HomeDie Horen1797 - Stück 10III. Briefe von Amanda und Eduard. [Sophie Mereau]

III. Briefe von Amanda und Eduard. [Sophie Mereau]

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Fortsetzung.

Siebenter Brief.

Amanda an Julien.

Ein guter Genius hat mir seit einigen Wochen die angenehmste Gefährtin zugeführt – und daß ich dir lange nicht schrieb, beweißt am stärksten, wie sehr sie ich beschäftigt. Sie ist ein leichtes ätherisches Wesen, das gleich den Schmetterlingen nur auf Blumen verweilt, und leicht über die Dornen des Lebens emporflattert. Eine ewig fröhliche Laune und das glüklichste Talent allenthalben das Angenehme leicht und sicher herauszufinden, scheint sie in jede Lage zu begleiten. Ein solcher Umgang ist ein wahrer Schaz für Menschen, die, wie ich, noch unruhig und sterbend oft das Gute verschmähen, weil sie nach dem Vollkommenen schmachten. Sie ist eine Französin von Geburt, und hat ganz den liebenswürdigen Leichtsinn ihrer Nation; aber schon in frühern Jahren kam sie zu Verwandten nach England, und durch ihren lagen Aufenthalt auf dem Lande ist ihre Lebhaftigkeit gemildert worden, und eine so glükliche Mischung in ihr entstanden, daß sie, wie mich dünkt, ihrer gesellschaftlichen Stimmung nach, ein ganz vollkommenes Geschöpft ist. Nur wenige Jahre lebte sie in einer mehr aus Convenienz als Liebe geschlossenen Ehe, und jetzt ist sie Wittwe. Hang zum Vergnügen, und der Wunsch, einige Bekannte zu sehen, führten sie hieher ins Bad, das ihr nun sehr zu gefallen scheint. Ich sah sie zuerst auf einem Ball. Wir waren beide noch fremd, waren fast von einer Gestalt, trugen zufälligerwiese einerlei Kleidung, und dies – du weißt, daß solche kleine Umstände oft zusammenbringen – beredete uns, daß wir einander mehr als den andern angehörten. Sie kam mir mit der angenehmsten Art von der Welt entgegen, und zeigte in Allem was sie sagte und that etwas so unbefangenes und in sich vollendetes, daß ich gleich für sie eingenommen ward, und ihren Umgang zu suchen beschloß. Seitdem sehen wir uns täglich, und sie hat mich dazu gebracht – was ich bis jezt nicht habe thun mögen – unter der hier immer mehr anströmenden Menge von Fremden mehrere Bekanntschaft zu machen und mit ihr herum zu schwärmen Am liebsten sind mir jedoch die Stunden, die ich mit Nanetten – dies ist der Name meiner neuen Freundin – allein verlebe. Es giebt so viel aus unserm vergangnen Leben, was wir uns zu sagen haben, und Nannette hat eine so harmlose, leichte Art die Dinge zu betrachten, daß ich, seit diese Silphide mich umflattert, recht lebhaft meine jugendliche Heiterkeit zurükkehren fühle. Wie unendlich glüklich können zwei weibliche Wesen zusammen seyn, bei der zarten Empfindung, dem leisen Errathen, der schnellen Reiz baren Phantasie, die ihnen eigen sind, wenn sie nur standhaft alle Eifersucht von sich entfernt zu halten wissen! – Oft singen wir zusammen und berauschen uns in den feinsten Entzükungen der Tonkunst. Häufiger noch suchen wir das lebendige, Freie; wir fahren zusammen aus, Nannette lenkt die Pferde selbst und ist stolz darauf, daß ich mich ihr anvertraue. Siz ich dann nur einen Augenblick still und träumend an ihrer Seite, so weiß sie meine Aufmerksamkeit immer sehr glüklich auf die angenehmen Seiten meines Lebens zu lenken, oder sie nekt mich auch wohl und sagt: ich sei wie jener Engländer, der sich das Leben nahm, aus Verdruß die reichste Privatperson in Europa zu seyn. Auf diese Art haben wir die Gegend umher schon ziemlich kennen lernen, und wir sind bei unsern kleinen Ausflügen meist äusserst froh gewesen. Eine Szene von gestern muß ich dir erzählen – doch der ganze Tag ist wohl einer Beschreibung werth. Es war ein liebliches Wetter, und wir sehnten uns recht ins Freie zu kommen. Die Luft athmete so warm, so wohlthuend, daß alles ihren Einfluß fühlte: meine Gärtnermädchen sangen den ganzen Morgen Frühlingslieder, und selbst ein paar