HomeDie HorenDie Horen - 1797 - Stück 11II. Julia von Rosalva. [Caroline von Wolzogen]

II. Julia von Rosalva. [Caroline von Wolzogen]

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Erzählung.

Gräfin Julia Rosalva wurde Wittwe im zwanzigsten Jahre. Ihre Mutter hatte sie im sechszehnten verheurathet, um die Güter von Rosalva in ihre Familie zu ziehen. Nach einer Aufwallung von einigen Monden, an der die Sinnen mehr Antheil als das Herz hatten, vergaß der sechzigjährige Rosalva, daß seine Gemahlin schön war, und ließ sie in dem ungestöhrten Genuß ihrer Freiheit, da ihn selbst Plane des Ehrgeizes ausschliessend beschäftigten. Die Gräfin war zärtlich, empfänglich tiefer Leidenschaften, und darum schüzte sie vielleicht ihr Herz eben so sehr als ihr Stolz vor allen Liebesintriguen, welche sonst eine Hauptbeschäftigung der schönen Welt in Rom ausmachen. Alle ihre Anbeter konnten sich nur eines gleich kalten Empfangs rühmen. Obgleich der Pallast Rosalva täglich der Sammelplaz der vornehmsten Gesellschaft war, so hatten doch weder der Graf noch die Gräfin irgend einen vertraulichern Umgang; alle Besuche wurden mit gleicher Höflichkeit von Beiden empfangen, und der einförmige Gang des Lebens, wo täglich gewisse Stunden zu mechanischen Gesellschaften bestimmt waren, wurde nie durch ein innigeres Verhältniß, das Freiheit und Offenheit beleben, unterbrochen, der einzige Abbé von **, ein Neapolitaner, lebte während eines halbjährigen Aufenthalts in Rom, dem Anschein nach auf einem gewissen vertraulichen Fuß mit dem Grafen, und kam auch ausser den gewöhnlichen Gesellschaftsstunden in seinen Pallast.

Die Gräfin lebte nach dem Tode ihres Gemahls auf demselben Fusse fort, zum Erstaunen der ganzen schönen Welt. Man hatte ihre Eingezogenheit und Kälte doch noch vielleicht einem gewissen Zwang des Grafen, Begriffen von Pflicht und Dankbarkeit, Furcht ihres eigenen Herzens zuschreiben können; aber jetzt, in voller Lebensblüthe, mit einem grossen Vermögen und gänzlicher Unabhängigkeit allen Freuden der Liebe zu entsagen – das war ein Phenomen, welches allen Glauben überstieg.

Noch höher stieg die Verwunderung, als Julia von einer kleinen Reise, die sie, wie sie sagte, ihrer Gesundheit wegen unternommen, nicht wieder nach Rom zurükkehrte. Sie blieb auf einem alten Familienschloß, welches in einer weiten Entfernung vom Rom lag, und schikte ihren Haushofmeister nach ihrem Pallast zurük, alle Meubles auszuräumen, und alle Geschäfte zu berichtigen.

Man glaubte doch jezt einen Schlüssel zu Juliens Betragen gefunden zu haben. Der Haushofmeister sagte in ihrer eignen Familie aus, mit welcher sie selbst sich auf einen sehr consequenten fremden Fuß zu erhalten wußte, daß sie meistens weine, und einsam in ihrem Zimmer sey. Nun war das natürlichste auf eine unglükliche Leidenschaft zu rathen, wenn man nur einen Gegenstand hätte auffinden können.

Unter das flache Interesse der Neugierigen, mischte sich auch hie und da ein Seufzer der Zärtlichkeit Juliens edle Kälte, welche nie einen Anstrich von Koketterie noch eigensinniger Lauen trug, entfernte ohne zu beleidigen, ihre schöne Bildung ganz im hohen idealen Sinn der Antiken, deutete auf einen friedlichen Busen, den keine irdische Wallung schwellte. Am tiefsten blieb ihr Bild in der Seele des Cavaliere von *. – ein feuriger Jüngling, voll lebendigen Kunstgefühls, der nur mit ganzer Seele lieben konnte, der Sinnesgenuß ohne vollen Einklang des Wesens im reinen Schönheitsgefühl verschmähte, und dem die Rükerinnerung an das Treflichste, was er noch gesehen, zur allgegenwärtigen Idee ward, die sein ganzes Empfindungsvermögen für die Wirklichkeit aufzehrte.

Er hatte Julien immer nur in grossen Gesellschaften gesehen. Nie hatte er es gewagt sich ihr zu nähern. Er folgte ihr stumm, von ihr selbst unbemerkt, in Kirchen, Schauspiele und Assembleen. Aufgelößt im Genuß ihres Anschauns vergaß er, was er thun könnte, um seine Leidenschaft auszuhauchen, und nur in einsamen Stunden hatte er Worte, wenn seiner Fantasie das Bild der Geliebten klarer vorschwebte.

Heut soll sie endlich meine Liebe kennen, beschloß er jedesmal, wenn er wußte, daß er ihr in einer Gesellschaft begegnen würde; aber jedesmal zerrann sein Entschluß in ihrem Anschaun, und vor ihrem strengen kalten Blik erstarrten die Worte auf den Lippen. Juliens Verschwinden machte einen tiefen Eindruk auf den Ritter. Der Tod des Grafen hatte seine Leidenschaft noch durch Hoffnung vermehrt, glühende Träume von einer goldenen Zukunft der Liebe hatten seine ganze Imagination umsponnen; er wandelte als ein Abgeschiedner unter dem heitern Zirkel seiner Freunde und weder Theilnahme noch Nekereien konnte seine Empfindungen zur Wirklichkeit herabstimmen.

