HomeDie Horen1797 - Stück 7I. Versuch über das Kunstschöne. [A. Hirt]

I. Versuch über das Kunstschöne. [A. Hirt]

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Vielleicht war nie ein Zeitalter, wo der menschliche Geist mehr beschäftiget war, jede Art von Kenntnissen auf ursprüngliche und allgemeine Grundsätze zurückzuführen, wie das unsrige. Sowohl das Schöne überhaupt, als dessen nähere Anwendung auf diejenigen Künste und Wissenschaften, welche die Alten unter den artes ingenuae et liberales begriffen, und die Neuern mit dem Namen der schönen Künste und Wissenschaften belegt haben, ist ein Lieblingsstudium für den Virtuosen, wie für den schönen Geist, für den Künstler, wie für den Philosophen geworden. Wenn man den Werth der Schriften dieser Klasse nach ihrer Menge beurtheilen sollte, so müßte man vermuthen, daß diese Materie schon mehr als erschöpft wäre. Ich mache gar keinen Anspruch, die Anzahl dieser Art Schriften mit einer neuen zu vermehren; indessen da ich es übernehme, eine kritische Geschichte der schönen Künste zu geben, so kann ich mich nicht von der Pflicht lossagen, den Punkt der Ansicht aufzustellen, aus welchem ich mein Unternehmen betrachte.

Es könnte vielleicht interessant seyn, hier einen kritischen Blik über die bekanntesten Schriften dieser Klasse zu werfen. Allein, ich habe Ursache zu fürchten, daß dieser weite Umweg mich vielmehr von meiner Absicht entfernen, als mich meinem Endzweck näher bringen dürfte.

Es ist allerdings kein geringer Vortheil für jeden, der kritische Geschichte, über was immer für eine Materie, zu schreiben übernimmt, wenn die Grundlinien, nach welchen er seine Beurtheilung einzurichten hat, schon gezogen sind, und er dabei voraussetzen kann, daß seine Leser sich mit denselben mehr oder weniger bekannt gemacht haben. Ich befinde mich nicht in diesem glücklichen Falle. Vielmehr habe ich Ursache zu glauben, daß mein Unternehmen, und die Weise dasselbe anzusehen, vielleicht leichtern Eingang und eine bessere Aufnahme finden dürfte, wenn nicht selbst Männer, welche in manchen andern Rüksichten die Hochachtung der Nachwelt, wie der Zeitgenossen verdienen, über die nehmlichen oder ähnliche Gegenstände so vieseitig geschrieben hätten.

Jeder, der sich mit dergleichen Schriften vertrauter gemacht hat, wird mir leicht einräumen, daß sowohl der Begriff des Schönen überhaupt, als die Grundsätze der schönen Künste insbesondere auf eine Weise verworren worden sind, daß der Faden nicht leicht ergriffen werden dürfte, der aus diesem Labyrinth herausleitet. Ich werde von dieser Materie nur so viel berühren, als ich es für meine Absicht nöthig erachte, mit dem Wunsche, mich meinen Lesern mit wenigem so faßlich machen zu können, wie möglich.

Allgemeine Idee von dem Ursprung der schönen Künste.

Die schönen Künste haben ihre ursprüngliche Entstehung nicht dem Gefühl am Schönen, sondern dem Bedürfniß zu verdanken. Die ersten Menschen gruben Höhlen, und erbauten Hütten nicht nach den Gesetzen der Festigkeit, des Ebenmasses und angenehmer Verhältnisse, sondern um sich vor Kälte, Nässe, Wärme und dem Anfalle reissender Thiere zu schützen. Das Zeichnen und Mahlen, die Plastik und Sculptur sind ursprünglich bloß erfunden, um sich durch Zeichen den Abwesenden und den Nachkommen verständlich zu machen. Die ersten Versuche in den bildenden Künsten war Bilderschrift bey allen Völkern, ehe man die Wissenschaft, die Sprachtöne mit Zeichen zu fixieren, erfunden hatte. Auf solche Weise entstanden die Hieroglyphen bey den Egyptern, und die Figurenschrift bey den Mexikanern.

Nach diesen rohen Versuchen gieng dann die nähere Anwendung auf Bildnisse, auf Gegenstände religiöser Verehrung, auf Nachbildung gewisser Thaten, oder auch auf allegorische Zusammensetzung. Die meisten Völker blieben bey dieser unförmlichen Nachahmung stehen. Ihre Kunst beschränkte sich auf Bilderschrift für den Verstand und das Gedächtniß. Andere Völker, durch einen stärkern Trieb zum Angenehmen gelokt, schritten in der Nachahmung allmählig weiter. Die Griechen waren es vorzüglich, unter denen sich nach und nach der Sinn für das Kunstschöne bis zur höchsten Vollkommenheit entwickelte. Ehe wir weiter gehen, das Kunstschöne näher zu bestimmen, wird es nöthig seyn, zu sehen, welchen Begriff wir mit dem Wort Schön überhaupt verbinden.

Drei Quellen unserer angenehmen Empfindung.

Der Mensch ist geneigt, jede Art seiner Empfindungen, deren seine Natur fähig ist, auf ihre Quellen, woraus er glaubt, daß sie fliessen, zurückzuführen, und mit Worten zu fixieren. Man hat geglaubt, alle diese Quellen in drei Hauptbegriffe zusammenfassen zu können. Alle unsere angenehme Empfindungen haben entweder das Wahre, das Gute, oder das Schöne zum Grunde.

Unter dem ersten dieser drei Begriffe ordnen wir alle angenehmen Gefühle, welche von dem Erkenntnißvermögen herrühren, daß eine Sache, ein Ding, vielmehr so, als anders sey. Nach dem Grade der Gewißheit, oder Wahrscheinlichkeit, nach der Wichtigkeit, nach dem grade unserer Bemühung und besonders unserer Selbstwirkung, wird unsere Empfindung mehr oder weniger durch das Wahre afficiert. Das Wahre ist die Grundquelle unserer angenehmen Empfindungen und gleichsam die Basis des Guten und Schönen.

Unter dem zweiten Begriff gut setzen wir alle angenehmen Empfindungen, welche von der Erkenntniß, oder von dem Empfindungsvermögen herrühren: daß eine Sache oder eine Handlung eine richtige Beziehung zum Endzwek habe. Die Empfindungen sind mehr oder weniger Lebhaft, nach dem Grade des Umfanges, der Wichtigkeit, der nähern Beziehung auf uns selbst, vorzüglich durch eigene Bewirkung und Hervorbringung des Guten. Man theilet es in das moralische und physische ein. Das erste afficiert den innern Sinn; das zweite thut den äußern Sinnen wohl.

