HomeDie Horen1797 - Stück 10II. Das Fest der Hertha. [A. von Helvig]

II. Das Fest der Hertha. [A. von Helvig]

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Zu eines seltnen Festes froher Feyer
Gerüstet, steht mit heil’ger Wonn’ erfüllt
Der Göttin grauer Priester, der mit scheuer
Und ehrerbiet’ger Hand, ihr werthes Bild,
Gesenkten Blikes, mit geweihtem Schleyer,
In dichter Falten Nebel, jetzt verhüllt.
Ihn lehrt die Sitte, vor der Menge Bliken
Das Heiligste geheimnißvoll entrüken.

Aus des geweihten Haynes dunkler Mitten
Rollt sanft ihr Wagen; durch den ernsten Greis
Geleitet, zieht ihn mit gemessnen Schritten,
Ein junges Kühen-Paar, das glänzend weiß
Noch nie des Treibers Geisselhieb gelitten,
Ihr Haupt umkränzt der Fichte dunkles Reis;
Ein goldnes Band, das ihren Zug regieret,
Hält minder sie, als daß es schön sie zieret.

Wie leicht das Schiff die sanft bewegten Wogen
Des Oceans, auf heitrer Fahrt durchschneidet,
Wie an des Himmels schön gewölbtem Bogen,
Die Abendwolke leis vorübergleitet,
Wird leicht und still der Göttin Bild gezogen,
Wo grünend sich der Wiesen Teppich breitet,
Und mancher Baum mit Blüthen überschneiet,
Des Lenzes Schmuk auf sie hernieder streuet.

Laut jubelnd strömet zu dem heil’gen Wagen
Das rohe Volk der Hütten schon herbey
Und jeder eilt den andern es zu sagen:
Welch ein bedeutend günstig Fest es sey!
Sie wähnen schon von jeder ihrer Plagen,
Sich künftig durch der Göttinn Milde, frey,
Und aller Augen sieht man mit Vertrauen
Und Hoffnungsvoll zu der Verhüllten schauen.

Wie das Gewölk in Osten, sanft entzündet
Mit Purpurgluth, umsäumt mit goldnem Licht,
Der Sonn erwärmend – holde Näh’ verkündet,
Ob auch ihr herrlich Strahlenangesicht
Des Morgennebels Hülle noch umwindet,
Den dämmernd nur ihr heitrer Strahl durchbricht;
So leuchtet auch verheissend jetzt, und milde,
Der Göttinn Gunst aus dem verborgnen Bilde.

Und seegnend senkt mit säuselndem Gefieder,
Der Friede sich auf die beglükte Flur;
Ihm treu gesellt, schwebt auch die Freude nieder,
Die schön bekränzte Tochter der Natur.
Der Zwist verstummt, es tönen frohe Lieder,
Mit lautem Schall, des Dankes Hymnen nur,
Leicht schwebet rings im bunt gereihten Kranze,
Die Jugend jetzt im unschuldsvollen Tanze.

Die rohen Krieger, erst zum blut’gen Streite
Gerüstet, reichen traulich sich die Hand;
Das breite Schwerdt schmükt friedlich ihre Seite,
Der starke Bogen ruhet ungespannt;
Der Wesen hohe Mutter, schlinget heute
Um alle gleich, der Eintracht schönes Band
Anbetend sinken ihre Kinder nieder,
Und danken ihr und küssen sich als Brüder.

Dort stehen zwey im Haß ergrau’te Greise,
Nun Hand in Hand, vertraulich und versöhnt
Hier Jünglinge, die um des Kampfspiels Preise
Entzweiet, sich mit bittern Neid verhöhnt.
In heiterm Kosen nach der Väter Weise,
Am hohen Buchenstamme hingelehnt,
Vor dem Gebieter kniet der schuld’ge Sklave,
Und ihm erlässt der Zürnende die Strafe.

Rings in der weitbewohnten Ebne, schallet
Der Freyer-Hymnen festlicher Gesang.
In hundert froh bekränzten Chören wallet,
Das Inselvolk dem Meergestaad’ entlang
Und aus der Menge lautem Jauchzen, hallet
Der krummen Hörner schmetternd heller Klang,
Es scheinet an des heil’gen Wagens Seiten,
Sich weiter stets der frohe Zug zu breiten.