Oft stieg der ganz natürliche Entschluß, Julien aufzusuchen in seiner Seele auf, aber eine Art von Schüchternheit ist von dem Schmerz gekränkter Liebe unzertrennlich; sie fürchtet selbst die süssen Träume durch die Hand der Wahrheit entschleiert zu sehen. Was hilft es mir sie zu finden, da sie mich fliehen will, sagte sich der traurige Liebende, und sank in seine Muthlosigkeit zurük.

Er legte Julias Unachtsamkeit auf seine Neigung, für Widerwillen gegen sich aus. Die hochgespannte Erwartung sieht ihren Gegenstand immer unter einem falschen Gesichtspunkt.

Nach kurzer Zeit, da sich Julia in ihrem einsamen Auffenthalt eingerichtet hatte, trugen sich ihre Bekannten in Rom mit einem neuen Gerücht über sie, welches den Ritter auf einmal seinen Träumen entriß, und nach Art der alten Rittersitte, wo die schöne Liebe zu Thaten der Ehre entflammte, eilte er, sich mit seinem Schwert zu gürten, um den Ruf seiner Geliebten zu vertheidigen.

Eines Abends, in einer lustigen Männergesellschaft, in die der Ritter einmal seine Freunde begleitet hatte, um ihren Spöttereyen zu entgehen, lenkte sich die Unterredung auf die Weiber.

Nun ists endlich am Tage, sagte ein allgemein bekannter Abentheurer in der schönen Welt, der seine leichtsinnigen Grundsäze über das weibliche Geschlecht immer zum Lieblingsgegenstand der Unterhaltung machte – Nun ists am Tage, daß für jede Tugend doch eine Stunde des Falles kommt. Sogar die schöne Gräfin Rosalva, die kalt wie eine Marmor-Statue einhergieng, vor deren stolzen Junogestalt und Blik alle Begierde ja alle Empfindung erstarrte, ja, meine Herren, auch diese ist zur Venus Adonide geworden, und noch dazu nicht an dem Busen des Kriegsgottes ging solche Entzauberung vor. – Man sagt –

Was sagt man? fiel ihm der Ritter heftig ins Wort, mit zornvollen Augen und flammenden Wangen – ich sage, daß es schändliche Verläumdung ist! – Die halbe Gesellschaft brach in lauchtes Gelächter über die Heftigkeit des Ritters aus. – Nun hat sich der Träumer verrathen! riefen die Lustigsten seiner Bekannten. Gut, daß der Gegenstand seiner Seufzer doch disseits des Mondes zu finden ist, wirklich schien es, als habe eine leichte Sylphide ihn bethört. – Die andern Hälfte der Gesellschaft, die aus bejahrten Personen bestand, schwieg und wurde ernsthaft, weil sie fürchteten, der Streit möchte zu einer Ehrensache führen. Ich wiederhole das Gehörte, fuhr der Marchese mit zornerstikter Stimme fort, das ich nicht bestätigen will; aber auch keine Beleidigung zurüknehmen werde. Man sagt, daß ein junger Musiker aus Neapel die Gräfin angenehm in ihrer Einsamkeit zu unterhalten wisse, daß sie aus Leidenschaft für ihn allem andern Umgang entsage, und die ganze Nachbarschaft gespannt auf dieses Verhältniß sey, das alle Intimität einer heimlichen Heurath zu haben scheine, wie sogar die Domestiken aussagen. – Und auf solch ein Geschäz wagen Sie es die Ehre einer allgemein respectirten und tadellosen Frau zu verlästern? Was Eiersucht und Privatinteresse gegen die Ehre beginnen sollte durch Großmuth und Adel verschmäht werden. Armseliger Geist der Frivolität, der in diesem Zeitalter obwaltet! man glaubt an keine Ehre, weil man keine besizt. – Ein feurigstrafender Blik auf den Marchese zehrte den kleinen Rest von Kaltblütigkeit auf, welcher diesen noch zurükhielt. Ritter, Sie gehen zu weit, und wenn Sie zweifeln, hier – indem er die Hand auf den Griff des Degens legte. – Der Ritter hatte bei diesen Worten schon gezogen, und beide rüsteten sich zum Zweikampf. Die Gesellschaft legte sich dazwischen, man suchte sie zu besänftigen, und stellte ihnen die Thorheit vor, über eine so gleichgiltige Sache ihre Leben zu wagen, und ihren Ruf zu kompromittiren. Der Marchese ward bald ruhiger, aber Wuth kochte in des Ritters Busen; er drang darauf, der Marchese sollte das Gesagte zurüknehmen, und dieser schlug es ab, wenn man ihm nicht beweisen könnte, daß er sich geirrt hätte. Die Billigkeit dieser Forderung suchten ihm seine Freunde verständlich zu machen, aber jeder Tadel, der das engelreine Bild, welches er im Herzen trug, kränkte, schien ihm Unsinn und Gotteslästerung, das augenblikliche Strafe verdiente. Du wirst durch einen Zweikampf, dem keine Untersuchung vorhergeht, immer nur deinen Muth, und deine Liebe, aber nicht die Unschuld deiner Geliebten beweisen, sagte ihm glüklicherweise einer seiner Brüder, und auf diese Rede stand er einige Augenblike stumm in sich selbst gekehrt, und stekte sodann seinen Degen ein – wollen Sie, wenn ich mich Ihrent und dieser Gesellschaft unsrer Freunde wegen, zu einer Untersuchung verstanden habe, wenn ich volle Überzeugung wegen der Ehre der Gräfin geben kann, Ihre leichtsinnigen Reden zurüknehmen? – Das verspreche ich. – Wohl, so sey der Zweykampf aufgeschoben, denn beleidigt haben Sie mich schon durch diesen Zweifel, Marchese!