Unter dem dritten Begriff Schön fassen wir alle angenehmen Gefühle zusammen, welche individuell von dem Empfindungsvermögen der beiden Sinne des Gesichtes und Gehöres, oder von einer durch diese erwekten lebhafteren Phantasie herkommen. Der Begriff des Schönen scheinet anfänglich in dem Begriff des Guten zu liegen. Daher auch der Sprachgebrauch diese Worte zuweilen zu verwechseln scheinet; allein eine nähere Untersuchung wird uns lehren, daß diese Verwechslung entweder unrichtig ist, oder aber daß beide unerachtet ihrer Annäherung im Grunde wesentlich verschiedene Ideen bezeichnen.

Etimologischer Begriff des Wortes Schön.

Ich glaube, daß das beste seyn möchte, auf den etimologischen Ursprung des Wortes Schön Rücksicht zu nehmen, um sowohl den Sprachgebrauch des Wortes, als seine vielbedeutende Ideenbezeichnung festzusezen.

Schön kommt von Scheinen her. Alles scheinet, was ein Leuchten, einen Glanz, einen Schimmer von sich giebt, wie das Sonnenlicht und die Farben. Scheinen ist ursprünglich bloß ein Begriff des Gesichtes und auch das Wort Schön. Das Auge heftet sich an jeden Schein; in diesem besteht sein Wirken. Dunkelheit sezet das Organ außer Thätigkeit, und indem sie ihm die Gegenstände entzieht, so giebt sie dem Gesicht ein Gefühl des Unbehagens. Dunkelheit ist der Feind des Augensinnes. Jeder Schein ingegen giebt dem Auge schon einen Grad des Angenehmen, bloß dadurch, daß es thätig und wirksam seyn kann. Mit dem Tageslichte hängt die Thätigkeit aller lebenden Wesen an. Dunkelheit hingegen ist Ruhe, Schlaf, Tod, Aufhören des Wirkens. Dunkelheit ist mit Verdacht, Schrecken, Entsezen erfüllt. – Schein giebt Muth, Freude, Thätigkeit. Der Sprachgebrauch nennt daher einen sonnenhellen Tag, einen schönen Tag, ein vom Monde oder den Sternen erhellte Nacht, eine schöne Nacht; gleichsam um zu sagen: ein scheinender Tag, eine scheinende Nacht. So liegt in dem Wort Scheinen das angenehme Gefühl das Schönen. Der Sprachgebrauch zog nach und nach die Linie zwischen Scheinen und Schön, um durch das erste Wort blos den absoluten Begriff von Licht zu bezeichnen, durch das zweite aber zugleich den Begriff eines angenehmen Lichtes.

Wir verwechseln auch niemals das Wort Schön mit Gut, so oft wir von Licht, Glanz und Farben abstract sprechen. Man sagt die schöne Sonne, der schöne Himmel (vom Horizont sprechend) das schöne Grün der Fluren, die schöne Rose, der schöne Bach. Wenn wir aber diese Gegenstände gut nennen, so bezeichnet es schon einen Beziehungsbegriff des Nutzens. Zum Beispiel: die Sonne ist gut, um die Früchte der Erde zur Reife zu bringen; der Mond ist gut, um zu blichen; diese rothe Farbe ist gut, das ist, dauerhaft, ächt, geschikt für diese oder jene Absicht; die Rose riechet gut, u. s. w.

Alles dieses beweiset uns die ursprüngliche Ableitung des Wortes Schön von Scheinen, und daß Schön in dem eigentlichsten Verstande nur von Farben gilt. Nach diesem ursprünglichen Verstande des Begriffes Schön wäre die Farbe, welche die meisten Lichtstrahlen ins ich fasste, und am wenigsten gemischt wäre, die schönste. Das Weisse würde in dieser Ordnung das schönste, und Schwarz das hässlichste seyn. Allein da der Mensch alles nach seiner eigenen Empfindung benennet, und nicht nach der Vollkommenheit einer Sache in sich; so bedienen wir uns des Wortes schön, wenn unser Organ angenehm afficiert wird. – Zu grelles Licht beleidiget das Auge, zu dunkel und zu entfernt erfodert zu starke Anstrengung, das zu Einförmige ermüdet, zu viele Abwechslung verwirrt und blendet: – Die Mischung verschiedener Farben mit leichten Übergängen von einem Lokalton in den andern, von stärkerm Lichte zu den gebrochenen Farben und Schatten, gewähren dem Organ ein angenehmes Spiel, welches der Sprachgebrauch vorzugsweise Schön, als angenehm scheinend, benannt hat. – Nicht alles, was scheinet, ist schön, aber ohne Schimmer ist kein Schön.

Der Begriff Schön auf die Formen der Körper angewandt.

Das Auge kann sich keine andern Begriffe machen, als welche ihm durch Farbe, Licht und Schatten zukommen. Durch Beihilfe eines andern Sinnes aber lernet es auch die Formen der Körper, und ihre verschiedenen Eigenschaften, Härte, Weichheit, Rauheit, Sanftheit u. s. w. unterscheiden. Dieser Lehrer des Auges ist das Fühlen. (tactus) Da aber kein Körper ohne Farbe ist, und dieselbe mit Licht und Schatten sich nach der Form und den Eigenschaften der Körper verändert, und nüancirt, so kommt das Gesicht bald dahin, auch ohne fernere Beihülfe des Fühlens die Körper nach ihrer Form, und mannichfaltigen Eigenschaften zu unterscheiden. Indessen, da dem Auge alles nur scheint, so geschieht es nicht selten, daß wir ohne weitere Reflexion zugreifen, um uns gleichsam vor dem Truge des Auges sicher zu stellen. Wir rufen in solchen Fällen gleichsam unsern ursprünglichen Prüfungssinn wieder zu Hülfe.

Der Sprachgebrauch bedienet sich des Wortes Schön bei den Formen und Eigenschaften der Körper in zwei Rüksichten. Erstlich weil jeder sichtbare Körper unter Farbe, Licht und Schatten erscheinet; und zweitens, weil das Auge in der zweiten Instanz, wenn ich mich so ausdrücken darf, Richter von der Form und den Eigenschaften der Körper ist. So nennet man ein Pferd zuweilen bloß schön, wegen seiner Farbe, zuweilen nach seiner Gestalt; seltener wegen beyden.

Wenn wir etwas schön nennen nach seiner Form, oder nach seiner Farbe, so verstehen wir immer das Schöne der Form, oder der Farbe nach der Natur eines solchen Wesens. Ein Pferd, ein Stier, ein Löwe kann nur nach dem Baue, und der Farbe seiner Natur schön heissen. Ein rosenfarbnes Pferd, mit dem Kopf eines andern Thieres würde hässlich lassen, obwohl die Rosenfarbe für sich sehr schön ist.

