HomeDie Horen1797 - Stück 2II. Carl von Anjou, König von Neapel. [G. Boccaccio]

II. Carl von Anjou, König von Neapel. [G. Boccaccio]

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Nach dem Boccaz.

Der König Carl hat sich durch seine prachtvolle Unternehmung und seinen ruhmvollen Sieg über den König Manfred genug bekannt gemacht. Er verjagte die Gibellinen von Florenz, und berief die Guelfen dahin zurück. Unter den erstern war auch ein Edelmann, Meister Neri von Uberti genannt, der die Stadt mit seiner ganzen Familie und vielem Geld verließ, und nur unter Carls Schutz dahin zurück kommen wollte. Er wählte sich eine entlegene Burg am Gestade des Meers, um dort in Einsamkeit und Ruhe sein Leben zu endigen. Hier kaufte er sich einen Weinberg, der ungefähr einen Bogenschuß von allen andern menschlichen Wohnungen entfernt, romantisch unter Oliven, Haselnußstauden und Kastanienbäumen lag, womit die Gegend übersäet ist. In diesem bauete er sich eine schöne und bequeme Wohnung, umgab sie mit einem reiztenden Garten, und leitete das reine, helle Quellwasser der Gegend, in der Mitte desselben zu einem zierlichen Teich zusammen, den er mit einer Menge Fische anfüllte. Als er nun hier an nichts weiter dachte, als seinen Garten immer mehr zu verschönern, geschah es, daß König Carl einst bey großer Hitze am Gestade des Meers Erholung suchte, und als er hier die Schönheit von Neris Garten rühmen hörte, Lust bekam ihn selbst zu sehen. Da man ihm nun den Namen des Besitzers nannte, hofte er, sich in ihm, als einem Anhänger der entgegengesetzten Parthey, vielleicht einen Freund erwerben zu können. Er ließ ihm daher sagen, daß er den folgenden Abend in Gesellschaft von vier andern in seinem Garten ganz friedlich zu Nacht speisen wollte. Meister Neri freute sich sehr über diese Botschaft, traf in seinem Hause sogleich die prächtigsten Vorbereitungen, verabredete mit seiner Familie das Nöthige, und empfieng den König in seinem schönen Garten mit der größten Freundlichkeit. Als nun dieser alles, was Haus und Garten schönes enthielt, gesehen und gepriesen hatte, fanden sie die Tafel auf einer Anhöhe nahe bey dem lebendigen Teich bereitet. Hier befahl der König dem Grafen Guido von Montfort, der einer von seinen Begleitern war, sich ihm zu einer Seite zu setzen, und bat Meister Neri, den Platz an der andern einzunehmen, den drey übrigen aber, die mit ihm gekommen waren, befahl er die Tafel, nach Neris einmal festgesetzter Ordnung, zu bedienen. Die ausgesuchtesten Speisen, die besten und seltensten Weine wurden aufgetragen, und alles geschah mit einer angenehmen Ordnung ohne Geräusch und Verdruß. Der König freute sich sehr an der guten Einrichtung, wobei alle Störung des Vergnügens vermieden war, und der Genuß der Tafel an diesem einsamen Orte dünkte ihm unbeschreiblich reitzend. Jetzt traten zwey Mädchen in den Garten, die dem Anschein nach kaum funfzehn Sommer zählten. Ihre schönen blonden Haare wallten wie ein goldnes Gewebe in losen Ringen über ihre Schultern. Ein leichter Kranz von Sinngrün erhöhte sie feinen, lieblichen Gesichter, deren zarter Reitz fast mehr als sterblich zu seyn schien. Ihr Gewand bestand aus dem feinsten Linnen, weiß wie Schnee, und schloß bis unter den Busen, wo es ein Gürtel zusammenhielt, fest an; von da floss es in weiten Falten bis zu den Füßen herab. Die Erste von den reiztenden Mädchen hielt mit der einen Hand ein paar