Ehre und Rache gaben dem Ritter jezt den Muth, welchen die furchtsame Liebe ihm jedesmal raubte, sobald der Gedanke die Gräfin aufzusuchen zur Wirklichkeit werden sollte. Seine Ruhe konnte er schweigend opfern, aber das Interesse seiner Geliebten geboth ihm alles zu wagen, und selbst dem Schmerz, verschmäht zu werden, muste er sich, um ihr zu dienen, aussezen. Seiner Schüchternheit und seinen Absichten war ein heimlicher Aufenthalt in ihrer Nähe gleich günstig. Er ließ sein schnellstes Pferd satteln, befahl, ihm einige sehr einfache Kleider nachzusenden, und nahm ohne alle Begleitung den Weg nach der Gegend von *. Er suchte seine Gestalt so sehr als möglich zu verändern. Er verbarg sein langes Haar, und wendete alle Theaterkünste an, um die Furchen des Alters auf sein Gesicht zu zeichnen, so sorgfältig, wie andre sich sonst mit der Fülle der Jugend zu umkleiden streben.

In einem Städtchen der Nachbarschaft miehtete er ein kleines Zimmer, lebte auf die einfachste Art, und gab sich für einen Künstler aus, der die Gegend zu seiner Landschaftmahlerei benuzen wollte. Wirklich war dieses auch seine einzige Beschäftigung in allen Stunden, wo er nichts für seinen Zwek thun konnte. Beim Glanz der Morgenröthe verließ er die Stadt und eilte auf anmuthig verschlungenen Pfaden dem Schlosse der Gräfin zu, welches auf einem hohen Felsen lag, den auf zwei Seiten die See umspühlte.

Fontalba wanderte um diesen Ort, der alle Wünsche und alle Sorgen seines Herzens barg, mit jener süssen Beklemmung, welche die Seele an heiligen Orten ergreift. Bald zeichnete er diesen, bald jenen pittoresken Fels, während sein Auge in den anmuthig labirinthischen Gängen des Gartens nach der Gestalt der Geliebten umherspäh’te.

Das Schloß war im altgothischen Styl, von einem Wall umgeben, zur grossen gewölbten Pforte führte eine kleine Brüke, und den tiefen Graben füllte ein dunkelgrünes Wasser, über das sich Weiden und mancherlei Gesträuche melancholisch neigten. Noch war die Pforte verschlossen, und alle Fensterläden, das Morgenroth glänzte um die hohen Thürme, die Natur schien jugendlich zu erwachen.

Fantalbas Sinn durchdrang neues Leben der Liebe und Hoffnung. Nun begann es sich auch innerhalb der Mauern zu regen. Einige Thüren klangen, und jezt öfnete sich der Riegel des äussern Thors. Fontaba trat in ein dichtes Gebüsch, und nahm sein Reisblei zur Hand im Fall einer Überraschung.

Kaum hatte er Zeit gehabt sich zu verbergen, als die breiten Thorflügel sich öffneten. Eine schöne jugendliche Männergestalt wallte mit schnellen Schritten über die Brüke, und dicht an Fontalba vorbei. Vom Gesicht, halb durch einen Huth umschattet, konnte er nur einen flüchtigen Umriß erbliken; aber reine grosse Formen, mit aller Fülle und dem Farbenschmelz der Jugend umkleidet, hatte sein Auge doch gefaßt, und die lange und feine Gestalt, auf der er verweilen konnte, schien ihm als ein Gebild des feinern Ätherstoffes mit unaussprechlicher Würde und Grazie über den Boden hinzuschweben. Oft blieb der Jüngling stehen mit übereinander geschlungenen Armen, als im Anschaun der Schönheit der Erscheinungen um sich her versunken, und drehte dann das Gesicht vorbeugend nach der andern Seite des Schlosses, gegen welche er sich endlich freundlich beugte, mit der Hand winkte, und sodann tiefer hinter Bäumen verschwand. Aller Besorgnisse ungeachtet, mit denen die Liebe Fontalbas Busen füllte, zogen ihn der Reiz, und die reinen Verhältnisse dieser Gestalt unaussprechlich an.

Eine schöne Seele bewahrt selbst im Streit der Empfindungen ein offnes Auge zum Anschaun der Schönheit. Aus diesem Kampfe der Lust und des Schmerzens wurde Fontalba durch einzelne Accorde einer Laute gerissen, die bald zu einer entzükenden Melodie zusammenflossen. Eine starke, volle und zartbiegsame Stimme begleitete diese mit folgenden Worten:

Du des Lebens heil’ge Quelle
Grosse Seele der Natur!
Wo entströhmt die ewig rege Welle?
Stilles Dunkel deket ihre Spur.

Nur in tausend Formen angezogen,
Rinnt ihr ewig junger Lebensthau,
In des Weltmeers aufgethürmten Wogen
In den Rasen auf der Frühlings-Au.

Durch des ew’gen Schleiers Falten
Der der Wesen Innres hüllt
Wenn er uns in blühenden Gestalten
Schönheit strahlend, hold entgegenschwillt,

Trift ein sterblich Auge nur ein Funken
Aus der Wahrheit tiefem Sonnenmeer,
Schwebt der Geist Lichtdürstend oder trunken,
Als ein Irrstern durch die Himmel her!

Aus des Schleiers Falten reichet
Eine Gottheit uns die Hand,
Unsre Brust zu Lieb’ und Schmerz erweichet,
Grüsset bebend was sie selbst empfand.