wilde Menschen, die nicht weit von mir wohnen, waren aus ihrer Fühllosigkeit erwacht, und stimmten ihre rauhen Töne zu sanften Gesängen. Wir fühlten uns ungewöhnlich heiter und Nannette schlug vor eine ländliche Familie zu besuchen, die sie auf ihrer Herreise zufälligerweise hatte kennen lernen, und die in einer reizenden aber unbesuchten Gegend wohnen sollte. Bald war alles in Ordnung: wir nahmen den kleinen Wilhelm mit uns, der vor Freuden jubelte. Es war uns allen herzlich wohl, die Luft war so frei, so mild wie unsre Unterhaltung, und die Neuheit erhöhte den Reiz der Gegend in die wir kamen. Der Wald und die Gebürge, an die wir gewöhnt waren, wichen immer mehr zurük, und bekränzten zulezt in weiter Entfernung die lieblichste Ebene, die je dem Auge gelacht. Eine Menge kleiner, niedlicher Dörfer sahen munter und anmuthsvoll aus ihren blühenden Gärten hervor, weite Saatfelder wogten die sanften Anhöhen auf und nieder, mahlerische Gruppen von Bäumen zogen sich um kleine ruhige Seen, oder beschatteten klare, hurtige Bäche. Über der Landschaft schwebte Gesang, und süsse belebende Düfte wallten geistig empor. Wir fanden den oft gehörten Wunsch: daß alle Wege gerade gehen möchten, sehr übel berechnet, freuten uns der mahlerischen Krümmungen, der Wäldchen und Dörfer durch welche wir kamen, und wünschten, daß unsre Reise durchs Leben eben so seyn möchte. Es war Mittag als wir an Ort und Stelle kamen; ich fand ein nettes reinliches Landhaus, wo alles Ordnung, Betriebsamkeit und Fröhlichkeit athmete, und eine schlanke weibliche Gestalt mit Vergismeinnichtaugen, die uns zuerst bewillkommte. Nach einem kurzen Gespräch sagte sie uns unaufgefodert, daß sie Braut sey. Dies machte sie mir sehr interessant; ich suchte in ihren Augen den Zustand ihres Herzens zu lesen, aber ich fand weiter nichts als eine muntre ruhige Aufmerksamkeit darinn. Sind diese ruhigen, phantasielosen Menschen, dachte ich, mit ihrer heitern Luft und ihren heitern Herzen, ihren eingeschränkten Begriffen, und ihren eingeschränkten Wünschen denn glüklicher und näher der Natur, als wir, die sie verlassen, um uns im Gebiet der Phantasie unendliche Freunde aber auch unendliche Qualen zu holen, wir, die erst nach Verirrungen zu ihrer Beschränktheit zurükkehren können? – Ich dachte dieser Frage, die mich jezt wegen Wilhelms, auf dessen Bildung ich gern glüklich einzuwirken wünschte, vorzüglich intereßirt, noch nach, als auch die Übrigen der Familie herbei kamen. Sie waren von unserm Besuch überrascht, aber nicht erschrekt. Es war eine zahlreiche Familie von mancherlei Alter und Ansehen; alle schienen mit ihrer Lage zufrieden, und ihre Reden waren so vollwichtig und ächt, wie die schweren silbernen Löffel, die uns an der wohlbesezten Tafel gereicht wurden. Nach Tische giengen wir in den Garten, der etwas erhöht lag, und über das ganze Dörfchen hinsah. Die warme, fühlbare Luft, die uns empfieng, erwekte eine süsse Sehnsucht in mir. Mein Herz war wunderbar bewegt, verlangte und wünschte wie ein Kind. Diese schöne Baumgruppe, welche sichtbare Kühlung verbreitete – dies lebendige Weib, das neugierig mit ihrem Kind auf dem Arm, in der kleinen Thür stand und nach den Fremden hinsah – hier der Garten, ein buntes Labirinth von Bohnen, Kohl, von Nelken, Rosmarin und Krausemünze, wo die aufmerksame Industrie nur für einen schmalen Weg noch Raum übrig ließ – die grosse Linde am Kirchhof, die ihre Schatten und Blätter freundlich über die Grabhügel streute – mit ihrem Korb voll Klee die Dirne, die mit raschem Gange durch die sonnige Wiese schritt – alles, dies ganz holde Bild von Unabhängigkeit und Ruhe, die kleine Pflicht beleidigt und keine Rechte kränkte, wo jedes Bedürfniß so nahe an seiner Befriedigung erwacht – es rührte mich tief. Das Alles mit Bewußtseyn geniesen – es wählen, nicht sich aufgedrungen fühlen – und nicht allein geniessen – ich konnte diesen Gedanken kaum los werden.