Fischernetze auf der Schulter, und trug in der andern einen langen Stab. Die Zweyte, die ihr folgte, hatte einen Tiegel auf dem Rücken, ein kleines Reißbündel unter dem Arm, in der einen Hand einen Dreyfuß und in der andern einen brennenden Span. Den König belustigte dies Schauspiel, doch war er zweifelhaft was daraus entstehen würde. Die Mädchen waren näher gekommen, und nachdem sie den König mit züchtigen, verschämtem Wesen begrüßt hatten, giengen sie nach dem Teiche zu. Die, welche den Tiegel trug, setzte ihn dort mit allem Übrigen, was sie hatte, nieder, nahm den Stock der andern, und nun giengen beyde in den Teich, dessen klare Wellen ihnen bis an die Brust spielten. Einer aus Neris Familie eilte, indessen Feuer anzuzünden, den Tiegel auf den Dreyfuß zu setzen, Öl hineinzugießen, und erwartete, daß die Mädchen ihm Fische zuwerfen möchten. Diese waren geschäftig, die eine, die Fische, wo sie wußte, daß sie sich am liebsten verbargen, mit der Stange herauszutreiben, und die Andere das Netz bereit zu halten, und sie säumten nicht, zum großen Vergnügen des Königs, der diesem allem aufmerksam zusah, in kurzer Zeit eine beträchtliche Menge Fische zu fangen. Sie warfen einige derselben dem Freunde zu, der sie noch lebend in den Tiegel that, und fiengen an, wie man ihnen gesagt hatte, die schönsten derselben vor dem König, dem Grafen Guido und dem Vater leichtfertig auf die Tafel zu werfen. Die Fische sprangen hier zu größter Belustigung des Königs in die Höhe, zappelten und bewegten sich so munter, daß der König den Scherz allerliebst fand, sogleich mit einstimmte, und den schönen Fischerinnen lustig wieder einige zurück warf. Unter diesen muthwilligen Spielen gieng die Zeit dahin, bis der Freund mit der Zubereitung der ihm übergebenen Fische fertig war. Sie wurden auf Neris Befehl dem Könige, mehr anstatt eines Intermezzo, als eines kostbaren oder leckern Gerichts vorgesetzt. Die Mädchen hatten nur ihr Werk vollendet, die Fische waren zubereitet, und sie stiegen wieder aus dem Wasser hervor. Es war ein reitzender Anblick, wie ihre weißen, zarten Gewänder sich eng an ihren Körper anschmiegten, und keine Form des feinen Gliederbaues versteckten. Sie fassten alle die Sachen, die sie herbeygebracht hatten, behend wieder auf, giengen bescheiden vor dem König vorüber, und kehrten in das Haus zurück. Alle, der König, der Graf und die Andern, welche die Tafel bedienten, hatten die Mädchen aufmerksam betrachtet, und jeder pries im Herzen ihre Schönheit, doch mehr noch ihre Anmuth und Gewandtheit. Carls Herz empfand jedoch den Eindruck tiefer als alle Übrigen. Das reitzende Bild dieser holden Gestalten, wie er sie aus der Fluth hatte hervorsteigen sehen, und seine trunkenen Blicke frey auf allen den lieblichen Formen hatte umherirren lassen, hatte sich tief in sein Herz gegraben. Gefühllos für alles andere, saß er da, und empfand, jemehr er darüber nachdachte, eine zärtliche Glut durch seine Adern glimmen, die, wie er wohl merkte, wenn er nicht sehr auf seiner Huth wäre, bald zu einer mächtigen Liebesflamme auflodern würde. Nur waren sich die beyden Schönen durchaus in Allem so ähnlich, daß er nicht wußte, welche eigentlich sein Herz so gerührt habe. Er hieng diesem Gedanken einige Zeit nach, dann wandte er sich zu Meister Neri mit der Frage: wer diese beyden Mädglein wären? – Gnädiger Herr, antwortete Neri, es sind meine Töchter. Die eine führt den