Der Schall kam aus dem Thal, und es war kein Zweifel, wer dieser Sänger sey. Zu den hohen Empfindungen des Gesangs hingerissen, eilte Fontalba beinahe unwillkührlich der holden Seele zu, die sich hier auszuathmen schien in ihrer bescheidnen Glorie, in tiefer Einsamkeit. Er ging dem Schall der Laute nach, die noch den Nachklang der Hymne in reinen Accorden wieder zu geben schien, gleich als suchte die in sich zurükgekehrte Seele noch die Strahlen der entschwundnen Erscheinung zu sammlen. Fontalba fand sich am Eingang einer Laube, die sich unter den Häuptern hoher Pappeln aus Wein- und Geisblatt zusammen bog; ein Sphinx lag am Felsen, vor dem ein kleines Marmorbeken den Quell auffasste. Der Sänger ruhte nachlässig auf einem Siz in der Laube und erhob sich schnell, als er sich belauscht fand. Verzeihung, sagte der Ritter, daß ich es wage dem anmuthigen Sänger zu nahen, der meine Seele durch die hohe Harmonie seiner Töne und Worte an sich zog. Ihre Musik hat mein Innerstes berührt, ich möchte Ihnen danken.

Der Jüngling bot ihm freundlich die Hand, und sah ihn mit einem durchdringenden doch durch Sanftheit gemilderten Blik an. Sie sind ein Fremdling in der Gegend, kann ich Ihnen durch etwas dienen? – Ich versuche es, meine Harmonische Gefühle an der Natur in Formen und Farben auszudrüken, und die schöne Mannichfaltigkeit, die ich hier traf, lokte mich weiter ins Gebirge – Ich selbst bin noch nicht sehr bekannt in der Gegend, doch was ich kenne, theile ich Ihnen mit. Es ist ein lieblicher Plaz zur Einsamkeit und stillem Genuß geschaffen. Ich glaube, Sie werden vieles für Ihren Zwek finden – es scheint noch alles das erste freie fröhliche Leben zu athmen, und keine Naturgestalt erfuhr Beschränkung. Dem wilden Gewässer selbst bleibt es unverwehrt im Schoosse des Thales sein Bette zu wühlen, und alle Gesträuche und Bäume wachsen frei in Luft und Licht als in der ersten Schöpfung. Die Vegetation ist sehr reich und ich finde die heilsamsten Pflanzen in diesen Bergen, die meine Heil- und Kräuterkunde sehr erweitern. – Sie sind ein Arzt? – Ich liebe das Studium der Arzneikunde, und übe es, wo mich die Verhältnisse und mein Herz dazu treiben. Eben jezt muß ich Sie verlassen, um einen Kranken im Dörfchen zu besuchen. Wollen Sie sich weiter in den Gärten und Anlagen umsehen, die Besizerin dieses Schlosses erweiset gern allen Reisenden Gastfreundschaft. Ob sie gleich selbst in der strengsten Einsamkeit lebt, so wünscht sie doch jeden Fremden gut zu bewirthen. Wollen Sie sich gegen Abend wieder hier finden lassen, so können wir dann im Sonnenuntergang eine kleine Wanderschaft ins tiefe Gebirge antreten.

Der Ritter willigte ein, sein neuer Bekannter eilte pfeilschnell den Hügel herab, und unter den Hütten des Dörfchens verschwand er seinen Augen.

Seinen eigenen Gefühlen wieder überlassen, hielt ihn die Sehnsucht nach Juliens Anschaun gefesselt in diesem Zauberkreise. Er durchwallte alle Gänge bis gegen Mittag, und immer blieb sie ihm verborgen. Um der Unbescheidenheit zu entgehen, sich noch einmal auf dem alten Plaz finden zu lassen, suchte er die tiefern Schatten des Thals, und fand sich auf einmal von dem anmuthigsten Wäldchen eingeschlossen. Die Bäume wurden immer höher und dichter, und aus dem dichtesten Dunkel stieg ein Dom von Marmor. Eine zierliche Colonade von dorischer Ordnung umzingelte das Gebäude. Die Wände waren von schwarzem Marmor, über dem Eingang, einer breiten Thür von Ebenholz, boten sich zwei verschleierte Figuren die Hand, im ächten Styl und Lebenathmend gebildet. Die eine senkte das Haupt; die andere blikte empor nach einer Schlange und einem Sternenkranz, als den Simbolen der Ewigkeit. Cipressen und Thränenweiden standen in mahlerischen Gruppen um das Gebäude. Alles schien Ernst und Schwermuth zu athmen, als das Andenken an einen geliebten Todten. Ein fröhlicher Morgengesang ertönte in einiger Entfernung, dem bald das Geräusch der Arbeitsleute folgte. Der Ritter nahte sich und sah, daß sie einen Flek umgruben, und die Steine bei Seite schafften. Auf sein Fragen nach ihrer Arbeit antwortete ihm einer: sie wären Tagelöhner bei der Herrschaft, die gnädige Frau wollte den Plaz schnell in Ordnung haben, sie würden aber auch gut bezahlt – das ganze Gebäude habe sie mit ungeheuern Kosten in ein paar Monaten aufführen lassen – Niemand als sie und der Arzt kenne das Innre – sie käme oft hier her und weinte und sey traurig, aber immer lieb und freundlich mit ihnen und ihren Kindern.

Welch sonderbares Gewebe ist dieses? rief der Ritter aus. – Trauer um einen Mann, mit dem sie in dem größten Kaltsinn lebte, kann nicht die Ursach ihrer verschwiegnen Thränen seyn, und konnte nicht dieses Monument erschaffen, das sich vor den Augen der Welt verbirgt, denen sich sonst wohl ein geheuchelter Schmerz mit Pomp darstellt. Der stille Character des tiefen Gefühls einer wahrhaft gerührten Seele ist hier unverkennbar; er athmet aus diesen Steinen, und flüstert in jenen Trauer-Weiden.

