HomeDie Horen1796 - Stück 8II. Elegien, aus dem Englischen des J. Scott.

II. Elegien, aus dem Englischen des J. Scott.

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I. In der Erndte.

Kein Veilchen schwängert mehr die Luft mit Balsamdüften;
Kein Klee bepurpurt mehr der Niedrung fette Triften;
Kein helles Saatengrün deckt das gefurchte Land;
Kein Zweig mit Blüthen prangt an der besonnten Wand;
Kein Röschen knospet mehr, verspätet, auf dem Strauche;
Lustwandelnd athmen wir nicht mehr im Abendhauche
Den labenden Geruch von frischgemähtem Heu;
Hin ist des Sommers Reiz! Rings um die Meyerey
Verbreitet jetzt der Herbst des Überflusses Scenen,
Und Freud, und Hofnung singt in jubelvollen Tönen.
Wohin das Auge bickt winkt reizender Genuß;
Das Jahrwerk der Natur eilt mehr und mehr zum Schluß;
Schon wallt das Weizenfeld gleich einem goldnen Meere,
Die dichten Halmen beugt der reifen Körner Schwere
Zu Boden, silbern glänzt, mit Purpurmohn durchmengt,
Die bärtige Gerste dort, wo sich der Hügel senkt.

Des Morgens sanfter Strahl erhellt die fernen Höhen,
Und weckt der Schnitter Schar, ans Tagewerk zu gehen,
Zu ernten, was ihr Fleiß auf Wucher ausgeliehn.
Mit welchem heitren Blick sie aus dem Dorfe ziehn!
Schon waffnet jeder sich mit scharfem Feldgeräthe;
Der Schwung der Sense rauscht, und was sie niedermähte,
Rafft schnell der Rechen weg; die flinke Binderinn
Stellt nun in langen Reihn die goldnen Garben hin;
Die Mandeln thürmen sich zu Hügeln auf, und zieren
Die Ebne Meilen weit; der Zäune Gatterthüren
Stehn offen überall; der Erntewagen faßt
In seinen Leitern kaum die aufgeworfne Last;
Dumpfknarrend rollt er fort, besteckt mit grünen Büschen;
Die Peitsche knallt den Schritt der Rappen anzufrischen;
Das Stoppelfeld durchirrt der Ährenleser Schwarm,
Und Kinder tragen selbst ihr Bündlein unterm Arm,
Bis nun, rein aufgesucht, der letzte Halm verschwindet,
Und ein Triumphgesang der Ernte Schluß verkündet.

Landeigner, ihr, für die der Dorfbewohner fröhnt,
Bedenket, wessen Hand as Jahr mit Segen krönt!
Auf! lasset Preis und Dank empor zum Himmel dringen!
Freywillig zwar vermag das Feld nicht Frucht zu bringen,
Des Vorwerks junges Volk, vom Brand der Sonne braun,
Muß manchen langen Tag den Acker mühsam baun:
Allein, was hilfts mit Sorg’ und Müh des Bodens pflegen;
Ersetzt wohl aller Fleiß den fruchtbar warmen Regen,
Der Lüfte lauen Hauch, den milden Sonnenschein,
Lenkt er die Wetter ab, die euren Saaten dräun?

Durch Arbeit soll der Mensch sich jedes Gut des Lebens
Erringen. Also wills die Vorsicht. Doch vergebens
Strengt unser Fleiß sich an, wenn ihre milde Hand
Den Segen uns versagt. Drum, o mein Vaterland,
Vergib, wenn dich mein Lied strafbaren Undanks zeihet!
Weit häufiger, als Preis und Dank erschallt, entweihet
Das wilde Bachanal der Schwelger deine Flur.
Zwar deine Landschaft zeigt des Überflusses Spur,
Und fröhliches Gedeihn; und deines Himmels Milde
Erhöht der Gegend Reiz. Doch wisse, manch Gefilde,
Berühmt im Alterthum ob seiner Fruchtbarkeit,
Liegt jetzt als Wüste da; durch Hunger, Krieg und Zeit
Entvölkert und verheert, zeigt es dem bangen Blicke
Des Wandrers keine Spur von seinem frühern Glücke.