Namen Ginevra die Schöne, und die andere heißt Isotta die Blonde. Der König brach in Lobeserhebungen aus, und munterte ihn auf, sie zu verheurathen. Aber Meister Neri entschuldigte sich, daß seine Lage das nicht verstattete. Jetzt, da dem Wirth nichts mehr für das Abendessen zu geben übrig war, als die Früchte, kamen die beyden Nymphen wieder. Sie trugen schöne seidene Gewänder, und in der Hand zwey silberne Körbe voll der schönsten Früchte, welche die Jahrszeit schenkte. Sie kamen mit leichten Schritten herbey, und setzten die Körbe vor dem König auf die Tafel. Hierauf traten sie etwas zurück, und stimmten einen zärtlichen Gesang an, mit so reinen, lieblichen Tönen, daß der König, ganz in ihrem Anschauen und dem Zauber ihrer Stimme verloren, nicht anders glaubte, als die Chöre der Engel seyen zu ihm herabgestiegen. Als sie geendigt hatten, knieten sie vor dem König hin, um sich zu beurlauben, und so tief ihn ihr Abschied auch schmerzte, gestand er es ihnen doch mit verstellter Freundlichkeit zu. Das Abendessen war nunmehr geendigt, der König stieg mit seinen Begleitern zu Pferde, und verließ Meister Neri. Sie sprachen auf dem Weg noch viel über ihren freundlichen Wirth, und die lieblichen Bilder hatten in Carls Herzen eine tiefen Eindruck hinterlassen. Ginevra’s Schönheit und Anmuth schwebten ihm so lebhaft vor, daß keine dazwischenkommende Angelegenheit sie in Vergessenheit senken konnte, und es schien ihm, daß er um ihrentwillen selbst die ihr ähnliche Schwester liebte. Er verwickelte sich immer tiefer in Amors Netze, und da es ihm nun einmal unmöglich geworden war, an etwas anderes zu denken, so suchte er mit Meister Neri unter mancherley Vorwand eine genaue Freundschaft zu unterhalten. Er besuchte ihn oft in seinem Garten, um die schöne Ginevra zu sehen. Seine Liebe wuchs mit jedem Tage, und da er sie nie allein zu sehen bekam, faßte er endlich den Gedanken, dem alten Neri nicht eine, sondern beyde Töchter zu entführen. Diesem Plan und seien Liebe vertraute er dem Grafen Guido. Der wackere Mann antwortete darauf: „Was Ihr mir sagt, mein König, befremdet mich höchlich. Ein Anderer, der Euch und alle eure Gewohnheiten nicht von Kindheit an zu kennen glaubte, wie ich, würde vielleicht ein geringeres Erstaunen fühlen. Nie habe ich in den Jahren der Jugend, wo die Liebe weit leichter in ihre Schlingen zieht, eine solche Leidenschaft bey Euch wahrgenommen, und da ich sie jetzt, da Ihr dem Alter so nahe sey, an Euch bemerke, kommt es mir so neu und seltsam vor, Euch aus Liebe lieben zu sehen, daß es mir beynahe als ein Wunder erscheint. Wenn es mir zukommt Euch hierin zu widersprechen, so weiß ich wohl was ich Euch zu sagen habe. Bedenkt doch, will ich sagen, daß Ihr bey eurer neu erlangten Regierung mitten unter einem Volke, das Ihr nicht kennt, das voll Betrug und Verrath ist, die Feinde noch immer auf dem Halse habt, daß Ihr vor übergroßen Sorgen und Geschäften noch nicht zur Ruhe habt kommen können, und bey allem diesem doch dem verführerischen Amor den Zutritt in eurem Herzen verstatten wollt. Dies mag sich wohl für den tändelnden Jüngling schicken, aber eines erhabenen Königs ist ein solches Verfahren unwürdig. Und überdies, was noch weit schlimmer ist, sagt, wie habt Ihr den Entschluß fassen können, dem armen Edelmann seine beyden Töchter zu entführen, ihm, der Euch in seinem Haus über seine Kräfte geehrt, und um Euch aufs höchste