt war, erfüllte er zu derselben Zeit, da ihm seine Gemahlin, eine Tochter seines edlen Freundes, des Patriciers Symmachus, und liebenswürdige Kinder jede häusliche Freude schenkten, alle Pflichten des Bürgers, und Theoderich fühlte sich nur zu arm, den Mann zu belohnen, welcher auch als Gelehrter eine seltene Zierde seines Reichs war. Nicht genug, daß er den Vater zum Konsul ernannte gab er ihm das schöne Schauspiel, daß er seine beiden Söhne als Konsule desselben Jahrs unter dem ehrwürdigen Geleit der Senatoren und dem Jauchzen der strömenden Volksmenge durch die Strassen Roms ziehen sah. Mit der innigsten Rührung trat Boethius auf, und seine prachtvolle Beredsamkeit verkündigte den Ruhm seines grossen Wohlthäters. Damals ahnete es ihm nicht, daß derselbe Trieb, welcher ihn mit Freude bei diesem Anblick erschütterte, nämlich seine Liebe zur alten Freiheit, die ihn jedes Schauspiel aus den Zeiten der Republik mit Enthusiasm betrachten hieß, die Ursache seines Verderbens seyn werde.

Derselbe Argwohn, welchen Theoderich gegen die Italiäner überhaupt und gegen den Papst hegte, mußte noch mehr den römischen Senat treffen, der ehemals die Welt regiert hatte, und dieß nie in den Zeiten seiner Ohnmacht vergaß. Alle Glieder desselben hoften auf die Freiheit Roms; dieß gestand man frei, als der Senator Albinus wegen einer solchen geäusserten Hofnung angeklagt war. „Ist er ein Verbrecher, rief Boethius aus, so sind wir es alle, und sind wir unschuldig, so kann er gleichen Anspruch auf den Schutz der Gesetze machen.“

Auch Boethius ward wie Albinus angeklagt, daß er im Einverständniß mit den Griechen stehe, um durch ihre Hülfe Italien von der Herrschaft der Gothen zu befreien. Drei Männer von hohem Rang, aber keineswegs von unbescholtenem Rufe, traten als Zeugen gegen sie auf, und zeigten sogar Briefe mit ihrem Siegel vor, durch welche sie die Griechen gegen Theoderich zu bewafnen suchten; allein die Angeklagten erklärten sie für das Werk des Betruges. Die lobenswürdigsten Handlungen von Boethius, welcher die Italiäner gegen jeden Druck von Seiten der Gothen mit männlichem Muth und Theoderichs Beifall geschützt hatte, verwandelten sich jetzt in den Augen des letzten in Verbrechen. Er behandelte seinen alten Freund mit ausgezeichneter Härte, und ließ ihn nach Pavia in einen Thurm bringen, wodurch seine Vertheidigung sehr erschwert ward. Er hatte keinen Sinn mehr für die Worte desselben, welche seine beste Schutzrede seyn mußten: „o der Thorheit, welche Freiheit kann denn Rom noch hoffen? ich wünschte, daß wir auf irgend eine hoffen dürften! Wäre dieß, so hätte ich dem Tyrannen geantwortet: und wenn ich von einer Verschwörung für die Freiheit gewußt hätte, so hättest du davon nichts erfahren.“

Noch wankte der König in seinem Urtheil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten, da sprach der Senat selbst über den Weltweisen, welcher im Kerker in seine Bücher über den Trost der Philosophie die letzte Kraft seines Genius hauchte, über den einzigen Mann, welcher auf ihn die Glorie des alten Freistaates zum letztenmal zurückgebracht hatte, das Todesurtheil aus. Mit dem Bewußtseyn der Unschuld vernahm es Boethius, und fuhr ruhig fort, die Blumen seiner Phantasie über die Lehren der speculativen Philosophie zu streuen. Er starb unter schrecklichen Martern, die Theoderich nicht befohlen hatte, unter der Aufsicht des Grafen von Pavia. Ein fester Strick ward ihm so um den Kopf geschnürt, daß seine Augen hervorsprangen; durch einen Keulenschlag ward sein Leben geendigt. In den Klagen, die sein Schwiegervater Symmachus erhob, verräth sich die Begierde nach Rache. Der Greis ward in Ketten geworfen und nach Ravenna gebracht; auch er wurde als Verbrecher hingerichtet. (524. 25)

Unglücklicher als beide war Theoderich; die Schatten seiner Freunde verfolgten ihn, wohin er gieng, und zerrütteten seine Phantasie. Bei einem Abendessen erblickte er auf der Tafel den Kopf eines grossen Fisches, welcher den Rachen aufgesperrt hatte. So drohend, glaubte er, müsse das Haupt des alten Symmachus, die Zähne in die untern Lippen gedrückt, ihn ansehen. Er sprang auf von der Tafel, alle seine Glieder zitterten, er stürzte sich in seine Kammer, und befahl, daß eine Last von Decken über ihn auf das Bett geworfen werden sollte. So fand ihn sein Arzt, welchem er mit Thränen seine Grausamkeit gegen Boethius und Symmachus gestand; drei Tage nachher starb er (526). Daß ein solches Leben sich so endigen mußte!

"]"]