Zweifelsohne giebt es aber Formen, welche abstrakt genommen, das heißt, die keine bestimmte Beziehung auf einen Körper haben, für das Auge schöner, als andere lassen. Eben so wie wir von Farbe, Licht und Schatten gesagt haben, daß das Auge sich lieber auf einer als der andern verweile. Angenehmer für unser Gefühl, wie für das Auge sind die sich schlängelnden, wellenartigen, runden, ovalen Formen, – angenehmer sind die geradelinigten, die gleicheckigten, als die spitzigen, die winklichten, die ausgebogenen, die vieleckigten, die zackigten, die sägenförmigen, die schiefen.

Der Begriff Schön angewandt auf Bewegungen, Geberden, Mienen, Ausdruck.

Das Gesicht sammelt nicht bloß die Ideen von Farben und stehender Form auf. Das Auge urtheilet auch über Bewegung und Geberde, Miene und Ausdruck. Alles, was wir gefälliges in denselben wahrnehmen, bezeichnen wir mit dem allgemeinen Begriff Schön. Wir pflegen zu sagen: der Tänzer beweget seine Arme schön – der Schauspieler weiß sich schön zu geberden – welche ein schöne Miene! – dieser Ausdruk läßt ihm schön. – Wir nennen zwar nicht selten das Schöne in den Bewegungen u. s. w. mit dem eignen Namen, die Grazie, den Anstand, den Reiz, das Holde. Dieß sind specifische Begriffe des Hauptbegriffes Schön, so wie groß, schlank, fein, zart, wohlgebildet, specifische Begriffe der stehenden Formen sind.

Der Begriff Schön angewandt auf Geistes- und Gemüthseigenschaften.

Das Wort Schön wird bei Farbe, Form und Bewegung, als unmittelbaren Vorwürfen des Gesichtes, im eigentlichen Verstande gebraucht. Allein der Sprachgebrauch hat dasselbe auch auf Geistes und Gemüthseigenschaften übergetragen. Wir sagen zum Beyspiel: eine schöne Seele – ein schöner Geist – eine schöne Handlung – ein schöner Name – ein schöner Gedanke – die Tugend machet schön u. s. w.

Indessen dürfte uns diese Übertragung, diese metaphorische Weise uns auszudrücken, um so weniger befremden, wenn wir nachdenken, daß eigentlich alle Worte, womit wir intellektuelle und moralische Begriffe bezeichnen, ursprünglich von sinnlichen Gegenständen hergenommen sind. Bleiben wir zum Beispiel bei dem Worte Gut stehen. Dieß Wort bezeichnet ursprünglich die Empfindungen, welche wir durch Geschmack, Geruch und das Fühlen erhalten. Was diesen drei Sinnen angenehm war, nannte man Gut. Von da ward das Wort auf alles übergetragen, was im moralischen Sinne angenehme Gefühle erweket. Das Urwesen selbst wußte man mit kleinen bessern Namen, als Gott, gleichsam vorzüglich Gut, oder das höchste Gut, den Quell alles Guten, zu bezeichnen; obwohl Gott unsern Sinnen weder schmeket, noch riechet, noch durch das Fühlen erkennbar ist.

Auf die nemliche Weise bezeichnet auch das Wort Schön abstrakte Begriffe, wie in den obigen Beispielen. Indessen werden wir bei einer genauern Ansicht auch die nähere Verwandtschaft des abstrakten mit dem sinnlichen Begriffe wieder finden. Eine Person, welcher wir eine schöne Seele zutrauen, zeiget in ihrer Miene, in ihrer Geberdung, im Ton ihrer Sprache, im Thun und Lassen, in Freude und Trauer, eine natürliche Huld und Grazie, welche uns ohne nähere Untersuchung, gleichsam beim ersten Zusammenseyn, die günstigste Idee von der Güte und den Gesinnungen derselben fassen läßt. Die sanftesten Lichtstrahlen, die angenehmste Harmonie von Farben drüken sich gleichsam von einer solchen Person in unserer Phantasie ab.

Ein Geist, den wir schön nennen, verbreitet in seiner Rede und Äußerungen, eine leichte Darstellung, einen Glanz von Bildern, einen Farbenschein des Wahren, daß unsere Einbildungskraft sich von dem Zauber seiner Worte und Gedanken angenehm überrascht und getäuscht findet.

Handlungen und Gesinnungen werden schön genannt, wenn auffallende und mannichfaltige Merkmale eines edlen und wohlgebildeten Gemüthes uns entgegen scheinen. Durch Wirken, Worte, Mienen, Geberden, werden uns diese Merkmale sinnlich.

Die Tugend machet schön – die Tugend verschönert – sie bestehet nemlich in Ausübung; ihre Merkmale stellen sich gleichsam in angenehm schattierten Bildern dar, und formiren eine Lichtkrone um das Haupt des unerschütterten Tugendhaften.

Solche Ausdrücke, wo das Wort Schön abstrakte Begriffe bezeichnet, kommen im Sprachgebrauch sehr oft vor, aber immer mit auffallenden Merkmalen für die Sinne und die Phantasie.

Das Wort Schön angewandt auf die Töne.

Obgleich das Schöne allein ein ursprünglicher Begriff für das Gesicht ist, so bezeichnen wir doch jede angenehme Empfindung, die wir durch das Ohr erhalten, mit dem nemlichen Worte. So sprechen wir: ein schöner Ton, eine schöne Stimme, ein schöner Gesang.

Der Sprachgebrauch liebet die eigentlichen Worte von Gesicht und Gehör wechselweise zu entlehnen, um dadurch den Ausdruk gleichsam mehr zu versinnlichen und zu verstärken. Denn wie wir die Töne schön nennen, sagen wir auch: der Ton der Farbe, der Ton des ganzen in den Farben; auch höret man wohl der Einklang in den Farben. – Die Ähnlichkeit der Wirkungen mag wohl die Grundursache seyn, daß diese beyden Sinne in ihren Ausdrüken sich so wechselweise unterstüzen. Die drey andern Sinne, Geschmak, Geruch, Gefühl, haben für die angenehmen Eindrüke, welche sie von aussen erhalten, das gemeinschaftliche Wort gut. Wenn aber diese drei leztern stärker, mächtiger in ihren Wirkungen sind, als die zwei erstern, so ist ihr Gefühl ungleich dunkler. Hingegen Gesicht und Gehör geben der Phantasie ungleich mehr Bilder, sie sind ungleich lebhafter, mannichfaltiger und wenn mir der Ausdruk erlaubt ist, edler und verwandter mit den höhern Seelenkräften. Durch das Organ der Stimme und des Gehöres theilen wir uns die Gedanken mit; das Auge ist ein fortdauernder Spiegel unserer Seelenbewegungen, unsers Wirkens, unseres Leidens. Verbrüdert wie sie sind in der Natur ihrer Wirkungen, hat sie auch der Sprachgebrauch verbrüdern wollen, indem er von dem Gesichte das Wort Schön zu denjenigen Erscheinungen übertrug, welche dem Gehör ein angenehmes Gefühl gewähren. – Aber so wie nur für diese beiden Sinne schöne Gegenstände in der Natur sind, so giebt es auch bloß für diese Sinne schöne Künste.