zu ehren, und die Größe seines Vertrauens zu beweisen, Euch die Reitze seiner Töchter fast ganz enthüllt gezeigt hat, der fest glaubte, in Euch einen König, aber keinen reißenden Wolf, zu bewirthen? Wie habt Ihr es so bald vergessen können, daß Manfreds Gewaltthätigkeiten gegen das andre Geschlecht Euch den Eingang in dies Reich eröfnet haben? Und welche Handlung kann Euch ewiger Qualen würdiger machen, als wenn Ihr demjenigen, der Euch so sehr geehrt hat, seine Ehre, Hofnung und Trost rauben wollt? Was würdet Ihr dazu sagen, wenn es Euch geschähe? Vielleicht glaubt Ihr, wenn Ihr sagt: Ich thue es, weil er ein Gibellin ist, hinlänglich entschuldigt zu seyn. Aber ist dies der Gerechtigkeit eines Königs würdig, wenn er diejenigen, die zutrauungsvoll in seine Arme zurückkehren, auf diese Weise behandelt, sie mögen seyn wer sie wollen? – Gedenkt daran, König, daß so glorreich auch der über Manfred erfochtene Sieg seyn mag, Euch selbst zu überwinden, doch noch weit rühmlicher ist. Gedenkt, daß Ihr, der fremde Fehler zu verbessern hat, doch am ersten eure eigenen Gelüste bekämpfen müßt, und nicht einen solchen Schatten auf den Glanz eures erworbenen Ruhms werfen dürft.“ Diese Worte drückten einen tiefen Stachel in das Gemüth des Königs, der um so schmerzlicher war, jemehr er ihre Wahrheit fühlte. „Gewiss, Graf, sagte er endlich mit einem brennenden Seufzer, gegen den Kampf, den er mit seinem eigenen Herzen beginnen soll, ist es dem wohlgeübten Krieger eine leichte Sache, jeden andern Feind, zu bezähmen, er mag so stark seyn, als er will. So groß aber auch diese Mühe seyn mag, und so unbeschreibliche Kräfte dazu gehören, fühle ich mich doch durch eure Worte so angespornt, daß ich Euch, ehe noch drey Tage vergangen sind, durch Thaten zu zeigen gedenke, wie ich nicht bloß andere, sondern auch mich zu überwinden weiß.“ Wenig Tage nach dieser Unterredung kehrte der König nach Neapel zurück. Und hier beschloß er, theils um der gefährlichen Gelegenheit, etwas ihm Unwürdiges zu thun, zu entfliehen, theils um den Edlemann für seine ihm erzeigte ehrenvolle Aufnahme zu belohnen, die beyden Schönen zu verheurathen. Er that es, so schmerzlich es ihm auch seyn mußte, ein Gut, das er selbst mit heißer Sehnsucht zu besitzen wünschte, in fremde Hände zu geben, und stattete sie, zu Meister Neris Freude, wie seine eigene Töchter, aus. Für Ginevra die Schöne hatte er Meister Massro da Paliezzi, und für Isorta die Blonde, Meister Guilielmo della Magea, beyde edle Cavaliere und große Baronen, zu Gatten ausgesucht. Er selbst gieng als er sie ihnen übergeben hatte, mit blutendem Herzen nach Apulien, und dort wußte er seine hartnäckige Leidenschaft durch immerwährende Anstrengung so zu entkräften, daß er die Fesseln derselben ganz zerbrach, und auf immer von der Liebe frey blieb. Hier werden freylich Viele sagen, daß es für einen König eine Kleinigkeit sey, zwey Mädchen verheurathet zu haben, und ich gebe Ihnen Recht; aber daß ein verliebter König seiner Liebe entsagte, ohne daß sie ihm Blätter, Blüten oder Früchte getragen hätte, daß er den Gegenstand derselben einem Andern zuführte, dies ist sicher etwas sehr Großes, ja das Größte, möchte ich sagen. Und dieses that der erhabene Carl; er belohnte dadurch den edlen Cavlier, er ehrte die Geliebte laut, und hatte das stolze Bewußtseyn, sich selbst besiegt zu haben.

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