Er hatte sich unter diesem Monolog dem Gebäude wieder genähert, und das Geräusch eines seidnen Gewandes entriß ihn seinen Betrachtungen. Es war die Geliebte, so lang ersehnte Erscheinung. In schneeweissem Gewand, ums Haupt einen Schleier gewunden wandelte sie, von dem schönen Jüngling begleitet, auf das Gebäude zu.

Sie sind nicht wohl heute? sagte dieser. – Nicht übler als gewöhnlich; ich fühle es sind heute schon drei Wochen um. – Freund, es ist doch kein wahreres Bild des immerwährenden Verlangens als die arme Clitys, täglich ihr Antliz nach dem leuchtenden Wagen ihres Geliebten kehrend – die Glükliche, und täglich erscheint er! – Oft birgt ihn doch ein Regengewölk. – Ach, ists doch nicht die Nacht des Todes! – Für mich ist nur in jedem Monat drei Stunden hindurch Tag! – Doch bin ich nicht undankbar! – Vater der Geister, freundlicher Quell der Liebe und des Lebens, o verzeih dem Sinnen umhüllten Wesen, seufzend in den schweren Banden des Raumes und der Zeit! –

Der Ritter konnte ohne bemerkt zu werden dem Gespräch nicht weiter zuhören; aber das Gehörte zog ihn in ein neues Labyrinth sonderbarer Gedanken und Empfindungen.

Die Gräfin schien nur gekommen zu seyn, um nach dem Fortgang der Arbeit zu sehen, und ging in Kurzem nach dem Schloß zurük. Der Jüngling unterstüzte sie, als sie einen kleinen Hügel ersteigen mußte; sie schien matt und erschöpft, und das volle Leben der Jugend, das sonst alle ihre Umrisse und Bewegungen durchstrebte, schien erloschen zu seyn. Das dunkle braune Auge erhob sich nur selten unter den breiten Schatten der gesenkten Augenlieder. Aus der schönen vollen Brust stieg der Athem schwer empor, und die Lippen öfneten sich als dürsten nach einem Hauch des Lebens, welcher dem gepreßten Busen fehlte, um die Kühlung der linden Morgenluft einzusaugen. Als sie von ohngefähr ihren Handschuh fallen ließ, entdekte der Ritter eine Magerkeit und Welkheit in ihrer sonst so vollen runden Hand, die einen Wettstreit mit den reinen Formen einer Venus-Hand wagen konnte. Sein Herz schmolz in innigem Mitleiden, und als sie den einen Arm ermattet um eine Pappel schlang, während der andre auf ihrem Begleiter ruhte, und die schönen Finger mit allem Ausdruk der Ermattung und Kraftlosigkeit in den Blättern spielten, da konnte er sich fast nicht zurükhalten, zu ihren Füssen zu stürzen und auszurufen: welcher Sturm beugte dich, du schöne Blume?

Voll glühender Ungeduld erwartete er die bestimmte Abendstunde So scharfsinnig, fein und vorsichtig auch der schöne Sänger schien, so hofte der Ritter doch einige individuelle Beziehungen aus seinem Gespräch zusammen zu finden, welche seinen fernern Beobachtungen zum Leitstern dienen könnten.

Der Jüngling erschien zur bestimmten Stunde, und als er vernahm, daß der Fremde den Garten seit dem Morgen nicht verlassen hätte, führte er ihn in einen Pavillon dicht am Schloß, wohin er Erfrischungen kommen ließ. Wie der Genuß immer wohlwollende Seelen zum Ausdruk ihrer Gefühle aufschließt, und die Banden des Schweigens löst, so war es auch jetzt. Das Gespräch wurde bald interessant. An Ideen über die Kunst entspann es sich, in welchen beide Eingeweihte waren, und mit dem Feuer leidenschaftlicher Begeisterung riefen sie die schönsten Monumente des Alterhtums vor ihre Fantasie, und weideten sich einer an des andern lebendiger Darstellung, wie an den gegenwärtigen Erscheinungen. Der Jüngling schien genau bekannt in Rom, und keines der grossen Monumente alter Kunst, und Raphaels neuern Schöpfungen war ihm fremd. Reiner Zusammenklang der Geister und Ideen, befängt das ganze Wesen leicht mit zärtlichen Gefühlen, und Antheil und Offenheit über Lebensverhältnisse, über Wünsche, Hoffnungen und Leiden einigen die Gemüther zur Freundschaft gegeneinander. Der Ritter fühlte sich unwiderstehlich angezogen, und vergaß beinah, daß er diese neue Bekanntschaft als Mittel zu einem Zweke brauchen wollte. Die Nähe und Vertraulichkeit, in welcher der Jüngling mit der Gräfin lebte, trug selbst dazu bei, ihn mit einer Glorie in seinen Augen zu umziehen. Wie der Widerschein der Sonne aus einem stillen See, zog sein Auge aus dem seelenvollen Gesicht und aus der einnehmenden Sprache, aus der innren Musik der schön geordneten Gedanken und Gefühle einen Nachklang des Herzens und Geistes seiner Geliebten. Die Sonne sank eben in einer unermeßlichen Lichtsäule über das Meer, und in röthlichem Schimmer lag vor ihnen der Garten und die niedern Gebirge. Kein Lüftchen regte sich, und alle Pflanzen und Bäume hoben sich in stillem Reiz dem wohlthätigen Thau der Nacht entgegen. Beide standen einige Zeit schweigend vor dem Pavillon, versunken im Anschaun. Rasch wandte sich der Ritter zum Jüngling, warm seine Hand ergreifend: daß unsre Seelen doch noch oft so im Einklang bewegt durch die Herrlichkeit der Natur, sich entgegenwallen mögten. Ich wünschte mehr mit Ihnen zu seyn, um endlich Ihr Freund zu werden. – Ein grosses Wort! – erwiederte der Jüngling; ein leiser Schauer durchdrang seine Glieder, welches der Ritter an der bebenden Hand fühlte. – Fest und ernst sah er dem Ritter ins Auge, seine Hand zog sich nicht zurük, erwiederte aber auch den Druk nicht. – das Herz hat nur einen Freund, ich habe gewählt. – Der Ritter stand schweigend durch diesen Ernst gerührt, und der Jüngling fuhr als aus einem Traume auf, da er’s wahrnahm. Mannichfaltig, wie die Pflanzenwelt die vor uns liegt, blühen auch die Grundzüge der Simpathie und Liebe im Gemüth. – Auch unsre Neigung, die, ich sage es Ihnen mit Wahrheit, gegenseitig ist, wird, hoffe ich, in dieser holden Stufenleiter immer zu schönerem Gebild aufsteigen, und mehr Innigkeit und Ausbreitung gewinnen. Wollen wir nun ins Gebirg fortwandern; man muß nicht viel von Empfindungen reden. Von der tiefen Wahrheit, die das Herz mit allgewaltigem Leben bis zum Zerreissen schwillt, verhallt immer etwas in Worten.