Das Wort Schön den Künsten beigelegt.

Die Künste und Wissenschaften, welche auf die Pfade des Lebens so mancherley Blumen streuen, jedes edle Gefühl in der Brust weken und in jeder Lage, an jedem Orte, in jedem Alter unsere unzertrennliche Freude bleiben – diese unser Daseyn verschönernden Künste wurden von den Alten mit dem Namen – artes ingenuae et liberales – belegt. Nur Personen von freier Geburt und Erziehung sollten sie treiben. Die Bildung jener Gefühle, welche den vorzüglichen Werth des Menschen bestimmen, bedarf eines freien Geistes, und eines von keiner Nothwendigkeit belasteten Gemüthes. Die Künste, die Blume einer schönen Phantasie, und einer wärmern Empfindung, bezeichnen die Grade der Kultur eines Volkes; und indem der Wilde sich glüklich achtet, wenn er seine Tage veressen, vertrinken und verschlafen kann, suchet der Gesittete seine mannichfaltigen Seelenstärkenden Erhohlungen in dem Schooße der Künste und in einer edlen Thätigkeit seiner Seelenkräfte.

Die Neuern haben diese freien Künste der Alten mit dem Namen der schönen Künste unterscheiden wollen. Unter diesen werden begriffen: die Musik, die Tanzkunst, die Geberde- Miene- und Schauspielkunst, die Rede- und Dichtkunst; die Mahlerey, Sculptur und Baukunst.

Da diese Künste für das Auge, das Ohr und die Phantasie bilden, und eine Menge sinnlicher Vollkommenheiten entweder nacheinander, oder zugleich darstellen; so scheinet ihnen der Beinahme Schön vorzüglich zuzukommen, theils um sie von andern troknen Wissenschaften, theils von andern mehr mechanischen Künsten zu unterscheiden. Sie verdienen aber den Beinamen Schön nicht bloß als Gegenstand; sie interessieren uns eben so sehr als Werke, welche uns einen Abglanz ungewöhnlicher Kräfte, theils körperlicher Geschiklichkeit, theils der Seele geben. Diese Werke sind gleichsam ein sichtbarer Abdruk und Spiegel davon. Die Produkte der schönen Künste sind nicht nur objektivisch, sondern auch subjektivisch schön. Die Ilias von Homer, ein Hamlet von Shakespeare, eine Rede von Cicero, ein Pantheon, ein Laokoon, eine Verklärung Raphaels, ein Abendmal von Leonardo da Vinic, eine Symphonie von Händel oder Gluk, eine Rolle von Garrik, intereßiren nicht bloß, als vollkommene Kunstwerke: unsere Bewunderung wächst vielmehr in der Ansicht dieser weit vollkommneren Geister.

Schön ist deine Schöpfung, o Herr! Aber wer bist du, von dem sie nur Abglanz ist?

Das Schöne in der Tonkunst.

Der Begriff Schön ward von dem Gesicht auf die Töne übergetragen. Kein Volk ist so roh, das nicht durch eine gewisse Folge von Tönen seine Empfindungen ausdrükte, theils in Gesang, theils in Begleitung einer Art, mehr oder weniger schallender, Instrumente.

Die Kenntniß, die Töne so zu sezen, daß sie zu einem bestimmten Einklang wirken, verbunden mit der Fertigkeit dieselben auszuführen, nennet man die Tonkunst.

Bald giebt sie uns die Modulationen zu einem allgemeinen Akkord bloß für die Organe des Gehöres, ohne bestimmte Zeichnung der Form – so wie die Farben des Regenbogens, welcher dem Auge einen angenehmen Akkord darstellet, aber ohne Form und ohne Erwekung eines bestimmten Affektes. Es kitzelt den Sinn, aber dringet nicht weiter ein; das Spiel unserer Empfindung bleibt dunkel. Bald begleitet sie Tanz, Mimik und Dichtkunst, und dann richtet sie ihre Modulationen nach einem bestimmten Ausdruk. Die Stärke ihrer Wirkung scheint sich hauptsächlich dahin zu beschränken, daß sie begleitende Kunst sey. Harmonierende Töne können zwar dem Ohr wohlthun, aber ohne bestimmten Charakter nur schwach auf das Gemüth wirken: eben so wie das künstlichste Farbenspiel, das keinen bestimmten Körper inhäriert. Die Lilienfarbe mit Rosenroth gemischt, ist schön, aber sie bezaubert erst auf den Wangen der blühenden Jugend. Das Farbenbeet des Mahlers kann schön aufgesezt seyn, aber unser Sinn wird erst bezaubert, wenn wir eine Danae von Tizian damit gemahlet sehen. So däucht mich, verhält es sich mit der Musik: die schönste Stimme, die kunstvollsten Modulationen, ja die feierlichsten Concerte von Instrumenten können in den Organen Erschütterungen erweken, aber wenn Stimme und Instrumente die Seele rühren sollen, so muß die Kunst nach einem gewissen Vorbild zeichnen, um entweder Poesie, Tanz oder Mimik zu begleiten. Die Alten scheinen die Musik hauptsächlich in dieser Rüksicht behandelt zu haben; daher alle uns bekannten Instrumente der Griechen und Römer so einfach sind. Er ist vielleicht der größte Fehler der Musik unseres Zeitalters, daß das Ohr mehr will gefüllt, als auf eine einfache Weise gerührt werden.

Die Wirkungen der Baukunst scheinen stärker zu seyn, als diejenigen einer jeden andern Kunst, aber dunkler, als andere, sind sie, wie die Flucht der Töne, vorübergehender.

Nicht mindere Lust, als die Harmonie der Musik selbst, giebt uns die Kenntniß und das Gefühl des Sehens, die Stimme und die Empfindung des Sängers, die Geschiklichkeit und Fertigkeit des Instrumentenspielers. Dieß sind mannichfaltige Punkte einer schönen und interessanten Ansicht und Bewunderung.

Das Schöne in dem Tanz, der Geberde und Mienekunst.