Doch plözlich aus des Volkes dichter Mitte
Stürzt bleich ein schöner Jüngling sich hervor,
Starr ist sein Blik, und wankend seine Tritte,
Doch hebt er stolz die hohe Stirn empor,
Die Menge weicht mit ehrfurchtsvollem Schritte
Und es verstummt der Sänger froher Chor,
Denn Aller Blike blieben voll Verlangen
Und forschend an dem Unbekannten hangen.

Er beuget still das schöne Haupt zur Erde,
Mit goldnen Ringelloken dicht umwallt;
Mit anmuthsvoll – bescheidener Geberde
Vereint er Odius herrliche Gestalt.
Wenn stolz der Gott mit Blizesgleichem Schwerde
Ermunternd oft der Kämpfer Reih’n durchwallt,
Sein Blik allein, der trüb am Boden weilet,
Zeugt, daß auch er das Loos der Menschheit theilet.

„Vergönne mir, mich Hertha’s Dienst zu weihen“
Spricht jetzt er zu dem Priester, der erblasst
Zurükebebt: „dich kann ein Entschluß reuen,
„Den du, o Jüngling! nicht geprüfet hast;
„Wer ihr sich weihet, darf den Tod nicht scheuen,
„Der langsam ihn mit kalten Armen faßt,
„Muß von des heitern Daseyns süssen Freuden,
„Auf immer sich mit stillem Sinne scheiden.“

„Ich folge dir!“ – ruft mit entschloßner Miene
Der Fremdling jetzt: „laß diese Knechte frey!
„Wohl ziemt es sich, daß, wer der Göttin diene,
„Ein freyer Mann, kein banger Sklave sey!“
Er sprichts, und wie die rollende Lawine,
Stürzt näher sich das starre Volk herbey,
Und einer sagts dem andern, wie der Schöne
Des nahen Todes Schreken stolz verhöhne!

Es mahlet sich auf jedem Angesichte
Der stumme Schmerz, kein froher Hymnus tönt,
Und jeder drängt sich hin, wo mit der Fichte
Geweihten Zweig, der Jüngling schon bekrönt
Dem Wagen folgt, von einem höhern Lichte
Scheint glänzender das edle Haupt verschönt,
Sein heitrer Blik scheint alle stumm zu fragen,
Warum sei noch sein stolzes Loos beklagen.

Und stiller wird es an den Seegestaaden;
Dumpf brauset nur das stets bewegte Meer,
Zur Hütte kehrt mit sinnendem Errathen
Ein jeder nun; die Fluren werden leer,
Vereinzelt nur, schlecht auf den öden Pfaden
Am heil’gen Zug manch stilles Paar daher,
Bis langsam er geweihten Grund berühret
Und in des Haynes Dunkel sich verlieret.

In jenem heilig finsterm Fichtenhayne,
Wo nie ein Stern sich durch die Wipfel zeigt,
Die sinkend jetzt mit goldnem Purpurscheine
Der Abendsonne lezter Strahl bestreicht,
Im ernsten Heiligthume, wo alleine
Der Priester sich vor Hertha’s Altar beugt,
Steht bey dem Jüngling, stumm mit leisem Schauer,
Der edle Greis in ahnungsvoller Trauer.

Doch jetzt beginnet er die ernste Frage:
„Ein Fremdling noch, bist du, o Jüngling, mir,
„Doch nenne dich mir sonder Scheu, und sage:
„Welch’ ungewohntes Schiksal bringt dich hier
„In dieses Eiland? was vergällt die Tage
„Der frohen Thatenvollen Jugend dir? –
„Enthülle mir die Gramumwölkte Seele,
„Und daß dir nicht der kleinste Umstand fehle.

„Denn nimmer zur geheimnißvollen Feyer
„Darf ich am heilgen Quell, den Frevler führen,
„Nie darf der ernsten Göttinn dichten Schleyer
„Des Mörders Blutbeflekte Hand berühren.
„Wir müßten denn ihr Bildniß, uns so theuer
„Und seegensreich, auf immer sonst verlieren,
„Es würd’ im Baad der frechen Hand entgleiten,
„Und sich auf ewig zürnend von uns scheiden.“

Der Jüngling spricht: Geheiligt sind die Winke
Der Gottheit, dem, der glaubend sie verehrt.
Vernimm, o Greis, jetzt, da ich dunkel sinke,
Daß ich vielleicht des hellern Looses werth;
Mit heiterm Sinn und stillem Geiste trinke
Den Becher ich, den jeder schaudernd leert. –
So senkt ein Baum von innerm Wurm umnaget,
Sein traurig Haupt, verwelkt und unbeklaget.