Unser Wirth hatte zwei erwachsene Söhne, die, obgleich artig gekleidet, doch blosse Landleute waren, und sich mit nichts anderm beschäftigten, als die Wirthschaft ihres Vaters zu bestellen. Der eine von ihnen hatte mich immer aufmerksam und neugierig angesehen. Als wir uns im Garten mit Caffeetrinken und Spiel unterhielten, hatte mich der alte jovialische Mann durch oft wiederholte zweideutige Scherze etwas verdrieslich gemacht. Dem aufmerksamen Jüngling war dies nicht entgangen, und als ich bald darauf ins Haus gieng, um meine Arbeit zu holen, kam er mir nach. Wir waren allein, und was er hier that, erräthest du nicht. Mit Ehrerbietung aber freudig trat er zu mir, legte den einen Arm um mich und fragte sanft: darf ich Sie wohl um einen Kuß bitten? – ich war überrascht. Wär es ein junger Mann aus höhern Ständen gewesen, so hätte es ich beleidigt, aber dies war ein Bauer, und sein Ton so natürlich, so bittend! – Ich küßte ihn, und du hättest sehen sollen, wie sein Auge vor Freude glänzte! Mit wahrer Feinheit sagte er mir jezt: „mein Vater hat Ihnen nicht gefallen, aber seyn Sie nicht böse, ich will ihn bitten, daß er nicht mehr so spricht.“ – Du wirst gestehen, daß diese Äusserung für ihn und mich gleich ehrenvoll war.

So heiter vergieng der ganze Tag. Niemand jedoch war froher als der Knabe Wilhelm. Er sprang, er kletterte auf allen Bäumen herum, und zeigte zu meinem Vergnügen eine ungemeine Gewandtheit. Vor allem zogen ihn jedoch die bunten Täubchen an, die in grosser Menge im Hof zu finden waren, und diesmal ihm zu Ehren von den Kindern besonders gefüttert worden. Er sah sie lange aufmerksam an, und schien sich etwas zurük zu rufen. Nach mehrern Versuchen brachte er endlich das Wort colombino heraus, und konnte nicht müde werden, es für sich zu wiederholen. Wo er es her hat, weiß ich nicht.

Wir fuhren zurük. Die Wiesen glänzten im Abendthau, kleine blühende Büschgen schimmerten fern an den Bergen, ein röthliches Licht umwankte die Gipfel des Waldes. Die Sonne sank tiefer, und der Mond blikte heller durch die Gebüsche. Ein neuer geistiger Glanz wallte über der Gegend; alles war romantischer, einsamer, bedeutender. Braucht es etwas mehr, sagte ich zu Nannetten, als diese schöne Natur und den Sinn ihre Schönheit zu fühlen? – und Julie, indem ich es sagte, fühlte ich, es bedürfe noch etwas mehr.