Ein anmuthiger Gesang gab dem Gespräch eine neue Wendung. – Aber der Ritter wurde durch dies wunderbare Gemisch von Feuer und Kälte noch geheimnißvoller angezogen, werde aber doch dabei aufmerksamer auf die Verfolgung seines Zweks. Mit einer feinen Wendung wich der Jüngling den entferntesten Anlässen, die zu Fragen über seine Lebensverhältnisse führen konnten, aus, und lenkte die Unterhaltung auf Kunst oder Wissenschaft zurük. Der Ritter fühlte bald, daß hier nur die größte Schlauheit, oder die größte Geradheit, ihm dienen könne. Durch ein angenehmes Gewinde von Gebirgen und Thälern kamen sie auch an einen Plaz, wo das alte Gemäuer einer gothischen Kirche sich, ihnen gegenüber, auf einer Insel erhob. Senkrechte Felsen stiegen aus der See, und boten dem Schiffer ein drohendes Ufer dar. Gruppen von alten dikstämmigen Eichen lagen dunkel hinter dem Gemäuer. Die grossen Massen wurden vom aufgehenden Vollmond beleuchtet.

Der Glanz des Mondes an einigen Glasfenstern, die aus dem alten Thurme leuchteten, die hochgewölbte Pforte, die sich bis zur tiefsten Nacht im engeren Eingang verlohr, und über derselben ein Kreuz mit einem Christusbilde in Stein gehauen, alles war anziehend für die Künstlerphantasie.

Der Jüngling wurde immer ernster und schweigender, und der Ritter fand ihn in tiefer Betrachtung, da er nach dem aufsuchen einiger mahlerischen Gesichtspunkte wieder zu ihm zurük kam.

Erst auf wiederholtes Anreden empfieng er eine Antwort, und die ganze Stimmung des Jünglings schien sich in wehmüthige Schwärmerei verwandelt zu haben. Selbst der Ton seiner Stimme schien noch milder und melodischer geworden zu seyn. Beide hatten sich schweigend dem Ufer genähert. In der blauen Meeres Fläche spiegelte sich der Mond und alles war feierlich still. Jezt ertönte ein harmonischer Gesang aus der alten Kirche. Nie hatte der Ritter reinere sanftere Töne vernommen, es war ein Requiem in dem ältern Kirchenstil, unaussprechlich einfach und erhaben, von den reinsten Stimmen vorgetragen. – Bebend standen beide und wagten es nicht von der Stelle zu gehen, bis der Ritter ausrief, welche Melodie himmlischer Geister tönt aus jenen Mauern! Der Jüngling flog ihm bei diesen Worten in die Arme. – Wer bist du, dessen Ohr diese, den übrigen Erdenwesen unvernehmbare Laute vernimmt? – Möchtest du unser Bruder seyn! So täuschte mich also der Zug meines Herzens zu dir nicht, dem ich mit Mühe so lange widerstand! – Der Gesang begann von neuem – und zum drittenmal wandelte er sich durch die erhabensten kühnsten und lieblichsten Modulationen in ein Te deum, das die Seele von ihren Banden zu lösen schien. Laß uns nun zurükkehren, mein Freund, sagte der Jüngling – aber noch eins ehe wir diesen Ort verlassen. Willst du dich würdig machen, tiefer in dieß Geheimniß einzudringen, so ehre es durch dein Schweigen – Nahe dich diesem Ort nicht wieder! Zeige der Macht, die sich deiner Seele nähern will, was du vermagst. Stärke und Reinheit werden dich vorbereiten. – Nun kein Wort mehr, auch nicht eine einzige Frage! Vor dem dritten Tage des künftigen Monats werde der vergangenen Momente nicht mehr unter uns gedacht. Mit einem stummen Händedruk erwiederte der Ritter diese Rede. – Seine Seele war voll tiefer Gedanken, und schweigend kamen sie an das Schloß zurük. Mit heiterm Blik und Umarmung nahm der Jüngling Abschied. – Wenn sehen wir uns wieder? rief er. Sobald ich darf, meine Seele ist an diesen Ort gebunden, das fühlen Sie. – Morgen um dieselbe Abendstunde finden Sie mich hier – und nun eilte der Jüngling nach der Pforte des Schlosses, eine weisse Gestalt am Fenster gelehnt, rief ihm guten Abend zu, und der Ritter erkannte die Stimme seiner Geliebten. Als wie aus einem Traum erwachte er in seiner Heimath von der sonderbar rührenden Geschichte dieses Tages zu seinen alten Verhältnissen. Oft trieb ihn sein Herz, dem Jüngling alles zu entdeken, aber in ruhiger Einsamkeit reifte sein Entschluß, nur der Stimme der Klugheit zu folgen, kalt zu beobachten, und das Geheimniß des Endzweks seines Aufenthaltes tief zu bewahren. Jede Regung der Eiersucht schwieg, so lange er in der Gegenwart des Jünglings war, und sanft gerührt durch den holden Reiz seines Umgangs, lößte sich alle heterogene Empfindung in Liebe auf. Entfernt von seinem Anschaun erwachte Schmerz und Eigennuz, einen andern so nahe dem Gegenstand seiner liebsten Wünsche zu sehen, und das Interesse seiner Liebe stählte sein Herz im Entschluß sich nur von der Klugheit leiten zu lassen.