Die Musik ist der unzertrennliche Gefährte von Tanzkunst und Mimik. Das Ohr belauschet den Ton, und der Fuß, die Geberde, die Miene richtet die Bewegung darnach. Das Halten und die Bewegung des Körpers, die Regung der Miene zu einem verständlichen Ausdruk hat grossen Reiz für unser Auge und für unser Gemüth. Die Tanzkunst, getrennet von der Mimik, wie unsere heutigen Gesellschaftstänze alle sind, welche bloß darinn bestehen, den Körper zu halten, und die Beine zu bewegen, bezeichnet mehr den Ausdruck einer allgemeinen Belustigung, als eine Verfeinerung derselben.

Unsere Theater geben uns mimische Tänze; aber in welcher Entfernung von einigem Grade der Vollkommenheit. Man bleibt zuweilen über körperliche Kraft und Fertigkeit des Tänzers erstaunt; man sieht auch zuweilen glüklich gerathene Gruppen. Aber der einfache Ausdruk, die Verfolgung einer Leidenschaft durch feinere Mittelgänge, ohne jene forcierten Bewegungen und carikierten Geberdungen – zeigten bisher weder die Meister in ihrer Composition, noch die Spieler in der Ausführung. Wir haben zu viel Tanz und Sprünge, zu wenig Geberde und Miene. Die Bildung der zu diesem Theil der Schauspiele geweihten Personen geht mehr auf körperliche Übung und Fertigkeit, als auf Gemüthsäusserungen.

Das Schöne in der Schauspielkunst.

Das Schöne der Schauspielkunst besteht in dem, daß jede Rolle mit den eigensten Charakterzügen dargestellt werde. In Stand und Gang, in Geberde und Miene, in Ton und Ausdruck muß diese eigene Wahrheit jedes Charakters beruhen. Eine wohlgebildete Figur, ein reines Sprachorgan und besonders viel pantomimisches Talent machen den guten Schauspieler aus. Er muß seinen eigenen Charakter vergessen, um sich in den seiner Rolle zu versetzen. Je täuschender, je scheinender die Charaktere vorgestellt werden, desto schöner ist das Schauspiel; desto mehr wächst die Bewunderung für das Talent des Schauspielers. Keine Erholung hat mehr angenehmes und mehr direkten Einfluß auf die Bildung und Sittlichkeit einer Nation, als eine gute Gesellschaft Schauspieler, denen die Dichter zu Dank arbeiten. Ihre Belohnung und ihre Achtung sollte ihrem Talent und dem gemeinnützigen Einflusse entsprechend seyn.

Das Schöne in Rede- und Dichtkunst.

Mit Recht hat man Rede- und Dichtkunst von andern Wissenschaften unterscheiden wollen. Nicht bloß, wie jene, stellen sie dem Leser oder Zuhörer eine Reihe von Wahrheiten und Thaten auf eine methodische und trockene Weise auf; ihr Zweck ist auf Sinnlichkeit und Phantasie zu wirken, ihr Wesen ist, alle geheimern Triebfedern unserer Seele zu erwecken und zu beherrschen. – Der Redner und Dichter sind sinnreich in Einkleidungen, mahlerisch in Schilderungen, kühn in Wendungen; sie erleuchten durch Gleichnisse und Bilder; sie gebieten durch Ton und Aktion; sie bezaubern durch Wohlklang der Sprache, und einen dem ganzen angemessenen Rhythmus. Sie verbinden wechselweise oder zugleich die Talente des Mahlers, des Virtuosen und des Mimikers. Sie stellen die Wahrheiten, und ihre Sätze nicht bloß in nakten Umrissen auf; sondern Farbe, feine Schattirungen, große und brillante Effekte, eine volle und besänftigende Harmonie des Ganzen beleben und ergötzen.

Redekunst und Poesie halten in der Reihe ihrer Schwestern den Vorsitz, und verbinden die meisten Vollkommenheiten.

Welche Grundsätze diese beyden Künste unter sich gemein haben, wie sie sich trennen und was jede Art von Rede oder Gedicht für einen besondern Charakter annehmen und nach welch besondern Gesetzen eine jede sich richte – ist hier nicht der Ort unserer nähern Untersuchung.

Das Schöne in Mahlerey und Skulptur, in Architektur und Gartenkunst.

Mahlerey, Skulptur, Baukunst und Gartenbau verdienen nicht nur in die Reihe der schönen Künste gestellt zu werden, weil sie durch Farbe und Form unmittelbare Gegenstände des Auges sind, sondern weil sie mehr als gewöhnliche Geisteskräfte, und ein reines Gefühl für alles Naturschöne erfodern.

Mahlerey und Skulptur sind diejenigen Künste, welche sich am meisten an eine sichtbare und getreue Nachahmung halten.

Der Gartenbau gewähret den mannichfaltigsten Reiz. Der Endzweck dieser Kunst ist, die Natur zu verschönern, indem sie theils durch eine verständige Zeichnung die Formen der Natur ordnet, theils nach dem Clima, dem Boden, und der Lage eine glükliche Mischung von Farben in den Pflanzungen bewirket, theils durch Wasserparthien, durch wohlangebrachte, sowohl nützliche, als Lustgebäude, und durch verschiedene Bewohner aus dem Thierreiche Bewegung und Leben hineinbringet.

Die Baukunst richtet sich nach besondern Grundsätzen. Sie hat kein Vorbild, wie ihre Schwestern in der Natur. Sie schaffet sich dieses Vorbild selbst, nach welchem sie sich ihre Grundsätze abstrahiert. Viele Ästhetiker haben bezweifelt, ob sie unter die Zahl der schönen Künste gehöre. Allein sie verdient nicht nur als unmittelbarer Vorwurf des Auges in dieser Linie zu stehen; sondern vorzüglich, weil sie einen unermeßnen Kreis von Kenntnissen umfaßt, welche derjenige inne haben muß, welcher in seinen Gebäuden Richtigkeit und Charakter vereinigen will und ihre Wirkung auf Auge und Phantasie zu berechnen im Stande ist.

Nachdem wir auf diese Weise den Begriff Schön etimologisch entwickelt und gesehen haben, wie der Sprachgebrauch sich dessen bedient, um damit Eigenschaften der Dinge bald im eigenen, bald im figürlichen Verstande zu bezeichnen; so könnten wir nun versuchen, eine allgemeine Erklärung desselben zu geben.

Allgemeine Erklärung des Schönen.

Erstlich nennen wir im weitesten Sinne schön – alles, was entweder unserm Auge, unserm Ohre, oder unserer Einbildungskraft gefällt. Allein da dieses Wohlgefallen relativ ist, nach der Verschiedenheit des Organs, der Erziehung, der Gewohnheit, der größern oder geringern Kenntniß – oder auch wegen eines nebenseitigen Interesse’s, so ist diese Bestimmung des Schönen nicht hinreichend und entscheidend für die Kritik. Wir können uns trügen in der Linie des Schönen, wie in dem, was wir ohne hinreichende Prüfung als gut oder wahr annehmen. – Die ächte Definition des Schönen ist die, welche das Wesen des Schönen bestimmt, wenn es auch noch von Niemand erkannt würde, und die zu einer richtigen Kenntniß desselben führen kann. – Das Schöne also ist, nach meinem Begriff das Vollkommene, welches ein Gegenstand des Auges, des Ohres, oder der Einbildungskraft ist, oder werden kann.