Auf solche Art bringen wir unsre Tage hin, und Nannette versichert, daß sie sich kein bessres Leben wünscht. Freilich muß ich fürchten, daß nur der Reiz der Neuheit die Flüchtige so anzieht, und daß sie, wenn dieser verloschen ist, mich leicht für eine neue Bekanntschaft hingeben wird. „Mein Herz dürstet ohne Aufhören nach Neuheit, sagte sie selbst. Durch Neuheit allein wiederholen wir uns den süssen, allzuflüchtigen Traum der Jugend wo uns alles neu ist.“ – Oft, wenn wir unsre verschiedenen Meinungen vertheidigen geschieht es daß ihr mein Verstand Recht giebt, obgleich mein Herz wiederspricht Aber dies kömmt bei ihr wenig in Anschlag Ihr flüchtiges Blumenleben führt sie weit über meine Wünsche und Gefühle hinweg. Sie hat ihre Neigungen mit ihren Grundsäzen in Harmonie zu bringen gewußt, und sich ein artiges Sistem entworfen, dem sie in ihren Handlungen getreu bleibt; und dies ist es eben was ihrem ganzen Wesen, in meinen Augen, so viel Interesse giebt, so wenig ich auch demselben beizustimmen vermögte. Ihr gelingt es, keinen Eindruk so stark werden zu lassen, daß er das Gleichgewicht ihres Gemüths stört, und dadurch, daß sie von Allem spricht, und Alles aus dem gefährlichen Halbdunkel der Ideen, gleichsam ans Licht der Wirklichkeit hervorzieht, entwindet sie der Phantasie ihren mächtigsten Zauber, der deiner Amada, wie du wohl weißt, oft so gefährlich zu werden droht. Zuweilen fühle ich es recht lebhaft, wie verschieden meine Art die Dinge anzusehen von der euern ist. So finde ich ganz besondere Wesen in dir, Albret, Nanetten, ja dem Knaben Wilhelm. Ich kann mich nicht enthalten in diesem ein ganz eignes Kind zu sehen und in seinem bedeutenden sanft schwärmerischen Auge den Ausdruk eines ungewöhnlichen Geistes zu finden. Wahr ist es aber, daß der Kleine für das kindische Alter bewundrungswürdig tief fühlt. So hängt er an mir mit einer Heftigkeit, die jede andre Neigung für Mutter und Gespielen weit überwiegt, und nur der Gefährte seiner einsamen Stunden, das geliebte Täubchen hält mir zuweilen in seinem Herzen die Waage. Dagegen ist er seit jenem Auftritt gegen Albret noch immer scheu und abgeneigt, und selbst das dargebotne Spielwerk hat er standhaft aus seiner Hand verschmäht. – Ich gestehe dir, daß mich sein dankbares Lächeln, das freundliche Streicheln seiner kleinen Hände, womit er mir jede angenehme Empfindung, die ich ihm verschaffe, lohnt, herzlich erquikt, und daß ich seine dankbaren Äußerungen ungern entbehren würde Du nennst das gewiss nicht eigennüzig – wie mir Albret wohl vorzuwerfen pflegt – und mir scheint es auch in der That größrer Egoismus, allein und unerkannt Gutes schaffen und die dankbare Kraftäusserung des Andern als überflüssig entbehren zu wollen. – Genug wenn ich des kleinen Wohlbefinden sehe und mich als die Schöpferin desselben betrachten darf dann – ja dann träume ich ich sey glüklich!

Achter Brief.

Amanda an Julien.

Ich komme eben aus dem Garten. Ein heitres schimmerndes Morgenlicht goß sich über die Gegend. Die Stauden hauchten ihr Innres in den süssesten Gerüchen aus. Meine Lauben dufteten, alle Vögel sangen – Himmel und Erde umfaßten mich mit freundlicher Liebe. Ich fühlte mich frei an Körper und Geist, und empfänglich für alles Schöne. Nur Eins noch, ihr Götter, rief ich im süssesten Rausch, und ich bin selig wie ihr!