Geh, forsch’ im Morgenland nach Palästina’s Loos!
Wo sind die üppigen Gefild’, aus deren Schooß’
Einst Milch und Honig quoll? wo sind die Herrlichkeiten
Der Städte, welche sich längs dem Gestade richten? –
Komm, schau, bejammere das tiefgesunkne Land!
Dort, wo der Dörfer Volk sonst goldne Garben band,
Wo manche reiche Stadt, mit Pracht und Kunst gezieret,
Von Tausenden bewohnt, empor stieg, – dort regieret,
Vom aufgethürmten Schutt und nackten Fels herab,
Verwüstung ihr Gebiet, – ein weitgedehntes Grab!
Wo immerfrisches Grün des Jordans Ufer kränzte,
Wo Sarons Blumenthal mit Iris Farben glänzte,
Schreckt jetzt den Reisenden, der – eine Thrän’ im Blick, –
Auf die Verwandlung schaut, ein gift’ger Pfuhl zurück.

Geh, frage Gräcien, das über den Ruinen
Gepriesner Städte weint, wo jetzt die Auen grünen,
Wo jetzt die Gärten blühn, die einst der Schwesterchor
Der holden Musen sich zum Lieblingssitz erkohr?
Wo er nun strömt der Bach, der einst durch Thäler wallte,
Aus deren grünen Schooß der Freyheit Loblied schallte,
Ein Lied, das nah und fern von Stadt zu Stadt erklang,
Wenn Patriotenkrieg die hehre Fahne schwang,
Und eine kleine Schar, des Vaterlandes Grenze
Beherzt vertheidigend, des Nachruhms Lorbeerkränze
Durch edlen Tod errang! Doch jetzt erfüllt dieß Thal
Nicht mehr der Freyheitkreis; kein Feldherr zückt den Stahl
Zum Kampf fürs Vaterland; Barbaren fremder Zonen
Beherrschen nun ein Reich, in dem nur Sclaven wohnen.

So stürzte mancher Staat hinab in öde Nacht,
Der stolz auf seinen Ruhm, berauscht von seiner Macht,
Der Thorheit Zauberkelch mit langen Zügen leerte,
Und aller Laster Brut in seinem Schooße nährte.
Schreckt dich, mein Vaterland, dieß Jammerloos? Wohlan!
Erwach’ und rüste dich! und treibe Thorheit, Wahn
Und Laster fern von dir, und öffne, statt der Thore,
Die Herzen deines Volks dem schwesterlichen Chore
Der sanften Tugenden! Von dem Olymp gesandt,
Erscheine Wahrheit dir, und an der Göttinn Hand
Die Ruhe, deren Blick nie Gram und Unmuth trübet,
Und Liebe, die mit Lust des Wohlthuns Pflichten übet,
Und festentschloßner Muth, der, nicht von Stolz gebläht,
Kühn im Gefühl des Rechts, Gefahr und Tod verschmäht.

Steig, himmlisches Geschlecht, auf Deutschlands Auen nieder!
Gib ihm den schönsten Schmuck – der Sitten Reinheit wieder!
Knüpf’ unter seinem Volk der Eintracht festes Band!
Dann wird sein Ruhm und Glück nie welken, und die Hand,
Die Alles Gute schenkt, wird seine fruchtbar schönen
Gefilde, Jahr für Jahr, mit reichem Segen krönen.

II. Beym Herannahen des Winters

Hinab gen Süden stiegt die Sonn’; ihr schräger Strahl
Erwärmt die Luft nur schwach. Der Wald steht schwarz und kahl,
Vom rauhen Nord entlaubt. Der greise Winter steiget
Auf seinen Thron, und herrscht tyrannisch streng. Es schweiget
Der Vögel Lustgesang; nur um die Schreuen zirpt
Ein Spatz, der Futter sucht. Die Pflanzenwelt erstirbt,
Nur Tannen sieht man dort im Hain, dort an Ruinen
Der alten Ritterburg, den finstern Epheu grünen.

Wo ist des Lenzes Reiz? – der Blumen Balsamduft,
Das blühende Gesträuch, das reine Blau der Luft,
Der Lerche Jubellied, das Rieseln klarer Bäche,
Der weißen Lämmer Schwarm zerstreut auf grüner Fläche?
Wo ist des Sommers Volk, – die Millionenzahl
Insecten und Gewürm, im wärmern Sonnenstrahl
Auflebend? wo das Vieh mit tönendem Geläute,
Das, ruhend hingestreckt im Schatten, wiederkäute?
Wo ist der Ernste Lust? wenn sich beym Sternenglanz
Das junge Volk des Dorfs zum buntgereihten Tanz
Vereinte, jede Brust von Lieb’ und Freude wallte,
Und jauchzendes Gelärm die Gegend weit durchschallte!