Unter vollkommen versteht man das Zweckentsprechende, was die Natur oder Kunst bei der Bildung oder Hervorbringung des Gegenstandes – in seiner Gattung und Art – sich vorsetzte.

Nach dem Grade des Vollkommenen wechselt also auch der Grad des Schönen. Je mehr es Theile an einem Gegenstande giebt, welche sich zu seinem Endzwecke concentrieren, desto schöner muß der Gegenstand seyn. – Von Natur haben wir alle mehr oder weniger das Gefühl für’s Schöne: aber der competentere Richter des Naturschönen bleibt immer der, welcher seine angebohrne Fähigkeit am meisten in dieser oder jener Gattung wird mit Sorgsamkeit ausgebildet haben.

Die nehmliche Bewandtniß hat es mit Beurtheilung des Schönen in den Künsten. Je mehr Anlage, je mehr Erfahrung und Bildung, desto richtiger und sicherer wird das Urtheil seyn.

Aber so wahr diese Sätze für sich sind, so schwer ist es andererseits, den Standpunkt zu fixieren, um unser Schönheitsgefühl – über Naturgegenstände besonders – richtig zu prüfen. Wie selten kennen wir den individuellen Zweck eines Dinges, wie zusammengesetzt, wie vielseitig stellen sich uns die Dinge dar? Wie selten vermögen wir die Grundursache dessen, was uns in einem Gegenstand erscheint, anzugeben? – Wie oft muß bei den Gegenständen des Naturschönen nicht unser Gefühl entscheiden, wo unsere Vernunft – unzureichend – nicht entscheiden kann?

Doch wenn wir unser Schönheitsurtheil bilden wollen, so müssen wir so viel möglich unser Augenmerk nach dem obigen Satz des Zweckentsprechenden – folglich auf die individuellen Merkmale, welche ein Wesen constituieren – richten. Je mehr wir diese inne haben, desto sicherer wird unser Geschmack und Beurtheilung seyn.

Ich setze zum Beispiel die Frage: welches der schönste Mann, welches das schönste Pferd, welches der schönste Baum sey? – Die Antwort hierauf im Allgemeinen ist leicht, nehmlich, daß derjenige Mann, der schönste seyn müsse, welcher die meisten und wesentlichsten Vollkommenheiten, die in der Natur seiner eigenen Gattung gegründet sind – oder in dem Ideal Mannheit liegen, in sich vereiniget. – Aber die Schwierigkeit ist, diesen abstrahierten allgemeinen Begriff in seine individuellen Merkmale aufzulösen, welche die reine Idee Mannheit constituieren. – Die schönen Merkmale und Eigenschaften in der Menschennatur sind mannichfaltig, und in derselben ist nicht nur ein schönes Ideal, sondern viele enthalten. Ein Individuum, welches alle Vollkommenheiten seiner Gattung in sich vereinigte, würde ein Ungeheuer von Schönheit seyn.

Es scheint also, daß der Prüfungssatz des Schönen mehr negativ, als positiv seyn müsse; das heißt: wir müssen zuerst prüfen, was unter keiner Bedingung je schön an den Gegenständen einer Gattung kann genannt werden. Nachdem wir also das Störende oder Fehlerhafte abgezogen, steigen wir zu den Merkmalen des wirklich Schönen der Gattung hinan; und dann erst können wir schöne Eigenschaften mit schönen Eigenschaften vergleichen, und die individuellen Ideale, welche in einer Gattung enthalten sind, näher bestimmen. Um zum Beispiel den Begriff des Schönen, angewandt auf die Menschennatur aufzuspüren, so sey unser erster Prüfungssaz negativ; nemlich was unter keiner Ansicht je kann schön genannt werden. Ein schiefer Mund, triefende Augen, ein Kahlkopf, eine eingedrükte Brust, ein vorhängender Bauch, ein hoher Rüken, schiefe Beine, vorgebogene Knie, eine sieche Farbe, Runzeln, kränkelnde Magerkeit oder schwammigte Fettheit, Verstümmelungen jeder Art, sind Mängel der menschlichen Natur, die von Geburt, von Unglük, übler Lebensweise oder zerfallendem Alter herkommen. Solche Unvollkommenheiten zerstören den Begriff des Schönen, wo nicht absolut, doch theilweise. Hingegen Gesundheit, zwekmäßiger Gebrauch der Glieder, und eine dem Alter angemessene Compactheit der Theile constituieren den ersten Grad von Schönheit. Diese kann sich aber unter mancherley Nüancen äußern, denn der Körperbau ist nach dem Alter, der Proportion, der Complexion, nach der Bildung und Übung grosser Vollkommenehiten fähig. Stärke, Schnellheit, Gewandheit, Verhältnisse des Haupts und einzelner Theile, Farbe, Miene, Geberde, u. s. w. bieten sich dem Auge in unnennbaren Abstufungen dar, die wir mehr oder weniger schön nennen können.

Wie es sich mit der Schönheit in Rüksicht der Natur des Menschen verhält, so geht es durch alle Klassen von Thierarten, des Pflanzenreiches und selbst des Mineralreiches durch.

Mit dem Freyseyn von Mängeln hebt die Stuffenleiter des mehr oder weniger Schönen – in den mehr oder weniger wesentlichen Eigenschaften der Dinge an.

Selten bildet die Natur das Individuelle vollkommen: das vollkommene der Gattung – im Individuum kann sie gar nicht bilden. Die Kunst strebet zum Theil nach der Vorstellung des erstern, weil sie aus der ganzen Gattung wählen kann: das zweite überschreitet aber auch die Grenzen der Kunstbildung. Selbst die Phantasie kann das Schöne der Gattung auf einmal nicht fassen, (daher der Politheismus der Alten: ihre vielen Göttergestalten nemlich stellen im Grunde nur ein Wesen vor; aber um es für Auge und Phantasie vorzustellen, bedurften sie so vieler Namen, so vieler Gestalten.)

Diese vorläufigen Ideen seyen genug, um meine Begriffe über das Naturschöne anschaulich zu machen. Ich komme nun zu dem Kunstschönen.
Verschiedenheit des Kunstschönen von dem Naturschönen.