Was mein Gemüth in diese freie, empfängliche Stimmung versezt hat, daß mir Alles in einem neuen verklärten Licht erscheint, ist, ich fühle es wohl, etwas besseres als die flüchtigen Anwandlungen einer heitern Morgenlaune. Es ist der Nachklang einer höhern Harmonie, die gestern, mit göttlicher Hand alle Saiten meines Herzens berührte. Nanette ließ in ihrem Gartensaal eine Musik aufführen. Die wirklich schöne geschmakvolle Einrichtung des Gartens, der freundliche Tag, die feine, liebenswürdige Wirthin öfnete schon vorher die Herzen für jeden gefälligen Eindruk. Ein paar fremde Virtuosen, die es im eigentlichsten Sinn des Worts waren, führten, von den übrigen gut unterstüzt, verschiedene der besten Stüke von Mozart, Gluk und Pleyel, meisterhaft aus. Bei einer der schönsten Stellen eröfnete mir ein veränderte Stellung meiner Nachbarin die Aussicht auf einen jungen Mann, der ganz in den Tönen zu leben schien. Er fesselte bald meine ganze Aufmerksamkeit. Denke dir einen wahren Geniuskopf und um diesen Kopf die Glorie der innigsten Entzükung. Die Töne verklärten sich in den schönen Augen und schwebten wie Geister auf den feinen Lippen. Er hatte für nichts anders Sinn; seine ganze Seele war der Harmonie hingegeben; und, daß ihn nichts stören konnte, das war es eben, was mich ganz störte. – Diese schöne, uneigennützige Rührung, der höchste Triumph der Kunst, die ich selbst in unharmonischen Zügen nie ohne Bewegung habe wahrnehmen können, wie mußte sie auf einem solchen Gesicht mir erscheinen! – Ich konnte und wollte meine Blike nicht von der holden Gestalt wegwenden, und fand ein unbeschreibliches Vergnügen darinnen, mir die reine, entzükte Stimmung dieser harmonischen Seele auf das lebhafteste zu denken. Welch’ ein Entzüken, Julie, das Beschränkte unsrer Natur zu vergessen, und mit der Einbildung Gewalt in fremde Seelen einzudringen! – So hatte ich, ganz in meine Empfindung vertieft, nicht eher wahrgenommen, daß das Stük zu Ende war, bis ich den jungen Mann aufstehen und unter die Spielenden treten sah. Er nahm mit leichtem, gebildetem Wesen ein Notenblatt und bereitete sich zum Singen. Die Musik begann; er sang. Nie hab ich einen reineren, lieblichern Tenor gehört; er sang mit einer Wahrheit, Biegsamkeit, mit einer Seele, die unwiderstehlich in alle Herzen drang; auch die Gleichgültigsten wurden bewegt. Seine Kunst bezauberte mich so sehr, daß ich ihn selbst darüber vergaß, und nur in den Pausen Zeit gewinnen konnte, ihn näher zu betrachten. Er hatte mehrere Arien gesungen; alle hatten mich zu sanftem, reinem Entzüken gestimmt, aber so im innersten bewegt mich keine, als die schon oft gehörte von Mozart: ich baue ganz auf deine Stärke etc. etc. Ich weiß nicht was es war, denn ich habe es nie vorher empfunden, aber mein Herz zerschmolz in schmerzlich süßer Wollust, die, ob ich gleich keinen Bezug zwischen mir und dem Gesang entdeken konnte, nicht bloses Wohlgefallen an der Kunst war.