So wünscht die Phantasie sich ein verschwundnes Glück,
Das in der Gegenwart ihr reizlos schien, zurück;
Im Winter quält der Frost, und Hitz’ und Staub ermüden
Im Sommer; mit dem Tausch der Jahrszeit unzufrieden,
Versetzt sich unser Geist in ein beglücktres Land,
Wo Grün, das nie verwelkt, der Silberbäche Rand
Umsäumt, und Wolken nie den heitren Tag verschleyern,
Und Blumen jeden Mond, und Früchte sich erneuern.
Doch dieß beglücktre Land, wo stets der Frühling blüht,
Erscheint, wenn Wahrheit nun es in der Nähe sieht,
Mit Schrecknissen erfüllt: in wilden Strömen gießet
Der Regen sich aufs Land; die heißre Sonne schießet
Stets senkrecht ihren Strahl hernieder; die Natur
Ermattet in der Gluth des Tags; auf dürrer Flur
Herrscht ein versengtes Braun, und Quell und Bach versieget,
Oft, wenn der Landmann, der sein hartes Feld gepflüget,
Auf schattenlosem Pfad zur fernen Heimath kehrt,
Sinkt er ohnmächtig hin, und stirbt von Durst verzehrt,
Bald tödtet ihn der Biß der Schlange, bald begräbet
Der Sand ihn, der im Sturm sich Wogen glich erhebet.

Wer träumt sich die Natur von innrer Zwietracht frey,
Wer hofft ein Erdenglück, das ohne Wechsel sey? –
Das Kind, der Neuling nur, den süßer Wahn bethörte,
Und noch Erfahrung nicht im Glück Besorgniß lehrte.
Ich, der auf langer Bahn schon manchen Kampf bestand,
Den falsche Hoffnung oft irr führte, – nirgends fand
Ich eine Freystatt hier, die gegen rauhe Stürme
Der Widerwärtigkeit den armen Pilger schirme.
Drum sey der Winter mir des Erdenlebens Bild!
Wie er in Wettern tobt, in wilden Stürmen brüllt,
Und Luft und Land durchwühlt; so toben, so durchwühlen
Furcht, Sorg’ und Gram das Herz mit marternden Gefühlen.

O Räthsel unsrer Brust, wer ist’s, der dich erklärt!
Was Jahrszeit oder Ort dem Sterblichen gewährt,
Genügt ihm nie, und doch, wiewohl er ob den Leiden
Des Daseyns murrt, erschreckt ihn der Gedank’ ans Scheiden.
Woher dieß Schaudern sonst, das mein Gebein durchbebt;
Wenn still und feyerlich der Abend niederschwebt,
Und bey dem Glockenklang, der dumpf die Flur durchschallet,
Der schwarze Leichenzug bey mir vorüber wallet.
Vernunft ist’s, die mir sagt: dein harrt ein gleiches Loos!
Einst fodert dienen Staub der Erde Mutterschooß
Zurück, dann öfnest du, den Luftstrom einzusaugen,
Das Tageslicht zu schaun, nicht länger Mund und Augen!

Erheb’, o Winter, dich auf deinen Schreckensthron!
Verhülle dich in Nacht, laß deine Wetter drohn,
Und einer Stürme Wuth der Schöpfung Reiz verheeren!
Ich will kein Paradies für einen Gast begehren,
Der nur vorüberzieht. Der Vorsicht weise Hand
Gab Freud’ und Glücks genug, um hier im fremden Land
Gern zu verweilen, gab der Leiden und der Thränen
Genug, um uns hinauf ins beßre Land zu sehnen.

Nur sie, in deren Brust Begierde nie entbrennt,
Sie, die mit Dank genießt was ihr das Schicksal gönnt, –
Zufriedenheit! – sie ists, die eitle Sorgen höhnet,
Und jede Jahrzeit sich, und jeden Ort verschönet;
Ihr zeigt der Winter selbst manch Schauspiel, das entzückt,
Wenn zarter Silberreif die Morgenlandschaft schmückt,
Der Mittagssonne Glanz die heitre Luft durchstrahlet,
Und purpernes Gewölk den Abendhimmel mahlet;
Sie weiß, es reinige der Winterstürme Hauch
Die Luft, der Wassermann entschüttle seinem Schlauch’
In Regen oder Schnee heilsame Feuchtigkeiten,
Die einen reichen Schatz der Ernte vorbereiten.
Für alles danket sie dem Geber, dessen Hand
Den Weltbau schuf; Ihm, der das bunte Prachtgewand
Dem Lenz zur Zierde gab, und dichtes Laub zum Schirme
Dem Sommer, Obst und Wein dem Herbst, dem Winter Stürme.