Die Heimath wo mit sorgsam treuer Pflege,
Der Mutter Arm, den Säugling zart umwand
Des väterlichen Haynes dicht Gehege,
Wo mir der Kindheit erster Traum verschwand,
Sind längst mir fremd; entführt durch lange Wege
(So schien es mir) in ein entferntes Land
Ward ich durch wilder Männer rauhe Schaaren,
Die unbekannt dem scheuen Knaben waren.

Dort fand ich mich an eines Mannes Seiten,
Der ernst und streng, doch liebend mich erzog,
Bald mußt’ ich ihn mit kekem Muth begleiten,
Wenn er das Land auf schnellem Roß durchflog
Gefahren wurden jezt des Jünglings Freuden
Deß starker Arm die schwere Lanze wog,
Und unter manchem fährlichen Beginnen,
Strich heiter mir die frohe Zeit von hinnen

Der Dänen König war’s, dem mich als Knaben
Einst jene Männer, die mit mir entflohn,
Als ein erbeutet Gut, zum Sklaven gaben,
Und da er kurz vor meiner Ankunft, schon
Den sechsten Sohn mit bittrem Schmerz begraben,
Bestimmte Harald frühe dem Thron,
Und nannte feyerlich bey seinem Sterben,
Mich seines Reichs und seines Namens Erben.

Jezt sah ich plötzlich jedes kühne Hoffen,
Der raschen Ehrbegier verwegnen Flug
Und alle bunte Wünsche übertroffen,
Die still des eiteln Jünglings Busen trug:
Doch fühlt ich jezt – und fühlt es tief betroffen
Dies stolze Glük – es sey mir nicht genug,
Empfand erstaunt des Herzens öde Leere
Und ahnete noch nicht, was es entbehre.

„Hin zu der Heimath lieblichen Gestanden
Sehnt sich mein Geist!“ – so rief ich und entwich; –
Einsam, verhüllt irrt’ ich auf fernen Pfaden,
Kein Hayn umfieng, kein Quell erfrischte mich
Mich lud kein See in seiner Fluth zu baden,
Den forschend ich mit jenen nicht verlgich,
Die an verschwundner Jahre dunkeln Gränzen
Aus grauer Ferne mir entgegen glänzen.

In dieses Eiland fühlt ich mich gezogen,
Leis schwebte noch aus der Vergangenheit
Ein Bild vor mir, wie an des Meeres Wogen
Sich kindisch einst des Knaben Sinn erfreut –
Und ach! mich hat die Sehnsucht nicht betrogen
O! fahre wohl zu schnell verrauschte Zeit! –
Ich fand sie hier, des Lebens schönste Freuden,
Um schmerzlicher von allem jezt zu scheiden.

Geliebt und liebend schlangen süsse Bande
Sich hier um mich, so nahe war mein Glük,
Doch plözlich wies, als ich mich hoffend nannte,
Mich Thora’s Vater schaudernd jetzt zurük,
Und wie er selbst mich scheu vermied, verbannte er strenge ich aus der Geliebten Blik.
Verborgen nur, in nachbarlichen Haynen,
War ihr vergönnt in meinem Arm zu weinen.

Ihr, dem geliebten einz’gen Kind verhehlte
Geheimnißvoll der graue Alte lang,
Was gegen sie das Vaterherz ihm stählte,
Und hart und grausam uns zu trennen zwang;
Kalt sah er es, wie sie sich zweifelnd quälte,
Bis an sein Herz ihr heisses Flehen drang
Und er ihr offen nun, durch sie erweichet,
Die lang verschlossne wunde Brust gezeiget.

Er, den ich thöricht Vater ihm genennet,
Der König war’s, der einst mit frecher Hand
Des grauen Oskars Weib von ihm getrennet
Und räuberisch zur Gattin sich verband.
Die Rache, die des Schwachen Brust entbrennet
Ist fruchtlos; Still floh er des Wüthrichs Land,
Schon sechzehn freudenleere Jahre nähret
Er hier die Glut, die seine Ruh verzehret.