Zur bestimmten Stunde fand er sich im Garten ein. Der Jüngling schien ihn schon zu erwarten. Auf seiner Stirn glänzte Heiterkeit, und sein ganzes Betragen war noch leichter und lebhafter als gestern. – Ist es glükliche Liebe, was dich mit so frischem Leben umstrahlt? – seufzte der Ritter in seinen Busen! ob er gleich nach so vielem das Gegentheil denken mußte. Freund, sagte der Jüngling nach einigen gleichgiltigen Gesprächen, ich habe einen Auftrag an Sie. Die Dame dieses Schlosses wünscht etwas von Ihrer Kunst zu sehen, und arbeiten Sie in ihrem Geschmak, so wird sie Ihnen vielleicht einige Zimmer zum Ausmahlen übertragen. Soll ich Sie diesen Abend zu ihr führen! Der Ritter weigerte sich die Bekanntschaft zu machen. – Ich liebe den Ton der vornehmen Frauen nicht, sagte er. Die Wahrheit zu gestehen, mein Lieber ihr Prätensionen, ihre Launen, denen man schmeicheln muß, empören mich. Auch ist meine Freiheit mir sehr werth, ich hasse alle bestimmte Arbeiten, in denen ich meine Fantasie begränzen muß, die nur in üppiger Freiheit die Flügel erhebt. – Sie irren, wenn Sie in der Gräfin ein Weib von gemeinem Schlag erwarten, das dezidirt und mit hoher Protectibusmine au Künstler herabschaut – sie ist ein einfaches stilles Wesen, der es immer um Wahrheit und nie um Schein zu thun ist. – Ihr Geschmak ist sehr gebildet, und ihr Auge geübt die Geheimnisse der Kunst zu erspähen. – Jezt ist sie in einen eigenen Ton gefallen, und will überall die Farbe ihres Gemuths um sich her erbliken. – Dieses könnte Ihnen zu schaffen machen, und Ihre Freiheit im arbeiten stöhren; aber auch dieses einzige, denn sonst führt sie den Schwung des Genies tief, und ehrt ihn über alles. – Da ich denn einmal an diese Gegend gekettet bin, sagte der Ritter, mit einem festen Blik auf den Jüngling, vor welchem dieser die Augen senkte – nun, so sey auch dieses gewagt. Ich folge Ihnen diesen Abend. –

Das Gespräch auf dem Spaziergang war abwechselnd, und hatte oft lange Pausen. Der Jüngling schien den flachen Weltton, der lieber einen unbedeutenden Gegenstand ergreift, als ein viertelstündiges Stillschweigen erträgt, gar nicht zu kennen, und der Ritter verschmähte ihn. Wahres Interesse an ihren gegenseitigen Vorstellung knüpfte immer nur den Faden der Unterhaltung bei ihnen an, und alle ihre Äusserungen waren ein Abdruk ihres ganzen Wesens. Nur über den einzigen Punkt, über seine Lebensverhältnisse, wich der Jüngling immer mit der feinsten Schlauheit aus. Diesen Abend fiel das Gespräch von verschiednen Gegenständen der Kunst, und dem süssen Genuß der Seele an der Schönheit, auf die höchste Blüthe des Genusses, auf die Liebe. – Seliges Daseyn, reif der Jüngling aus, gleich als von Venus Urania begeistert, seliges Seyn, wenn unser Geist in der leichten Hülle der Sinnlichkeit die innre heilige Schönheit ahndend begrüßt! – Wenn Adel und Wahrheit in einer reizenden Form sich auszudrüken strebt, und uns an den Banden des süssesten Verlangens in eine Hoheit und Grazie zieht, in der wir nur staunend, schaudernd, als ein besseres Wesen empfinden. – Psyche hat einen Blik ins Vaterland gethan, ach daß nicht ihre Flügel wieder in der schweren Erdenluft darnieder sänken! – Ist das nicht nur dann, wenn der geliebte Gegenstand sie verläßt, und muß das nicht seyn, so lange die Beschränkung der Sinne dauert, so lange diese Schaale, den Keim der ewigen himmlischen Freiheit, des bleibenden Genusses, umschließt. Unsre Liebe ist Schmachten und Sehnen, oder die himmlische Erscheinung flieht, wenn sie uns zum irrdischen Genuß führt. – Glüklich wer sie zu bewahren versteht, und augenblikliche Leiden der Sehnsucht ihrem reinen Bilde ohne Widerstreben opfert!