Wenn sich das Naturschöne nie anders als unter der Gestalt des Vollkommenen und Zwekmäßigen anbietet, so geht das Kunstschöne einen ganz andern Weg, und hat ein weit mehr ausgebreitetes Feld. Nicht als wenn das Naturschöne nicht auch ein Hauptzwek der Kunst mit wäre – ja vielmehr suchet diese Wesen von Schönheit zu schaffen, wie die Natur nur selten und nur theilweise hervorbringet. Allein die Kunst schränkt sich nicht bloß auf schöne Naturgegenstände bei ihrer Wahl ein; jede Erscheinung, jede Form und Gestalt der Natur kann für sie ein Vorwurf und in der Ausführung ein Werk der Schönheit werden.

Diesen Gang haben alle nachahmenden Künste mehr oder weniger mit einander gemein.

Die Rede- und Dichtkunst stellen mit eben so starken Farben schrekliche als angenehme Gegenstände auf; sie schildern mit dem nemlichen Geist lasterhafte Charaktere, als sie die Tugend, das liebliche und moralische schöne bilden. Dieß fällt besonders bei dramatischen Stücken auf, wo der ganze Zwek und Schönheit darinn beruhet, Charaktere, wie sie sind, zu geben. Je mehr es dem Dramatiker gelingt, seine Charaktere zu individualisiren, desto mehr darf er auf Beifall zählen, desto schöner wird sein Kunstwerk. Hierinn zeichnet sich ein Homer: hierinn Shakespeare aus. Der Virtuose, der Tänzer befinden sich im nemlichen Falle, aber nicht so sichtbarlich, nicht so auffallend wie der Mimiker und Schauspieler. Wer nachahmt, muß so nachahmen, daß er verstanden werde – und dieß leztere kann nur geschehen, wenn er die Züge der Natur getreu ja individuell auffasset, und sein Werk oder seine Handlung übersezet.

Mahlerey und Skulptur, deren Wesen in der Treue einer richtigen Nachahmung beruht, haben diese Grundsäze vorzüglich mit den andern Künsten gemein. Daher je mehr Theile sich in einem Gemälde oder einer Statue vereinigen, den sich vorgesezten Naturgegenstand ähnlich zu machen, desto vollkommener, desto schöner ist das Kunstwerk.

Hierbei sind aber der Mahler und Bildhauer eben so wenig an die Wahl des bloß Naturschönen gebunden, als der Dramatiker an das bloß Moralisch-schöne der Charaktere. Jeder Gegenstand, jede Form, jede Geberde, Ausdruk und Farbe kann ein Vorwurf der Kunst, und durch getreue und wahre Darstellung schön werden.

Die Kunst kann zwar durch die Wahl eines schönen Naturgegenstandes ihr Interesse vermehren. Es liegt auch in ihren Grenzen, das Naturschöne selbst in einem Gegenstand so zu concentrieren, daß wir dieß vollkommene Schöne in der Natur nur zerstreut und theilweise wieder finden. Allein dieß ist nicht ihre wesentlichste Absicht; dieß ist nur einer ihrer vornehmsten Theile, das Interesse an der Kunst zu erhöhen und zu vervielfältigen. Nicht das Kunstwerk ist das schönste, welches den schönsten Gegenstand behandelt, sondern dasjenige, welches die meiste Kenntniß, die vollste Empfindung, den umfassendsten Genius und die größte Geschicklichkeit in der Ausführung verräth. Wenn wir z.B. dieß leztere mehr in dem Laokoon als in dem Apollo entdeken, so ist jenes auch ein schöneres Kunstwerk, als dieses; obwohl lezterer den schönsten Gegenstand der menschlichen Phantasie, und ersterer einen der schreklichsten Naturauftritte vorstellet.

Ein Kunstwerk kann also von zwei Seiten, objektivisch und subjektivisch Wohlgefallen erweken: aber die Wahl des Gegenstandes ist dem ausführenden Genius untergeordnet: ein Kunstwerk muß mehr subjektivisch, als objektivisch interessieren. – Worinn könnte man also die nähere Erklärung des Schönen der bildenden Künste sezen? Nach welchen Grundsätzen es beurtheilen?

Erklärung des Schönen der bildenden Künste.

Das Schöne der bildenden Künste ist die Übereinstimmung der Theile zum Ganzen durch eine getreue und richtige Nachahmung eines bestimmten Naturgegenstandes, oder eines Ideal’s.

Mahlerey und Skulptur haben ihre Vorbilder in der Natur. Ihr Wesen beruht nicht bloß in einer beiläufigen und indistinkten Nachahmung dieser Vorbilder; sondern in einer vollständigen, und so richtigen Darstellung, daß die Täuschung so weit, als es in den Grenzen jeder Kunst liegt, getrieben werde. Diese Sorgfalt muß sich nicht bloß auf einzelne Theile beschränken, sondern alles umfassen, was in einem Gegenstande sich sehen und fühlen läßt. Dadurch kömmt Übereinstimmung und Harmonie in’s Ganze.

Die Gegenstände der Nachahmung sind von zwei Gattungen. Entweder kann ein Gegenstand nachgeahmt werden, so wie wir ihn sehen, ohne hinzuzuthun noch wegzunehmen: als im Portrait oder in Naturaussichten.

Oder aber ein Gegenstand ist ein KunstIdeal, das heißt: es werden gewisse Eigenschaften und Charakterzüge angegeben, zu deren Bildung sich kein unmittelbarer Gegenstand in der Natur vorfindet; wozu aber die Grundzüge und Formen in der Natur zerstreut anzutreffen sind. Diese suchet die Kunst in dem gegebenen Gegenstande zu concentrieren, doch so, daß sich in diesem Bilde der Phantasie kein Streit, kein Widerspruch offenbare, sondern dem Auge sich das ganze Bild so darstelle, daß es von der Wahrheit desselben getäuscht werde. – Es können zum Beispiel Jahrtausende vergehen, biß die Natur einen so schönen Mann wie Apollo, oder ein so reizendes Mädchen, wie die Venus, hervorbringe, obwohl es nicht der mindeste Widerspruch wäre, daß solche Gestalten stündlich in der Natur zum Vorschein kämen.

Die Kunst bleibt zwar nicht bloß bei dieser Art Ideale stehen; sie verbindet auch Wesen, wie dieselben nie in der Natur möglich sind. Ich möchte daher die Kunstideale in der Natur möglich sind. Ich möchte daher die Kunstideale in vier Klassen theilen.

Die erste Gattung ist, wo die Formen und Charakterzüge sich nicht über die gewöhnliche Natur erheben, als in der Natur eines Athleten, oder eines historischen Objects, wovon kein bestimmtes Portrait auf uns gekommen, als eines Moses, Davids, Apostels. Wir sind so gebildet, daß wenn wir die Geschichte solcher Menschen lesen, und kein bestimmtes Bild von ihnen haben, unsere Phantasie sich willkührlich oder unwillkührlich sinnliche Bildungen davon schaffet.