Als die Musik geendigt hatte, führte Nanette den Sänger zu mir und stellte mir ihn als ihren sehr nahen Verwandten vor, der eben jetzt von einer kleinen Reise zurükgekommen sey. Ich erinnerte mich, daß ich sie unter dem Namen Eduard schon mehrmalen von ihm als einem vorzüglichen Mann hatte sprechen hören, und daß sie mir erzählt hatte, wie ihre beiderseitigen nahe verbundenen Ältern mit ihren Kindern getauscht, und er, nachdem sie einige Zeit zusammen in England gelebt, mehrere Jahre in Frankreich zugebracht habe. – Unser Gespräch lenkte sich sehr natürlich auf den nächstliegenden Gegenstand, die Musik, und gewann gar bald Leben und Interesse, besonders da wir mit Vergnügen in unserm Geschmak viel übereinstimmendes bemerkten. Nanette horchte einige Zeit mit muthwilliger Miene zu, dann sagte sie nekend, als einen Verweis über unser Gespräch: „Es ist eine grosse Kunst, von Kunst zu sprechen – und wenige verstehen sie“ nahm ihren Vetter beim Arm und hüpfte mit ihm hinweg. Sie suchte auch den ganzen Abend über, ihn allein fest zu halten, und schien an seiner Unterhaltung unendlich viel Vergnügen zu finden. Ich freute mich in der Ferne an dem holden Wesen, womit er sich bei Allem benahm. Warum besiz’ ich nicht Geist genug, um dir sein Bild durch einige genievolle Züge lebendig vor Augen zaubern zu können? – Sicher würdest du gern darauf weilen, und dich an diesem Auge, das dir glühend eine Welt von Gefühlen entgegen stralt, diesem gelokten, dunklen Haar, dieser hellen, geistvollen Stirn, diesem ganzen, ausdruksvollen Gesicht, voll einer dunkeln, edlen Unruhe, die ihn unablässig an etwas Grosses Vollendetes zu mahnen scheint, gar nicht satt sehen können.

Auch Albret schien von dem ersten allgemein günstigen Eindruk nicht ausgenommen. Doch als ich ihn schärfer beobachtete, bemerkte ich, daß etwas nachtheiliges gegen den jungen Mann in seinem Gemüth war, so sehr er es auch mit seiner gewöhnlichen Feinheit zu verdeken strebte. Er hat sich so sehr in seiner Gewalt, daß nur sein Augen denen, die ihn genau kennen, eine vorgegangene Veränderung seines Innern ahnen läßt. Dieser Ausdruk des Auges ist mir immer äusserst bewundrungswürdig vorgekommen, denn worinnen besteht er eigentlich? – Hier ist alles unendlich zärter, feiner, geistiger als in den übrigen Theilen des Gesichts, wo sich die innre Bewegung durch Röthe oder Blässe und Zusammenziehen der Haut entweder leicht verräth oder bei festen Muskeln ganz verhehlt werden kann. Aber das Auge ist unter Allem das, was zunächst an Vergeisterung, ans Unbeschreibliche gränzt – es ist hier, wo die Seele am unmittelbarsten zu wirken scheint.

Doch ist es nicht seltsam, daß ich hier im engen Zimmer size und schreibe, indeß meine Lauben noch immer duften und mich im Freien alles zum frölichsten Leben und Empfinden einlädt? – Leb wohl, meine Julie, und freue dich, daß deiner Freundin heute ein sehr heitrer Tag aufgegangen ist!

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Da der Brief noch nicht fort ist, muß ich dir noch einmal schreiben. Ich fühle mich so glüklich, meine Julie! eine leichte duftige Sommernacht schwebt über der Landschaft. Der Himmel mit allen seinen Augen blikt heiter herab. Der Mond glänzt mit halbem Antliz und wirft ein leichtes Nebelmeer zwischen die Berge hin. Kleine Johanniskäfer fliegen in der Dämmerung, wie herabgefallne Sterne durch die dunklen Büsche. Ich bin so heiter! eine neue, muntre Welt umgiebt mich; alle Verhältnisse scheinen mir leicht, von freundlichen Genien gewoben. Die Gegenwart begränzt meine Wünsche, ich erwarte, ich verlange nichts. Und wenn ich mich frage, woher diese Stimmung, weiß ich es? – Woher – doch ich kann dirs nicht verschwiegen – ja, ich hab’ ihn heute gesehen. Meinem Garten gegenüber liegt eine kleine, anmuthige Anhöhe, da gieng er in der lieblichen Abendkühlung. Er blieb stehen und betrachtete die Gegend, und zulezt, da ihn das einsame Pläzchen anzuziehen schien, warf er sich auf den frischen Rasen nieder; halb verbarg ihn ein blühendes Gesträuch, und ich sah, daß er ein Buch hervorzog. – Es ist nichts, ich weiß es; leicht möglich, daß er mich nicht einmal bemerke, aber ich fühle, daß meine heitre Stimmung durch dieses Nichts gewonnen hat.

(Die Fortsezung folgt.)

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