Freude und Hofnung glühte in des Ritters Brust empor, der Ausdruk dieser Empfindungen schien ihm eine Reinheit zu haben, welche ihn das Bild der Gräfin in allem Schmuk der Unschuld sehen ließ, und welche sonderbare Begebenheit sie auch von Rom entfernt haben mogte, so war es nicht ein ihrer unwerthes Verhältniß, wie es die Welt glaubte. Mit süsser Beklemmung erwartete er den Moment des Wiedersehens; er hoffte unerkannt zu bleiben unter seiner Kleidung, und in dieser Verborgenheit sich an ihrem Anschaun zu laben. Bebend folgte er dem Jüngling den steilen Pfad zum Felsen hinauf. Mit sich selbst beschäftigt, schien dieser seine Bewegungen nicht wahrzunehmen. Sie giengen durch ein enges Pförtchen eine lange Wendesteige hinan. Auf einem grossen gewölbten Saal, dessen Gewölbe auf Pfeilern von grauem Marmor ruhte, verließ ihn Boccadore um der Gräfin seine Ankunft zu melden. Er blieb lange, und der Ritter gieng auf und ab, und schien sich mit den Geistern der ältern Herrn von Rosalva zu unterhalten, die in stattlicher Rüstung and er Marmorwand prangten, geziert mit Trophäen aus den Kreuzzügen. Endlich kam er zurük, und führte den Ritter durch einige dunkle Gallerien in eine Reihe kleiner zierlicher Zimmer. Blumengewinde zierten die Wände, ein balsamischer Duft füllte sie, und alles sprach hold, in anmuthigen Bildern an das Gemüth. In den leztern, die eine dunkle Farbe hatten, und nur mit einigen Malereien, heilige Geschichten vorstellend, verziert waren, sagte Boccadore: diese ist ihr Lieblingsaufenthalt. – Das lezte, in welchem sie die Gräfin schon von fern auf einem Sopha ruhend sahen, war dunkelblau und sparsam erleuchtet. Sie erhub sich, und grüßte den Ritter mit zuvorkommender Güte. Eine Madonna von einem der besten römischen Meister, welche über dem Sopha hing, führte das Gespräch auf Kunstgegenstände; die Gräfin sprach wenig, aber mit Gefühl und Bescheidenheit. – Sie erkannte den Ritter nicht, und er genoß des vollen Glükes frei und offen mit seiner Geliebten zu seyn, da ihn die erborgte Rolle, welche er spielte, durch die Nothwendigkeit sich zu verbergen, aus dem ehemaligen Kampf zwischen Schüchternheit und Verlangen riß, in welchen ihn immer Juliens Gegenwart stürzte. Er war liebenswürdig und geistvoll, weil er unbefangen war. Dann und wann sezte ihn ein tieferer Blik des schwarzen Auges, das durchdringend und forschend auf ihm ruhte, als sammelte es die Züge einer ehemaligen Erscheinung, in Verlegenheit. Das matte Licht und die ganz veränderte Kleidung tröstete ihn doch mit der Hofnung unentdekt zu bleiben. Den nächsten Tag mußte er versprechen sein Portefeuille mitzubringen. – Die Gräfin wurde immer offner, und oft schien sogar ein Zug von Heiterkeit über die edlen Züge zu strahlen. Den nächsten Abend und den dritten, denn immer vermied er am Tage gesehen zu werden, lebte er auf demselben Fuß im Hauße. – Julie, von seiner Kunst zufrieden, trug ihm eine Arbeit auf in einem abgelegenen Saal. Kleine Handzeichnungen, nur flüchtig mit einer Bleifeder angedeutet, sollte er da ausführen, und sie schien alle mit dem tiefsten Interesse beobachtet zu haben, denn sie wußte die kleinsten Veränderungen anzugeben, die er bei der Ausführung anbringen mußte. Auf einem der Blätter sah man in der Ferne den Vesuv. – Eine Neapolitanische Gegend, sagte der Ritter, – und Juliens Wangen überzog eine leichte Röthe, mit gesenktem Auge, und als halb gezwungen sagte sie, ja. Am meisten schien ihr an der Ausführung eines dunklen Cypressenwaldes gelegen. Aus dem dichten Gebüsch blikte der Thurm und das Gemäuer eines Klosters. Am Gemäuer erhob sich ein Grabstein, über welchen sich eine weibliche Figur ernst betrachtend lehnte. Eine kleine Capelle und ein Kreuz waren in der Ferne zu sehen, über welchen ein röthlicher Morgenhimmel aufgehen sollte. Thränen glänzten in ihren Augen, als sie dieses Blatt dem Ritter reichte; er fühlte ihre zitternde Finger an seiner Hand, und ihre Stimme bebte, als sie ihm sagte: sparen Sie dieses für ihre besten Stunden. Der Ritter versprach die Arbeit anzufangen, sobald er einige Gegenden würde vollendet haben. Boccadore verließ die Gräfin selten, aber was den Ritter nicht wenig befremdete, mehr weil es schien, als sähe sie ihn ungern entfernt, als weil er sich glüklicher in ihrer Gegenwart fühlte. Er war still und unbefangen, und seine reine wolkenlose Stirn strahlte immer von gleicher Heiterkeit. Oft hieß sie ihn seine Laute holen, und er sang mit unaussprechlicher Anmuth – Immer waren seine Gesänge von ernstem Innhalt. – Hymnen an die Natur oder religiöse Empfindungen, auch oft Trauerleider an der Urne eines geliebten Todten, die sich dann in Entzüken und Harmonie des Wiedersehens anflößten. Julie begleitete alle diese Gesänge mit lebhafter Empfindung, und oft fiel ihre schöne volle Stimme ein, gleich als könne die Brust die Gefühle nicht mehr verschliessen, und müste sich ausathmen in harmonischen Lauten. Das innigste Einverständniß schien zwischen ihr und Boccadore zu seyn, ein so sanftes reines Zusammenklingen der Seelen, das wenig Worte bedurfte; er verstand ihre Wünsche in halben Lauten, und alle seine Empfindungen und Gedanken schienen ihrem eigenen Busen zu entquellen. Nie schien der Ritter zuviel unter ihnen, und nicht die leiseste Spur war in ihrem Betragen, als sey ihnen die Gegenwart eines dritten stöhrend. Das sonderbare Verhältniß erschöpfte allen Scharfsinn des Ritters.

(Die Fortsezung folgt.)

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