Die zweyte Gattung Ideale erhebt sich über das gewöhnliche Schöne der Natur, wozu aber doch die Formen und Grundzüge theilweise in derselben anzutreffen sind. Hiezu gehören die Bildnisse der Götter und Helden der alten Mythologie, ein Bacchus, eine Minerva, ein Achill, eine Helena u. s. w.

Die dritte Klasse der Ideale beschränkt sich zwar auch auf eine Natur, aber sie verbindet damit Attribute fremder Wesen: wie ein Genius mit Flügeln, ein gehörnter Bacchus oder Faun, ein Phoebus mit den Strahlen ums Haupt, die Schlangen zwischen den Haaren der Gorgonen und Furien, die Flügel eines Pegasus.

Die vierte Klasse Ideale verbindet aber wirklich verschiedene Naturen: wie in den Tritonen, Centauren, Giganten, Syrenen, Sphinxen u. s. w.

Indessen wich die Kunst auch nicht von einer richtigen Nachahmung dieser verschiedenen Naturen ab. – Was der Centaur vom Pferde hat, trägt die wahren Formen des Pferdes, und der obere Theil, der menschlich ist, den Charakter eines rohen starken Menschen. Die Formen und Züge sind von jeder Natur deutlich und bestimmt, nur die Zusammensezung ist abentheuerlich. Wenn hierinn etwas zu tadeln wäre, so betrift es mehr die Wahl solcher Gegenstände, oder die Phantasie, welche solche Wesen schuf, als die Kunst, welche sie ausführte.

Diese allegorischen Zusammensezungen gefallen in der Kunst öfters sehr, wenn sie nicht zu mannichfaltig, nicht zu kleinlicht und bunt werden. Aber leider! arten dergleichen Erfindungen in der Kunst gar leicht in das zu spizfindige und launische aus. Die sogenannten lächerlichen Grillen der Alten, wovon unsere heutigen Carrikaturen, Arabesken oder Grotesken Nachahmungen und Kopien sind, geben das überzeugendste Beispiel hievon.

Die Kunst hat zwar ihre Allegorie, wie die Poesie, doch leztere hat ungleich mehr Freiheit; indessen wenn Horaz auch hierinn ein gewisses Maaß und gewisse Grenzen, um die goldene Mittellinie nicht zu überschreiten, vorschreibet, so gilt diese Einschränkung doppelt in Rüksicht der Kunst, weil Formen und Farben vielmehr einer Verwirrung unterworfen sind, als Wortverknüpfungen, welche nicht an die Einheit eines Augenblikes, einer Handlung und eines Ortes gebunden sind, sondern eine lange Folge in der Zeit darstellen können.

Wäre es aber möglich einen Hauptgrundsaz aufzustellen, nach welchem das Kunstschöne könnte beurtheilt werden, und in welchem sich alle Strahlen, wovon die Kunst ausgeht, gleichsam als in ihrem Brennpunkt brechen?

Charakteristik als Hauptgrundsaz des Kunstschönen.

Nach meinem Sinne besteht die Basis zu einer richtigen Beurtheilung des Kunstschönen und Bildung des Geschmakes in dem Begriffe Charakteristik.

Unter Charakteristik verstehe ich nemlich jene bestimmte Individualität, wodurch sich Formen, Bewegung und Geberde, Miene und Ausdruk – Lokalfarbe, Licht und Schatten, Helldunkel und Haltung – unterscheiden, und zwar so, wie der vorgelegte Gegenstand es verlanget.

Nur durch die Beobachtung dieser Individualität kann ein Kunstwerk ein wahrer Typus, ein ächter Abdruk der Natur werden. Nur auf diese Weise wird eine Kunstarbeit interessant, nur in dieser Rüksicht können wir das Talent des Künstlers bewundern.

Charakteristik muß überall hervorleuchten. Die Erreichung des Eigenthümlichen in allen Theilen zum Ganzen ist der Endzwek der Kunst, das Wesen des Schönen, der Prüfstein von der Fähigkeit des Künstlers, und die Quelle des Wohlgefallens für jeden, der das Kunstwerk ansieht und betrachtet.

Wenn demnach das Kunstschöne in der Charakteristik beruht, so ist es leicht zu begreifen, welche Empfänglichkeit, welche Empfindung und Phantasie der Künstler für alle Erscheinungen der Natur überhaupt und besonders des Menschen haben müsse, wie scharfsinnig sein Geist die Bilder immer trennen, und in der Trennung sie immer einander nähern und klassificieren müsse, um auf seinen Endzwek zu arbeiten.

Wir werden in der Folge sehen, welche Grenzen eine jede der bildenden Künste, Mahlerey und Skulptur nebst ihrer subordinirten Künsten haben, und wie sich alle ihre Regeln in dem angezeigten Grundsatze vereinigen. Jetzt noch eine andere Frage:

Kann ein jeder, auch ekelhafter Gegenstand, und ein jeder, auch entstellender Moment – ein Vorwurf der bildenden Künste werden?

Ein jeder kann, aber nicht ein jeder soll es werden. Wir sahen, daß das Kunstschöne nicht sowohl in der Wahl des Gegenstandes, als in der Behandlung und Ausführung von Seiten des Künstlers beruht. Ein Ekelerregender Gegenstand könnte also auch von dieser Seite Vollkommenheiten zeigen. Allein, wenn das Unangenehme des Vorgestellten das Angenehme des vorstellenden Genius überwieget, das heißt: wenn das Widerwärtige der bezeichneten Sache in dem Grade unangenehm ist, daß es den Werth, wie es gemacht ist, auslöschet, so sollten allerdings solche Gegenstände und Momente von der Wahl der schönen Künste ausgeschlossen bleiben. Hingegen wünschen wir nicht, daß eine zu verzärtelte Sinnlichkeit, oder eine zu strenge Sittlichkeit die Delikatesse hierinn zu weit triebe. Ein gebildeter Geschmak mag in solchen Fällen eher die Grenzen bestimmen, als Regeln und Beispiele.

Architektur.

In die Reihe der schönen Künste gehört die Baukunst; da sie aber kein Vorbild in der Natur hat, wie Mahlerey und Skulptur, so schafft sie sich ein eigenes Modell, in noch nicht so engen, festen und ewigen Gesezen, als es diejenigen für die nachahmenden Künste sind. Wir werden auch sehen, daß, wenn wir ihr Modell aufgestellt haben, der Hauptgrundsaz der Charakteristik eben so gut passet, das architektonische Schöne, als das Schöne der bildenden Künste zu beurtheilen.

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