Und da er ihn, der einst ihm alles raubte,
Aufs neue jezt vor seinem Angesicht
In mir, dem Sohne, nun zu sehen glaubte,
Gehorcht’ er zwar des Gastrechts strenger Pflicht,
Die die ersehnte Rach’ ihm nicht erlaubte.
Doch lang durch Haß erhärtet, konnt er nicht
Sein menschenfeindlich bitt’res Herz bezwingen,
Der Tochter Wohl dies Opfer jezt zu bringen.

Vergebens strebt’ ich ihn zu überzeugen,
Ich sey nicht Haralds, seines Feindes, Sohn,
Er hörte mich mit achtungslosem Schweigen
Und sprach den ersten heil’gen Schwüren Hohn.
Durch List glaubt er wollt ich mein Ziel erreichen
Und jede Hoffnung war mir schon entfloh’n
Als sie zum letztenmal am Lebenspfade
Sich lächelnd mir mit holder Täuschung nahte.

Heut, da der Freude lauter Ruf ertönte,
Und rein in jeder Menschenbrust erklang,
Da Hertha sanft die Streitenden versöhnte,
Und selbst den Haß zur stillen Eintracht zwang
Wo ihre Nähe alles rings verschönte
Um jedes Herz ein Band der Liebe schlang,
Heut sank vom süssen Wahne hingerissen
Noch einmal ich mit Thora ihm zu Füssen.

Doch ach! umsonst war treuer Liebe Flehen
Der Tochter, die sich schluchzend um ihn wand
Konnt er mit starrem Sinne widerstehen
Ist’s dieses Herz, das je die Lieb’ empfand? –
Hart trennt er uns, mir winkt ihr Wiedersehen
Nur dort, wo Balder die Getreue fand
Es sehnt die Brust, die Lieb und Schmerz durchwühlen
Auf immer sich im Todesquell zu kühlen.

Der Priester seufzt mit leisem Ahnungs-Schauer,
Der selten uns mit falscher Deutung trügt:
„Vielleicht, daß jezt von hoffnungsloser Trauer
„Um den verlornen Liebling schon besiegt
„Verlassen nun und kinderlos sein grauer
„Verwaißter Vater einsam sterbend liegt!“ –
Und tief gebeugt schleicht er zum heil’gen Wagen
Der Göttinn Bild zum nahen See zu tragen.

Hier steht der Jüngling, der des Mantels Hülle
Schon von sich warf mit heitrem Blik und schön
Wie in der Gottheit ewger Jugendfülle
Um Odins Thron die starken Söhne stehn.
Des edeln Geistes wolkenlose Stille
Läßt ihn des Todes Schreken kühn verschmähn,
Und stolzer klopft in ruhig gleichen Schlägen
Sein groses Herz dem Nahenden entgegen.

Und welcher Pinsel mahlt die heil’ge Scene
Der Wonne mir? – Des Jünglings Schulter zeigt
Dem Greis die Narbe, wo des Wolfes Zähne
Als zarten Knaben einst den Sohn erreicht;
Er ist’s, an dessen Brust mit froher Thräne
Der Vater sich im süssen Taumel neigt
Dem achtzehnmal das Jahr sich trüb erneute
Seit er ihn dort mit kräft’ger Hand befreite.

Und beyden tönen jezt im Dämmerscheine
Des Abends, aus der hohen Fichten Nacht
Die Worte: „Nie ward je in Hertha’s Hayne
„Ein wohlgefäll’ger Opfer ihr gebracht! –
„Sie will es nicht, daß die Geliebte weine,
„Die Göttinn, die durch Lieb euch glüklich macht,
„Nie soll ein Sklave mehr mit Todeszagen
„Von ihrem Bild’ die dichte Hülle schlagen.

„Dem Priester nur sey dieses Amt gegeben,
„Der ungestraft ins heil’ge Dunkel dringt! –
„Jezt eilet hin, wo neues Glük und Leben
„Ihr zwey erstorbnen Menschenherzen bringt,
„Und wenn mit süssem wonnevollem Beben
„Die Braut, o Jüngling, dir an Busen sinkt,
„Dann grüsset dankbar, glüklicher und treuer
„Stets diesen Tag, und dies sey Hertha’s Feyer!“ –

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